Die Gründer von Luchsberg zeigen, wie scheinbare Abfallprodukte zu neuen Rohstoffen werden – und Kerzenschein ohne Paraffin funktioniert.
2,4 Kilogramm Wachs verbrennen wir jedes Jahr: in Form von zimtigen Duftkerzen, unscheinbaren Teelichtern, pinterest-inspirierten Twisted Candles oder bunten Stabkerzen auf dem Adventskranz. Dabei täuscht die Besinnlichkeit des Kerzenscheins darüber hinweg, dass diese zu drei Vierteln aus Paraffin bestehen – einem Nebenprodukt der Erdölraffinerie, das nicht unbeträchtliche Umweltauswirkungen mit sich bringt. Obendrein werden beim Abbrennen von Kerzen, insbesondere von eingefärbten Duftkerzen, Rußpartikel voller umwelt- und gesundheitsgefährdender Stoffe freigesetzt, bei minderwertigen Paraffinkerzen teils sogar reizendes Schwefeldioxid. Auswirkungen, denen sich die wenigsten bewusst sind, wenn sie die bunten Gläschen meist kurz vor der Kassenschlange achtlos in ihren Einkaufswagen gleiten lassen.
Als Richard Thiele und Toni Weist auf diese Kerzenproblematik aufmerksam wurden, stellten sie fest: Trotz der Omnipräsenz von Nachhaltigkeit – „bei Kerzen macht sich keiner Gedanken.“ Das wollen sie nun ändern. In den letzten Jahren realisierten die Freunde, die sich seit der Schulzeit kennen, bereits verschiedene Projekte gemeinsam. Im Sommer letzten Jahres war dann klar: Nachhaltige Kerzen soll ihr nächstes sein. „Ohne Palmöl oder Rapsöl oder Paraffin oder sonst irgendwelche Schadstoffe“, so einer der Co-Gründer.
Auf der Suche nach nachhaltigen Rohstoffen
Das Interesse am Austüfteln umweltfreundlicher Alternativen kommt bei den beiden nicht von ungefähr: Richard leitet in seinem Vollzeitjob den Bereich Business Development eines Edelstahlrecycling-Unternehmens, Toni ist als Ingenieur tätig. Doch die Suche nach einem nachhaltigen Kerzenrohstoff ohne umweltliche und gesundheitliche Nachteile stellte die beiden zunächst vor eine Herausforderung.
Denn auch die scheinbar ‘grüneren Alternativen’ aus pflanzlichen Wachsen haben ihre Nachteile: Stearin, zweitmeistgenutztes Kerzenwachs, überzeugt zwar durch eine gute Brennbarkeit, wird aber meist aus Palmöl gewonnen. Die Problematik hinter Palmölplantagen dürfte bekannt sein: Der weltweite Konsum von Palmöl trägt Mitschuld daran, dass jede Minute weltweit eine Waldfläche in Größe von dreißig Fußballfeldern verschwindet. Mit etwas Zynismus könnte man so denjenigen, die mit unschuldigem Wunsch nach gemütlicher Stimmung ihre Teelichter entflammen, Beihilfe zur Ermordung zahlreicher Orang-Utans unterstellen.
Bessere, vegane Alternative sollen Kerzen aus Sojawachs sein, die langsamer und rußfrei abbrennen. Allerdings merkt Toni an, dass das verwendete Soja bisher fast vollständig importiert werde, wodurch sich die Ökobilanz von Sojawachskerzen gravierend verschlechtert. Ähnliches gilt für die traditionelle Bienenwachskerze: Aufgrund mangelnder Ressourcen in Deutschland wird auch Bienenwachs hauptsächlich importiert. Mit einem Marktanteil von einem halben Prozent spielen Bienenwachskerzen allerdings trotz ihrer Tradition ohnehin eine verschwindend geringe Rolle.
Weitere Bemühungen für nachhaltige Kerzen setzen auf Rapsöl, nachhaltig, direkt aus Deutschland. Gut, könnte man meinen, doch für Richard ist auch dieser Rohstoff kritikwürdig: „Das ist ja Rapsöl, das man sonst in der Küche verwendet, wo Margarine draus gemacht wird. Und das stellst du dann auf den Tisch und verbrennst es.“
Auf ihre ersten Überlegungen zurückblickend, gestehen die Gründer heute, die Suche nach einem Rohstoff unterschätzt zu haben:
„Irgendwann merkt man, was wirklich hinter einer Kerze steckt.“
Doch sie hielten daran fest: Es muss noch eine andere, pflanzliche Lösung für das Kerzenproblem geben.
