Schwere Anschuldigungen sorgten im Januar dafür, dass Magazin-Gründer Benjamin Fredrich von seinem Posten als Chefredakteur und Geschäftsführer zurücktrat. Aus öffentlicher Wahrnehmung ein persönliches Scheitern – für Benjamin Fredrich sogar ein Scheitern für das gesamte KATAPULT-Projekt. Im Gespräch erklärt er, wie es dazu kam – und wieso es trotzdem weitergeht.
Das ist ein Beitrag aus unserem dritten Printmagazin mit dem Thema „Perspektivwechsel“. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo
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Good News Magazin: Dein Name wurde in den letzten Wochen nicht selten in einem Atemzug mit „Scheitern“ genannt. Was bedeutet Scheitern für dich?
Benjamin Fredrich: Ganz allgemein natürlich, dass die eigenen Vorstellungen und Wünsche nicht erfüllt werden. Im Konkreten bei KATAPULT ist es tatsächlich das personelle Wachstum. Nicht das wirtschaftliche Wachstum, das war immer da, aber den Bereich personelles Wachstum habe ich unterschätzt und dadurch ein Team viel zu schnell aufgebaut, das sich einfach nicht gut eingespielt hat. In einem Jahr sind 20 Leute dazugekommen – dann waren wir mit den Redakteur:innen in der Ukraine 70 – das war im Nachhinein eine große Dummheit. Wir waren nach außen hin immer super erfolgreich und hatten dadurch auch Finanzkraft, aber beim Einstellen war ich naiv. Ich dachte, mehr Leute heißt mehr Kraft. Ich glaube, ich war der Einzige, der nicht wusste, dass es Zeit braucht, um ein Team aufzubauen.
Also siehst du KATAPULT Ukraine auch selbst als gescheitert? Schließlich gab es auch eine Menge Learnings.
Ja, mit dem Büro in Odessa sind wir gescheitert, da habe ich nicht gut kommuniziert und will mich auch gar nicht rausreden. Aber die Kooperation mit den Kiewern hat funktioniert, das Geflüchtetenheim, die Hilfsreisen … es gibt super viel, was funktioniert. Dass es viel Positives und Negatives gibt, hat damit zu tun, dass ich sehr wild regiere und sehr viel auf einmal mache. Es ist natürlich ein Einfallstor für Leute von außen, auf das Negative zu sehen. Das will ich jetzt berichtigen. Dieses Scheitern sehe ich viel größer als jetzt nur bei KATAPULT Ukraine. Die einzige Möglichkeit ist langsames Wachstum – nicht so schnell, wie ich immer wollte – das habe ich gelernt. Man braucht Erfahrung in einer Firma, man braucht Leute, die sich auskennen.
„Dieses Scheitern sehe ich viel größer als jetzt nur bei KATAPULT Ukraine.”
Inwiefern ändert sich so auch deine – sehr hohe – Erwartungshaltung an das gesamte KATAPULT-Projekt?
Dieser Anspruch, Größe zu haben, habe ich überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil, wir lassen teilweise nun auch Posten weg, weil wir merken, es klappt auch ohne. Wir hatten vorher ein großes Team, das wir gar nicht richtig genutzt haben, weil es nicht richtig zusammengearbeitet hat. Ich hatte eine amerikanische Haltung: Ich kenne das von den Physiker:innen, im Bereich der Plasmaforschung. Wenn es bei den Kernfusionsreaktoren ein Problem gibt, versuchen die amerikanischen Forscher:innen, das über die Größe zu kompensieren, also die Geräte noch größer zu bauen. Japanische und französische Wissenschaftler:innen versuchen das eher über technische Finesse zu lösen. Ich wende mich gerade von der amerikanischen Sichtweise ab, bei Fehlern einfach personell größer zu werden. Damals habe ich es nicht gemerkt, aber jetzt weiß ich, dass das überhaupt nicht nachhaltig ist. Man sollte ehrlich mit den Leuten und ehrlich mit dem Projekt sein, wenn etwas nicht gut läuft. Das neue Team soll vor allem effizient sein, sich gut verstehen und wissen, was wir wollen.
Das klingt nach einem sehr reflektierten Denken. Wann hat dieser Reflexionsprozess eingesetzt?
