Ein Regenbogen für die Provinz

das ist ein GNM+ ArtikelTorge Dermitzel organisiert den allerersten CSD in Altenburg

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von | 5. Juli, 2021

30.000 Einwohner:innen, 17 Prozent Leerstand und ein Residenzschloss. Zwischen Leipzig, Chemnitz und Gera döst die thüringische Stadt Altenburg vor sich hin. Torge Dermitzel organisiert gerade den ersten Christopher Street Day am 10. Juli 2021 und ist damit auf dem besten Weg, die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken.

Ein CSD ist kein Ego-Projekt

27. März 2021. Torge ist in einen grau karierten Mantel gehüllt; das Regenbogen-Bändchen am Handgelenk fällt so noch mehr ins Auge. “CSD Kiel” steht in großen Buchstaben darauf. Als gebürtiges Nordlicht ist Torge vor einem Jahr für einen anderen Job nach Altenburg gezogen. “Die meisten Menschen wussten nicht, was ein CSD ist“, sagt Torge und ist sichtlich froh darüber, schnell die Konfrontation gesucht zu haben. “Es scheint die Leute zu provozieren und das macht mich erstmal glücklich, denn wenn es polarisiert und Aufmerksamkeit erzeugt, hat es was zu bedeuten.”

Beitragsbild Torge und Team
Torge (mittig im Bild) und ein Teil des CSD-Teams. (Foto von Ronny Ristok)

Torges Gesicht hellt sich auf als wir über den Zuspruch einiger Altenburger:innen sprechen, die von einem echten Aufatmen sprachen. Genau diese Menschen sind es, für die Torge den CSD organisiert – es sei schließlich kein Ego-Projekt. “Vielleicht gibt es Menschen, die Probleme mit ihrem Coming-out haben oder generell Kontakt zur Community suchen und die ist in Provinzen eher unsichtbar. Deshalb gibt es die Angst, offen zu reden und ein Teil der Gesellschaft zu sein – was anscheinend auch begründet ist.”

„Wär ich dein Vater, hätte ich dich eigenhändig mit dem Rasenmäher überfahren.“

Nachrichten wie diese erreichen Torge als das Motto des CSD bekannt gegeben wird. “Der Regenbogen kennt kein braun” klingt zwar harmlos, sorgt in Altenburg aber für Empörung. Die hohen Wellen kommen unerwartet – auch wenn es die ersten Anfeindungen schon bei der Ankündigung des CSD gab. “Da waren auch so zwei, drei Morddrohungen dabei, aber eher Beleidigungen”, Torge zieht unberührt an seiner Zigarette als wäre das nichts Besonderes. Mit den jüngsten Morddrohungen erreichen die Diskriminierungen ein neues Level, Instagram versinkt in einer Flut an Solidaritätsbekundungen.

Solidaritätsbekundungen werden insbesondere auf Instagram geteilt.


Zu den Solidaritätsbekundungen kommt auch eine Erklärung. Unterschrieben wird sie unter anderem von Terry Reintke, Mitglied des Europäischen Parlaments. “Sheesh – also Jesus Christ, da kam mir ein bisschen Pipi in die Augen”, hinter der schwarzen umrahmten Brille werden Torges Augen groß, die Ungläubigkeit über die Anteilnahme breitet sich im gesamten Gesicht aus. Für die Kritik an der politischen Haltung des CSD hat Torge allerdings kein Verständnis. “Braunes Gedankengut deckt sich nicht mit dem, wofür ein CSD steht und die Politisierung liegt schon in der Geschichte.”

