Gelder in der Entwicklungszusammenarbeit: Lösungsansätze gibt es viele

das ist ein GNM+ ArtikelWie wird die Entwicklungszusammenarbeit zukunftsfähig?

von | 18. Dezember, 2023

Seit über 50 Jahren leisten die Länder des Globalen Nordens Entwicklungszusammenarbeit. Mindestens genauso alt, wie die unterschiedlichen Modelle, ist die Kritik an ihnen. Doch wie kann die EZ zukunftsfähig werden? Ein Gespräch mit Dr. Lena Gutheil vom Deutschen Institut für Entwicklung und Nachhaltigkeit.

Das ist ein Beitrag aus unserem fünften Printmagazin mit dem Thema „Auf der Suche nach dem guten Geld“. Du willst diesen und weitere Beiträge sowie besondere Formate gedruckt lesen? Dann schau gerne mal bei unserem Abo vorbei – ganz aktuell sogar mit Geschenken: GNM+ Abo.

Keine Lust auf Abo? Dann kannst du unsere Magazine hier mit tiun als ePaper lesen.

Für alle Mitglieder:
Direkt zur PDF und Audiodeskription springen

Unmut mit der Art und Weise, wie Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird, ist nicht neu. Seit Jahrzehnten wird etwa moniert, dass Gelder nicht bei Partnerorganisationen ankommen, dass lokale Gemeinschaften zu wenig einbezogen werden oder dass zu viele Abhängigkeiten entstehen – um nur ein paar der wichtigsten Kritikpunkte zu nennen. Doch in den letzten Jahren scheinen sich die Lösungsansätze zu mehren und das Interesse an einer progressiven, dekolonialen Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit zu wachsen.

Trügt der Eindruck oder werden Geldströme heute gerechter verteilt als früher? Und falls ja, wie sehen lösungsorientierte Anwendungsbeispiele aus? Diese Fragen beantwortet Dr. Lena Gutheil, Ethnologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm Transformation politischer (Un-)Ordnung am German Institute of Development and Sustainability in Bonn. 

FLORIAN VITELLO: Wenn wir darüber sprechen wollen, wie Gelder im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ausgegeben werden sollten, müssen wir als aller erstes einmal den Begriff klären.

DR. LENA GUTHEIL: Da gibt es mehrere Facetten. Meistens spricht man über die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, also die Entwicklungszusammenarbeit, die zwischen Staaten passiert. Im Fall von Deutschland stellt das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Gelder zur Verfügung, die dann durch sogenannte Durchführungsorganisationen in Partnerländern ausgegeben werden. Bei uns sind das primär die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und die KfW Entwicklungsbank. Dann gibt es natürlich aber auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die Projekte durchführen.

Und ein großer Teil der EZ ist darüber hinaus die multilaterale Zusammenarbeit, wo Deutschland Geld gibt – zum Beispiel im Rahmen der Vereinten Nationen oder der Europäischen Union. Außerdem ist es wichtig zu verstehen, dass die humanitäre Hilfe, die in Katastrophengebieten Direkthilfe vornimmt, nicht unter die Entwicklungszusammenarbeit fällt.

Es fällt gleich zu Anfang auf beim Thema, bevor wir über die eigentliche Arbeit im Wort Entwicklungszusammenarbeit sprechen, sprechen wir zunächst immer über Geld beziehungsweise Geldströme. Wofür wird das Geld denn konkret ausgegeben?

Ja, Geld wird für ganz viele unterschiedliche Dinge ausgegeben. Hierbei müssen wir unterscheiden zwischen finanzieller Zusammenarbeit und technischer Zusammenarbeit. Bei der finanziellen Zusammenarbeit geht es primär um Zuschüsse oder zinsgünstige Darlehen. Darunter fallen zum Beispiel Infrastrukturinvestitionen. Bei der technischen Zusammenarbeit hingegen geht es um Projekte und Programme, die meistens Institutionen oder Individuen stärken sollen oder Zusammenarbeit anregen, um bestimmte Ziele zu erreichen, wie den Klimawandel zu bekämpfen oder Frieden zu sichern. Grob gesagt hat die Entwicklungszusammenarbeit das Ziel, die Lebensbedingungen von Menschen in Partnerländern zu verbessern.

