Fiete Wohlers wollte eigentlich einen Freund in Moldawien besuchen, nun hilft er ihm, Spielzeug für ukrainische Kinder herzustellen.
Das blau-gelbe Elastic Toy kann ein Haus, ein Fenster oder ein Pferd sein, was immer sich die ukrainischen Kinder in ihrer fantastischen Spielwelt eben gerade vorstellen, um der Welt um sie herum zu entfliehen. Das Spielzeug in den ukrainischen Nationalfarben entstammt einer kleinen moldawischen Spielzeugwerkstatt, zu dessen Team auch der 24-jährige Fiete Wohlers aus Lüneburg zählt.
Von der Europareise in die Spielzeugwerkstatt
Eigentlich wollte Fiete Urlaub machen, etwas von Europa sehen. Auf seiner Reise macht er in Moldawien halt, einem südosteuropäischen Land mit circa 2,6 Millionen Einwohner:innen, über das trotz der geringen Distanz zu Deutschland wohl die wenigsten wirklich viel wissen. Besuchen will er dort seinen Freund Igor Hincu und dessen Frau Victoria, die er vergangenen November bei einem internationalem Erasmus+-Training in Polen kennengelernt hatte.
Das Paar gründete ein Social Business mit Ladengeschäft in der Hauptstadt Chișinău, welches Kinderspielzeuge herstellt, die logisches Denken und Feinmotorik fördern. Außerdem bastelt und baut das Unternehmer:innenpaar immer wieder mit Kindern und begeistert sie so für handwerkliche Arbeit. Die soziale Art des Unternehmertums begeistert Fiete und er will vor Ort von Igor lernen. Entsprechendes Know-how bringt der 24-Jährige mit: Schon sein ganzes Leben bastelte er gerne, nach dem Abitur absolvierte er eine Tischlerlehre.
Anderthalb Wochen nach seiner Ankunft, am 24. Februar, ändert sich die Situation schlagartig. In der Ukraine beginnt der Angriffskrieg. Für den moldawischen Sozialunternehmer ein indirekter Appell: “Für Igor war nicht die Frage, ob er was macht, sondern eher wie und wann er damit startet”, so Fiete. Zwei Tage nach Kriegsbeginn hat Igor Geburtstag, statt Torte gab es allerdings jede Menge Grübelei. Schließlich die Entscheidung: Er stellt seine Produkte um, produziert nun ehrenamtlich Spielzeuge für Kinder in Geflüchtetenlagern.
Ein Start voller Herausforderungen
Der Plan stand fest, doch der Start der Produktion im ukrainischen Nachbarland ging mit verschiedenen Herausforderungen einher:
“Zum einen war das die Auswahl der Spielzeuge. Es sollten welche sein, die einfach herzustellen sein und an denen die Kinder Spaß haben. Zum anderen fragten wir uns, wo wir das Material herbekommen. In Moldawien gibt es eben nicht einfach mal einen Baumarkt um die Ecke, das macht es schwierig. Außerdem brauchten wir teilweise andere Maschinen dafür, die wir erst kaufen mussten. Vieles kommt über die Grenze von Rumänien, weshalb man Export-Zoll zahlen muss und ohnehin waren die Materialkosten durch den Krieg extrem gestiegen. So entstanden enorme Kosten.”
Fiete Wohlers
Diese Hindernisse kosteten das Team anderthalb Wochen. Und noch immer stellte sich die Frage nach der Finanzierung. Das Team von EduJoc arbeitet ehrenamtlich, Gründer Igor stellte seine Werkstatt zur Verfügung, doch um die Materialien beschaffen zu können, benötigten sie Hilfe.
Unterstützung in Deutschland
Auf der Suche nach Unterstützung erinnert sich Fiete an Matthias, den Gründer von klick e.V.. Ihn hatte er ebenfalls im Vorjahr auf dem Erasmus-Workshop – der passenderweise Sozialunternehmen thematisierte – kennengelernt. Der Verein wurde von engagierten Bürger:innen aus dem niedersächsischen Winsen (Luhe) ins Leben gerufen, um Kulturangebote und kulturelle Partizipation, Begegnungs-, Kommunikations- und Bildungsmöglichkeiten zu schaffen. Dafür kooperiert klick e.V. mit verschiedenen Institutionen – und nun auch mit EduJoc aus Moldawien.
Die in Südosteuropa hergestellten Spielzeuge können über den Onlineshop des klick e.V. erworben werden und werden dann an die Kinder in den moldawischen Geflüchtetenunterkünften gespendet. Der weitere Reinerlös fließt zudem zu 100 Prozent in Hilfsprojekte für Geflüchtete.
