Ein Gespräch mit Sarah Klamm von “Erdretter” über die Reichtümer, die uns heimische Wälder und Wiesen für Gesundheit und Ernährung bereitstellen.
Sarah Klamm (31) hat mit ihrer Community “Erdretter” auf Instagram mittlerweile über 70.000 Follower:innen gesammelt – dabei fing alles eigentlich ganz anders an: Mit dem eigenen Interesse an Kräutern, Obst, Gemüse und anderen Pflanzen, die wir in heimischen Wäldern und Wiesen finden. Und einem Kalender, der den Startschuss für ihren Weg in Richtung Social Media gab. Dort informiert sie darüber, was wir tolles aus Schlehen zaubern können, welche Pilze wahre Alleskönner sind oder dass die Natur selbst im Januar noch allerhand für uns bereithält.
Da mich selbst sehr interessiert, was in meinem Umfeld wächst und wofür ich es nutzen könnte, hatte ich schon lange Interesse an einem Gespräch mit Sarah. Den finalen Anstoß gab dann aber ein Instagram-Post von ihr am 31. Dezember, in dem sie offen zeigte, welche bösen Kommentare sie sich auf den sozialen Medien anhören muss(te). Ich dachte mir: “Aber sie informiert doch nur über Pflanzen, das kann doch nicht wahr sein?” War es. Und deswegen wollte ich es jetzt genau wissen: Wer ist Sarah eigentlich? Wie kam es zu Erdretter? Und warum gibt es so böse Kommentare? Was folgte, war ein unglaublich anregendes und intelligentes Gespräch und nunmehr die Angst, nie wieder entspannt spazieren zu können, sondern jeden Baum und jedes Gras untersuchen zu wollen.
Good News Magazin: Liebe Sarah, vielleicht erst einmal ein paar Worte zu dir? Erdretter ist ja sehr auf Pflanzen fokussiert, da erfährt man wenig über dich. Die Community ist ja sicher nicht dein Hauptjob, oder?
Sarah Klemm: Nein, das ist sie nicht. Ich bin eigentlich selbstständige Osteopathin. Ich bin vor fünf Jahren aus der Pfalz nach Hessen gezogen und habe zeitgleich Erdretter gegründet. Zu Beginn war Erdretter einfach ein Kalender zu heimischen Obst und Gemüse, doch die Druckerei hat mir empfohlen, zur Bewerbung Social Media zu nutzen. Das Interesse war auf jeden Fall riesig und die Menschen hatten einen Wissenshunger, sodass vor allem Instagram ganz schön gewachsen ist. Aber ich arbeite nach wie vor in verschiedenen Praxen und widme mich Erdretter eher am Abend oder wenn ich freihabe.
Die Natur hat ja nicht nur Nahrungsschätze für uns, sondern auch allerhand Pflanzen für die Gesundheit. Hat deine Arbeit also mit Erdretter Überschneidungen?
Die gibt es auf jeden Fall. Ich habe zusätzlich eine Phytotherapie-Ausbildung gemacht – das Wissen, was ich dort gelernt habe, lässt sich natürlich gut in der Praxis anwenden. Es ist kein Hauptthema auf der Arbeit, aber wenn es sich ergibt und es sinnvoll für den Patienten oder die Patientin ist, dann empfehle ich auch mal ein Rezept oder einen Tee.
Wie bist du überhaupt auf diese Idee gekommen, Erdretter zu gründen?
Ich war als Kind viel mit meinen Großeltern und Eltern im Wald und bin sehr naturnah aufgewachsen. Ich war also immer draußen, auch wenn sich das Interesse in der Jugend verlaufen hat. Als ich nach Hessen gezogen bin und die Ausbildung begonnen habe, habe ich mit dem Obst- und Gemüsekalender angefangen. Ich wollte damit Interesse wecken, was es in Deutschland saisonal zu ernten und zu kaufen gibt, ohne auf Importware zurückgreifen zu müssen. Beispiel Tomaten: Die haben eigentlich nur zwei Monate Saison, im August und September, und die Wenigsten wussten, dass es die nicht das ganze Jahr gibt. In der Kräuterheilkunde-Ausbildung ist mein Interesse dann nochmal gewachsen und ich habe dann den Kalender zu Wildpflanzen gemacht. Denn deren Ruf ist furchtbar: Wir laufen vorbei, zupfen sie raus und schmeißen sie weg, weil wir denken, dass es Unkraut ist. Dabei sind sie teilweise super gesund.
