Am letzten Spieltag der Saison hat sich unsere Chefredakteurin in der Red Bull Arena angeschaut, wie ein Fußball-Besuch inklusiv gestaltet werden kann.
Hinweis aufgrund teils boshafter, aber auch teils berechtigter Kommentare in den Sozialen Medien: In unserem Team sind Fans der unterschiedlichsten Vereine und einige sehen den RB Leipzig kritisch. Auch unser Gründer fragte mich, ob ich denke, dass dieser Verein wirklich eine gute Wahl sei. Für mich als Chefredakteurin eines kleinen Teams war es allerdings eine Entscheidung zwischen Inklusion im Leipziger Stadion zeigen oder gar nicht. Da der RB in Punkto Akkreditierung und Mithilfe bei der Vermittlung von Interviewpartner:innen so hilfreich war – auch uns kleinem Magazin gegenüber – fiel die Wahl auf Leipzig. Ja, ich verstehe als einst hauptberufliche Sportjournalistin die Angst um die 50+1 Regel im Fußball. Denn die oft angeführte fehlende „Tradition“ selbst kann kein Argument sein – mein Favorit aus dem Ruhrgebiet hatte vor hundert Jahren auch noch keine Tradition. Das ist eben die Natur der Sache bei neu gegründeten Vereinen. Was mich ärgert: Dass es bei all den positiven Dingen, die im Rahmen des „Projekts“ des österreichischen Getränkeherstellers passieren – wie eben diese Inklusion oder Nachwuchsförderung – immer wieder mit diesem Hass zugehen muss. Das belastet mich und unser ganzes Team. Diese tollen Menschen, die wir im Artikel vorstellen, haben einen Job bei einem Arbeitgeber der Region gefunden oder engagieren sich in ihrer Stadt ehrenamtlich und fördern die Inklusion. Darum soll es gehen, nicht um Getränkedosen. Und ich persönlich habe die Hoffnung nicht verloren, dass Gutes auch berichtenswert ist, selbst wenn man in Bezug auf einen Verein anderer Meinung ist. Ich höre mir aber sehr gern Eure Kritik weiter an – gern auch direkt unter [email protected]. Liebe Grüße, Viktoria, Chefredakteurin
Es ist letzter Spieltag der Fußball-Bundesliga-Saison 2022/2023. RB Leipzig spielt gegen FC Schalke. Für die einen geht es auf Rang drei um nichts mehr, die anderen kämpfen um den Verbleib in der Liga. Doch darum geht es mir heute nicht. Für das Good News Magazin wollte ich mir als Chefredakteurin exemplarisch anschauen, wie Vereine die Inklusion behinderter Fans ermöglichen. Die Wahl auf RB Leipzig fiel nicht aufgrund von Vorlieben, sondern weil bereits die Presseakkreditierung und Vermittlung von Interview-Partner:innen freundlich und professionell ablief.
Ich stehe also vor dem barrierefreien Eingang des Leipziger Fußballstadions und warte auf eine der RB-Fanbeauftragten, Mandy Voigt. Mandy ist im Verein die Ansprechpartnerin für Inklusions-Fans. Und das merkt man sofort: Noch bevor wir richtig ins Gespräch kommen, wird sie immer wieder unterbrochen von Anhänger:innen des Vereins, die Richtung Eingang strömen. Für die Leipziger Fans geht es schon gar nicht mehr um den heutigen Spieltag. Sie kennen ihr Stadion und die Abläufe. Viele fragen eher nach der gemeinsamen Busfahrt zum DFB-Pokalfinale nach Berlin, das eine Woche später stattfinden wird. “Wir bieten im Inklusionsbereich extra Fanfahrten an zu den Auswärtsspielen. Im Schnitt gibt es rund 15 Personen, die das nutzen. Leider bekommt man für Auswärtsspiele nicht allzu viele Inklusions-Tickets, manchmal sind es auch nur 3-5 Plätze, die wir anbieten können. Das kommt immer auf das Stadion an”, erklärt mir Mandy.
30 Freunde unterstützen Inklusions-Fans
Doch es kommen nicht nur Heimfans vorbei, während wir unser Gespräch beginnen. Auch für die Gelsenkirchener Fans beginnt ihr Weg am barrierefreien Eingang des Stadions. Mit dem geräumigen Aufzug geht es auch für uns hoch in Richtung Zugang zu den Rängen, circa fünf Minuten dauert der Weg: “Ab kommender Saison werden wir einen Zugang mehr haben, damit der Weg bis zu Block B und den inklusiven Plätzen noch kürzer ist”, sagt Mandy.
Bei den Roten Bullen gibt es ein spezielles Team für Inklusion, mit den Volunteers des sogenannten “Freunde”-Teams und den mit Mandy anderthalb hauptamtlichen Mitarbeiterinnen sind es 30 Menschen, die bei den Heimspielen die Fans unterstützen. Bei Mandy sieht es teilweise schon aus wie eine Einzelbetreuung – und das macht Spaß zu sehen. Sie kennt die Geschichten der einzelnen Fans, es wird gewitzelt, über das Spiel oder die kaputte Mechanik beim barrierefreien WC philosophiert und auch eine Lösung gefunden, wenn plötzlich ein unerwarteter Liegendtransport eines Fans vor der Tür steht. 400 bis 450 Fans inklusive Begleitung nutzen im Durchschnitt das Angebot pro Heimspieltag – die gehbehinderten Fans können sich über die Ticketplattform selbst einbuchen, sehbehinderte Personen übernimmt Mandy.