Das Bekämpfen der Klimakatastrophe und ihrer Folgen, das Umsetzen der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, der Einsatz gegen Kinderarmut, Projekte für mehr Bildung und Demokratie weltweit – das alles sind wunderbare Vorhaben. Dennoch hagelt es seit Jahrzehnten zunehmend an Kritik, insbesondere an neokolonialen Strukturen, in denen sich die Entwicklungszusammenarbeit bewegt. Das geht hin bis zu extremen Positionen, die EZ sogar ganz abschaffen wollen. Das ist alles im Grunde nicht neu. Weniger bekannt ist allerdings, dass in den letzten Jahren vermehrt lösungsorientierte Ansätze für die Finanzierung der EZ auftauchen. Welche sind das?

Wir reden ganz oft darüber, dass wir mehr Geld brauchen. Und natürlich ist das in unserem Sektor ganz wichtig, denn mehr Geld bedeutet mehr Projekte, mehr Programme, mehr kann umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang gibt es die Vereinbarung im Rahmen der Vereinten Nationen, dass die Geber 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die  Entwicklungszusammenarbeit aufwenden sollen. Das ist zunächst eine wichtige internationale Marschrichtung und Deutschland schafft das tatsächlich in den letzten Jahren auch, aber es gelingt nicht vielen Staaten in Europa.

Viel wichtiger ist jedoch aus meiner Sicht, wie das Geld eigentlich eingesetzt wird, wie es ausgegeben wird und wie Projekte und Programme tatsächlich durchgeführt werden. Und der Name sagt ja schon Entwicklungszusammenarbeit. Wir leben in einer Zeit, in der wir eigentlich nicht mehr von Entwicklungshilfe sprechen; wo wir sagen, es geht nicht darum, dass wir als europäische Länder euch die Welt erklären oder wir euch entwickeln, sondern um eine Art der partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Stattdessen sollten gemeinsame Interessen und Werte im Vordergrund stehen.

Genau hier setzen moderne, progressive Ansätze an. Sie beschäftigen sich zum Beispiel mit Fragen wie: „Wie kann man Entwicklungszusammenarbeit durch De-Kolonialisierung fairer machen?“ Wir reden ja häufig über eine Partnerschaft auf Augenhöhe. Dafür muss die Vergabe von Geldern flexibler und weniger bürokratisch werden. Und ich glaube, dass sich da ein ganz großes Bewusstsein aufgetan hat in den letzten Jahrzehnten.

Woran können wir das festmachen?

Im Jahr 2014 gab es zum Beispiel ein Manifest namens Doing Development Differently, wo viele Akademiker:innen und auch Menschen aus der Praxis unterschrieben haben, dass sie eine Reform der Entwicklungszusammenarbeit wünschen.

Einer der wichtigsten Punkte des Manifests ist die Lokalisierung. Das bedeutet, man möchte, dass Projekte von den Menschen vor Ort getragen werden und dass es eben nicht darum geht, unbedingt externe Expert:innen mit einer externen Expertise einzusetzen und eine Vision von Entwicklung überzustülpen, die vielleicht nicht mit lokalen Vorstellungen im Einklang steht.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Legitimität. Der Punkt zielt darauf ab, dass wir verstehen müssen, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht nur technisch, sondern auch ziemlich politisch ist. Dass man also, wenn man Projekte durchführt, ein Umfeld braucht, was diese Projekte politisch legitimiert, weil man sonst gegen eine Wand rennt. Vor allem sind Projekte, die nicht gewollt sind, auch nicht nachhaltig am Ende des Tages.

