Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) blickt auf über 3000 Jahre Erfahrung zurück und gewinnt auch in der westlichen Welt zunehmend an Bedeutung. Doch was macht diese ganzheitliche Heilmethode so besonders? Und warum greifen immer mehr Menschen auf Akupunktur, Kräutertherapie und Co. zurück? Auf meiner Reise durch die Welt der Medizin habe ich mit Privatdozent Dr. med. Sven Schröder, Geschäftsführer des HanseMerkur Zentrums für Traditionelle Chinesische Medizin am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, gesprochen und erfahren, wie weit die Forschung diesbezüglich eigentlich schon ist.
Diesen Artikel aus unserem Printmagazin „Gesundheit. Danke!“ und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo.
Unsere ePaper im Abo oder hier mit tiun ohne Abo lesen.
Du sitzt im Wartezimmer, spürst das Ziehen im Rücken, das trotz Schmerztabletten nicht nachlässt. Die vertrauten Medikamente, die sonst zuverlässig helfen, haben ihre Wirkung verloren. Ein Flyer auf dem Tisch fängt dein Auge:
„Akupunktur bei Rückenschmerzen – jahrtausendealtes Wissen für moderne Beschwerden.“
Du fragst dich: Kann diese uralte Methode wirklich helfen, wo die moderne Medizin versagt? Ein leiser Zweifel, aber auch ein Funken Hoffnung machen sich breit. Vielleicht ist es Zeit, etwas Neues – oder besser gesagt, etwas sehr Altes – auszuprobieren.
In einer Welt vor unserer Zeit
Die TCM ist eine jahrtausendealte Heilkunst, die auf einer umfangreichen Sammlung von medizinischen Texten und Erfahrungen basiert, die über Jahrhunderte hinweg dokumentiert wurden. Im Gegensatz zu vielen anderen Naturheilverfahren, die oft auf kürzeren Traditionen beruhen, zeichnet sich die TCM durch eine kontinuierliche Überlieferung medizinischen Wissens aus, das bereits vor 3000 Jahren begann.
Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu anderen medizinischen Ansätzen, ist die Art und Weise, wie sie sich über die Jahrtausende hinweg entwickelt hat. Durch eine einheitliche Schriftsprache konnten medizinische Erkenntnisse in China systematisch festgehalten und in der gesamten Region verbreitet werden. Dies ermöglichte einen kontinuierlichen Austausch von Behandlungsansätzen und eine tiefgehende Dokumentation von Heilmethoden, die heute als Grundlage für die TCM dienen.
Wer glaubt, die TCM ist nur eine Sammlung historischer Praktiken, liegt falsch. Im Laufe der Jahrhunderte haben chinesische Mediziner:innen ihre Methoden immer wieder überprüft und angepasst, wodurch eine solide Basis an dokumentierten Behandlungen entstanden ist. Diese Dokumentation macht die TCM zu einem besonders interessanten Feld für die moderne Schulmedizin, da sie zeigt, dass viele Verfahren nicht nur traditionell angewendet, sondern auch erfolgreich verifiziert wurden. “Evidenzbasierte Medizin” heißt nämlich eigentlich nur, dass sie belegbar ist.
Ursprünglich stammen die Erkenntnisse der TCM aus Beobachtungen der Natur. Genauso wie sie, versucht auch die TCM ein Gleichgewicht im menschlichen Körper herzustellen. Dabei legt sie großen Wert auf eine ganzheitliche und individualisierte Diagnose. Statt sich ausschließlich auf Laborwerte oder bildgebende Verfahren zu stützen, berücksichtigen TCM-Praktiker auch körperliche Zeichen und subjektive Symptome, die der Patient schildert. Diese umfassende Herangehensweise ermöglicht es, ein detailliertes Bild des Gesundheitszustands des Patienten zu erstellen, das sowohl die körperlichen als auch die unbewussten, versteckten Funktionen berücksichtigt.
TCM als Brücke zwischen Tradition und Moderne
Je nachdem, in welchem Umfeld man aufgewachsen ist, stehen einem sogenannte “Alternative Behandlungsmethoden” näher oder eben auch nicht. Ich für meinen Teil kann mir gut vorstellen, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Aber ob das für mich sinnig ist oder nicht, spielt ja erstmal überhaupt keine Rolle. Und was sagt das Internet? Na ja, wer sucht, der findet. Egal welche Praktiken man unterstützt, irgendwo im world wide web wird man jemanden finden, der sie (anscheinend) belegen kann. Für dieses Thema wollte ich also nicht einfach nur das Internet befragen, sondern lieber jemanden, der tief in der Materie ist und der aus meinen Fragezeichen Ausrufezeichen machen kann.
Privatdozent Dr. med. Sven Schröder ist Facharzt für Neurologie und Experte für Traditionelle Chinesische Medizin. Nach seiner Ausbildung an der Charité in Berlin und dem Uniklinikum Eppendorf in Hamburg vertiefte er seine TCM-Kenntnisse in Deutschland und China. Seit 2010 ist er Geschäftsführer des HanseMerkur Zentrums für TCM am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den neuroprotektiven Effekten der TCM und der Schmerzforschung.
Das HanseMerkur Zentrum kombiniert klinische Praxis und Forschung, um die Integration von TCM in westliche Behandlungskonzepte zu fördern. Besondere Schwerpunkte liegen auf der Untersuchung neurobiologischer Mechanismen der Akupunktur und der Wirkung von TCM-Kräutern auf das Nervensystem. Hamburg übernimmt damit eine Vorreiterrolle in der Verbindung von westlicher und östlicher Medizin.
Aber soll TCM überhaupt alleine für sich stehen? Als erfahrener Arzt, der sowohl die westliche “Schulmedizin” als auch die TCM beherrscht, hat er eine klare Meinung dazu:
“Es geht gar nicht darum, ob etwas alleine steht oder nicht. Es geht darum, für den jeweiligen Patienten und die spezifische Erkrankung die bestmögliche Methode auszuwählen. Ob das nun TCM oder westliche Medizin ist, hängt ganz von der Situation ab.”
Er erklärt mir an einem einfachen Beispiel, was er damit meint:
“Bei einem akuten Hexenschuss, der durch eine Überspannung der Muskulatur verursacht wird, könnte die TCM allein durch Akupunktur und ergänzende Maßnahmen wie Massage schnelle Linderung bringen, ohne dass gleich starke Schmerzmittel nötig sind.”
Eine klare Grenze zieht er hingegen bei schwerwiegenderen Krankheiten: „Bei Krebstherapie geht es ums Überleben. Da machen wir keine Experimente, sondern setzen (in Deutschland) etablierte, wirksame Therapien ein. Es wäre unethisch, einem Patienten eine wirksame Therapie vorzuenthalten, nur weil er oder sie eine andere Philosophie verfolgt.“
In diesem Sinne versteht Dr. Schröder die TCM nicht als alleinstehende Alternative, sondern als wertvolle Ergänzung zur westlichen Medizin – quasi eine komplementäre Therapie, die in bestimmten Fällen sogar allein wirksam sein kann. Die Herausforderung und zugleich die Stärke der modernen Medizin liegt darin, die b…