Warum nicht “immer alles schlimmer wird”

das ist ein GNM+ ArtikelWie Gapminder unser Weltbild korrigiert

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von | 19. Dezember, 2022

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Fakten sagen mehr als tausend Meinungen. Die schwedische Gapminder Stiftung zeigt mit leicht zugänglichen Daten, wie die Welt sich entwickelt hat.

Im Juni 2018 kündigte Bill Gates an, dass er das Buch „Factfulness“ des schwedischen Akademikers Hans Rosling an alle US-Hochschulabsolvent:innen des Jahres 2018 verschenkt – insgesamt immerhin vier Millionen Associate-, Bachelor-, Master- und Doktorabsolvent:innen. Warum er das tat? “Factfulness ist eines der lehrreichsten Bücher, die ich je gelesen habe”, erklärte Gates.

Rosling argumentiert, dass wir, wenn wir die Welt auf der Grundlage von Fakten sehen, bessere Pläne machen können, um jene Zukunft zu gestalten, in der wir leben möchten. Die Herausforderung besteht darin, dass wir als Menschen leider nicht so verdrahtet sind, dass wir standardmäßig Fakten verarbeiten können. Das braucht Anstrengung und das Überkommen von Denkfehlern. Zugleich haben wir eine “überdramatische Weltsicht“. Diese Anfälligkeit für Dramen kann laut Rosling leicht mit jenen Ur-Instinkten verglichen werden, die unseren Vorfahren halfen, zu überleben: Unser Heißhunger auf Kohlenhydrate hat die gleichen Ursprünge wie unser Heißhunger auf Dramatik.

Warum “Factfulness” ein Leuchtturm in der Redaktion des Good News Magazins ist. Positiver Journalismus, wie wir ihn im Good News Magazin leben, rückt faktenbasiert Lösungsansätze in den Fokus. Denn wie Rosling selbst in Factfulness schrieb, haben die klassischen Medien eine große Rolle am derzeitigen Status Quo und wissen, den Heißhunger auf Dramatik zu nutzen: „Journalisten wissen das. Sie stellen ihre Erzählungen als Konflikte zwischen zwei gegensätzlichen Menschen, Ansichten oder Gruppen dar. Sie ziehen Geschichten über extreme Armut und Milliardäre den Geschichten über die große Mehrheit der Menschen vor, die sich langsam zu einem besseren Leben aufraffen. Journalisten sind Geschichtenerzähler. Das gilt auch für Menschen, die Dokumentar- und Spielfilme produzieren.”

Factfulness ist jedoch nicht das einzige, was der 2017 verstorbene Rosling der Welt hinterließ: Mit Gapminder rief er 2005 gemeinsam mit seinen Kindern Ola und Anna eine Stiftung ins Leben, die weit über den Bestseller hinaus dafür sorgt, dass eine faktenbasierte Weltsicht gefördert wird. Auf www.gapminder.org visualisieren interaktive Blasendiagramme und Lehrmaterialien frei zugänglich globale Statistiken und Datensätze, die zum größten Teil auf Erhebungen von UN-Organisationen fußen und teilweise sogar bis zum Jahr 1800 zurückgehen. Wem pure Daten zu abstrakt sind, der kann sich die Welt wunderbar einfach über Grafiken erklären lassen.

Warum Gapminder existiert

“Dramatische Geschichten erfüllen die Köpfe der Menschen. Das so entstehende Weltbild sei weit verbreitet und sehr belastend, heißt es in der bereits in Factfulness abgebildeten Analyse der Gapminder Stiftung. Eine negative Weltsicht und Gedanken wie „Die Welt wird immer schlimmer!“, „Wir gegen sie!“ oder „Niemand kümmert sich darum!“ verfestigen sich. Doch diese Gedanken folgen systematischen und vorhersehbaren Mustern. Das bedeutet, dass sie nicht einzeln demontiert werden müssen, sondern mit methodischen Lösungen konfrontiert werden können.

„Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte gibt es verlässliche Statistiken für nahezu alle Aspekte der globalen Entwicklung. Die Daten zeigen eine Welt, in der sich viele Dinge verbessern, eine Welt, die nicht in wir und sie aufgeteilt werden kann, eine Welt, in der Menschen aller Kulturen und Religionen Entscheidungen auf der Grundlage universeller menschlicher Bedürfnisse treffen, eine Welt, die sich ständig verändert, eine Welt, die recht einfach zu verstehen ist.“

Gapminder.org

Gapminder fördert weder eine pessimistische noch eine optimistische Weltanschauung, sondern eine faktenbasierte. Eine Welt, die weder dramatisiert noch übermäßig rosarot gesehen wird. Als anschauliches Beispiel zeigte die Stiftung, dass 1980 noch 40 Prozent der Menschheit in Armut lebten, es heute jedoch “nur” noch zehn Prozent sind. Ein Umstand, der aufgrund der Berichterstattung in den Medien selten erkannt wird – 92 Prozent der von Gapminder Befragten hatten eine höhere Zahl geschätzt.

Wie kommt es zu den Trugschlüssen?

