Im österreichischen Dornbirn packt der Bürgermeister selbst an und verbannt kurzerhand Trennkeile aus Sitzbänken in seiner Gemeinde. Eine kleine Geste, die gegen Ausgrenzung vor allem wohnungsloser Menschen vorgeht, zeigt neue Wege für einen offenen Stadtraum auf. Empathischere sozialpolitische Maßnahmen als Alternative zu der von Expert:innen scharf kritisierten sogenannten „Defensiven Architektur“ haben vielerorts bereits beachtliche Erfolge erzielt.
Dieser Artikel in in Zusammenarbeit mit der KräftigeGüteStiftung entstanden.
Wer kennt es nicht: eine Nacht schlecht geschlafen, weil es zu laut war, die Matratze unbequem oder der Kopf voller Gedanken. Am nächsten Tag fühlen wir uns erschöpft, gereizt und unkonzentriert. Schlafmangel kann anstrengend sein, selbst dann, wenn am Abend ein sicheres Zuhause Ruhe ermöglicht. Doch was, wenn dieser Rückzugsort fehlt?
Für Menschen ohne festen Wohnsitz ist erholsamer Schlaf ein täglicher Kampf. Und es wird ihnen zunehmend schwerer gemacht – unter anderem durch sogenannte „Defensive Architektur“. Gemeint sind bauliche Maßnahmen, die gezielt verhindern sollen, dass sich Menschen im öffentlichen Raum ausruhen oder hinlegen. Sitzbänke mit Trennkeilen, kalte Metallstreben oder auch Lärm. Maßnahmen, die mehr mit Verdrängung als mit Stadtgestaltung zu tun haben.



Mit dem Akkuschrauber gegen soziale Ungerechtigkeit
Doch es geht auch anders, wie Dornbirns Bürgermeister Markus Fäßler jüngst eindrucksvoll gezeigt hat. Denn es braucht nicht immer große Reden, um einen Wandel einzuleiten, manchmal reicht ein einfacher Schraubenzieher.
In der österreichischen Stadtgemeinde setzte Fäßler ein starkes Zeichen, indem er eigenhändig Holzkeile von Sitzbänken am Bahnhof entfernte, die dazu gedacht waren, obdachlose Menschen vom Hinlegen abzuhalten. „Die Lösung mit den Holzkeilen war ein Schnellschuss und leider ungeschickt umgesetzt“, betonte Dornbirns Bürgermeister. Was viele Menschen kaum bewusst wahrnehmen, war für ihn ein Symbol der Ausgrenzung und dementsprechend nicht länger tragbar.

Die Trennelemente waren bereits im vergangenen Herbst in die Kritik geraten. Die Bänke wurden unter der vorherigen Stadtregierung angebracht, um ein „ordnungsgemäßes“ Stadtbild zu erhalten. Für Fäßler allerdings war das eine unglückliche und vor allem wirkungslose Maßnahme. Denn trotz der Keile lagen weiterhin obdachlose Menschen auf den Bänken. Verdrängung ist eben keine Antwort auf soziale Probleme.
„Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, welche aus Sozialarbeiter:innen, Polizei und Verkehrsunternehmen besteht, soll nun tragfähige Lösungen erarbeiten.“
Es gibt bessere Lösungen: Gemeinsames Gestalten statt Ausgrenzung
Doch der neue Bürgermeister belässt es nicht bei Kritik oder Symbolpolitik. Mit dem Entfernen der Keile kündigte er auch einen inhaltlichen Kurswechsel an. Statt auf Ausschluss setzt er auf gemeinsames Gestalten. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, welche aus Sozialarbeiter:innen, Polizei und Verkehrsunternehmen besteht, soll nun tragfähige Lösungen erarbeiten, in der Absicht, niemanden aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Ziel ist es, den Bahnhof zu einem sicheren und lebenswerten Ort für alle zu machen, für Reisende ebenso wie für Jugendliche und Menschen ohne festen Wohnsitz.
„Es gibt andere Möglichkeiten, den Aufenthalt für die Fahrgäste beim Busbahnhof zu verbessern“, sagte Fäßler. So könnten beispielsweise zusätzliche Ansprechmöglichkeiten für Reisende geschaffen werden, begleitet von einer verstärkten sozialen Betreuung und sichtbarer Präsenz von Sicherheitskräften.
