Ende des Übersehens

Poster-Kampagne verschafft wohnungslosen Menschen Sichtbarkeit

von | 9. März, 2022

Die Posterkampagne home.LESS.fashion thematisiert Zwischenmenschlichkeit und die gesellschaftliche Spaltung zwischen Luxus und Armut.

Es ist traurig und für viele von uns unbewusst Alltag: Stillschweigend an wohnungslosen Menschen vorbeizugehen. In der Beilage des neuen Straßenmagazins fifty-fifty wird das umgedreht. Menschen, die auf der Straße leben, werden zu Postermodels und somit zum Mittelpunkt.          

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Ein Beispiel der Posterkampagne. Der wohnungslose Markus auf dem Titelbild. Foto: Luis Maximilian Limberg

Das Projekt

In der Januarausgabe des Straßenmagazins fifty-fifty gab es eine besondere Beilage. Fotograf Luis Maximilian Limberg und Designerin Ira Dorsch aus Berlin – zusammen nennen sie sich LURA – brachten ihre Posterkampagne home.LESS.fashion nach Düsseldorf. Die Kampagne entstand im Zuge von Iras Bachelorarbeit. Sie schreibt in ihrer Ausarbeitung, dass es das Ziel war, Berlin und seine scheinbaren Randgestalten in die Mitte der Gesellschaft zu holen.

Fifty-fifty ist ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von wohnungslosen Menschen im Raum Düsseldorf. Monatlich erscheint ein Straßenmagazin, welches von wohnungslosen Menschen selbst verkauft wird. Die Hälfte des Erlöses geht an den oder die Verkäufer:in selbst, restliche Einnahmen werden in diverse Projekte investiert. Ein großes Ziel des Vereins ist die Realisation des Housing first-Ansatzes. Dabei handelt es sich um einen aus der US-amerikanischen Sozialpolitik stammenden Ansatz, der sich darauf fokussiert, Menschen ohne Zuhause zuallererst die eigenen vier Wände zu finanzieren. Der Gedanke: Nur mit einer stabilen und sicheren Basis kann zu einem Leben in unserer Gesellschaft zurückgefunden werden.

Einen ähnlichen Ansatz vertritt das Team von GoBanyo aus Hamburg, das durch einen umgebauten Duschbus wohnungslosen Menschen eine menschenwürdige Körperflege ermöglicht. GoBanyo sieht eine direkte Verknüpfung von der Würde des Menschen und der Wertschätzung des eigenen Lebens. Vereine wie GoBanyo und Fifty-fifty bieten wohnungslosen Menschen Unterstützung und Chancen zum Wiedereinstieg. 

Gerade zu Zeiten der Pandemie wurde es für wohnungslose Menschen noch viel schwerer durch den Tag zu kommen und gesehen zu werden. Wo soll man auch hingehen, wenn es heißt man soll zuhause bleiben, aber man hat selbst keines? LURA wollten diese Tatsache in ihrem humanistischen Kunstprojekt aufnehmen und fragten Menschen, welche auf den Straßen der Hauptstadt wohnen, ob sie auf einem Modecover ihrer Wahl posieren möchten.  

Wohnungslose Menschen werden zu Models.
Hinter den Kulissen des Fotoshootings. Foto: Luis Maximilian Limberg

Mit Jogginghose vor dem Karl Lagerfeld-Store  

Es galt, ein Projekt mit und um wohnungslose Menschen zu schaffen, welches die „Riesenspalte zwischen Lifestyle und Überlebensmodus“ aufzeigt, wie es Ira selbst bezeichnet. Die Models wurden in ihrer ungeschminkten Schönheit professionell hergerichtet und fotografiert, um letztendlich auf einem Hochglanzcover abgedruckt zu werden. Völlig bewusst wurde der Stil teurer Modezeitschriften gewählt, um die ganze Aufmerksamkeit auf wohnungslosen Menschen zu lenken. Dabei entstanden Bilder wie beispielsweise der wohnungslose Markus mit Jogginghose vor dem pompösen Karl-Lagerfeld-Store.

Künstler:innenpaar LURA und ihr Team auf der Suche nach wohnungslosen Menschen für ihre Posterkampagne.
LURA und ihr Team bei der Arbeit. Sie suchen wohnungslose Menschen für ihre Posterkampagne. Foto: Luis Maximilian Limberg

Ende des Übersehens – Mensch sein.

Das Kunstprojekt home.LESS.fashion ist ein Beispiel für kreativen Aktivismus. Menschen ohne Ausweis und Haustürschlüssel sind ebenfalls Teil der Gesellschaft und das will das Künstler:innenpaar in Erinnerung rufen. Die sechs Euro, welche manch eine:r für die VOGUE ausgibt, können den ganzen Tag eines Menschen ohne Obdach ausmachen.    

Ira Dorsch und ihr Team konnten mit ihrem Projekt Freude bereiten. Der 40-jährige Markus sagte dankend, dass sie ihm mit dem Shooting einen geheimen Wunsch erfüllt hätten und er solch eine Zwischenmenschlichkeit nur selten erfahren würde, wie Ira Dorsch in ihrer Ausarbeitung schreibt. LURA brachte jenen Menschen Aufmerksamkeit und Anerkennung entgegen, welche es nicht mehr erwartet hatten.

Ergänzend zu der Beilage im Straßenmagazin drehten LURA und ihr Team einen Kino-Werbespot, der in den Programmkinos Düsseldorf zu sehen ist und zum Nachdenken anregt. Was bedeutet Integration und wie viel kann eine kleine Geste wert sein?     

Es ist ein Projekt, das aufweist, wie selbstverständlich Ungleichheiten in unserer Gesellschaft geworden sind. Dass es Menschen gibt, die aus diesem alltäglichen Denken austreten, macht Hoffnung. LURA und ihr Team zeigten dies während der Entstehung ihrer Projektarbeit und so zeigen es auch viele weitere, die sich jeden Monat die fifty-fifty auf den Straßen Düsseldorfs kaufen.   

Es ist ein Aufruf zum Hinsehen.       

Beitragsbild:  Luis Maximilian Limberg      

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Mara Betjemann

Mara Betjemann ist Redakteurin bei Good News Magazin und freie Autorin. Sie ist der Meinung, dass Medien maßgeblich das Denken vieler Menschen beeinflussen und genau deswegen positiver Journalismus noch viel mehr etabliert werden sollte. Neben dem Schreiben für Good News Magazin, studiert sie Sozialwissenschaften in Düsseldorf und genießt das Leben im Rheinland.

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