Utopie oder Realität?

das ist ein GNM+ ArtikelBedingungsloses Grundeinkommen

von | 20. Dezember, 2023

Christina Strohm betreut die Gewinner:innen bei der Organisation Mein Grundeinkommen. Diese erhalten für ein Jahr ein bedingungsloses Grundeinkommen. Was macht das mit dem Alltag?

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Die Organisation Mein Grundeinkommen verlost das bedingungslose Grundeinkommen an mehrere Menschen im Jahr. So wird in der Praxis beobachtet, was die realistischen Auswirkungen des Grundeinkommens auf den Alltag sind. Viele Gründe sprechen dafür. 

Das bedingungslose Grundeinkommen 

Im ersten Moment gibt es nichts dagegen einzuwenden. Jeden Monat 1.000 Euro. Für alle. Ohne Bedingungen. Klingt gut, oder nicht? Und trotzdem gehört es zu einem der umstrittensten Themen in der Politik. Das bedingungslose Grundeinkommen (kurz: BGE) verspricht radikale Vereinfachung und Entbürokratisierung. Hinter dem Konzept steht die Idee, jedem Menschen monatlich bedingungslos eine gewisse Summe Geld zusätzlich zum Einkommen zukommen zu lassen. Dieses Extrageld könnte, so die Idee, das Leben in unserem Land verbessern, denn Geld bedeutet in erster Linie Sicherheit. Wenn sich eine Familie dabei sicher sein kann, dass jeden Monat Geld aufs Konto fließt, auch wenn es gerade nicht so gut läuft wie im vergangenen Monat, dann hat das viele Auswirkungen auf den Alltag und das Wohlbefinden. Es würde eine neue Konstante im Leben aller Familien und Einzelhaushalte bedeuten, welche für viele die monatliche Geldsorge ein Stück weit aushebelt.

Jedoch sind auch in dieser Thematik die Gegenstimmen groß. Das Hauptargument gegen das BGE ist die Finanzierungsfrage. Wie soll ein Staat so viel Geld monatlich aufbringen und wer würde darunter leiden? Das Streichen der Sozialleistungen könnte nur einen kleinen Teil ausmachen, um die enormen Summen für ein BGE für alle zu finanzieren. Außerdem wird häufig das Argument angeführt, dass durch das BGE der Anreiz auf Bildung und Arbeit schwinden würde. Ein Gehalt hat man ja schließlich schon.

Die Beobachtung des Pilotprojektes von Mein Grundeinkommen und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung deuten eher auf das Gegenteil hin. Dort werden Personen, die bereits das BGE erhalten, über einen längeren Zeitraum in ihrem Leben begleitet. Hierbei muss aber betont werden, dass das Pilotprojekt noch im Gange ist und erst im Herbst kommenden Jahres abgeschlossen wird. Die endgültigen Ergebnisse werden sich dann zeigen.

Die Organisation Mein Grundeinkommen hat sich dem Thema BGE mit Herz und Seele gewidmet. Seit 2014 verlost der Verein unter seinen zahlreichen Unterstützer:innen BGE-Pakete und arbeitet an der Verwirklichung einer Vision. Sie schauen sich in der Praxis an, was das zusätzliche Geld mit den Menschen macht. Die Motivation, auf der die Arbeit von Mein Grundeinkommen aufbaut, ist es, das BGE erlebbar zu machen. Die   Bedingungslosigkeit ist dabei nur der Anfang einer langen Dominokette. Und die Steine, die dabei angestoßen werden, sind unter anderem weniger Stress, das Bekämpfen von Existenzängsten, mehr Freiheit und nicht zuletzt neu gewonnener Mut. Jede:r zweite Deutsche ist von Burnout gefährdet und Stress ist ein Faktor für viele Krankheiten. Überarbeitung hat viele Gründe, aber ein essenzieller Faktor ist die finanzielle Absicherung.

„Von 1979 bis 2018 ist die Produktivität fast fünffach so stark gewachsen wie die Bezahlung”, wie im Magazin des Pilotprojektes von Mein Grundeinkommen und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung nachzulesen ist. Aufgrund der Auswirkungen der Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Alltag zunehmend. Das Smartphone und das Mailpostfach sind immer dabei und bereit, aufgerufen zu werden. Da ist es egal, ob gerade eine Ruhephase auf der Couch oder ein Spaziergang ansteht. Das ist einer von vielen Gründen, warum der Stress in unserer schnelllebigen Welt zugenommen hat.

