Rund um das Thema Geld lautet das Motto meist: Je mehr, desto besser. Doch was, wenn wir mal eine andere Perspektive einnehmen und fragen: Kann weniger auch mehr sein? Im Gespräch mit Tobi Rosswog.
Das ist ein Beitrag aus unserem fünften Printmagazin mit dem Thema „Auf der Suche nach dem guten Geld“. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo
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„Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel, zum Frühstück Canapés und ein′n Wildberry Lillet“, singt Nina Chuba in ihrem Song Wildberry Lillet und zeichnet damit ein anschauliches Bild unserer konsumorientierten Gesellschaft, die rund um die Uhr mit Werbung konfrontiert wird und immer mehr haben möchte.
Gleichzeitig führt die überwältigende Auswahl an Konsumgütern laut dem Buch Paradox of Choice des Psychologen Barry Schwartz dazu, dass wir uns überfordert und in unserer Freiheit sogar eher eingeschränkter fühlen. Es kommt uns schwieriger vor, die richtige Wahl zu treffen, wodurch wir eher unzufrieden werden.
In den letzten Jahren ist jedoch auch die Gegenbewegung, der Minimalismus, immer populärer geworden. Die Lebensweise aus den USA will zurück zum Wesentlichen, sich von Ballast in Form von Besitz befreien und damit zu einem erfüllten und selbstbestimmten Leben führen. Denn: Besitz verpflichtet, fordert Zeit und Geld. Minimalist:innen möchten ihre Lebenszeit nicht damit verbringen, sich um diesen Besitz zu kümmern. Sie sehen den Verzicht auf Konsum als Entlastung, fühlen sich dadurch freier und unbeschwerter.
„Zeit statt Zeug”
Doch Minimalist:innen entrümpeln nicht nur ihre Kleiderschränke und Wohnungen. Sie hinterfragen ihre Verhaltensweisen in Bezug auf sämtliche Lebensbereiche: Wohnen, Besitz, Freizeit, Arbeit, Beziehungen, Freundschaften, Gesundheit, Finanzen und sich selbst. Die Motive dafür können ganz unterschiedlich sein: persönlich, ökologisch oder ethisch. Und jede:r kann Minimalismus für sich persönlich unterschiedlich definieren.
Tobi Rosswog ist Aktivist, Autor und Speaker für eine sozial-ökonomische Transformation in der Gesellschaft. Er lebte zweieinhalb Jahre komplett ohne Geld. Für ihn geht es beim Minimalismus darum, sich auf drei Ebenen zu fragen: „Was brauchen wir eigentlich wirklich?“
Auf materieller Ebene ist er der Meinung, dass wir in der Regel zu viele Dinge besitzen und dass diese Dinge unsere einzige wirklich begrenzte Ressource einfordern, nämlich Zeit. Auf immaterieller Ebene sollten wir die internalisierten Glaubenssätze und Muster darüber, wie die Gesellschaft funktioniert („Ich brauche mein Haus, ich brauche mein Boot, ich brauche mein Auto, ich brauche meine Familie, meinen Baum, meinen Hund oder was auch immer) infrage stellen. „Stimmt das für mich wirklich? Brauche ich das auch?“
„Lass uns das gute Leben für alle erstreiten und erkämpfen.“
Tobi Rosswog
Die Frage auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene („Was brauchen wir eigentlich wirklich?“) soll Konzepte des gutbürgerlichen Lebens wie Lohnarbeit, Eigentum, Geld, Tauschlogik und Wachstumslogik infrage stellen. Er selbst hat bei der Beantwortung dieser Frage festgestellt, dass es viele Menschen gibt, die ihre eigene Arbeit als sinnlos erachten und dass gleichzeitig ein großer Teil der Gesellschaft auf solch sinnloser Arbeit, auf Bullshit Jobs, aufgebaut ist.
„Die Bachelorarbeit kann warten, der Klimawandel nicht“
Der 33-Jährige brach vor zehn Jahren sein Studium der Religionswissenschaften und sozialer Arbeit in Hannover ab und fasste den Entschluss: „Nein, ich mache keine weitere Karriere. Die Bachelorarbeit kann ich noch lange herauszögern, der Klimawandel wartet nicht.“ Er merkte, dass er sich für ein gutes Leben für alle einsetzen wollte, damit nicht nur wenige dieses Leben auf Kosten anderer leben können.
Er selbst wuchs in einer Familie auf, die auf staatliche Leistungen angewiesen und grundsätzlich nicht kapitalismuskritisch eingestellt war. Ihm fiel jedoch schon früh auf, dass Menschen wie seine Eltern, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, ein Versteckspiel in der Gesellschaft spielen. Es begann ein Prozess in seinem Kopf.
Nach dem Abbruch seines Studiums verschenkte er all sein Geld und lebte zweieinhalb Jahre ohne Geld. Das funktionierte für ihn „erschreckend einfach, aus diesem Privileg, ganz gut reden zu können, weiß zu sein, männlich gelesen zu werden.“ Und er stand nicht, wie andere Menschen, durch unglückliche Umstände plötzlich ohne Geld da, sondern ging diesen Schritt bewusst.
