Wie mit kostenlosen Menstruationsprodukten der Bildungszugang erleichtert wird, zeigt die Gemeindebibliothek in den informellen Siedlungen von Mathare.
Joakim Odhiambo und Julius Owuor engagieren sich täglich sechs Stunden ehrenamtlich in der Gemeindebibiliothek von Mathare, die auch als Community-Zentrum bekannt ist. Mathare ist ein Stadtteil von Kenias Hauptstadt Nairobi, der bekannt ist für die schwierigen Lebensumstände dort. Über ihre Arbeit, ihr neues Projekt zur Verteilung von kostenlosen Binden und was sie sich für die Zukunft wünschen, haben sie mit dem Good News Magazin gesprochen.
Autorin Julia Fritzsche arbeitet selbst eng mit der Gemeindebibliothek zusammen, in ihrem ehrenamtlichen Engagement bei MediaMundo e. V. Das aktuelle Projekt wird mit Mitteln vom Kooperationspartner Leapfrog e. V. finanziert. Beide Vereine betreuen weltweit Projekte zur digitalen Bildung.
Damit alle Kinder ihre schulischen Ziele erreichen können
Übersetzt aus dem Englischen
Julia Fritzsche: Worum geht es in eurem neuen Projekt zur Verteilung von Menstruationsbinden an Mädchen?
Julius Owuor: Es geht vor allem um die armen Mädchen unserer Community in Mathare, die sich keine Menstruationsprodukte leisten können. Wenn sie ihre Periode dann bekommen, gehen sie nicht gerne zur Schule, eben weil ihnen diese Produkte fehlen, und verpassen so den Unterricht. Also haben wir uns zusammengesetzt und fanden es wichtig, dass die Mädchen ihre schulischen Ziele erreichen können. So haben wir uns für dieses Projekt entschieden.
Julia Fritzsche: Wie viele Schulen sind involviert?
Julius Owuor: Wir haben vier öffentliche Schulen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Außerdem involvieren wir auch private Schulen und Mädchen, die zu unserem Community-Zentrum kommen. Denn von Montag bis Samstag kommen Mädchen täglich zu uns. Im Gespräch mit ihnen sehen wir jeden Tag, wie wichtig die Binden für die Mädchen sind. Die Mädchen sind zwischen dreizehn und achtzehn Jahre alt.
Julia Fritzsche: Was passiert neben der Verteilung?
Julius Owuor: Wir binden externe Vermittler:innen ein, die einen Vortrag rund ums Thema Reproduktionsgesundheit halten. Die meisten Mädchen wissen nur wenig. So lernen sie mehr über die richtige Nutzung der Binden bis hin zu ihren Rechten.
Joakim Odhiambo: Leider nutzen manche Jungs die bedürftigen Mädchen aus. Sie wissen vom Leid der Mädchen und bieten Binden an. Allerdings missbrauchen sie die Mädchen dann als Gegenleistung. Oft sind auch Drogen mit im Spiel. Mit unserer Idee können wir diesen Mädchen Hoffnung geben, dass es andere Optionen gibt, um an die Binden zu kommen.
So viele Mädchen wie möglich erreichen
Julia Fritzsche: Wie oft werden die Binden verteilt?
Joakim Odhiambo: Die erste Verteilung hat bereits stattgefunden. Wir haben 100 Mädchen erwartet, aber es kamen etwa 68. Bei der nächsten Verteilung rechnen wir wieder mit etwa 100. Die Schulen in Mathare geben uns eine Liste mit den Mädchen, die kommen werden. Ich bin selbst ein freiwilliger Gesundheitshelfer in der Gemeinde und erzähle in meiner Arbeit von den Verteilaktionen. Außerdem frage ich auch meine Kolleg:innen, die Information zu verteilen. Wir bitten auch die Eltern der Mädchen, sie zu begleiten, denn viele Eltern sprechen nicht gerne über diese Themen mit ihren Mädchen.
Julia Fritzsche: Kommen denn immer dieselben Mädchen?
Julius Owuor: Nein, wir wählen jedes Mal andere Mädchen aus, um so viele Mädchen wie möglich zu erreichen.
Julia Fritzsche: Wie viele Binden bekommt ein Mädchen?
Julius Owuor: Jedes Mädchen bekommt zwei Packungen mit etwa 10 Binden, diese sollen also für zwei Monate reichen.
Die Arbeit eines Gesundheitshelfer in Mathare
Julia Fritzsche: Joakim, wie sieht die Arbeit eines Gesundheitshelfers aus?
Joakim Odhiambo: Wir sind da für Menschen, die krank sind. Wir rufen den Notarzt und sorgen dafür, dass die Leute ihre Medizin bekommen und richtig einnehmen. Wir verfolgen auch Fälle von gender-basierter Gewalt, beraten zu HIV und klären über die Covid-19-Impfung auf. Alle Ehrenamtlichen treffen sich einmal die Woche und besprechen, wie wir die Herausforderungen unserer Community in Mathare bewältigen können.
Ein geeignetes Lernumfeld für Bildung schaffen
Julia Fritzsche: Ihr engagiert euch beide in der Gemeindebibiliothek, worum geht es dabei?