Spannende Geschichten mit viel Fantasie
Zwei Spiele hat der Online-Shop nun im Angebot. Das blau-gelbe Holz-Puzzle mit allen Regionen der Ukraine hat eine besondere Botschaft: “Alle Teile ergeben ein Ganzes. Und das soll auch so bleiben!” heißt es auf der Website. Das andere Spielzeug, das sogenannte Elastic Toy, führt Fiete mir im Interview anschaulich vor – aus einem block-ähnlichen Gegenstand entstehen vor meinen Augen durch gelungenes Storytelling des 24-Jährigen die verschiedensten Figuren, Gebäude und Tiere. Doch nicht nur ich bin schnell fasziniert von diesem so simpel erscheinenden blau-gelben Spielzeug: “Man kann damit wirklich super viele Geschichten erzählen, das kommt bei den Kids gut an”, bestätigt Fiete lächelnd.
Noch breiter wird sein Lächeln, als er von seinen Aufgaben in dem kleinen Unternehmen erzählt. Von seiner Unterstützung bei der Planung, was Arbeitsabläufe und Materialauswahl angeht, etwa, bei der ihm seine Kenntnisse aus der Lehre zugutekommen. Auch über die Gegebenheiten vor Ort ist er erfreut: “Igors Werkstatt ist zum Glück gut ausgestattet. Er hat sogar eine Lasermaschine – das macht die Herstellung der Puzzles natürlich leichter.”
Ein internationales Team mit wichtiger Mission
Seit mittlerweile einem Monat verlassen die blau-gelben Spielzeuge die kleine Spielzeugfabrik in einem Vorort von Chișinău. Mittlerweile ergänzen Freiwillige aus Irland, Japan und den USA das Team. Sie alle wohnen in Igors Haus. Fiete berichtet: “Es ist schon ein spannendes WG-Feeling mit ganz unterschiedlichen Charakteren. Trotz einiger mentaler Hochs und Tiefs überwiegt im Team aber eine positive, konstruktive Stimmung – und alle haben Lust, etwas zu tun.” Und alle werden gebraucht. Gerade arbeitet das Team auch an einem Foodtruck, mit dem sie die Camps anfahren und für Verpflegung sorgen wollen.
Auch geflüchtete Menschen leben von Zeit zu Zeit mit in dem Haus der Hincus. Moldawien ist zurzeit vor allem Transitland, d.h. die Menschen bleiben meist nur einige Nächte, um dann ihre Flucht fortzusetzen. Auch sie sind begeistert von der Arbeit und unterstützen das Team nach den eigenen, individuellen Möglichkeiten.
Spielzeug-Übergabe mit Orlando Bloom
Gemeinsam mit Igor war Fiete mehrere Male in den Geflüchtetencamps in Chișinău und an der Grenze gewesen, wo sie bereits mehr als 200 Puzzles an die ukrainischen Kinder verteilen konnten. Auch wenn der Tischler aufgrund der Sprachbarrieren nur wenig von den Erlebnissen der Menschen dort erfuhr, waren die Momente dort doch einprägsam:
“Die Kinder, mit denen wir zu tun haben, sind meist zwischen vier und zehn. Die ganze Dimension dessen, was um sie herum passiert, ist für viele von ihnen noch gar nicht greifbar.”
Fiete Wohlers
Darum seien die Kinder auch schnell im Spielen aufgegangen, erzählt Fiete, und erinnert sich an die Freude der Kinder: “Es ist super bestärkend, den Kindern einen so positiven Input geben zu können und lässt daher eher eine positive Erinnerung zurück.” Doch nicht nur viele Kinder lernte er bei diesem Besuch kennen. Auch den britischen Schauspieler Orlando Bloom traf er dort – und hielt ihn zunächst fälschlicherweise wegen seines Pullis für einen Mitarbeiter des Kinderhilfswerks UNICEF. Gemeinsam mit dem Schauspieler kam es dann sogar zu einigen Interviews über die Arbeit von EduJoc.
Auf der Suche nach einer sinnhaften Arbeit
Eigentlich wollte Fiete anderthalb Wochen bleiben, nun ist er bereits sechs Wochen in Moldawien; einem Land, das sich durch eine vielfältige Landschaft aus Wäldern, Hügeln und Weinbergen auszeichnet. Seine Reise war bereits zuvor geprägt durch Überlegungen zur Sinnhaftigkeit von Arbeit, Gedanken zur persönlichen Entwicklung und der Frage, wie er sich und seine Fähigkeiten einbringen kann. In den letzten Wochen ist er der Antwort auf diese Fragen vielleicht ein kleines Stück näher gekommen.
Schließlich erkennt er im Zweck seines Tuns die größte Motivation: “Zu wissen, dass das, was ich gerade hergestellt habe, den Kindern wirklich eine Freude macht, motiviert natürlich viel mehr als den 08/15-Einbauschrank herzustellen für Leute, die eh schon drei andere im Haus stehen haben”, so der begeisterte Bastler.
Wie lange er noch in Moldawien bleiben wird, weiß er noch nicht. Sicher ist jedoch, dass er auch in Zukunft genau die Sinnhaftigkeit in seinem Tun suchen wird, die er zwischen engagierten Menschen, der allgegenwärtigen Krise und begleitet vom Geruch von Holz fand.
Beitragsbild: Fiete Wohlers