Heute, am 23. August 2025, wurden die neuen Straßenschilder der Anton-Wilhelm-Amo-Straße offiziell enthüllt. Ein Schritt zur Dekolonialisierung der Erinnerungspolitik.
Bis kurz vorher stand die Umbenennung auf der Kippe, nun ist sie vollendet. Die ehemalige Mohrenstraße in Berlin-Mitte heißt jetzt Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Am 23. August 2025 wurden die neuen Straßenschilder enthüllt, die alten Schilder sollen, zunächst für sechs Monate, durchgestrichen hängenbleiben. Für die Befürworter:innen der Umbenennung geht es dabei um viel mehr als um einen neuen Straßennamen: “Es geht darum Raum zu schaffen für Perspektivwechsel, für eine antikoloniale Erinnerungskultur und für eine neue Geschichtsschreibung. Es geht darum, antikolonialen Widerstand und Schwarze Geschichte in Deutschland sichtbar zu machen und im kollektiven Gedächtnis zu verankern”, erklären sie bei einem Fest am Berliner Hausvogteiplatz anlässlich der offiziellen Enthüllung der neuen Straßenschilder.
Schritt für Schritt für ein dekoloniales Stadtbild
Die Anton-Wilhelm-Amo-Straße ist nicht die erste Berliner Straße, die aufgrund des diskriminierenden und rassistischen Inhalts ihres Namens umbenannt wurde. Genau ein Jahr zuvor, am 23. August 2024 – dem internationalen Tag zur Erinnerung an den Handel mit versklavten Menschen und dessen Abschaffung – wurde bereits die Petersalle im sogenannten Afrikanischen Viertel im Wedding umbenannt. Sie heißt seitdem Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee.
Bereits die Umbenennung der Petersalle war lang umkämpft gewesen. Benannt war sie nach Carl Peters, einem führenden Kolonialisten im heutigen Tansania, der von der tansanischen Schwarzen Bevölkerung aufgrund seiner Grausamkeit nur als “blutige Hand” bezeichnet wurde. Die Neubenennung der Anton-Wilhelm-Amo-Straße war sogar noch umkämpfter.
Eilantrag gegen die Umbenennung in letzter Sekunde gekippt
Bereits im August 2020 hatte die Bezirksverordnetenversammlung die Umbenennung beschlossen und begründete ihre Entscheidung damit, dass der Name Mohrenstraße „diskriminierend ist und dem Ansehen Berlins schadet“. Anwohnende reichten daraufhin eine Klage gegen die geplante Umbenennung ein und argumentierten laut Berichterstattung von rbb24 unter anderem, die Namensgebung für die Straße vor 300 Jahren sei nicht rassistisch, sondern wertschätzend gemeint; vor dem historischen Hintergrund sei der Straßenname Teil der Geschichte der Stadt.
Das sehen viele Betroffene anders. Schon lange gibt es Diskussionen, ob der Begriff Mohr als rassistisch eingeordnet werden muss, oder nicht. Die etymologische Herkunft des Wortes ist nicht komplett geklärt, viele Aktivist:innen wehren sich jedoch gegen den Begriff, den sie als Zuschreibung von außen wahrnehmen und der häufig mit stereotypischen und rassistischen Bildern Schwarzer Menschen in Verbindung gebracht wird. (Anm. d. Red.: Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, den Begriff in diesem Artikel nach Möglichkeit zu vermeiden und wenn dann in durchgestrichener Form zu verwenden.)
Das Verwaltungsgericht Berlin stimmte der Argumentation der Kläger:innen ebenfalls nicht zu. Eine der Klagen wurde abgelehnt, die anderen Klagen im Einverständnis aller Beteiligten ruhend gestellt. Im Juli erklärte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Umbenennung für rechtskräftig, daraufhin wurde der heutige Samstag für die offizielle Enthüllung der neuen Straßenschilder festgelegt. Doch zwei Tage vor der geplanten Umsetzung reichten die Anwohnenden einen Eilantrag ein; in einem Hin und Her zwischen Verwaltungsgericht und Bezirk wurde die Umbenennung zuerst auf Eis gelegt, bevor am Freitagabend verkündet wurde: Sie kann wie geplant stattfinden.
