Verbot für Genitalverstümmelung in Gambia bleibt

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von | 20. September, 2024

Eigentlich hat sich Gambia schon 2015 gegen Genitalverstümmelung entschieden. Das Verbot wurde lange nicht durchgesetzt und stand auf der Kippe. Jetzt ist es endlich rechtswirksam.

Triggerwarnung: Gewalt und Folter an Mädchen und Frauen

Wer von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen ist, findet hier Hilfsangebote:

Terre des Femmes e.V. – Eine deutsche Frauenrechtsorganisation, die sich gegen Genitalverstümmelung und für die Rechte von Frauen weltweit einsetzt. https://www.frauenrechte.de

Waris Dirie Foundation – Eine internationale Organisation, die sich für das Ende der weiblichen Genitalverstümmelung einsetzt. https://www.desertflowerfoundation.org

Maedchenbeschneidung.ch – Eine Schweizer Plattform, die umfassende Informationen und Hilfsangebote zu FGM bereitstellt.  https://www.maedchenbeschneidung.ch

UNICEF – Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen bietet Unterstützung für betroffene Mädchen und setzt sich weltweit für das Ende von FGM ein. https://www.unicef.org

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen – Ein landesweites Beratungsprogramm für Frauen, die schon einmal oder noch immer Gewalt erlebt haben, kostenlose, anonyme Beratung unter 116 016 Startseite: Hilfetelefon

Die Situation in Gambia

Bei weiblicher Genitalverstümmelung (FGM, female genital mutilation) handelt es sich um die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane, ohne medizinische Notwendigkeit. Sie wird oft mit religiösen, kulturellen oder sozialen Gründen gerechtfertigt, um die “Reinheit”, “Jungfräulichkeit” oder “Ehre” von Mädchen zu bewahren. Medizinisch betrachtet ist die weibliche Genitalverstümmelung eine gefährliche Praxis, die gravierende gesundheitliche, psychologische und soziale Folgen hat.

In Gambia ist die weibliche Genitalverstümmelung tief in den Traditionen verwurzelt. Schätzungen von Unicef zufolge sind 75 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Die weibliche Beschneidung ist seit 2015 in Gambia verboten. Bis zu drei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe von bis zu 50 000 Dalasi (700 Euro) – oder beides – stehen für diejenigen, die gegen das Gesetz verstoßen. Wenn das Mädchen oder die Frau während der Verstümmelung stirbt, besteht die Gefahr einer lebenslangen Haft. 

Obwohl die Praxis 2015 durch ein Gesetz offiziell verboten wurde, wurde das Verbot erst Mitte 2023 durchgesetzt. Drei Frauen erhielten Geldstrafen in Höhe von 15000 Dalasi (circa 208 Euro), bzw. ein Jahr Haft. Acht Mädchen im Alter von vier Monaten bis zu einem Jahr wurden von ihnen beschnitten. Die Verurteilung entfachte die Diskussion über FGM und gilt als entscheidendes Ereignis für die gegenwärtige Entwicklung in Gambia. Befürworter der Genitalbeschneidung argumentieren, dass es sich um eine religiöse und kulturelle Praxis handelt, die nicht durch westliche Einflüsse unterdrückt werden sollte.

Das Verbot drohte zu kippen

Eine der treibenden Kräfte hinter der Debatte war der Imam Abdoulie Fatty, der gegen die Bestrafung der Beschneiderinnen protestierte und die Geldstrafen übernahm. Sein Einsatz führte schließlich zu einem parlamentarischen Antrag, das Verbot von FGM aufzuheben. Hätte das Parlament dem Antrag zugestimmt, wäre Gambia das erste Land der Welt gewesen, das ein solches Verbot zurücknimmt.

Religiöse Führer und Parlamentsabgeordnete behaupteten, dass es eine religiöse Tradition sei, Mädchen zu beschneiden. Westliche Truppen und Verbündete mit ihnen versuchten, sie zu verhindern und Gambia auf diese Weise zu bevormunden. Bei den Parlamentsabgeordneten haben Aktivistinnen, Betroffene und Ärzte seit der ersten Abstimmung im März lobbyiert. Anfang Juli gab die Kommission der Nationalversammlung für Gesundheit einen Bericht heraus, in dem sie empfahl, das Verbot aufrechtzuerhalten. Im Juni hatte die führende Gambische Aktivistin Fatou Baldeh gegenüber der NZZ die Hoffnung geäußert, dass genügend Parlamentarier ihre Meinung geändert hätten. Baldeh sprach sich gegenüber der NZZ aus. Aber sie machte sich Sorgen, dass die Abgeordneten aus Furcht vor ihrer Wiederwahl doch dazu neigen würden, das Verbot aufzuheben.

Genitalverstümmelung bleibt verboten

Überraschenderweise entschied sich das gambische Parlament am 15. Juli nun doch gegen eine Aufhebung des Verbots. Nach intensiver Lobbyarbeit von Aktivistinnen, betroffenen Frauen und Ärzten sprach sich eine Mehrheit der Abgeordneten dafür aus, das Gesetz beizubehalten. Die Gesundheitskommission der Nationalversammlung hatte zuvor in einem Bericht empfohlen, das Verbot aufrechtzuerhalten, um die gesundheitlichen und sozialen Risiken der Genitalverstümmelung zu mindern. 

Fatou Baldeh, eine führende Aktivistin gegen Genitalverstümmelung in Gambia, begrüßte das Ergebnis und betonte, dass dies ein wichtiger Schritt sei, um die Rechte von Mädchen und Frauen in Gambia zu schützen. Dennoch bleibt die Herausforderung bestehen, das Gesetz auch in der Praxis durchzusetzen und tief verwurzelte soziale Normen zu verändern.

