In diesem Auszug aus dem Buch „Smart arbeiten mit der Delete-Strategie“ beschreibt Martin Gaedt, wie wir etwas gegen die Überlastung im Arbeitsalltag tun können (Anzeige).
Gesundheit ist ein zentraler Faktor bei der Arbeit. Gesunde Menschen können ihren Beitrag leisten. Doch immer mehr Menschen leiden unter Burnout. Auf Platz 1 der Krankenstatistik stehen Menschen in Pflegeberufen. Quer durch alle Branchen sind die Krankentage in deutschen Unternehmen 2022 und 2023 gestiegen. Das ist neben dem Leiden der Menschen auch teuer: Pro Jahr kosteten die Krankentage die Firmen 42 Milliarden Euro.
Läuft dein Arbeitsalltag auch über wie ein volles Wasserglas, in das immer mehr eingegossen wird? Mit wem ich auch spreche, quer durch alle Branchen berichten mir Menschen von ihrer Überlastung im Beruf. Immer mehr Aufgaben, Anforderungen, Tools, digitale Plattformen, Gesetze, Produkte und Prozesse kommen im Arbeitsalltag hinzu.
Das Zu-viel-von-allem wird auch nicht weniger durch mehr Zeitmanagement oder mehr Selbstoptimierung. Immer mehr – auch von guten, sinnvollen Tools, ist zu viel.
Arbeit ist kein Wert an sich. Nur weil wir etwas tun und dafür bezahlt werden, ist die Tätigkeit nicht automatisch wertvoll oder notwendig. Veraltete Prozesse und überflüssige Handlungen führen zu Belastung, Mehrkosten, Frust und Fluktuation.
Um das zu ändern, räumen wir jetzt auf und schmeißen wertlose Aufgaben raus. Arbeit, die von wertlosen Tätigkeiten entlastet wird, entlastet Menschen und stärkt mit ihrer Gesundheit die Leistungsfähigkeit.
Tat-Zeit-Wirkung – eine Übung
Nimm einen Zettel oder dein Tablet. Schreib alle Tätigkeiten auf, die zu deiner Arbeit gehören. Führe eine Aufgaben-Inventur durch über alles, was du machst – also nicht nur das, was im Arbeitsvertrag steht. Dann schätzt du, wie viel Zeit du pro Tätigkeit pro Woche verbrauchst. Nun hast du alle Zutaten: deine Tätigkeiten und den Zeiteinsatz.
Nimm ein weiteres Blatt Papier. Zeichne für jede Tätigkeit einen Kreis, der im Größenverhältnis zur verwendeten Zeit steht. Nun hast du einen Zettel voller großer und kleiner Kreise. Notiere in den Kreisen die Tätigkeit.
Die Wirkung der Tätigkeit
Nimm den zweiten Stift mit einer anderen Farbe. Überleg dir für jede Tätigkeit, welches Ergebnis du mit ihr erzielst. Ist sie in deinem Job wertvoll, wichtig und zielführend? Nun zeichnest du in jeden Kreis einen zweiten Kreis. Braucht die Tätigkeit viel Zeit und erzielt wenig Wert, zeichnest du in den großen Zeit-Kreis einen kleinen Wirkungs-Kreis.
Pflegekräfte und Lehrende haben immer Dokumentationspflichten, es bleibt weniger Zeit fürs Unterrichten und Pflegen. Auch im Handwerk gibt es immer mehr Vorschriften. Zu viel Bürokratie bremst sinnvolle Tätigkeiten aus. Trägt deine Tätigkeit zur Zufriedenheit von Kundinnen und Kunden bei? Welche Aufgaben sind besonders sinnvoll? Welche überholt? Was bremst aus? Was geht dir locker von der Hand?
Kommen über deine Tätigkeit beispielsweise viele zufriedene Nutzer:innen, Abonnent:innen, Gäste oder andere zahlende Kunden, malst du den Wirkungs-Kreis so groß wie den Zeit-Kreis. Braucht die Tätigkeit wenig Zeit und erzielt eine große Wirkung, zeichne den Wirkungs-Kreis größer als den Zeit-Kreis. Es geht dabei nicht um exakte Werte, sondern einen intuitiven Überblick.
Die Tätigkeit, die am meisten Zeit verbraucht und die geringste Wirkung für deinen Arbeitgeber und Kund:innen erzielt, löschst du. So gewinnst du sofort Zeit für sinnvolle Tätigkeiten.
Unnötige Tätigkeiten aussortieren
Wir können Zeit nur einmal nutzen. Zeit können wir nicht züchten und multiplizieren. Diese Übung hilft dabei, unnötige Tätigkeiten auszusortieren. Die Tat-Zeit-Wirkungs-Kreise auf einem Blatt Papier zeigen sofort das Löschpotenzial. Dabei ist die verwendete Zeit häufig nicht die Überraschung. Die Wirkung der Arbeit im Verhältnis zum Zeiteinsatz bringt das Aha-Erlebnis. Das sind häufig Tätigkeiten, die uns frustrieren, weil wir wissen, wie wenig sie bringen.