Seine Kleidung bekam er in Umsonst-Läden, auf Kleider-Schenk-Partys oder ähnlichen Events. Mobil war er durch das Trampen: „Es gibt 48 Millionen Autos in Deutschland, alleine auf diesen Straßen zugelassen, da sitzen im Durchschnitt gerade mal 1,1 Menschen drin. Also vollkommen ineffizient genutzt, diese Art von Mobilität. Da bin ich dann mit dem Porsche Cayenne Fahrer 400 Kilometer von Mainz nach Dresden gefahren und hab urschöne, spannende, inspirierende und auch irritierende Gespräche führen dürfen. Das war also über Trampen ganz einfach möglich, von A nach B zu kommen.“
An Essen mangelte es ihm nie, er organisierte in verschiedenen Städten in Deutschland Foodsharing für Lebensmittel, die ansonsten in der Tonne gelandet wären und nahm beim Essen gegen diese Verschwendung sogar zu.
„Ich gebe rein, was ich reingeben mag und nehme raus, was ich brauche“
Tobi Rosswog baute in der Nähe von Göttingen das utopische Dorf Salzderhelden mit auf – ein Ort mit Projekthaus, offener Werkstatt und dem solidarischen Mitmach-Bahnhofs-Kiosk Zur Molli, der keine Preise kennt. Alle Menschen können nehmen, was sie brauchen und reingeben, was sie möchten. Eine kleine Welt nach Bedürfnissen und Fähigkeiten. Er schreibt Bücher über Themen rund um eine sozial-ökonomische Transformation, hält als freier Dozent 150 Vorträge im Jahr und ist als Aktivist tätig.
Heute ist Geld für ihn ein reines Tauschmittel, das eine unglaubliche Gewalt hat, denn: “Hast du Geld, darfst du partizipieren, hast du kein Geld, eben nicht.“ Er möchte Geld anders nutzen und teilt sich mit mehreren Menschen ein Konto. “Da geht rein, was rein geht und runter, was runter geht.“ Tobi Rosswog sieht es als Privileg, in dieser Gesellschaft durch das, was er machen darf, Zugang zu Geld zu haben.
„Geldfreier zu werden, bedeutet, unabhängiger von Lohnarbeit zu werden, bedeutet mehr freie Zeit zu haben und wenn ich die hab, kann ich endlich gucken: Was ist wirklich mein Talent? Was ist wirklich meine Berufung? Was ist wirklich mein Potenzial?“
Tobi Rosswog
Inzwischen lebt er „in der Höhle des Löwen“, in der „Verkehrswendestadt“ Wolfsburg. Ausgerechnet 1,7 Kilometer von der größten Autofabrik Europas entfernt organisierte er die Kampagne VW steht für Verkehrswende.
„Besitz statt Eigentum und Beitragen statt Tauschen“
Für Tobi Rosswog lebt eine utopische Gesellschaft in einer Welt nach Bedürfnissen und Fähigkeiten, in der Eigentum infrage gestellt wird. In der nicht einige Wenige darüber verfügen können, was, wie und wo produziert wird und am Ende auch konsumiert werden kann. In der die Menschen „tätig sind zwischen Lust und Notwendigkeit”, wissen, wofür sie etwas tun und merken, dass sie mit ihrer Tätigkeit ein konkretes Bedürfnis stillen. „Da mache ich auch Dinge, worauf ich keinen Bock habe, aber ich sehe die Notwendigkeit.“ Wenn wir als Gesellschaft in Kooperation statt in Konkurrenz leben, haben wir laut Tobi Rosswog „Fülle für alle“.
„Wir haben uns umeinander zu kümmern, füreinander da zu sein, wir haben eben Care-Tätigkeiten als die Grundlage unserer Gesellschaft, viel höher zu sehen als irgendwelche karrieristischen Lohnarbeitsverhältnisse, wo ich dann in den meisten Fällen sogar destruktiv Dinge produziere, die kein Mensch braucht oder schnell kaputtgehen.“
„Ich glaube, die Frage, die können wir uns immer wieder alle selber stellen: Wer wollen wir sein, was wollen wir tun? Was, glauben wir, ist sinnvoll?“
Tobi Rosswog
„Minimalismus musst du dir auch leisten können“
Inzwischen wird die Kritik, dass Minimalismus zum Trend der privilegierten Menschen oder auch der superreichen Menschen verkommen ist und nichts mehr mit echtem Verzicht zu tun hat, immer lauter. Tobi Rosswog sagt dazu ganz klar: „Minimalismus musst du dir auch leisten können.“ Also, im Notfall Zugriff auf ein volles Portemonnaie zu haben, mit dem einem die Welt offen steht. Gleichzeitig bedeutet Minimalismus für ihn kein Verzicht, sondern eine Bereicherung: „Mir wird da gar nichts genommen, sondern richtig viel gegeben.“ In einer kooperativen Gesellschaft ist laut ihm eine unglaubliche Fülle an Talenten und Dingen da. „Mangel ist ein kapitalistisches Konstrukt.“
Tobi Rosswog appelliert dafür, im eigenen Leben Schritt für Schritt einen anderen Umgang mit Geld zu schaffen und die Logik „das ist mein Geld, das ist dein Geld“ ein wenig aufzubrechen. Beispielsweise damit, einen Teil des eigenen Geldes in eine gemeinsame Kasse mit Freund:innen oder anderen vertrauten Menschen zu stecken. So könnten wir erste Erfahrungen damit sammeln und das Glück teilen, das Privileg Geld zu haben. „Lasst uns das teilen, auf unterschiedlichste Weise.”
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