Und ein weiterer wichtiger Punkt ist die Flexibilisierung beziehungsweise die Entbürokratisierung. Den vielen komplexen Problemen in den Ländern des Globalen Südens können wir nicht unbedingt mit einer linearen Planung begegnen. Stattdessen muss man viel flexibler darin werden, Ziele auch mal zu ändern oder Budgets zwischendrin für unerwartete Posten auszugeben. Und genau das wurde in dem Manifest erstmals festgestellt und hat großen Zuspruch gefunden.

Das sind gute Nachrichten. Nur, was hat die Reform der Art und Weise, wie EZ umgesetzt wird, mit ihrer Finanzierung zu tun?

Was ausgezahlt wird, unterliegt natürlich bestimmten Konditionen. Und diese Bedingungen sind maßgeblich dafür verantwortlich, welche Wirkung erzielt wird. Also wenn es heißt, wir haben Projekte und die gehen nur ein Jahr, dann muss vorher geplant werden, wofür was ausgegeben wird. Und wenn das total starr ist, entstehen natürlich schnell Probleme.

Ein Beispiel: In einem Projekt zur Stärkung der Zivilgesellschaft möchte eine Organisation die nationale Regierung beeinflussen, ein bestimmtes Gesetz durchzubringen, was Minderheiten schützt. Und dann gibt es plötzlich einen politischen Akteur, der nach vorne tritt und wo die Organisation ihre Chance sieht, eine Kampagne zu starten, weil sich gerade ein Fenster öffnet. Dann ist das Budget aber Anfang des Jahres festgelegt worden und man kann die Gelder nicht für die aufkeimende Möglichkeit nutzen.

Insofern geht es stark auch um die administrative Logik, die mit dem Geld zusammenhängt. Ein weiterer Punkt ist an dieser Stelle auch noch, dass die Finanzierung in der EZ auch auf höherer Ebene oft an Konditionen geknüpft ist. Zum Beispiel Kredite, die nur ausgezahlt werden, wenn die Partner Auflagen erfüllen.

Das ist doch zunächst einmal verständlich. Auch wenn wir privat Geld verleihen, wollen wir doch wissen, wofür das Geld gebraucht wird und ein gewisses Mitspracherecht haben. Warum ist es dann progressiv, die Finanzierung in der EZ zu flexibilisieren?

Genau das ist der Zielkonflikt, den wir haben: Auf der einen Seite reden wir über öffentliche Gelder, für die wir Steuerzahler:innen aufkommen und da möchten wir natürlich wissen: Was passiert eigentlich mit dem Geld und wird es auch effektiv eingesetzt? Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit ist die Angst sogar besonders groß, das ist ein altes Klischee. Es herrscht der Mythos vor, dass Gelder nur versickern oder für Korruption benutzt würden und dass man da ganz genau hingucken müsse.

Letzteres ist schon richtig. Also eine Rechenschaftspflicht sollte es immer geben, überall da, wo öffentliche Gelder im Einsatz sind. Aber auf der anderen Seite hat sich diese Rechenschaftspflicht meiner Meinung nach in der EZ teilweise verselbständigt. Klar ausgesprochen: Wenn es dann im Endeffekt nur noch darum geht, bestimmte Kästchen abzuhaken oder vorgefertigte Formulare auszufüllen, um darzulegen, dass Gelder effektiv eingesetzt worden sind, schafft das im Endeffekt eine falsche Transparenz, weil diese Art der bürokratischen Rechenschaftslegung die Realitäten vor Ort nicht mehr widerspiegeln kann. Wenn wir nur zählen, wie viele Teilnehmer:innen bei einem Workshop dabei waren, aber nicht darauf schauen, was die Menschen aus dem Workshop mitgenommen haben und welche Veränderungen das angestoßen hat, gibt es ein Problem. Auch die Übernahme von deutschen Verwaltungsstandards ist problematisch. Da kann man ein ganz einfaches Beispiel aus einem Beschaffungsprozess anführen: wenn eine kleine Organisation im ländlichen Afrika drei Angebote benötigt, weil sie einen Stuhl kaufen wollen für ihr Büro, dann läuft etwas schief.