Aber sag mal, wie kommt man von “Kindheits- und Ausbildungsinteresse” gleich darauf, einen Kalender zu gestalten – und dann noch solch einen künstlerischen?
Ich hatte immer von Greenpeace oder NABU einen Obst- und Gemüse-Saisonkalender. Das war aber in Form einer Exceltabelle, und damit zwar super informativ, aber nichts, was man sich gern hinhängt. Also liest man darin auch nicht nach. Ich habe mir überlegt, wie kann ich das schön und informativ machen? Ich habe vieles selbst entworfen und nur, wenn ich Hilfe brauchte, einen Designer dazugeholt. Mir war es außerdem wichtig, dass der Kalender nicht jahresbezogen ist, sondern jedes Jahr neu verwendet werden kann. So entstanden mittlerweile drei verschieden Kalender.
Ich selbst lernte auf einem Kräuterlehrgang, dass viel Wissen verloren gegangen ist, weil teilweise aus Vorsicht auch Heilpflanzen aus den Naturführern verschwanden, die vor Jahrzehnten noch drin standen. Kannst du das so bestätigen?
Absolut. Das hat viel mit unserer Wissenschaft zu tun und dass wir mittlerweile in der Lage sind, verschiedene Inhaltsstoffe zu separieren. Nehmen wir ganz klassisch den Efeu oder den Fingerhut: Beide enthalten Inhaltsstoffe, die medizinisch sehr wertvoll sind. Aber wie will man das privat dosieren? Man weiß nicht, wie viel enthalten ist. In höheren Dosen sind beide giftig – dieses Problem hat man bei Fertigpräparaten nicht.
Ein anderes Beispiel ist ein altes Rezept für Augentropfen: Früher nutzte man gegen eine Bindehautentzündung einen Mix aus Rost und Augentrost. Das würde man heute nicht mehr machen, wir haben dank der Wissenschaft ganz andere Möglichkeiten. Teilweise ist es aber auch schade, denn zum Beispiel nehmen wir zwar Bittertropfen, einige Pflanzen werden uns aufgrund ihrer Bitterkeit aber nicht empfohlen. Dabei gehen durch die extrahierten Tropfen viele sekundäre Pflanzenstoffe verloren. Nur kann man diese Komplexität in Büchern nicht immer darstellen: Ja, einige Pflanzen sind in großen Mengen erst giftig – aber hier waltet die Vorsicht und so wird prinzipiell reingeschrieben: giftig.
Stimmt denn der Eindruck oder das Gerücht, dass die klassische Schulmedizin eher naserümpfend auf die Pflanzenheilkunde schaut?
Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt manche Ärzte, die beides anwenden und verknüpfen. Die können das noch, aber es gibt halt wenige von ihnen. Viele empfehlen eher Tabletten. Ich bin da absolut nicht dagegen, manchmal ist das der beste Weg, aber der Körper ist eben doch komplexer, als nur dieses eine Symptom zu betrachten und mit einer Tablette zu bekämpfen.
Spricht man über Pflanzen, ist das Thema bewusstseinserweiternde Pflanzen ein hochaktuelles. Wie stehst du dazu?
Die Antwort ist schwierig, denn da scheiden sich wirklich die Geister, so stark ist dieser Bereich diskutiert. Cannabis bzw. Hanf zum Beispiel ist eine extrem ergiebige Nutzpflanze. Man kann damit so viel machen: Hanfsamen sind sehr nährstoffreich, Kleidung oder Papier kann daraus entstehen und sie wächst schnell und kann mehrfach geerntet werden. Zugleich ist sie so eine verrufene Pflanze. Mir schreiben viele, dass ich doch mal einen Beitrag zu Cannabis oder psychoaktiven Pilzen machen soll. Aber die Diskussion dazu ist mir zu heikel, man wird verteufelt, egal welche Position man einnimmt. Ich denke, jede Pflanze kann erstmal einen positiven Effekt für die Entspannung oder Gesundheit haben. Es sollte nur in gewissem Rahmen passieren und nicht einfach zum “Zuknallen” gedacht sein.
Du sprichst vom “Verteufeln”, was mich zu deinem Instagram-Beitrag zum Thema Mobbing bringt. Kam das erst mit deiner Popularität oder wie erklärst du dir das?