Wenn dir der erste Anlauf mit Zeit-Kreisen zu intuitiv und ungenau war, stoppe einen Tag oder eine Woche lang die Zeit bei allen Tätigkeiten. So kannst du vergleichen, wie gut deine Schätzung war. Im Anschluss daran machst du einen neuen Vergleich mit Zeit- und Wirkungskreisen. Was für dich eine positive Wirkung entfaltet, definierst du selbst.
Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte
Diese Übung funktioniert auch hervorragend im Team zum Austausch über ergebnisreiche und wirkungslose Arbeit. Alle Menschen und Firmen profitieren davon, wenn weniger Bullshit gearbeitet wird. Jeder Mensch, jede Firma und jede Kommune kann wirkungslose Arbeit streichen.
Wer das nicht allein entscheiden kann, hat mit der Übersicht eine Grundlage, um mit Vorgesetzten über das Löschpotenzial zu sprechen. Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte. Die meisten Vorgesetzten werden auch die Tätigkeit löschen oder verringern, die den geringsten Beitrag zur Wertschöpfung leistet.
Bullshit-Anteile
Kein Beruf ist nur gut oder nur schlecht. Schädlich und belastend sind die “Bullshit-Anteile” in Jobs. Dazu gehören unstrukturierte Meetings, regelmäßig verzögerte Materiallieferungen, genervtes Augenrollen zu Ideen, komplizierte Reiseanträge, aufwendige Leistungserfassungen, unbezahlte Überstunden, ein schlecht gewarteter Fuhrpark, vergiftete Atmosphäre am Arbeitsplatz usw.. Das alles verspielt Leistungsfähigkeit.
Wer zu viel Bullshit erlebt, wird wütend oder gleichgültig und stumpft ab. Das führt zu sinkendem Engagement und Achselzucken. „Lass die doch machen, auf mich hört sowieso keiner.“ Auch gut bezahlte Jobs können Bullshit-Jobs sein. Arbeiten im goldenen Käfig ist ein häufig verwendetes Bild, wenn man den Job nur noch macht, weil er gut bezahlt wird.
Wirkungslose Arbeit abzuschaffen, vermindert Bullshit und ist eine Führungsaufgabe.
Effizienz reicht nicht
Gesunde Produktivität bedeutet nicht, alles besonders effizient zu machen, denn zu viel überfordert auch, wenn es effizient erledigt wird. Effizienz ist nützlich, doch zu viele Tätigkeiten effizient durchzuführen, ist auch zu viel. Effizientes Ausfüllen einer Dokumentation ist hilfreich, doch der Hebel zu gesunder Arbeit könnte in der Halbierung der Dokumentationspflicht liegen.
Eine Person kann effizient arbeiten, trotzdem kann die Aufgabe wertlos sein. Lerne schlau zu Prüfen und Leeren, um “Müllausbreitung” einzudämmen. Einst wirkungsvolle Tätigkeiten werden abgeschafft, wenn der Zeiteinsatz zu hoch und die Wirkung zu niedrig ist. Mülleimer auf!
Löschlisten
Führe einen Friedhof mit bewährten, aber toten Aufgaben ein. Mach sichtbar, was gelöscht wird. Häng die Löschlisten der Woche und des Monats ins Foyer und in den Meetingraum. Feiere Löschlisten als Befreiung von Ablenkung und Überlastung! Mülleimer auf! Entlastung wirkt doppelt positiv, da für wirkungsvolle Aufgaben mehr Zeit und Kraft bleiben.
Menschen sollten nie zu 100 Prozent ausgelastet sein. Dann sind es zu viele Aufgaben. Wer entlastet ist, ist agiler und reaktionsfähiger, um sowohl fokussiert zu arbeiten als auch Trends und Märkte zu beobachten und aktiv zu reagieren.
Keine Tätigkeit wird dauerhaft gleich viel zur Strategie einer Firma beitragen. Was kann raus? Welche Produkte, welche ungenutzten Funktionen einer Software, welche Öffnungszeiten und Formulare, welche überflüssigen Prozesse und Gesetze sind Müll?
Löschlisten in der SHK Innung München
Das Team der SHK Innung München fragt sich in jedem Meeting zu neuen und auch alten Aufgaben, Projekten, Öffnungszeiten und anderen Services: Brauchen wir das oder lassen wir es weg? Selbstverständlich und selbstbewusst wird gestrichen.
Alle Tätigkeiten werden dahingehend überprüft, ob sie den gewünschten Beitrag zum Zweck der Innung leisten. Tätigkeiten, die wenig beitragen, kommen auf die Löschliste. Das Team prüft selbstständig und regelmäßig, was gelöscht werden kann. Löschen ist dort etabliert.