Wir brauchen eine generelle Balance. Einerseits müssen Ausgaben natürlich dokumentiert und Entscheidungen nachvollziehbar dargelegt werden, andererseits, um wirklich zu wirken und transformativ zu sein, muss es eine Flexibilität geben, auch auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren.

Inwieweit finden diese Erkenntnisse denn in der Praxis schon Anwendung?

Es gibt mittlerweile einige Bewegungen in der EZ, die dies versuchen zu verankern. Zum Beispiel Ansätze des Adaptive Managements oder eine weitere Bewegung, die sich Thinking and Working Politically nennt. Im Fokus setzen sich Befürworter:innen dafür ein, die politischen Rahmenbedingungen mit einzubeziehen, sodass bestimmte Projekte tatsächlich flexibel vor Ort verankert sind und eben nicht von oben übergestülpt werden.

Auch in der humanitären Hilfe gibt es den Grand Bargain von 2016, wo sich Organisationen zusammengeschlossen und darauf geeinigt haben, die Hilfszahlungen zu lokalisieren und flexibler zu machen, indem man Projekte oder Programme für mehrere Jahre aufsetzt.

Dass kluge Ideen und Lösungsbeispiele bereits vielfach griffbereit liegen, um individuelle Herausforderungen anzugehen, deckt sich sehr stark mit den Erfahrungen, die wir beim Good News Magazin tagtäglich machen. Wie sieht es in der Finanzierung der EZ aus, wenn aus einem Lösungsansatz vor Ort etwas Gutes erwächst?

Ein gelungenes Beispiel aus der EZ mit der Zivilgesellschaft ist, wenn man zum Beispiel Geld einsetzt, um lokale Fonds zu unterstützen. Häufig kommen Entwicklungsgelder nämlich nicht bei ganz kleinen Organisationen und damit an der Basis an, weil es eben sehr viele Voraussetzungen gibt, die sie erfüllen müssen. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen registriert sein, wenn sie Funding erhalten wollen, müssen ein Bankkonto haben und einen gewissen Grad an Formalisierung aufweisen.

Da gibt es ein tolles Programm, das sich GAGGA (Global Alliance for Green and Gender Action) nennt, wo man tatsächlich das Geld an lokale Fonds gibt, die mit ganz kleinen, informellen Organisationen zusammenarbeiten. Das Programm basiert auf einem Mehrebenen-Ansatz: Lokale NGOs arbeiten mit den informellen Organisationen zusammen und lernen voneinander. Mithilfe internationaler NGOs werden wiederum die Probleme der Menschen vor Ort in weltweite Foren eingebracht. Das ist gerade im Bereich der zivilgesellschaftlichen Förderung ein schönes Beispiel dafür, wie Akteure komplementär zusammenarbeiten können.

Generell gibt es den Trend, weniger internationale Expert:innen einzusetzen und sich mehr auf die lokale Expertise zu verlassen. Die große NGO Oxfam International hat auch beispielsweise ihren Hauptsitz aus dem globalen Norden nach Nairobi, Kenia, verlegt. 

Damit sie näher dran sind?

Genau. In meiner Forschung mit Oxfam in Uganda gab es auch ein weiteres schönes Beispiel, wie man Akteure an der Basis stärken kann. Das Landesbüro hat sich dafür eingesetzt, eine ihrer kleinen Partnerorganisationen im Norden namens Public Affairs Center unter Vertrag zu nehmen und langfristigere Zusagen zu machen. Das war wichtig, denn die Mitarbeiter:innen wurden zuvor immer nur sporadisch angefragt und mussten deshalb nebenbei noch anderen Jobs nachgehen.

In diesem Fall haben sich einzelne Akteure aus dem Landesbüro dafür eingesetzt, um dem Geldgeber zu beweisen, dass die Organisation in der Lage ist, alle Kriterien zu erfüllen. Es war ein sehr bürokratischer Prozess, das notwendige Risiko Assessment durchzuführen, aber sie haben es tatsächlich geschafft und ich glaube daran sieht man auch, dass in der EZ oft die Initiative von wenigen Einzelnen reicht, um die Rechte derer zu stärken, die weiter unten in der Kette sind.

