Das älteste Wohnprojekt der Welt, die Fuggerei in Augsburg, wird 500 Jahre alt. Doch Deutschland hat bundesweit viele weitere soziale Wohnprojekte anzubieten.
Anlässlich des 500. Geburtstags der Sozialsiedlung Fuggerei haben wir uns beim GNM dieses und andere Projekte in Deutschland genauer angeschaut. Wie kann es sein, dass Anwohner:innen in der Fuggerei nur 0,88 Cent Jahreskaltmiete zahlen? Und was macht das Leben in solchen Projekten aus?
Bei einem sozialen Wohnprojekt liegt das Hauptanliegen nicht darin, Gewinn mit der Immobilie zu erzielen. Diese Orte legen ihr Augenmerk auf ein gemeinschaftliches Leben, wo die Bewohner:innen bewusst auf den sozialen Austausch, gegenseitige Hilfe und Selbstverwaltung setzen. Wir haben uns das älteste noch existierende Sozialprojekt der Welt, die Fuggerei, und noch zwei weitere Wohnprojekte genauer angeschaut. Von all diesen Projekten liegt der Fokus auf einem gemeinschaftlichen Leben, um so die verschiedensten Personen zusammenbringen zu können und gemeinsam zu leben.
500 Jahre zurückgeschaut, wie alles begann
Die Geschichte der ältesten noch existierendenSozialsiedlung der Welt geht zurück auf das Jahr 1514 mit dem gezielten Erwerb von Grundstücken durch Jakob Fugger “den Reichen”. Er wollte eine Sozialsiedlung für bedürftige Augsburger:innen katholischen Glaubens errichten, die von Armut bedroht waren. Vielen von ihnen waren zum Beispiel Handwerker:innen und Tagelöhner:innen mit oder ohne Familie. Zwei Jahre später, 1516, wurde mit der Erbauung der ältesten Sozialsiedlung begonnen. Schließlich unterzeichnete Jakob Fugger am 23. August 1521 den sogenannten Stiftungsbrief. Bis 1523 wies die Fuggerei bereits 52 Wohnungen auf.
Dunkle Vergangenheit Fuggers
Der Reichtum der Familie Fugger begründete sich hauptsächlich auf ihrer Aktivität als Handelshaus. Sie galten als eine der einflussreichsten europäischen Familien im 14. und 18. Jahrhundert. Im 16. Jahrhundert legten sie einen Teil ihres Kapitals in die Ausrüstung einer Kolonialflotte nach Ostindien. Mit dieser Unternehmung und anderen Bestrebungen waren sie direkt beteiligt und vor allem interessiert an einer Kolonialisierung der damals sogenannten “Neuen Welt” sowie am Versklavungshandel.
Doch zurück zum Sozialprojekt in Augsburg: 1525 erweiterte Jakob Fuggers Neffe, Anton Fugger, die Anlage um die Ochsengasse. Nachdem Jakob seinen Neffen als alleinigen Nachfolger über den Handel bestimmte. Im Jahr 1582 bekam die Fuggerei ihre eigene Kirche, die St. Markus-Kirche. Die letzte Erweiterung der Fuggerei, um ein weiteres Drittel, wurde in den 1970´er Jahren vorgenommen.
Das Leben heute in der Fuggerei
Die unmöblierten Wohnungen in der Fuggerei können bis zu 60 m2 groß sein. Die Reihenhäuser wurden so gebaut, dass zwei Wohnungen übereinander liegen mit jeweils einem eigenen Eingang. Alle Wohnungen im Erdgeschoss besitzen einen kleinen Garten und die oberen einen Speicher. Heute im Jahr 2021 weist die Fuggerei 67 Häuser, 142 Wohnungen, eine eigene Kirche und Verwaltungsgebäuden auf. Insgesamt leben aktuell um die 150 bedürftige Augsburger:innen für eine Jahreskaltmiete von 0,88 Cent.
Den Anwohner:innen stehen viele Hilfen zur Verfügung, wie zum Beispiel die Sozialpädagogen:innen besuchen zu dürfen, welche Ansprechpartner:innen für Sorgen und Nöte sind. Doch daneben haben sie auch Pflichten. Zusätzlich zu der Jahreskaltmiete von 0,88 Euro, müssen sie dem katholischen Glauben angehören und täglichen drei Gebete sprechen. Sie zahlen weitere 88 Cent monatlich für die Fuggerei-Kirche St. Markus und den Pfarrer. Dazu kommen noch die monatlichen 85 Euro für Nebenkosten wie Strom und Heizung. Der Fuggerei ist es des Weiteren wichtig, dass sich die Bewohner:innen im Gemeinschaftsleben einbringen. Indem sie zum Beispiel Gehwege kehren, für ältere Nachbar:innen einkaufen oder Dienste wie die Nachtwache übernehmen.
Apropos Nachtwache: Eine Aufgabe der Nachtwache ist unter anderem, die Tore der Fuggerei pünktlich um 22:00 Uhr zu schließen. Anwohner:innen, die erst danach nach Hause kommen, zahlen den / r Nachtwächter:in 0,50 Cent um hereingelassen zu werden, einen Euro ab Mitternacht.
Warum beträgt die Jahreskaltmiete 0,88 Cent?