Die Initiative des Bürgermeisters deckt sich mit den Empfehlungen vieler Fachleute aus Architektur, Bautechnik und Bauforschung, die „Defensive Architektur“ als unwirksam ablehnen. Bart Urban, Experte für nachhaltigen Städtebau, nennt Maßnahmen gegen Wohnungslose wie Trennkeile gar eine „Augenwischerei“. Diese verdrängten kurzfristig wohnungslose Menschen, „langfristig lösen sie aber keine Probleme, sondern verschieben sie nur an andere Orte der Stadt“.
„Wer Orte für Menschen baut, bekommt auch sichere und lebendige Orte zurück.“
Bart Urban, Experte für nachhaltigen Städtebau
Stattdessen empfiehlt Urban einen ganzheitlicheren Denkansatz: „Wir müssen Plätze so gestalten, dass sie freundlich, zugänglich, schön und lebendig sind.“ Anstatt Menschen mit sozialer Härte zu verdrängen, erzielt dieser gütige Ansatz weltweit bereits erstaunliche Erfolge. Urban nennt Le Plessis-Robinson bei Paris als Beispiel: „Aus feindlichen, kargen Räumen wurde dort ein vitales Klein-Paris“.
Für Wohnungslose wurde hier, angelehnt an das Prinzip Housing First, möglichst viel günstiger sozialer Wohnraum geschaffen und auch an Menschen mit Schwierigkeiten vermittelt. Auch temporäre Unterkünfte, genannt „Solidaritätshäuser“, gehörten zum Konzept. Diese wurden bewusst nicht an den Rand gebaut, sondern in die Stadtteile integriert. „Und die Stadt wurde dadurch nicht nur schöner, sondern auch sicherer und sozialer“, sagt der Experte.
In einem Film auf YouTube dokumentiert Urban die Transformation. Seine Akademie The Aesthetic City möchte anhand solcher Lösungsbeispiele zum Beispiel engagierte Lokalpolitiker:innen mit Gestaltungswillen, wie Dornbirns Bürgermeister Markus Fäßler, bestärken. „Die Erfahrung zeigt: Wer Orte für Menschen baut, bekommt auch sichere und lebendige Orte zurück.“
„Defensive Architektur“ und ihre historischen Wurzeln
Dass öffentliche Räume wider besseres Wissen und allen gütekräftigen Alternativen zunehmend so gestaltet werden, dass sie bestimmte Menschen ausschließen, ist kein Einzelfall. Vor allem ist das Phänomen nicht neu: Die „Defensive Architektur“ reicht historisch bis in die 1960er Jahre zurück. In New York entstanden damals erste Konzepte des „Environmental Design“, um durch städtebauliche Maßnahmen Kriminalität zu verhindern.
Was einst dem Schutz vor äußeren Gefahren diente, richtet sich heute zunehmend gegen Menschen im eigenen städtischen Umfeld. Heute zeigt sich diese Haltung in Form von Armlehnen auf Bänken, spitzen Geländeelementen unter Brücken oder lauter Musik an Bahnhöfen.
Der Begriff „Defensive Architektur“ wurde im Jahr 2022 nicht ohne Grund auf Platz drei der „Unwörter des Jahres“ gewählt – als Ausdruck für eine menschenverachtende Praxis, die gesellschaftliche Probleme aus dem Blickfeld verbannen möchte, anstatt sie zu lösen.
Proteste in Hamburg und München gegen defensive Architektur
Auch in Deutschland formiert sich Protest, teils mit drastischen Mitteln. In Hamburg etwa sorgte der Rapper Disarstar vor wenigen Jahren für Aufsehen, als er öffentlich Metallbügel von einer Sitzbank absägte, welche das Liegen verhindern sollten. Stattdessen legte er eine Matratze mit Decke, Kissen und einer Blumenvase aus, als Zeichen gegen das, was er als „menschenfeindliche Stadtgestaltung“ kritisierte.
Und auch in München kam es zu Protestaktionen: Aktivist:innen schraubten am S-Bahnhof Marienplatz die Armlehnen von 23 Sitzbänken ab, um Schlafplätze zu schaffen. Damit wollten sie auf die systematische Ausgrenzung obdachloser Menschen im öffentlichen Raum aufmerksam machen.
Inklusive Architektur als vorausschauende Sozialpolitik
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Dornbirner Bürgermeisters, städtebaulich menschlichere Wege zu gehen, nicht zuletzt auch politisch vorausschauend. Denn eine Investition in Architektur, die Begegnung ermöglicht und ein Zeichen der Inklusion setzt, ist erwiesenermaßen ein wichtiger Baustein für mehr sozialen Zusammenhalt in der Gemeinde.
Beitragsbild: Stadt Dornbirn