Das ist übrigens leider alles andere als ein Einzelfall, dass die lokalen Akteure keine direkten Verträge oder Projektaufträge bekommen. Eine Zahl, die das verdeutlicht: Wenn man sich die komplette bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen anguckt, dann gehen nur sieben Prozent der gesamten Gelder an Organisationen in Entwicklungsländern. Der Rest geht an internationale Organisationen beziehungsweise an Organisationen in den Ländern der Geber, also an uns selbst. Diese nehmen zwar meist lokale Organisationen unter Vertrag, aber die lokalen Organisationen haben in diesem System weniger Mitspracherecht.

Müssen wir dabei auf die Eigenverantwortung der Organisationen hoffen oder gibt es hier auch finanzpolitische Lösungsbeispiele?

Tatsächlich hat das niederländische Außenministerium vorgemacht, wie es gehen kann: In einem Programm zur Stärkung der Zivilgesellschaft wurde es verpflichtend gemacht, dass Antragsteller:innen aus dem Norden sich zusammen mit mindestens einer Organisation aus dem globalen Süden für die Projektleitung bewerben müssen. So wird sichergestellt, dass lokale Akteure an der Konzeption und Durchführung des Programms beteiligt sind. Es gibt dort auch ein Förderprogramm, das nur auf die direkte Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort abzielt.

Am Anfang des Gesprächs fiel der Begriff „zinsgünstige Darlehen“. Inwiefern sind klassische Kredite oder Mikrokredite noch ein Finanzinstrument der EZ?

Zinsgünstige Darlehen machten 2022 nur fünf Prozent der deutschen bilateralen Zusammenarbeit aus, während 37 Prozent Zuschüsse waren, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Früher gab es vermehrt das Problem der gebundenen EZ, das bedeutet, dass Entwicklungsgelder daran gebunden waren, dass bestimmte Produkte oder Dienstleistungen aus dem Geberland selbst beschafft werden. Damit floss natürlich einiges an Geld im Endeffekt wieder ins eigene Land zurück. Das gibt es aber unter europäischen Gebern nur noch sehr selten.  

Was Mikrokredite betrifft, das gab einen regelrechten Hype, der aber dann wieder abgeflaut ist. Ein Problem ist, dass die Zinsraten teilweise unverhältnismäßig hoch sind. Auch die Unterstützung der Unternehmer:innen kommt manchmal zu kurz und es gibt viele Zahlungsausfälle. So wurden die hohen Erwartungen stellenweise enttäuscht. Auf der anderen Seite haben Mikrokredite ganz vielen kleinen Unternehmer:innen dabei geholfen, erfolgreich ein Business aufzuziehen und es zu unterhalten und tun es auch heute noch. Wichtig ist daher, was die Erwartungshaltung ist. Jetzt zu glauben, Mikrokredite hätten die Durchschlagskraft, die komplette Wirtschaft eines Landes zu sanieren oder Menschen aus der Armut zu befreien, ist naiv. Aber sie sind ein kleiner Baustein, der sicherlich für eine bestimmte Zielgruppe hilfreich ist, die auf dem normalen Finanzmarkt keinen Zugang zu Krediten erhält.

Damit sollten sie auch im Werkzeuggürtel bleiben. Gibt es denn über die genannten Ansätze hinaus noch andere progressive Finanzierungsmethoden?