Was man sowohl beim Lesen von Factfulness als auch beim Durchstöbern der Gapminder-Inhalte recht schnell erkennt: Man ist als Leser:in nicht allein mit den Trugschlüssen. Politiker:innen, Kinder, Aktivist:innen, Journalist:innen – sie alle sitzen den gleichen falschen, systematischen Trugschlüssen auf, wenn man sie nach ihren Vorstellungen von globalen Entwicklungen und Proportionen fragt. Am besten lässt sich das mit den drei folgenden Beispielfragen aufzeigen. 

Bis 1990 wurden 18 Länder von einer weiblichen Staats- oder Regierungschefin geführt. Bis 2022 ist die Zahl auf welche Summe gewachsen? (Von den getesteten Personen beantworteten 96 Prozent diese Frage falsch.)

  • A – 33
  • B – 53
  • C – 83

Wie viele Menschen auf der Welt fühlen sich sicher, wenn sie nachts alleine unterwegs sind, wo sie leben? (80 Prozent falsche Antworten)

  • A: < 30 %
  • B: ca. 45 %
  • C: > 60 %

Wie viele Menschen auf der Welt haben zu Hause oder in der Nähe Zugang zu sauberem Trinkwasser? (82 Prozent falsche Antworten)

  • A: ca. 30 % 
  • B: ca. 50 %
  • C: ca. 70 % 

Die Antwort ist jeweils C. Wer hätte es gewusst? Und wer zu pessimistisch geantwortet?

Gapminder beschreibt diese falschen Vorstellungen und möglichen Lösungen wie folgt: „Fakten erscheinen nicht automatisch in unseren Köpfen wie Meinungen. Fakten müssen gelernt werden. Um dieses massive globale Problem zu lösen, müssen wir anfangen, globale Fakten in Schulen und in der betrieblichen Bildung zu lehren. Dies ist ein spannendes Problem, da es sehr lösbar erscheint und eine Lösung enorme langfristige Auswirkungen hätte.“ So könnten Entscheidungsträger zum Beispiel ein besseres Verständnis des Klimawandels nutzen, um zu erkennen, welche Energiewende am wirksamsten ist. Eine faktenbasierte Weltsicht ist nicht nur bei großen globalen Problemen sinnvoll, sondern auch im Kleinen: Was sagen mir die Fakten zu einer Investition in Aktien statt in Lottoscheine in puncto Altersvorsorge? Und doch landet in den Medien die große Geschichte von einem Lottogewinn eher auf der Titelseite als eine langfristige angelegte Vorsorge über Aktien. Der Mensch liebt Geschichten.   

Die Welt zeigen, wie sie ist

Mit Dollar Street stellt die Gapminder-Stiftung ein weiteres wichtiges Tool auf ihrer Website zur Verfügung. “In den Nachrichten wirken Menschen in anderen Kulturen fremder als sie sind”, erklärt die Stiftung. Sie besuchten 264 Familien in 50 Ländern und sammelten so 30.000 Fotos.

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Verschiedene Zahnbürsten nach Einkommensniveau auf der Dollar Street Plattform | Bild: Dollar Street

Das von Anna Rosling Rönnlund erfundene Tool entstand aus ihrer Frustration: Die sorgfältige Auswahl von Daten, um sie in bunten und beweglichen Diagrammen darzustellen, machte globale Trends und Muster insgesamt leichter verständlich. Aber das alltägliche Leben auf verschiedenen Einkommensebenen wurde dadurch nicht verständlich. Schon gar nicht an Orten, die weit von zu Hause entfernt sind. „Menschen in anderen Kulturen werden oft als unheimlich oder exotisch dargestellt”, erklärt Rosling Rönnlund. „Das muss sich ändern. Wir wollen zeigen, wie die Menschen wirklich leben.”

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Verschiedene Spielzeuge nach Einkommensniveau | Bild: Dollar Street

Für Rosling Rönnlund lag nahe, Fotos als Daten zu verwenden, damit die Menschen mit eigenen Augen sehen können, wie das Leben auf verschiedenen Einkommensstufen aussieht: “Mit Dollar Street kann man viele, viele Häuser auf der ganzen Welt besuchen. Ohne zu reisen.“ Denn auch in unseren kulturellen Vorstellungen gibt es allzu oft Verzerrungen in die eine oder andere Richtung: Weder ergibt die Google-Suche nach “Toilette” unbedingt das, was für viele Menschen Realität ist, noch zeigt das hungernde Kind auf einem Plakat die Realität der meisten afrikanischer Kinder. Hier gilt: Auf Dollar Street sagen Bilder mehr als tausend Worte. Und Gapminder beweist: Fakten sagen mehr als tausend Meinungen.

Titelbild: Hans Rosling. Bild: Stefan Nilsson

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    Viktoria Franke

    Unsere Chefredakteurin a.D. Viktoria begann noch während des Studiums, als Sportjournalistin durch die Welt zu ziehen. Mittlerweile berät sie kleine Einzelkämpfer und große Unternehmen in ihrer Innen- und Außenkommunikation und organisiert weltweit Pressebereiche bei Sportevents. Good News sind bei all dem Trubel genau so wichtig für ihre mentale Gesundheit wie ein Stück Schokolade.

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