Faszination Zirkus
Vor einigen Jahren kamen meine Kinder und ich an einem großen Zirkuszelt vorbei. Rund um das Zelt standen Kamele, Elefanten und Pferde. Hinter Gittern sahen wir Affen, Löwen und Tiger. Alle drei riefen: „Bitttte, Papaaaa!“ Also kaufte ich vier Tickets.
Die Zirkus-Show gefiel ihnen, doch noch mehr begeisterte sie die Pause, in der wir die Tiere besuchen konnten. Und das größte Highlight kam nach der Show, als Kinder auf Kamelen reiten konnten. Kinder mögen Tiere.
Den Standard verändern
Im Gegensatz dazu bietet der Cirque du Soleil eine Show ohne Tiere. Tiere wurden komplett gestrichen. Bei der Gründung 1984 war das radikal und mutig. Gerade Familien mit Kindern kommen wegen der Tiere in den Zirkus. Doch der Cirque du Soleil ist das Risiko eingegangen und hat ohne Tiere ein Milliarden-Dollar-Business voller Artistik und Show geschaffen. Anfang 2020 liefen weltweit 44 Shows, für die 5.000 Menschen gearbeitet haben, darunter 1.300 Künstlerinnen und Künstler.
Das Streichen aller Tiere – der Standard – und damit des teuren Futters setzt finanzielle Ressourcen frei. Die etablierte Tiershow in der Sägespäne-Manege wird ersetzt durch atemberaubende Weltklasse-Akrobatik. Das neue Angebot zieht ein Publikum an, das höhere Eintrittspreise zahlt, und so bringt das mutige neue Geschäftsmodell sogar mehr Umsatz.
Deinen Standard gezielt verändern – eine Übung
Wähle ein für dich wichtiges Thema oder nimm einen Aspekt davon, den du verändern willst, zum Beispiel dein Angebot, deine Arbeitszeiten, die Jobsuche, die Personalgewinnung, den Vertrieb, dein Geschäftsmodell oder Fortbildungen. Definiere sechs Elemente, die dein Thema im Kern ausmachen. Das ist dein Standard, der ist immer individuell.
Beim Zirkus war der Standard 1984: Tiere, Manege mit Sägespänen, Artisten, Clowns, Holzbänke, Eintrittspreise für Familien mit kleinen Kindern. Im neuen Konzept wurden Tiere, Sägespäne und Holzbänke gelöscht. Die spartanischen Möbel wurden ersetzt durch eine Theateratmosphäre. Gesteigert wurde die Qualität durch Weltklasse-Artistik mit Livemusik, perfekter Inszenierung. Ausgebaut wurden auch die Auftritte der Clowns. Auch die Eintrittspreise wurden erhöht. Ein neuer Standard.
Streichen, löschen, abschaffen und ersetzen, ausbauen, erhöhen, steigern. Streich drei deiner sechs Elemente. So gewinnst du Platz und Ressourcen. Damit kannst du die anderen drei Elemente verstärken oder alte durch neue Elemente ersetzen. So gewinnst du Fokus und Alleinstellung.
Freie Ressourcen
Streichen ist eines der mächtigsten Tools, denn Veränderung braucht zuerst Freiraum. Ohne freie Ressourcen findet keine Veränderung statt. Du kannst alles streichen und ersetzen. So schaffst du schnell und einfach neue Angebote, bessere Strukturen, angenehmere Arbeitszeiten, attraktivere Arbeitsplätze, effizientere Meetings, geeignetere Materialien, spannendere Spiele und gerechtere Gesetze. Dreimal streichen und dreimal steigern oder ersetzen. Das kannst du mehrfach wiederholen und dabei unterschiedliche Elemente löschen. Jedes Mal ergibt sich daraus eine andere Veränderung. Das kannst du täglich trainieren.
Verändert in 10 Minuten
Im Workshop gebe ich meinen Kunden zehn Minuten Zeit, von ihrem Standard drei Elemente zu streichen und drei zu verstärken. Die erste Antwort ist häufig: „Ich kann nichts streichen.“ Dann sage ich: „Jetzt habt ihr noch neuneinhalb Minuten.“ Mehrere tausend Teams haben in zehn Minuten ihren alten Standard einschneidend verändert.
Ich erinnere mich an den Vorstand eines großen Unternehmens. Meine Gäste konnten kaum fassen, wie schnell sie ihr Business aufgeräumt und neue Geschäftsmodelle entwickelt hatten. Ich sehe sie vor mir, wie stolz sie ihre Ergebnisse präsentierten. Natürlich sind Ideen nicht sofort marktreif.
Verinnerliche mit dieser Übung: Alles kann gestrichen werden, nichts steht fest!
Martin Gaedt hat aktuell sein neues, fünftes Buch veröffentlicht: „Smart arbeiten mit der Delete-Strategie. Überflüssiges streichen. Produktivität steigern. Kreatives Potenzial freisetzen“.
Beitragsbild: Nataliya Vaitkevich/pexels