Xiao Zhen Xie setzt ein wichtiges Zeichen und bewegt mit ihrer Millionenspende Millionen Menschen. Sie macht aufmerksam auf Rassismus und geht einen Schritt für Respekt und ein gesundes Miteinander durch gesellschaftliche Aufklärung. Nachdem sie in San Francisco selbst angegriffen wurde, auf offener Straße, sammelte ihr Enkel im Web Geld für die Krankenhausbehandlungen. Mehr als eine Million Euro kam zusammen. Und Xiao Zhen Xie spendet die volle Summe! Sie möchte Projekte unterstützen, die Rassismus bekämpfen. Eine Heldin für ihre Familie und Community, ein Vorbild für alle. Sie wird dringend gebraucht: Rassismus, vor allem gegen asiatisch gelesene Menschen, nahm durch die Coronapandemie erschreckende Dimensionen an. Die Geschichte von Xiao Zhen Xie ist ein bewegendes Beispiel. Wir schauen hin, wie kam es dazu?
Sie wehrte sich mit einem Brett
Am 17.03.2021 griff ein Mann Xiao Zhen Xie mitten auf der Straße in San Francisco an. Xiao Zhen Xie ist 75 Jahre alt und kam gerade vom Einkaufen, als plötzlich Fäuste und Beleidigungen auf sie einschlugen. Xie, die ursprünglich aus China stammt, hatte darauf gewartet, die Straße zu überqueren. Die Polizei von San Francisco gab später bekannt, dass der Verdächtige Xie geschlagen hat, Minuten nachdem er einen 83-jährigen asiatischen Mann angegriffen hatte. Der Angreifer wurde von einem Sicherheitsbeamten gejagt, als er Xie schlug. Sie schnappte sich ein Holzbrett und schlug zurück, der Angreifer lies von ihr ab. Er wollte weiter flüchten, wurde jedoch wenig später festgehalten.
Der Hilferuf wird später gehört
Ein traumatisches Erlebnis. Ihr Enkel John Chen startete daraufhin einen Aufruf im Netz, seine Oma bei der Genesung mit Spenden zu unterstützen. Der Aufruf ging viral und überall auf der Welt spendeten Menschen um Xiao Zhen Xie zu unterstützen und auch um ein Zeichen gegen diese Tat zu setzen. Hier ist der Text der Crowdfundingkampagne von Enkel John Chen vom Englischen ins Deutsche übersetzt:
„Hallo an alle, ich sammle Spenden für meine Großmutter, die heute in der Marktstraße 3-17-21 rassistisch angegriffen wurde. Ich bin erstaunt über ihre Tapferkeit. Sie war diejenige, die sich gegen diesen unprovozierten Angriff verteidigt hat. Aber sie hat jetzt zwei schwere blaue Augen und eines, das unaufhaltsam blutet. Auch ihr Handgelenk ist angeschwollen. Sie ist geistig, körperlich und seelisch schwer beeinträchtigt. Sie gab auch an, dass sie Angst hat, von nun an aus dem Haus zu gehen. Dieses traumatische Ereignis hat bei ihr zu einer PTBS geführt.“
„Obwohl sie eine Krankenversicherung hat, die das Nötigste abdeckt, gibt es immer noch viele medizinische Kosten, die sie nicht selbst tragen kann. Sie hat eine Krebserkrankung überlebt und leidet außerdem seit über 10 Jahren an Diabetes. Die Gelder, die wir erhalten, werden zur Deckung ihrer medizinischen Kosten, ihrer Therapiebehandlung und ihrer Rechnungen verwendet, die wir von nun an ständig bezahlen müssen. Wir möchten uns bei allen bedanken, die gespendet haben und die meiner Familie durch dieses sehr traumatische Ereignis massive Unterstützung gezeigt haben. Mein Herz ist bei all den anderen älteren Asiaten, die bei dieser Welle von Angriffen auf die asiatische Gemeinschaft ebenfalls schwer verletzt oder getötet wurden.“
Alte Vorurteile, neu verstärkt
Die „Welle von Angriffen“ gegen asiatische Menschen, von der John Chen schreibt ist ein erschreckendes Phänomen, das unter anderem auf den Ausbruch von Corona in Wuhan (China) zurückzuführen ist. Danach ging Rassismus gegen Menschen, die asiatisch gelesen werden, weltweit mit einer neuen Massivität los. Viele Menschen meldeten sich auf den Hilferuf von John Chen, unterstützten mit Worten, Spenden und teilten auch eigene Erfahrungen.
Der Rassismus gegen Menschen, die asiatisch aussehen, ist jedoch keinesfalls erst durch die Pandemie (und die Berichterstattung über diese) entstanden. Vorurteile, verletzend, degradierend und rassistisch, sind ein Alltagsphänomen – besser gesagt – riesengroßes Alltags-problem! Dieses Video der Twitch-Streamerin Gianni Lee aus Korea, zeigt Erfahrungen, die die Koreanerin in ihrem Deutschlandurlaub nicht nur einmal gemacht hat.