Geschichte der weiblichen Genitalverstümmelung

Die Geschichte der Genitalverstümmelung reicht Jahrhunderte zurück. Besonders in Teilen Afrikas, des Nahen Ostens und Asiens wird die Praxis als kulturelles Ritual angesehen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass weibliche Genitalverstümmelung nichts mit Religion zu tun hat. Oft wird sie zwar mit dem Islam assoziiert, aber selbst im Land der heiligen Stätten Mekka und Medina, Saudi-Arabien, werden Mädchen nicht beschnitten. In keiner heiligen Schrift wird die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen erwähnt.  

Scheich Mohamed El Agamy, Sprecher des ägyptischen Religionsministeriums, der für die Auslegung des Korans zuständig ist, sagte in Interviews: “Die Beschneidung von Mädchen und Frauen ist nur eine Tradition. Sie hat keinerlei religiösen Hintergrund. Es gibt dazu kein Wort im Koran. Während die Beschneidung von Jungen ausdrücklich erwähnt wird.” 

Vier Formen der weiblichen Genitalverstümmelung nach der WHO

Typ I: Teilweise oder vollständig wird die Klitoris und/oder die Klitorisvorhaut entfernt.
Typ II: Ein Teil oder ein ganzer Teil der Klitoris und der kleinen Schamlippen wird entfernt. Es sind noch die großen Schamlippen übrig.
Typ III: Infibulation, die äußeren Geschlechtsteile der Frauen werden zuerst teilweise oder ganz entfernt. Danach erfolgt eine Verengung der Vaginalöffnung. Dafür entsteht durch das Zusammenheften oder -nähen der Wundränder ein deckender, narbiger Hautverschluss. Es bleibt nur noch eine kleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut. 
Typ IV: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) handelt es sich bei Typ IV um alle anderen schädlichen Eingriffe, die die weiblichen Genitalien schädigen und keine medizinische Bedeutung haben, wie etwa Ritzen, Einschneiden oder Stechen im Genitalbereich.

Meistens wird der Eingriff ohne Betäubung durchgeführt und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen. 

Die Auswirkungen der Genitalverstümmelung sind vielfältig und schwerwiegend. Zu den gesundheitlichen Folgen gehören schwere Blutungen, Infektionen, chronische Schmerzen, Probleme beim Wasserlassen, Komplikationen bei der Geburt sowie psychische Traumata und der Tod. Langfristig kann FGM das sexuelle Empfinden stark beeinträchtigen und führt oft zu posttraumatischen Belastungsstörungen und Depressionen.

230 Millionen Mädchen weltweit gefoltert – auch in Deutschland

Gemäß „maedchenbeschneidung.ch“ findet weibliche Genitalverstümmelung hauptsächlich in den Regionen West-, Ost- und Nordostafrikas sowie in einigen Ländern Asiens und im Nahen Osten Anwendung. Die Beschneidungsraten sind daher besonders in Ländern wie Somalia, Eritrea, Sudan, Ägypten, Guinea, Sierra Leone, Mali und Djibouti hoch. Mehr als 230 Millionen Mädchen und Frauen sind weltweit betroffen, so Unicef. Dies ist laut Unicef ein Anstieg von 15 Prozent, im Vergleich zu 2016. 144 Millionen Mädchen leben davon in afrikanischen Ländern.

Ein Bericht von Unicef, der zum Weltfrauentag am 8. März veröffentlicht wurde, besagt, dass in den letzten acht Jahren weltweit etwa 30 Millionen Frauen und Mädchen, die meisten davon in Afrika, der Prozedur unterzogen worden sind. 

Laut UN ist weibliche Genitalverstümmelung eine Folter. Eine Folter, bei der man versucht, die weibliche Sexualität zu kontrollieren und den Wert eines Babys, Mädchens, einer Frau herabzusetzen. Mädchen, die nicht verstümmelt sind, gelten als „unrein“ und sind weniger „Wert“. Denn es ist Tradition, dass Ehemänner in der Hochzeitsnacht mit einem Messer die oft vernarbten alten Wunden öffnen, um die Jungfräulichkeit gewährleisten zu können. Nicht selten werden die meist Minderjährigen dann vergewaltigt, was zusätzlichen Schmerz und Schaden verursacht.

Laut einer Untersuchung des Bundesfamilienministeriums waren 2020 67000 Frauen in Deutschland bereits von Genitalverstümmelung betroffen, während bis zu knapp 15000 Mädchen von weiblicher Genitalverstümmelung bedroht sind.

Es sei bekannt, dass Diaspora-Gemeinschaften (Familien mit derselben Identität, die im Ausland gut miteinander verbunden leben) Traditionen und Bräuche auch im Falle von Wohnortswechseln beibehalten. Es scheint, dass die weibliche Genitalverstümmelung für die Zugehörigkeit der Töchter zur Gemeinschaft sowie für Geschlechterrollenbilder von Bedeutung ist. Daher wird die Genitalverstümmelung auch in Deutschland weiterhin angewendet. Diese Fälle sind oft unter dem Radar der Strafverfolgung. Soziale Akzeptanz innerhalb der Gemeinschaft schützt die Täter:innen.

Es bleibt ein bedeutender Sieg für die Frauenrechte und die Autonomie von Mädchen, Säuglingen. Trotzdem schützt ein Verbot noch lange nicht vor der Folter.

Beitragsbild: © The Gambia National Youth Council

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