Das BGE kann dazu beitragen, dass auch mal Ruhe zugelassen werden kann oder, dass sich auf dem ausgeruht wird, was man ohnehin schon hat, da ein finanzieller Puffer gegeben ist. Für wieder andere, die sich mit Minijobs über Wasser halten, würde es bedeuten, auch einmal durchatmen zu können. So könnten Familien aus ökonomisch schwächeren Schichten mit dem BGE die Klassenfahrt ihrer Kinder zahlen, ohne an anderen Stellen Abstriche machen zu müssen. Nicht nur der Stress würde für viele sinken, sondern auch die Gesundheit könnte sich steigern. Ein finanzielles Auffangbecken (mag es noch so klein sein) kann ermutigen, endlich den Schritt zu gehen, den viele Menschen schon so lange machen wollen, um beispielsweise die Selbstständigkeit anzustreben, ein Hobby endlich in die Realität umzusetzen oder mehr Zeit für die Liebsten zu haben. 


Angaben einer Umfrage unter den Beteiligten des Pilotprojektes: 

  • 80% der Teilnehmenden des Pilotprojektes geben an mehr Tatendrang zu verspüren
  • 80% geben an mutiger zu sein 
  • 70% empfinden sich als großzügiger
  • 53% kaufen umweltbewusster ein 


Die Zahlen stammen aus einer Online-Selbstauskunft unter Gewinner:innen der BGE-Verlosungen, die 48 Menschen ausfüllten. Es handelt sich hierbei nicht um eine repräsentative oder verallgemeinerbare Erhebung, da sich der Verein bisher auf die qualitative Forschung durch Interviews beschränkt hat.

Quelle: Pilotprojekt Grundeinkommen Magazin

Christina Strohm betreut die Gewinner:innen bei Mein Grundeinkommen und sprach mit mir über die Auswirkungen des BGE im wirklichen Alltag, das Konzept der Verlosung und die realistische Umsetzung in Deutschland. Utopie oder Realität?

Sicherheit und Freiheit

Christina, wie viele glückliche Gewinner:innen gibt es denn pro Jahr überhaupt?

1.570 Gewinner:innen waren es bisher insgesamt. Wir haben im Jahr 2022 insgesamt 343 Grundeinkommen verlost und in diesem Jahr waren es bisher 257.

Und wer bekommt das Bedingungslose Grundeinkommen bei euch?

Also es sind Einzelpersonen, aber es können tatsächlich auch Kinder sein. Alle können gewinnen, egal wie alt. Wir hatten schon Gewinnerkinder, die gerade mal einen Monat alt waren. Und dann sprechen wir natürlich mit den Familien.
Außerdem kann man auch gemeinsam gewinnen. Wenn du beispielsweise mit jemandem im Profil verbunden bist, dann erhalten beide das Grundeinkommen.

Und wie viel ist das dann genau?

Da gibt es zwei Modelle. Es gibt das utopische Grundeinkommen, was wir seit 2014 verlosen. Das sind 1.000 Euro on top pro Monat für ein Jahr. Und dann gibt es das realistische Grundeinkommen. Das sind 1.200 Euro am Anfang des Monats, aber die sind nicht on top. Das ist grundsätzliches Geld, das mit den Einkünften der jeweiligen Personen verrechnet wird und am Ende des Monats wird ein Teil wieder eingespeist. Das zweite Paket ist auch so, wie wir es uns in der Realität vorstellen.

Betreust du die Gewinner:innen dann in regelmäßigen Abständen?

Mein Ziel ist es, auf jeden Fall mit allen mal gesprochen zu haben. Wir wollen ja im Kern herausbekommen, was das bedingungslose Grundeinkommen für den:die Einzelne:n bewirkt und dafür braucht es regelmäßigen Kontakt mit den Gewinner:innen. Das mache ich zusammen mit meiner Kollegin Malina.

Und dann fragt ihr sie über die Auswirkungen im privaten Leben?

Ja, genau. Auf dem Profil auf unserer Website haben die Gewinner:innen angegeben, was sie mit ihrem gewonnen Grundeinkommen anfangen wollen und dann wird im Erstgespräch einmal nachgehakt, ob es denn wirklich umgesetzt wurde, was der Plan war. Und dann gilt es, über das Jahr immer mal wieder lose nachzufragen: ‘Na, was macht das Grundeinkommen?’. Es gibt auch eine Umfrage, die alle dreimal im Jahr erhalten. Einmal am Anfang, dann in der Mitte und noch einmal zum Ende.