Aufbau einer Produktionsstrecke
Ihre Recherchen brachten Richard und Toni schließlich zu pflanzlichen, bereits verwendeten Speiseölen, beispielsweise also dem Abfallprodukt aus Frittiervorgängen. Bei zahlreichen Versuchen überzeugten die Versuchskerzen in Sachen Brennbarkeit und Sicherheit, einem nicht zu unterschätzenden Aspekt der Kerzenentwicklung. Nachdem sie über einen nationalen Verband auch endlich eine geeignete Raffinerie gefunden hatten, von der sie die recycelten Wachsöle beziehen konnten, wurde aus der wagen Idee einer nachhaltigen Kerze das Projekt Luchsberg.
Die Gründer begannen, auf Richards Fachwerkhof in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt ihre eigene Produktionsstrecke aufzubauen, inklusive Aufbereitung und Veredelung. Schon bald füllte sich der Hof mit weiteren Schmelzversuchen, Kerzen und Gläsern. Für Toni und Richard war klar:
„Es gibt keinen Grund dafür, nicht die Möglichkeit zu nutzen, Kerzen nachhaltig herzustellen.“
Doch mit der Entwicklung des Wachses selbst war es nicht getan. Auch an den anderen Bestandteilen einer verkaufsfertigen Kerze musste – mit höchstem Wert auf Nachhaltigkeit – getüftelt werden. Schließlich entschieden sich die Gründer für Baumwolldochte aus Deutschland und wiederverwendbare Gläser. In Sachen Duft stellen sie sich entschieden gegen die derzeitigen Trends in Sachen Duftkerzen. Von „Erdbeervanillegeburtstagskuchenduft“ sei man bei Luchsberg weit entfernt, so der Business-Developer. Sein Co-Gründer ergänzt: „Wir wollen das so natürlich wie möglich machen und nutzen deshalb nur dezentere, naturreine Aromaöle.“
Die ersten Kerzen aus Frittenfett
Zu Weihnachten war es dann soweit: Über ihren Onlineshop und kleine Läden verließen die ersten Kerzen in zwei Ausführungen den Hof: „ohne Duft“ sowie als weihnachtliche Aroma-Kerze. Doch eins vereint alle Kerzen aus dem Hause Luchsberg: Grundlage ist das einstige Abfallprodukt, das damit wertvolle Ressourcen spart. „Aus Frittenfett“ heißt es plakativ auf dem Etikett des Kerzenglases. Auf Nachfrage entwarnen – bzw. enttäuschen – die Gründer allerdings lachend: Frittengeruch erschnüffeln Kund:innen bei ihren Kerzen vergeblich. Das recycelte Pflanzenwachs habe einen ähnlich geringen Eigengeruch wie konventionelle Kerzen.
„Das Ganze ist klimaneutral und ressourcenschonend, weil wir einfach komplett eine Wiedernutzung von einem Öl haben, das für den normalen Gebrauch nicht mehr nutzbar ist.“
Seit wenigen Wochen bereichert bereits ein weiteres Produkt die Luchsberg-Familie. Das sogenannte Wachsfeuer soll in Außenbereichen für angenehme Stimmung sorgen. Es währt durch einen haltbaren Holzfaserdocht mehrere Jahre und kann stetig mit herkömmlichen Kerzenresten ‘gefüttert’ werden. Bei der Entwicklung leitete die Schulfreunde die grundlegende Motivation hinter Luchsberg: Abfallprodukte zu neuen Rohstoffen zu machen. „Mein Job ist es, jeden Tag zu hinterfragen: Was können wir noch anders machen?“, so Richard. Kerzen sollen deshalb nicht das einzige Luchsberg-Produkt bleiben. „Alles, in dem Wachs drin ist, kann für uns relevant sein,“ fasst der Quedlinburger zusammen.
Aus Liebe zum Harz
Für den Moment fokussieren sich Richard und Toni allerdings darauf, ihre erste, kleine Produktpalette in Sachen Nachhaltigkeit weiter zu perfektionieren. Dabei erklärt Toni auch den Ursprung hinter dem Namen Luchsberg. Dieser soll die Verbindung zu ihrer Heimat, dem Harz, zum Ausdruck bringen. Seit den 1960ern sind dort nämlich wieder einzelne der beeindruckenden Wildkatzen zu Hause. Das höchste Gebirge Norddeutschlands spiele für das Leben der Schulfreunde, aber auch für die Marke, eine wichtige Rolle: „Es ist ein Stück weit identitätsstiftend“ beschreibt der Ingenieur. Und: „Es geht auch darum, den Harz so zu erhalten, wie er gerade ist, bzw. – das muss man leider so sagen – wiederherzustellen, wie er mal war.“
Auch deshalb stecken die beiden trotz Vollzeitjobs gerade viel Zeit in das Projekt. „Wesentlich mehr als erwartet,“ geben sie zu. So ermöglichen es die Luchsberg-Gründer, dass auch in diesen dunklen Krisenzeiten Kerzenschein zumindest kurzzeitig für Besinnlichkeit sorgt. Zwar ohne Frittengeruch, aber vor allem: ohne Erdöl.
Beitragsbild: Luchsberg