Ich glaube, die krasse Naivität ist bei mir deshalb da, weil ich nie in diesem menschlichen Bereich gescheitert bin. Es hat immer gut funktioniert – bis zu dem Punkt, als wir über 30 Leute geworden sind. Da hat das langsam angefangen und irgendwann hat es einen Kipppunkt gegeben, an dem das Team innerlich nicht mehr gut funktioniert und kommuniziert hat und aufgehört hat, eine Art Freundeskreis zu sein. An diesem Punkt geht ein neues Leben los für eine Firma – wenn man das nicht erkennt und so weiterarbeitet wie vorher, hat man eigentlich verloren. So war das bei uns: Der eine Teil hat wie ein Freundeskreis weitergearbeitet, der andere Teil hat eine Art Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Perspektive aufgemacht, die ganz neu für mich, aber eigentlich ganz normal in einer Firma ist. Da gibt es etwas Kulturschmerz auf beiden Seiten: Die einen fragen sich, wieso es keine Regeln gibt, und die anderen fragen sich, wozu wir plötzlich Regeln brauchen. Da muss man sich entscheiden: Möchte man klein bleiben und eine verschworene Gruppe sein oder möchte man groß sein, mit ganz vielen Verwaltungseinheiten. Das habe ich komplett unterschätzt: Ich habe gedacht, das schöne Leben, die schöne KATAPULT-Zeit, geht immer so weiter. Das war aber nicht so.
Das ist eine spannende Ambivalenz: Einerseits seid ihr in der Außenwahrnehmung das kleine, junge Team mit flachen Hierarchien, andererseits habt ihr euch durch das starke Wachstum selbst gar nicht mehr so wahrgenommen, oder?
Erstens das und zweitens sehen das auch die Menschen so, die sich bei uns bewerben. Flache Hierarchien, lange Zeit Einheitsgehalt. Manche haben im ersten Mitarbeitergespräch nach basisdemokratischen Momenten gefragt. Die haben wir nie irgendwo hingeschrieben, die wurden einfach so angenommen. Aber je mehr wir gewachsen sind, desto mehr Hierarchien wurden aufgebaut, desto weniger haben wir in der Gruppe gesamt entschieden – das funktioniert mit 40, 50 einfach nicht mehr. Der Fehler ist, dass ich mich damit nicht beschäftigt habe. Da ziehe ich heute den größten Lerneffekt draus.
Wie sieht da gerade der Austausch mit deinen Nachfolgerinnen Juli Katz und Nasrin Morgan aus? Diese Neustrukturierung wird auch für die beiden eine Herausforderung sein.
Ich bin alleiniger Anteilseigner von KATAPULT, deswegen sind wir immer noch in engem Austausch. Nur tauschen wir jetzt die Rollen und ich trete in den Hintergrund. Wir werden vielleicht ein paar erfahrene Redakteur:innen einstellen und ansonsten für ein, zwei Jahre ungefähr in der Größe weiterfahren. Ich dachte, das wäre cool, erzählen zu können, wie viele wir wieder eingestellt haben, aber vielleicht bin ich auch einfach nur ein Angeber. Okay, wir haben in Mecklenburg-Vorpommern Arbeitsplätze geschaffen, das ist zwar schön, aber eigentlich kein Wert. Wenn wir aber sagen, die Artikel werden besser, die Grafiken werden besser, die Leute fühlen sich wohler bei der Arbeit – das ist ein Wert. Das hört sich banal und billig an, aber das hat bei mir sieben Jahre gedauert.
Vielleicht bist du auch zu sehr an den Statistiken orientiert, mit denen ihr arbeitet?
Ja, das war eine Falle [lacht]. Aber das ist genauso anwendbar auf das Ukraineprojekt, was ja hochambitioniert und hochtrabend formuliert ist – würde ich auch immer wieder so machen. Als die Invasion anfing, war ja nicht klar, ob die Ukraine in einem Monat noch auf der Landkarte ist. Das heißt, diese Intensität, in der ich kommuniziert habe, fand ich für den Moment total gerechtfertigt. Ich hatte den Eindruck, da verschwindet ein Land, eine Kultur und eine gewisse Freiheit.
„Ich hatte den Eindruck, da verschwindet ein Land und eine Kultur und eine gewisse Freiheit.”
Du hast bereits verkündet, nun als Chefredakteur von KATAPULT Ukraine bald auch dort hinzureisen und vor allem die Redakteur:innen von KATAPULT Ukraine persönlich kennenzulernen. Gibt es da schon konkrete Pläne?
Ich würde das gerne noch im März machen. Dieses Mal auch nach Bachmut oder in die Vororte von Bachmut, das hat letztes Mal nicht geklappt und ist noch immer schwierig. Wenn man vor Ort ist, bekommt man ein Gefühl dafür, ob man die Hilfsgüter an der richtigen Stelle abgibt oder nicht. Dann fragt man sich etwa, ob ein Journalist in Kiew die schusssichere Weste braucht, ob er jemals in die Nähe einer gefährlichen Situation kommt. Deswegen will ich noch weiter in den Osten, wenn es die Situation zulässt. Letztes Mal habe ich dort Hilfsgüter dicht an der Front abgegeben, in einem Krankenhaus, das vorne schon zerstört war und wo hinten trotzdem weitergearbeitet wurde. Dort hatte ich bis jetzt das beste Gefühl.