1516 legte Jakob Fugger in einem Vertrag mit der Stadt Augsburg fest, dass die Fuggerei steuerfrei bleibt, solange die Jahreskaltmiete der Wohnungen niemals mehr als einen rheinischen Gulden übertrifft. Das entsprach damals dem wöchentlichen Verdienst eines Handwerkers. Umgerechnet entspricht dies einem nominellen und von der Inflation unbeachteten Betrag von 0,88 Cent.
Weitere soziale Wohnprojekte in Deutschland
Auch wenn die Fuggerei einzigartig ist, gibt es doch noch zahlreiche andere soziale Wohnprojekte in Deutschland, die spannende und innovative Ansätze zeigen, wie Wohnen anders gehen kann. An dieser Stelle wollen wir zwei weitere beleuchten.
Wenn aus Fremden die “Wahlverwandtschaft” wird
Die Anfänge dieses Projekts gehen zurück auf das Jahr 2010, als drei Familien die Initiative zum Wohnprojekt „Wahlverwandtschaften“ in Nürnberg starteten. Neun Jahre später konnte es schließlich realisiert werden. Es ist ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt und Gemeinschaftsprojekt, was sich zum Ziel gemacht hat, ein selbstbestimmtes Leben in Achtsamkeit gegenüber Mensch und Natur zu etablieren. Aktuell wohnen 50 Menschen im Neubau.
Beim Hausbau war ein wichtiger Punkt unter anderem, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, weshalb sich die Bewohner:innen für eine Genossenschaft entschieden haben. Je nach Kapitaleinlagen in die Genossenschaft zahlen die Bewohner:innen zwischen 8,50 Euro und 12,00 Euro Miete pro Quadratmeter.
Das Gebäude umfasst fünf Obergeschosse mit insgesamt 31 Wohneinheiten, die zwischen 26 m² und 109 m² groß sein können und größtenteils barrierefrei sind.
Gemeinsam ist alles besser
In der Wahlverwandtschaft wird das Miteinander großgeschrieben, weshalb jedem/r Bewohner:in ein Gemeinschaftsraum, ein Garten, ein Werkraum, ein Jugendraum und Waschmaschinenräume zur Verfügung stehen. Des Weiteren werden alle Entscheidungen zusammen getroffen. Dabei wird nicht nach dem Mehrheitsprinzip gearbeitet. Es wird immer nach einem Kompromiss gesucht, mit dem alle Bewohner:innen leben können.
Alles eine Frage der Miete
Die Miete in einem Mehrgenerationenhaus ist meist eine sogenannte Kostenmiete. Das heißt, die Miete kalkuliert sich hauptsächlich nur danach die Kosten abzudecken und, wenn überhaupt, nur nach einem sehr geringen Gewinn.
So auch bei den Wahlverwandtschaften. Die Miete setzt sich hierbei neben den Verwaltungskosten hauptsächlich aus den Kosten für die Hausverwaltung, Rückstellungen für Instandhaltung und Mietausfallwagnis, Erbbauzins und Tilgung/Abschreibung zusammen.
„Inklusionshaus Dorfmitte“, ein Haus voller Chancen
Das „Inklusionshaus Dorfmitte“ in Waldernbach ist ein noch junges soziales Wohnprojekt. Auch wenn es 2013 bereits die ersten Gespräche über das Inklusionshaus gab, wurde der Spatenstich erst am 29. Juni 2019 getätigt. Finanzielle Unterstützung erhält das Projekt sowohl vom Land Hessen als auch von dem Landkreis Limburg-Weilburg und der Marktflecken Mengerskirchen. Das Inklusionshaus soll benachteiligten Menschen den Zugang zu bezahlbarem Wohnen ermöglichen und die Realisierung von inklusiven, integrativen und sozialen Wohnungen fördern.
Die Struktur des Projektes
Das Projekt besteht aus drei Häusern. Im ersten Haus sind die Wohnungen. So ist im Erdgeschoss die ambulant betreute Wohngemeinschaft für sieben Personen.
Währenddessen sind im Obergeschoss sechs barrierefreie Wohnappartements mit einer Grundfläche von ca. 50 qm entstanden. Hier können Personen mit und ohne Behinderung zusammen leben. Die Wohnungen bestehen auch hier aus einem Wohn- und Essbereich mit Kochnische, einem Schlafzimmer, einem Duschbad sowie einem Flur und Abstellbereich. Alle Bewohner:innen haben die Möglichkeit problemlos eine großzügige Terrasse zu betreten.
In den Nachbargebäuden können die Bewohner:innen entweder in den barrierefreien Jugendraum oder in das Café, was auch Passanten der Stadt zur Verfügung steht. Des Weiteren haben die Bewohner:innen der betreuten Wohngemeinschaft und auch die der inklusiven Wohngemeinschaft die Möglichkeit der Teilhabebetreuung über einen Pflegedienst in Bereichen wie Freizeit, Arbeit und Pflege
Warum alle profitieren würden
Es ist geplant, dass die Hausbewohner:innen, die anderen Hausbewohner:innen assistieren, eine Mieterleichterung erhalten und auch, dass Senioren an der Rufbereitschaft der ambulanten Wohngemeinschaft teilnehmen.
Übrigens…
Mittlerweile gibt es auch Plattformen, wie zum Beispiel wohnsinn.org oder auch bring-together.de, die es sich zum Ziel gemacht haben, die Suche nach sozialen und inklusiven Wohngemeinschaften zu vereinfachen.
Bildquelle: Birgit Böllinger / Pixabay