Lästern ist “böse” – das ist ein Glaubenssatz in unserer Gesellschaft. Die Psychologie sieht das etwas anders: Alle Menschen lästern. Und das hat viele Qualitäten für unser soziales Miteinander.
Das Reden der Anderen
Stell dir vor, du studierst gerade die Zutaten auf der Hafermilchpackung im Supermarkt und hörst auf einmal aus dem Gang nebenan ein Gespräch mit. Es geht um jemanden, der total unzuverlässig ist, keine ernsthafte Beziehung führen kann und verantwortungslos handelt. Und dann trifft dich der Schlag: Du kennst diese Menschen und sie reden über dich.
Kaum etwas tut mehr weh als Mobbing oder Lästern. Aus gutem Grund, denn für unsere Vorfahren bedeutete der Ausschluss aus der Gruppe den Tod. Diese schmerzlichen Erfahrungen kleben förmlich an dem Wort “Lästern”. Deswegen sprechen auch deutsche Forscher:innen lieber von Gossip.
In der Psychologie ist Lästern viel mehr als soziale Bestrafung. Lästern bedeutet einfach: Das Reden über andere nicht anwesende Personen – positiv, negativ oder neutral. Ohne moralische Brille eröffnen sich andere Perspektiven auf ein bekannt geglaubtes Phänomen.
Die positiven Seiten von Gossip
1. Der Grund, warum Menschen überhaupt sprechen
Viele Forscher:innen sind sich einig, dass der Mensch die Sprache vor allem aus einem Grund entwickelte: Um zu tratschen. Tratsch bietet evolutionäre Vorteile. Für diese Theorie spricht auch die Tatsache, dass Menschen über alle Kulturen hinweg lästern.
2. Es geht nur selten darum, anderen zu schaden
Viel öfter lästern Menschen, weil es ihnen Spaß macht. Oder sie wollen wertvolle soziale Informationen austauschen. Das kommt zum Beispiel vor, wenn Mitarbeiter:innen neuen Kolleg:innen Insider-Informationen zur Kultur am Arbeitsplatz verraten.
3. Sich selbst in der Gesellschaft verorten
Oft geht es darum, eigene Positionen mit anderen abzugleichen. Ist es ok, wenn ich mich auf diese Weise verhalte? Wird das von anderen akzeptiert? „Indem ich die Handlungen und Aussagen von Personen in meinem Leben mit anderen bespreche, prüfe ich auch, ob mein eigener Standpunkt valide ist“, sagt Myriam Bechtoldt, Professorin für Psychologie gegenüber Psychologie Heute. Das ist auch der Grund, warum Klatsch und Tratsch über Promis nie an Bedeutung verliert.
4. Schutz für die Gruppe
Wenn doch Negatives über eine Person gesagt wird, dann meistens, um die Gruppe vor dieser Person zu schützen. Experimente haben gezeigt, dass schon Fünfjährige auf diese Art lästern. Das ist sehr wichtig, denn auch Einzelne können in einer Gemeinschaft große Schäden anrichten.
5. Lästern verbindet
Wenn Menschen mit dem Tratsch beginnen, signalisieren sie ihrem Gesprächspartner ein Vertrauensverhältnis. In beruflichen Konstellationen wirkt das Reden über andere wie ein sozialer Kit – besonders, wenn über den Chef oder die Chefin gelästert wird.
6. Menschen verhalten sich sozialer
Alleine das Wissen, dass Andere mich beobachten und über mich lästern könnten, führt dazu, dass Menschen sich großzügig und fair in Gruppen verhalten. Psychologische Versuche haben gezeigt: Wenn der eigene Ruf auf dem Spiel steht, sind Menschen dazu bereit, auf kurzfristige Vorteile zu verzichten.
Soweit die Vorteile von Gossip für das soziale Miteinander. Gleichzeitig weiß die Forschung: Gossip kann auch als mächtiges Mobbing Instrument eingesetzt werden und nachhaltige Schäden in Beziehungen anrichten. So distanzieren sich Menschen von einer Gruppe, wenn sie wissen, dass dort über sie gelästert wurde. Selbst wenn der Klatsch wahr ist. „Die Betroffenen bringen sich für eine kurze Zeit mehr ein, versuchen es wiedergutzumachen, aber die soziale Beziehung zu den anderen im Team leidet unter dem Tratsch“, sagt Bechtoldt.
Wie können wir die positiven Seiten von Gossip nutzen?
Wir wissen jetzt, auch Kritik kann positiv motiviert sein (Punkt 4). Wir können uns also nicht daran orientieren, ob der Gossip an sich positiv oder negativ ist. Myriam Bechtoldt rät dazu, sich zu fragen: “Welches Interesse hat die andere Person gerade daran, mit mir zu lästern?”
Wenn du selbst über eine andere Person reden möchtest, dann empfiehlt Bechtoldt den Fokus auf sich selbst zu lenken. “Machen Sie deutlich, was es mit Ihnen selbst zu tun hat, wenn Sie sich zum Beispiel über jemanden ärgern. Erklären Sie, wie Sie sich fühlen, wenn sich diese Person auf eine bestimmte Weise verhält. Mit dieser Selbstoffenbarung schaden Sie niemandem.” Die Psychologin empfiehlt diese Faustregel:
“Sprechen Sie über nichts mit anderen, was Sie der Person, über die Sie sprechen, nicht auch persönlich sagen würden.” – Prof. Myriam Bechtoldt, Psychologin
Wenn wir glauben, dass unser Gegenüber einer Person schaden möchte, können wir das Gespräch unterbinden und die andere Person in Schutz nehmen. So können wir Klatsch und Tratsch ohne schlechtes Gewissen genießen.