Journalistisch haben wir die meisten Leute in Kiew, die auch gut mit uns zusammenarbeiten. Ein paar habe ich schon kennengelernt, aber ich will zuallererst alle zwölf kennenlernen, damit nicht noch einmal das Gleiche passiert wie in Odessa. Ich will sicher sein, dass ich ihnen vertrauen kann. Denn Journalismus ist am Ende Vertrauen. Und wenn ich damit sicher bin, könnte es auch wieder ein Büro in Odessa geben, aber erstmal geht es um Kiew.
Viele fragen sich womöglich, wieso du dir diese Position als Chefredakteur von KATAPULT Ukraine „antust“, wenn du dir doch auch bequem einen anderen Posten suchen könntest. Also: wieso?
Ich glaube wirklich, dass das mein wichtigstes Projekt ist. Das Odessa-Büro ist gescheitert und dann frage ich mich: Wieso soll ich das nicht fixen? Ich glaube, ich kann das. Ich glaube, ich habe die Fähigkeit dazu, ich brauche nur die Zeit. Deshalb die Entscheidung, von meinen Posten zurückzutreten, um das auch glaubwürdig zu machen. Das noch zusätzlich zu den Jobs zu machen, die ich vorher gemacht habe, wird schwer. Nur so kann ich mir vorstellen, dass KATAPULT Ukraine gut aufgestellt wird. Das ist zwar rein von den Zahlen her das kleinste Projekt, aber ich halte das politisch für sehr wichtig und es hat großes Potenzial. Ich habe mich am Anfang wie ein Hochstapler gefühlt, über die Ukraine zu schreiben, ohne vor Ort gewesen zu sein. Deswegen hatte ich einen großen Drang, in die Krisengebiete zu fahren und das zu sehen, worüber ich schreibe. Artikel bestehen ja nicht nur aus Grafiken und Fakten, sondern man gibt jedem Artikel auch ein Gefühl und eine Stimmung mit und das kann ich nur machen, wenn ich da vor Ort bin.
„Das Odessa-Büro ist gescheitert und dann frage ich mich. Wieso soll ich das nicht fixen?”
Eure journalistische Arbeit wird in der Berichterstattung über euch oft als Haltungsjournalismus bezeichnet. Was verstehst du darunter?
Ich bin ja kein Journalist, sondern von Herzen Politologe – habe das in meinem Studium inhaliert – und Anhänger von Hannah Arendt. Da gibt es Aspekte der Herangehensweise, die eindeutig kollidieren. Deswegen werde ich niemals ein neutraler Journalist werden, z.B. niemals eine rechtsextreme Meinung darstellen und danach unterlassen zu erklären, was daran falsch ist. Das wäre journalistisch, werde ich aber nicht machen. Den gleichen Vorwurf, den Hannah Arendt an die Philosophie während der Weimarer Republik hatte, habe ich an alle, die sich keine Haltung aneignen und menschenfeindliche Bewegungen gewähren lassen, indem sie etwas vermeintlich neutral darstellen. Diese Haltung werde ich in meinem Leben nicht mehr ablegen.
Welche Aspekte umfasst eure KATAPULT-Haltung noch?
KATAPULT hat drei politische Haltungen, die immer wieder vorkommen, die haben sich über die Zeit so etabliert. Was ich von Anfang an eingebracht habe, war Antirassismus, die Arbeit gegen demokratiefeindliche Strukturen. Dann ist später ein ökologisches DNA-Puzzle dazugekommen und dann mit einigen Frauen noch ein feministisches. Das sind unsere drei Grundhaltungen, über die wir nicht viel diskutieren lassen.
Und welche der drei hat für dich den höchsten Stellenwert?
Ich stehe zu hundert Prozent für alle drei, aber was ich am meisten etabliert habe, ist die erste. Gleichzeitig habe ich ja z.B. auch den KATAPULT-Wald [Aufforstungsprojekt in Greifswald, Anm. d. Red.] aufgebaut. Was das Feminismus-Puzzleteil betrifft, schämt man sich schon fast, dass das nicht früher dazugekommen ist. Aber gleichzeitig weiß man ja auch, dass man nicht immer alle Themen bearbeiten kann. Da sind auch später erst Leute gekommen, die das viel besser einordnen können als ich – wie auch die neue Leitung bei KATAPULT. Ich bin kein Experte für Feminismus, aber ich weiß, wenn unsere Expert:innen was sagen, dann hab ich da schön die Fresse zu halten und zu machen, was die da sagen. Das ist der entscheidende Punkt.
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