Langer Atem für den Erfolg
So findet nun heute doch wie geplant eine Feier am Hausvogteiplatz statt, um die offizielle Enthüllung der Anton-Wilhelm-Amo-Straße zu feiern. Organisiert wurde sie vom Verein Decolonize Berlin, der sich seit 2020 für die Aufarbeitung von Kolonialismus und Rassismus, gerade im öffentlichen Raum, einsetzt. “Wir feiern gemeinsam diesen historischen Schritt gegen Rassismus und koloniale Kontinuitäten im öffentlichen Raum – mit Musik, Redebeiträgen, Austausch und Sichtbarkeit”, erklärte der Verein auf seiner Website anlässlich der heutigen Umbenennung.
Trotz des grauen Wetters und anfänglichen Nieselregens sind zahlreiche Menschen gekommen, um ihre Unterstützung zu zeigen. Sie wäre auch gekommen, wenn die Umbenennung doch nicht hätte stattfinden können, erklärt Viviane, eine der Teilnehmenden: “um zu zeigen: Das ist es wert”.
Denn die Umbenennung sei ein kleiner, aber wichtiger Schritt: “Es geht um viel mehr als nur diese eine Straße. Es ist ein viel größerer Prozess, um Deutschland zu dekolonisieren. Ich denke, aus diesen kleinen, erfolgreichen Schritten können wir Kraft schöpfen”, erklärt Leticia, die neben Viviane steht. Und ihre Freundin Mimi ergänzt: “Es ist eigentlich absurd, dass diese Straßennamen noch existieren und alltäglich hingenommen werden – dass man gezwungen wird, so ein Wort zu schreiben, wenn man sich an der U-Bahn-Station treffen will”.
Zumindest hier hat das nun ein Ende. Der alte Straßenname sei ein schmerzhaftes Beispiel für die Art gewesen, wie Schwarze Geschichte bislang häufig in deutschen Räumen erinnert wird, ein Beispiel für die Entmenschlichung Schwarzer Menschen, erklären die Organisator:innen. Die Wahl des neuen Straßennamens hingegen ist ein Fingerzeig, wie antikoloniale Erinnerungskultur aussehen kann.
Anton Wilhelm Amo: Zeuge für afrodiasporisches Wissen
Anton Wilhelm Amo war ein Schwarzer Denker und Philosoph, der den deutschen Philosophiediskurs in einer seiner Hochphasen entscheidend mitprägte. Dennoch sind die Informationen über sein Leben dürftig.
Anfang des 18. Jahrhunderts im heutigen Ghana geboren, war Amo nach aktuellem Wissensstand als Kind von der niederländischen West-Indien-Kompagnie nach Amsterdam verschifft und dort an den Fürsten von Braunschweig und Lüneburg-Wolfenbüttel “verschenkt” worden. Die Namen Anton und Wilhelm entsprechen den Namen des Fürstens und seines Sohns August Wilhelm, an den Amo später übergeben wurde. In seinen eigenen Schriften verwendet er den Namen “Amo”, den er vermutlich als Kind trug.
1727 begann Amo an der Universität Halle das Studium der Philosophie, 1729 hielt er seine erste öffentliche Disputation „Über die Rechtsstellung Schwarzer Menschen in Europa“ („De jure maurorum in Europa“) und erwarb 1736 den Professorentitel. Anschließend lehrte er in Jena, bevor sich seine Spur verliert. Umbestreitbar ist jedoch, dass er seinerzeit die philosophische Debatte um einen innovativen philosophischen Ansatz erweiterte.
Die Erinnerung an Amo sei so wichtig, “weil Schwarze Geschichte immer schon Teil von Deutschland ist – allzu oft aber wird sie vergessen oder verdrängt”, erklären die Organisator:innen, und fahren unter dem Klatschen der Menschenmenge fort: “Sein Leben und sein Werk bezeugen, dass Schwarze Geschichte untrennbar mit diesem Land verbunden ist. Anton-Wilhelm-Amo-Straße ist ein Symbol für ein wertschätzendes Erinnern Schwarzer Menschen im 18. Jahrhundert.”