Welchen Satz hörst du von den Gewinner:innen am häufigsten? Gibt es da ein allgegenwärtiges Phänomen?


Was ich häufig höre ist: ‘Ich kann das gar nicht glauben’, ‘Ich habe noch nie etwas gewonnen!’ oder ‘Ist das wirklich wahr?! Gibt es euch wirklich?’ Weil für viele ist die Bedingungslosigkeit, dass man einfach Geld bekommt, nicht wirklich fassbar. Wann bekommt man schon einfach so Geld geschenkt? Es ist viel Ungläubigkeit dabei und oft auch der Wille von den Gewinner:innen, das Geld achtsam zu nutzen. Es ist ja kein Lotto, in dem man gewonnen hat, sondern es ist eine Idee dahinter. Über 200.000 Menschen kommen zusammen, die in Kleinstbeträgen das Grundeinkommen zusammensammeln. Das hat eine enorme Bedeutung.


Gibt es etwas, was die meisten Gewinner:innen mit dem Geld anfangen? Beispielsweise den Job aufgeben oder kürzen?

Also es gibt vier Dinge, die die Gewinner:innen mit dem Geld machen und das ist das, was man mit Geld eben machen kann. Das ist: Ausgeben, sparen, investieren und weitergeben. Aber klar, wenn man einfach Geld bekommt, kann man erstmal viele Dinge machen. Ich höre häufig, dass ein Waschmaschine gekauft oder das Auto repariert wird. Aber darüber hinaus bewirkt es auch viele Gedanken darüber: ‘Was mache ich mit diesem Geld wirklich?’

Wechseln denn auch viele ihren Job oder entscheiden sie sich weniger zu arbeiten?


Es geht häufig um Arbeit, aber ob die Menschen dann wirklich eine große Änderung angehen, kann ich schlecht einsehen. Die wenigsten sagen sofort, dass sie weniger arbeiten oder sich selbstständig machen. Das ist dann wirklich ein Prozess, aber es passiert und das Grundeinkommen gibt einen Anstoß.

Also gibt es keine allgegenwärtige Beobachtung unter den Gewinner:innen?

Wenn ich danach frage, was das BGE in ihrem Leben mit sich bringt, ist das, was ich am meisten höre, die Aussage:  ‘Sicherheit und Freiheit’. Und wie das dann interpretiert wird, ist immer unterschiedlich. Wenn man nicht so viel Geld zur Verfügung hat, ist das sicherlich der erste Gedanke und sie sparen es für schlechte Zeiten. Menschen, die aus nicht so schlechten Verhältnissen kommen, haben das Privileg, darüber nachzudenken, was das Geld für sie bedeutet. Zum Beispiel, welche Freiheiten sich dann offenbaren.

Was sind die Hauptgründe für das BGE aus Sicht der Gewinner:innen?

Also Sicherheit und Freiheit (lacht). Und die Gewinner:innen sagen auch immer, dass sich das BGE-Jahr in der Zeit danach weiter ins Leben hinein trägt. Der Zeit liegt eine gewisse Innovationskraft inne und vor allem ein gewisser Sinn für Gesellschaft und Gemeinschaft. Sicherheit und Freiheit sind ja die Grundlage dafür, dass Menschen entspannter sind und das resultiert wiederum darin, dass sie geduldiger, dankbarer und toleranter werden. Außerdem hören sich die Menschen dann auch vermehrt gegenseitig zu. Das BGE gibt auch hier wieder den Anstoß.

Das klingt nach einer entspannten Welt. Auf eurer Website heißt es außerdem, eine Wirkung von BGE sei ‘weniger Konsum trotz mehr Geld’. Ist da wirklich was dran?


Geld ist nicht alles, aber natürlich macht es super viel aus. Es ist Existenzgrundlage und Gewinner:innen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben, für die ist so ein Schwall Geld natürlich erstmal eine Chance. Ich beobachte, dass da viel gekauft wird, aber meistens keine schnellen Konsummittel. Es geht verhältnismäßig oft um Waschmaschinen. Und es geht um Kühlschränke, Reparaturen, um Grundbedürfnisse. Viele Familien schwanken auch auf Bio-Einkäufe um und es geht häufig um Spenden.