Das ist leider von Anfang an passiert, es war nie so, dass es das nicht gab. Durch die Reichweite hat es aber zugenommen. Das hat auch nichts mit mir zu tun und dem, was ich mache. Es ist bedauerlicherweise einfach das Internet: Man kann anonym Leute anmachen. Da müssen sich andere Menschen viel mehr anhören als ich.
Aber was stört denn diese Leute an dir?
Ich muss mir zum Beispiel echt oft anhören, wie es sein kann, dass ich geschminkt durch den Wald gehe. Ich muss mir doch keinen Zwiebelsack anziehen, um in den Wald zu gehen? Darf ich denn nicht einfach ein normaler Mensch sein, der Pflanzen mag oder muss ich einem Stereotyp entsprechen? Das tut wirklich weh. Ich gebe mir Mühe, einen schönen Beitrag zu machen und dann wird die Arbeit so vor die Hunde geworfen. Als muss ich Schema X entsprechen und darf mich nur so verhalten und so aussehen, wie es ihnen passt.
Das ist so verrückt, dabei geht es doch in den Beiträgen selten um dich, sondern immer um Pflanzen.
Ja, das Positive überwiegt auch deutlich das Negative. Es gibt so viele, die interessiert, was ich tue und ich habe tolle Kontakte über Instagram geknüpft, die anregend und sinnvoll sind. Aber ich bin leider auch nur ein Mensch und da fühlt sich das Negative manchmal gewichtiger an. Einige wenige Male konnte dann auch ich keine Ruhe bewahren, wie als mir jemand schrieb: “Höre auf den Rehen was wegzuessen. Kauf die das Zeug im Supermarkt!“ Das war zu viel…
Ist das etwas, womit man als Influencer:in heutzutage leben muss?
Ganz ehrlich? Ich fühle mich gar nicht als Influencerin. Wegen der Reichweite sagt man das so, aber die Leute sind doch nicht an mir persönlich interessiert, sondern an den Inhalten. Wenn ich z.B. in einer Story über mich selbst erzähle, sinkt die Reichweite. Mir folgen auch viele Bushcraft-Männer, die sind nicht für mich da, sondern für die Informationen. Darauf kommt es mir an!
Könntest du denn von Erdretter leben?
Nein. Alle Erdretter-Einnahmen gehen auch wieder als Investition in das Projekt rein. Letztes Jahr habe ich mir das erste Mal seit 2018 1.000 Euro überwiesen, das zeigt so ein bisschen das Verhältnis. Ich habe jetzt auch erstmals Werbung gemacht, das ist ein schöner Bonus, aber die Osteopathie bleibt mein Hauptberuf.
Zurück zu deinen Inhalten. Ich habe dank Umzug erstmals einen eigenen Garten und während links und rechts von mir die Nachbar:innen mit dem Mähroboter alles wegmähen, will ich das Frühjahr abwarten und schauen, was bei mir Tolles wächst. Wie stehst du zu dieser “glattrasierten” Rasenkultur?
Ich finde die überhaupt nicht schön. Ich kann verstehen, dass man etwas Grünes haben will, aber warum so glatt? Der letzte Sommer hat es gezeigt: Diese Rasenflächen trocknen sofort aus und bekommen braune Stellen. Es gibt so schöne Wildblumen, viele Menschen hätten eine riesengroße Blumenwiese, wenn sie es wachsen lassen würden. Aber man rupft es vorher raus oder kippt Gift auf das “Unkraut”. Du machst also alles richtig.
Zum Abschluss die Frage: Was ist denn dein Favorit, was sammelst du am liebsten?
Das ist so schwer! Letztes Jahr habe ich für mich einen “Hühnchenpilz” entdeckt: Den kannte ich vorher noch nicht, aber der Schwefelporling ist ein wunderschöner, gelboranger Baumpilz, der gegart nach Hühnchen schmeckt. Auch Brennsesselsamen nehme ich immer mit oder Hagebutten! Die Frucht ist als Juckpulver so verrufen, dabei kann man daraus so geile Sachen machen wie Granulat, Pulver oder Smoothies. Falsche Oliven, eingelegte Schlehen, Gundermann-Salz oder Bärlauch – es gibt so viele Dinge, die ich aufzählen könnte! Ich finde eigentlich immer was, wenn wir durch den Wald laufen. Manchmal wollen wir nur spazieren und hängen dann irgendwo ewig fest und sammeln. Einfach spazieren gehen ist mit dem Wissen eigentlich unmöglich geworden…