Die Wurzeln des Widerstands

28. Juni 1969: Sprechchöre und schellende Flaschen füllen den Christopher Street Day in New York, wo die Schwulenbar “Stonewall Inn” in Flammen steht. Über Monate waren queere Menschen hier Opfer regelmäßiger Razzien und willkürlicher Diskriminierungen. Am 28. Juni beginnt der Widerstand: Homosexuelle im gesamten Stadtteil behaupten sich; die Aufstände halten einige Tage an und führen letztlich zur Formation der “Gay Liberation Front”. Die Bewegung für öffentliche Toleranz gegenüber Homosexuellen nimmt Form an, bleibt sichtbar und aus den Gedenkveranstaltungen zum Aufstand wird der Christopher Street Day – inklusive Regenbogen, Glitzer und Einhörnern. Ein Bild, das sich in vielen Köpfen hält.

Gegen die Mehrheit

09. April 2021. “Party ist das erste, was meiner Mutter zum CSD einfällt. Von diesem Image möchte ich weg – die Aufklärungsarbeit soll im Vordergrund stehen.” Im schwarzen Pulli sitzt Torge vor einer weißen Wand. Seit 16 Uhr läuft das digitale Organisationstreffen für den CSD. Seit fünf Wochen hat sich das Team nicht gesehen. Heute sind sieben Leute dabei; manche schalten sich von den Renovierungsarbeiten im Altenburger Späti dazu, hinter anderen eröffnet sich zwischen Bücherregalen und Pinnwänden das typische Bild von Online-Meetings.

Torge und Anna sind die Köpfe des CSD-Teams Altenburg.
Zwei wichtige Gesichter des ersten Christopher Street Days in Altenburg: Während Torge (links) auf der Hauptbühne moderiert, wird Anna (rechts) die Moderation der geplanten Paneldikussionen übernehmen.

Die Pläne für den CSD sollen konkreter werden. Es wird über mögliche Sponsor:innen, Moderator:innen und Bands gesprochen, aber auch die Ereignisse der letzten Wochen sind Thema. “Für mich ist alles so gekommen, wie ich es erwartet habe”, wendet sich Norbert aus dem Orga-Team wenig überrascht an die Gruppe und spielt auf die Kritik des Mottos sowie die Bedrohungen auf Instagram an, “jetzt juckt es zwar keinen mehr, aber ich rechne mit einer zweiten Welle.” Torge nickt zustimmend. “Ich glaube, es ist immer noch eine Mehrheit, die gegen uns ist, aber erstmal haben die Drohungen nachgelassen.” Aus dem jahrelangen Dämmerschlaf ist Altenburg auf jeden Fall aufgewacht.

Sichtbarkeit für einen Tag

23. Juni 2021. “Wir schaffen Präsenz von LSBTTIQ* im ländlichen Raum, wir schaffen wenigstens für einen Tag einen “Safe-Space” für LSBTTIQ, wir verschaffen uns Raum für unsere Forderungen, machen auf die staatliche und strukturelle Diskriminierung aufmerksam und zeigen internationale Solidarität.” Das schreibt Torge auf Instagram. Während die Stimmung Anfang des Monats noch im Keller war, weil die Gefahr groß war, dass der CSD wegen der Corona-Schutzmaßnahmen nicht stattfinden könnte, ist das Hygieneschutzkonzept jetzt genehmigt und die Freude entsprechend groß. Nur noch zweieinhalb Wochen sind es bis zum ersten CSD in Altenburg.

Jetzt sind es nur noch wenige Tage. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren und in jeder Woche bastelt das Team Banner und Dekorationen. Zwischen tausend und zweitausend Besucher:innen – auch aus den Einzugsgebieten Leipzig und Zwickau – werden erwartet; das Programm steht. Mit Kundgebung, Poetry Slam, Diskussionsrunden und Musik bietet der Christopher Street Day in Altenburg ein ähnliches Programm wie alle anderen CSDs im Land. Trotzdem schafft er Sichtbarkeit für die queere Community – Sichtbarkeit, die in ländlichen Regionen längst nicht selbstverständlich ist. Zumindest noch nicht.

Ihr wollt beim CSD in Altenburg dabei sein oder auf dem Laufenden bleiben? Auf Instagram und Facebook gibt euch Torge regelmäßig Einblicke in die Vorbereitungen zum 10. Juli.

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