Julius Owuor: Die Bibliothek ist für benachteiligte Jungen wie Mädchen da. Diese leben oft mit ihrer siebenköpfigen Familie in einem Zimmer. Das ist kein Umfeld zum Lernen. Deswegen kam die Idee auf, eine Bibliothek zu gründen. Mathare ist groß, hier leben etwa 650,000 Menschen. Eine Bibliothek ist dafür natürlich wenig, aber es gibt vielen Schüler:innen eine Chance, in einer geeigneten Umgebung zu lernen. So haben wir es geschafft, dass viele unserer Ehemaligen jetzt studieren.
Joakim Odhiambo: Das Community-Zentrum in Mathare, besteht aus drei Teilen: der Bibliothek, einem Computer-Lab, und dem Tanz- und Kulturteil. Es gibt also verschiedene Programme, wie etwa Mentoring vor den Prüfungen auch von Ehemaligen, digitale Skills, oder eben eine Tanzgruppe.
Julius Owuor: Wir kooperieren auch mit anderen Organisationen, die hier ihre Workshops und Trainings halten. Denn das hier ist der einzige Ort in der Community, wo das möglich ist.
Julia Fritzsche: Wie viele Leute kommen denn ungefähr täglich zur Bibliothek?
Julius Owuor: Ungefähr 70 bis 75 Leute täglich. Sie kommen auch von angrenzenden Bezirken.
Julia Fritzsche: Gibt es Lehrer:innen, die den Schüler:innen vor Ort helfen?
Julius Owuor: Es ist vor allem ein Ort zum Lernen. Aber gelegentlich kommen Mentor:innen und halten hier Vorträge. Wir selbst, die vier Ehrenamtlichen, sind auch dafür ausgebildet und sprechen mit den Schüler:innen. Ich bin selbst zur Universität gegangen und habe dort gelernt, einen Computer zu benutzen. Joakim Odhiambo ebenso. Somit können wir unseren Schüler:innen auch mit diesen Aufgaben helfen.
Joakim Odhiambo: Und wie gesagt, es kommen auch Ehemalige, um sich hier ehrenamtlich zu engagieren. Wir versuchen unsere Ehemaligen zu motivieren, um zurückzukommen und etwas zurückzugeben – was auch immer sie anzubieten haben.
Große Motivation und Zukunftspläne für Mathare
Julia Fritzsche: Was ist eure Motivation, euch hier ehrenamtlich zu engagieren?
Joakim Odhiambo: Zu teilen. Zu teilen, was auch immer ich habe, und was nützlich für Menschen aus der Community sein könnte. Und weil ich wusste, dass die Bibliothek vielen helfen kann, bin ich eingestiegen.
“Was mich motiviert, ist die Tatsache, dass obwohl wir uns in einer schwierigen Umgebung befinden, wir immer etwas zum Positiven hin verändern können. Und das haben wir hier mit dem Community-Zentrum bereits erreicht, denn viele Schüler:innen haben es mit unserer Unterstützung zur Universität geschafft.”
Julius Owuor
Julia Fritzsche: Wie wird es weitergehen?
Joakim Odhiambo: Die nächste Verteilung der Binden steht an. Wir haben schon die Namen der Mädchen, die kommen werden.
Julius Owuor: Außerdem wollen wir ein Jugendprogramm hier im Zentrum starten. Dann ist da noch die Friedens-Kampagne. Denn die nächsten Wahlen stehen in zwei Monaten an und wir wollen in der Community die Wichtigkeit von friedlichen Wahlen betonen, indem wir mit vielen Leuten sprechen.
Joakim Odhiambo: Wir planen auch ein großes Treffen mit vielen Jugendlichen, um über die Themen Drogen und Reproduktionsgesundheit zu sprechen.
Julius Owuor: Das sind nämlich unsere größten Probleme. Wir haben die höchste Rate an Drogenmissbrauch in ganz Nairobi. Und wir wollen erreichen, dass möglichst viele Jugendliche da nicht mitmachen.
Vom Traum Hoffnung zu geben
Julia Fritzsche: Was sind eure persönlichen Visionen, Träume und Hoffnungen für eure Zukunft, aber auch die für eure Community und des Zentrums von Mathare?
Joakim Odhiambo: Meine Vision ist, dass Leute hier in der Umgebung und trotz der vielen Herausforderungen, wissen, dass es immer Licht am Ende des Tunnels gibt. Und wenn genug Leute diese Mentalität besitzen, können wir die Herausforderungen meistern. Schließlich sind wir beide aus der Community und kennen die Probleme nur zu gut.
Also setzen wir uns mit Jugendlichen, die wir kennen hin, und sprechen mit ihnen. Wir beziehen auch die Eltern mit ein. Denn es kommt darauf an zu signalisieren, dass die aktuelle Situation nur ein Lebensabschnitt von vielen ist.
Julius Owuor: Mein Traum ist eine weitere Bibliothek in Mathare, um alle Schüler:innen hier zu erreichen. Außerdem sehe ich Bildung als Chance für Mathare, um zum Beispiel durch Mentoring-Programme das volle Potenzial unserer Jugend auszuschöpfen. Das wichtigste ist jedoch, den Kindern Hoffnung zu geben. Denn es gibt so viele Herausforderungen zu meistern, dass es so wichtig ist, dass sie wissen, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt. Die ganze Welt ist erschüttert: erst Corona, jetzt der Krieg in der Ukraine. Aber wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir auch mit wenigen Ressourcen viel erreichen!
Beitragsbilder: Mathare Community Center Library