„Wir sind nicht der Virus“
„Na Du Schlitzauge?“ „Ching-Chang-Chong!“, „Esst ihr zu Hause auch Hunde?“ „Irgendwann findet man sich damit ab (…)“, sagt der 32-jährige Kölner Yen Souw Tain zum Kölner Stadtanzeiger. Nachdem die Coronapandemie im März in aller Munde und Köpfe war, erlebte Yen Souw Tain sofort das unterschiedliche Verhalten seiner Kund:innen. Er ist Besitzer eines Heng Long Asia Supermarkt. Eine Kundin war hier im März 2020 einkaufen mit ihrer Tochter. Der Stadtanzeiger berichtete: Tain mache „kein Aufheben mehr um seine alltagsrassistischen Erfahrungen“. Bis zu dem Moment, als eine Mutter ihr Kind in seinem Supermarkt dazu aufforderte, sich den Schal vor den Mund zu halten. Sie wolle nicht, dass sich ihr Kind bei den Verkäufern mit dem Coronavirus anstecke. „Tain hörte, wie die Tochter fragte, ob denn alle Chinesen krank seien, und wollte die Mutter zur Rede stellen – „doch die beiden waren so schnell weg, dass ich ihnen nur noch hinterherschauen konnte“.
Damit ging Tain an die Öffentlichkeit. „Wir sind nicht der Virus!“, schrieb Tain “ (…) Wir sind schockiert und finden es traurig, dass es sowas überhaupt noch gibt, besonders in Köln, wo wir das am wenigsten erwarten. Alle werden über einen Kamm geschert und hinzukommt noch Ausgrenzung und Rassismus.“ Sein Facebookpost verbreitete sich rasend schnell, mehrere Medien berichteten. Wenig später schreibt Tain dann folgendes „Update: WOW! Wir sind von der Resonanz überwältigt. Wir hätten nicht gedacht, dass das Thema doch bei vielen so präsent ist und danken allen Unterstützern für die lieben Worte und auch das Mut machen.“
Starke Entscheidungen
Auch John Chen entschied sich im März, das Schicksal seiner Oma öffentlich zu machen und nach Hilfe zu fragen. Ein großer Schritt, besonders, da die Großeltern nach Angaben der Familie, „immer hart gearbeitet haben und nie nach Hilfe fragen wollten.“ Dennoch waren sie mit dem Vorhaben des Enkels einverstanden. Und innerhalb weniger Tage waren fast eine Million Euro Spenden bei der Kampagne auf gofundme.com eingegangen.
Am 23.03. schreibt John Chen folgendes Update unter die Crowdfundingkampagne: „Als wir unsere Oma gestern und heute besuchten, hat sich ihr allgemeiner geistiger und körperlicher Gesundheitszustand verbessert. Ihr Auge ist nicht mehr so geschwollen, dass sie es nicht mehr öffnen kann. Sie beginnt jetzt wieder optimistisch zu sein und ist in besserer Stimmung. Außerdem betonte sie, dass wir dem Rassismus nicht nachgeben dürfen und dass wir bis zum Tod kämpfen müssen, wenn nötig. Mehrfach hat sie uns erklärt, dass sie alle Gelder, die in diesem GoFundMe generiert werden, zurück an die asiatisch-amerikanische Gemeinschaft spenden will, um den Rassismus zu bekämpfen. Sie besteht darauf, diese Entscheidung zu treffen, indem sie sagt, dass dieses Thema größer ist als sie. Dies ist die Entscheidung meiner Oma, meines Opas und unserer Familie. Wir hoffen, dass jeder unsere Entscheidung verstehen kann.“
Zuhören, hinschauen und gemeinsam aufklären
Xiao Zhen Xies Entscheidung ist so beeindruckend wie berührend, doch sie geschieht aus einer Not heraus. Es ist ein Aufschrei: Leute, hört zu! Schaut hin! Und macht was! Mit der Spende von einer Million soll nun die amerikanisch-asiatische Community gestärkt werden und Rassismus bekämpft.
Vor Kurzem setzte ebenso der republikanische Politiker Lee Wong in Ohio medial ein deutliches Zeichen. Auf einer parlamentarischen Sitzung spricht er den Rassismus direkt an und zeigt seine Narbe aus dem Vietnamkrieg, mit den Worten „Ist das patriotisch genug?“
Auch in der deutschen Medienlandschaft widmen sich einige Redakteur:innen diesem Thema.
Immer noch viel zu wenig, wie wir finden. Denn nur über die Sichtbarmachung dieser Verhältnisse, lassen sich selbige ändern.
Eine sehr hörenswerte Talkrunde fand dazu beim KARAKAYA Talk statt. „Coronavirus: Wie ansteckend ist euer Rassismus?“, fragt Esra Karakaya ironisch.
Und jetzt? Infos zum positiven Handeln
Wenn du selber betroffen bist: Du bist nicht allein! Vielleicht kannst du durch den Austausch mit anderen deine Erfahrungen besser verarbeiten. Schau nach Angeboten in deiner Nähe, auch während der Pandemie gibt es viele Angebote online und offline.
Eine Orientierung kann dieses Netzwerk bieten: Verband der Beratung, Hilfe und Unterstützung bei rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.
Für Alle: Dank den sozialen Medien gibt es viele Vorbilder, denen ihr direkt zuhören könnt. Und die ihr direkt unterstützen könnt! Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Podcasts, Bücher und vieles mehr erklären, wie Rassismus entstanden ist und warum es uns ALLE angeht. Vor allem für Menschen, die selbst keinen Rassismus (gegen sich gerichtet) erfahren haben, ist die Konfrontation mit den Realitäten der Mitmenschen und ihren Geschichte aufwühlend. Es können Ablehnung entstehen oder Schuldgefühle hochkommen. Das ist völlig normal. Beachte: einige Menschen haben die Wahl sich mit Rassismus zu beschäftigen, andere Menschen haben diese Wahl nicht. Leider schafft es das Schulsystem in Deutschland nicht, die so nötige Bildung über Rassismen, Kolonialgeschichten etc. zu vermitteln. Daher heißt es (selbst-)bilden, austauschen, Verständnis schaffen und vor allem: dranbleiben!
Beitragsbild: Viviana Rishe / Unsplash