Denkansätze, die vielleicht bisher noch nicht so stark verfolgt worden sind, die aber auch beim Thema Geld Veränderungen hervorrufen können, gibt es noch einige. Um mal ein Beispiel zu nennen: Die Frage ist ja auch, muss das Geld eigentlich von uns kommen? Es gibt eine Bewegung, die nennt sich #Shiftthepower, wo überhaupt in Frage gestellt wird, dass lokale Organisationen primär ihr Geld aus dem Globalen Norden bekommen. Warum muss das so sein? Es gibt langjährige Traditionen der Philanthropie und der Solidarität und auch des Ehrenamts in vielen Ländern. Das ist natürlich ein großes Thema für viele Organisationen. Wie können wir unabhängiger von Finanzmitteln aus dem Globalen Norden werden?

Das ist zwar zum jetzigen Zeitpunkt noch ein Wunschtraum, und ich sehe den Globalen Norden auch ganz klar in der historischen Verantwortung, Gelder in die EZ zu stecken. Es ist aber intelligent, das Ganze jetzt schon auf den Kopf zu stellen und zu fragen: Wieso müssen sich eigentlich die lokalen Organisationen auf Vorschläge aus dem Globalen Norden bewerben? Könnte man nicht auch eine Plattform schaffen, wo lokale Organisationen sich und ihre Ideen vorstellen und dann wird gefragt, welcher Geber möchte das finanzieren? Einen solchen Prototypen hat zum Beispiel das RINGO (Reimagining International NGOs) Projekt vorgestellt.

Quasi eine riesige Crowdfunding-Kampagne, nur im EZ-Sektor. Dazu fällt mir ein, hier könnten ja auch die Diasporen eine entscheidende Rolle spielen, immerhin machen die Geldüberweisungen in ihre Heimatländer jetzt bereits einen sehr großen Anteil an internationalen Geldströmen aus.

Das ist sogar noch untertrieben, da die Rücküberweisungen global gesehen dreifach höher sind als die Entwicklungszahlungen. Insofern hat man, glaube ich, schon auch in der Entwicklungszusammenarbeit verstanden, dass Akteure in der Diaspora sehr, sehr wichtig sind. Und da gibt es eben auch bestimmte Programme, die das aufgreifen. Es gibt zum Beispiel eine innovative Onlineplattform namens WIDU.africa der GIZ, die Menschen hier in Europa anspricht, die Geld nach Hause schicken. Anstatt Freunden und Familie das Geld für rein private Zwecke zu senden, fließt das Geld in die Unterstützung von deren kleinen Unternehmen und wird aus EZ-Mitteln aufgestockt.

Das Beispiel verdeutlicht, dass auch wenn die großen Strukturen politisch sehr verhärtet sind, so gibt es doch aus der EZ heraus selbst Bewegungen, die das System reformieren wollen. Auch anwendungsorientierte Forschung wie die am IDOS und unabhängige Evaluierungen tragen dazu bei, auf Missstände aufmerksam zu machen und Lösungen aufzuzeigen. Die Veränderungen sind langsam, aber ich bin vorsichtig optimistisch, dass der Druck von unten steigt. Auch im Rahmen der neuen feministischen Entwicklungspolitik des BMZs tun sich Möglichkeiten auf, die zu weiteren positiven Veränderungen führen können. 

Artikel aus dem Printmagazin als PDF ansehen:

print5-Entwicklungszusammenarbeit

b9fb1474912741909593b2c04cefd18a
Unterstütze die Arbeit von Florian Vitello und anderen Autor:innen mit einem GNM+ Abo!

Deine Vorteile:

  • Gut recherchierte positive Nachrichten
  • Nachhaltig gedruckt oder digital
  • Dramafrei und lösungsorientiert

GNM+

Florian Vitello

Florian Vitello ist Co-Gründer des Good News Magazin. Vor dem GNM beriet er internationale Non-Profits zu PR und Digitalisierung. Er studierte in Hamburg, Montevideo und Newcastle upon Tyne Anthropologie, Lateinamerika-Studien und Journalismus. Florian ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins MediaMundo, Autor des Buches "Good News" bei Komplett-Media und arbeitet für WDR 5 und die Lokalzeit.

Good-Newsletter: Melde dich hier gratis an für die Good News der Woche in deinem E-Mail-Postfach.

Diese Good News könnten dich auch interessieren