Am heutigen Tag sind die 100 Rollstuhlplätze ausverkauft, die mir Mandy kurz zeigt – 92 Rollstuhlfahrer:innen und acht Menschen mit Rollatoren beobachten von hier aus das Geschehen auf dem Feld. Genau über den Heimfans, die Stimmung ist also entsprechend gut.
Heiko reißt mit seiner Gebärdensprache mit
Doch da das Spiel bald losgehen wird, gehen wir schnell in den Nachbarblock und zu den hörbeeinträchtigten und gehörlosen Fans. Denn hier steht Heiko, der als Gebärdensprachdolmetscher kurz vor Spielbeginn seinen Job antritt. Heiko ist einer von vier Dolmetscher:innen, die in Leipzig für die gehörlosen Fans übersetzt.
Seit sechs Jahren steht Heiko bei RB im Stadion und übersetzt alle akustischen Signale des Stadionsprechers in Gebärdensprache. Und Heiko geht so mit, dass man den Enthusiasmus wohl nur über das nachfolgende Video versteht.
Egal ob ein Einheizen mit den Spielernamen und der Mannschaftsaufstellung, nüchterne Durchsagen zur Sicherheit oder das emotionsgeladene Gebärden zur Vereinshymne: Selbst als hörender Mensch wird man von Heiko mitgerissen. Damit die Fans wissen, wann sie zu Heiko schauen müssen, gibt es am Eingang zum Block eine Ausgabestelle für einen Vibrationsalarm, den Heiko immer dann vibrieren lässt, wenn es eine neue Information gibt.
Ralf und Wolfgang kommentieren selbst pinke Schuhe
An dieser Ausgabestelle gibt es auch Audiogeräte für die sehbehinderten Fans. Darauf hören sie die Blindenreportage Bullenfunk.FM mit Ralf und Wolfgang, dem nächsten Stopp meiner kleinen Tour. Zur Halbzeit unterhalte ich mich mit den beiden, die von der Pressetribüne aus das Spiel verfolgen und kommentieren. Da auch sie schon vor dem Spiel anfangen und alles kommentieren müssen, was ein sehender Mensch im Stadion ebenfalls beobachten kann, wechseln sie sich ab. Stille darf hier nicht herrschen. Es ist somit kaum mit jenem Fußballkommentar zu vergleichen, den wir aus dem Fernsehen kennen. Ralf und Wolfgang beschreiben z.B. die Choreo der Fans, wenn irgendwo Unruhe ist oder wenn ein Spieler einen auffällig pinken Schuh trägt. Im Spiel müssen sie mit Meterangaben arbeiten und in welchen Bereich des Stadions sich was tut. “Das Schlimmste wäre, wenn wir selbst mitfiebern und den Kommentar vergessen. Das kann im Enthusiasmus am Anfang schon mal passieren, aber man lernt auf jeden Fall dazu!”, sagt Wolfgang.
Während der Eine kommentiert und damit der Blick im laufenden Spiel immer auf dem Ball ist, schaut der Andere bereits, was womöglich noch passiert: Wer wärmt sich auf, gibt es einen Wechsel oder hat sich jemand verletzt? Im Drei-bis-Vier-Minuten-Rhythmus wird dann beim Kommentar getauscht. Dabei kommt es auch nicht darauf an, immer sofort den Namen dem Spieler zuzuordnen, sondern zu vermitteln, was der Spieler macht. Wie entsteht ein Tor, in welche Ecke springt der Torhüter? “Man muss auch die Emotionen rüberbringen. Im besten Fall geht ein Fan weinend oder lachend aus dem Stadion”, erklären mir die beiden. Ersteres wird an jenem Spieltag wohl eher die Gelsenkirchener Fans treffen. Deswegen werden zum Beispiel an einem solch besonderen Tag auch die Ergebnisse anderer Spiele mit angesagt.
Bullenfunk.FM bietet die Blindenreportage zu allen Heim- und Auswärtsspielen der Profimannschaft an. Beide stehen – ebenso wie das gesamte Inklusionsteam – im Austausch mit den jeweiligen Fans. Was kann man besser machen, was wünscht sich die Anhängerschaft, was war super?
Fakt ist, auch wenn die Tür beim barrierefreien WC kurzzeitig klemmte oder der zweite Eingang noch folgt: Die Stimmung bei den Fans war positiv und der Verein tut viel für Inklusion. Es war auch für mich ein wunderbarer Besuch eines Fußballspiels. Solch ein Umsetzen der Inklusion zu sehen, war persönlich einfach eine Good News und eine wunderbare Perspektive auf ein Fußballspiel.
Alle Bilder und Videos: Viktoria Franke