Es wird Geld ausgegeben, aber es ist kein schnelllebiger Konsum. Viel Konsum in unserem Leben ist übrigens begründet in dem Leid, das der Alltag mit sich bringt. Manche sehen im Konsum eine Belohnung oder einen Ausweg von einem harten Job oder schweren Umständen. Wenn man sich Gedanken machen kann, wie man wirklich zufrieden leben will, dann ist unsere Annahme, dass der Konsum zurückgeht. Deswegen bringt das BGE weniger Konsum trotz mehr Geld. Das Bewusstsein wächst.

Gibt es da ein Beispiel für was Familien sich entschieden haben, wenn sie plötzlich 1.000 Euro on top haben?

Ich hatte im September zum Beispiel eine Familie eines Gewinnerkindes gehabt, die nun endlich das Hockeytraining ihres Sohnes finanzieren kann. Aber ganz oft wird das Geld auch gar nicht erst angerührt.

Und wie funktioniert das jetzt für alle in Deutschland?

Es ist deutlich geworden, dass wir nicht 81 Millionen Menschen mal 1.000 Euro jeden Monat auszahlen können. Es ist eine schöne Vorstellung, an der wir weiterhin mit unseren Herzen hängen, aber es ist nicht realistisch. Wir haben mit dem Deutschen Institut für Wirtschaft ausgerechnet, dass es finanzierbar ist, aber nur über Steuerumsatz. Also das, was wir aktuell mit dem realistischen Grundeinkommen ausprobieren, mit 1.200 Euro pro Monat und einer Gegenrechnung über Einkünfte. Das ist im Prinzip das Steuersystem, was wir in diesem Paket probieren zu imitieren.

In Frankfurt war zuletzt der Kongress der Gesellschaft und es wurde besprochen, welches Steuersystem für das deutschlandweite BGE-Konzept das realistische ist. Was war das Ergebnis?

Das Grundeinkommen könnte Sozialleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld oder BAföG ersetzen und dadurch ist bereits ein großer Teil davon finanziert, was das Grundeinkommen kosten wird. Dann gibt es aber auch noch eine Lücke, die wir füllen müssen, die nicht vollständig finanziert ist. Hier kam die Frage auf, welche Steuern das betrifft. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Zum Beispiel die CO2-Steuer, die Konsumsteuer oder die Einkommenssteuer. Und wir haben auf dem Kongress der Gesellschaft 7.000 Menschen abstimmen lassen, welchen Weg sie als realistisch erachten. Es kam dabei heraus, dass viele einen Mix aus mehreren Wegen bevorzugen. Was super ist, weil es uns gezeigt hat, dass sich die Menschen wirklich mit Steuern auseinandersetzen und sich informieren. Im Grunde haben wir über eine Steuerreform abgestimmt. Dafür sind wir sehr dankbar.

Wenn man das so hört, klingt es ja so, als wäre das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland durchaus machbar?

Ja. Hoffentlich so schnell wie möglich.


Christina Strohm, Gewinner:innen Geschichten und Moderation

Christina hält den persönlichen Kontakt zu über 1.500 Grundeinkommens-Gewinner:innen, sammelt und erzählt ihre Geschichten. Sie erforscht die Wirkung des Grundeinkommens durch Gespräche und Umfragen unter den Gewinner:innen. Dabei will sie wissen: Was machen die Menschen mit dem Grundeinkommen und was macht das Grundeinkommen mit den Menschen? In Interviews und Artikeln erzählt sie die einzelnen Geschichten, aber auch, was sie alle verbindet. Außerdem co-moderiert Christina die Grundeinkommens-Verlosungen mit dem Ziel, das Thema Grundeinkommen zugänglicher und populärer zu machen, um noch mehr Menschen zu begeistern.

Beitragsbild: ©Fabian Melber

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Mara Betjemann

Mara Betjemann ist Redakteurin bei Good News Magazin und freie Autorin. Sie ist der Meinung, dass Medien maßgeblich das Denken vieler Menschen beeinflussen und genau deswegen positiver Journalismus noch viel mehr etabliert werden sollte. Neben dem Schreiben für Good News Magazin, studiert sie Sozialwissenschaften in Düsseldorf und genießt das Leben im Rheinland.

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