Das können sich Medienmacher:innen von GEOlino und Co. abschauen

das ist ein GNM+ ArtikelIst Kinderjournalismus der bessere Journalismus?

von | 20. Oktober, 2023

Kinderjournalismus ist einfacher verständlich, lösungsorientierter und praxisnaher. GEOlino-Redakteurin Verena Linde erklärt im Interview, welches Potential darin steckt, wenn sich auch Erwachsenenjournalismus mehr an diesen Attributen orientieren würde. 

Das ist ein Beitrag aus unserem vierten Printmagazin mit dem Thema „(Keine) Kinder“. Du willst diesen und weitere Beiträge sowie besondere Formate gedruckt lesen? Dann schau gerne mal bei unserem Abo vorbei – ganz aktuell sogar mit Geschenken: GNM+ Abo.

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Geht es um komplexe Phänomene wie die Klimakrise, tendieren überregionale Qualitätsmedien schnell zu Fachjargon und Logiksprüngen. Verständlich erklären, was es denn nun mit Treibhauseffekt und Co. auf sich hat, fällt einigen Journalist:innen, die über diese Themen schreiben, hingegen schwer. Dessen ist sich auch Verena Linde sicher. Sie ist seit 15 Jahren bei GEOlino Textredakteurin und nimmt seit 2020 als Leitung redaktionelle Formate zudem eine Schnittstellenfunktion zwischen Organisationen oder anderweitigen Akteur:innen ein. In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat sie ein ausgeprägtes Verständnis für Kinderjournalismus entwickelt, im Speziellen dafür, wie Kindern komplizierte Sachverhalte vermittelt werden können. Mit dem Good News Magazin hat sie darüber gesprochen, welche Herausforderungen es mit sich bringt, für Kinder zu schreiben – und was sich große Medienhäuser vom Kinderjournalismus abschauen könnten.

GEOlino: Seit 1996 erklärt die Kinderzeitschrift GEOlino des Hamburger Verlagshauses Gruner + Jahr Leser:innen von neun bis 13 Jahren die Phänomene ihrer Lebenswelt. Behandelt werden dabei Themen wie Natur, Wissenschaft, Geschichte und Kultur. Seit 2009 gibt es außerdem das Format GEOlino Mini, das sich an Kinder von fünf bis acht Jahren richtet, danach folgte Mein erstes GEOlino Mini für Entdecker:innen von drei bis fünf Jahren.  

Good News Magazin: Verena, erzähl mal: Was ist das Tolle an Kinderjournalismus?

Verena Linde: Du hast eine ganz andere Themenfreiheit. Grundsätzlich kannst du fast alles machen. Wenn ich jetzt sage: Ich wollte schon immer mal eine Geschichte über Kaiser Nero schreiben, kann man da bei uns einen Platz finden. Du kannst eigentlich jedes Thema pitchen, worauf du Lust hast. Das macht unheimlichen Spaß. Vielleicht hast du auch mehr Faktor Wahnsinn und Quatschmöglichkeiten. Das zeigt sich, wenn wir zum Beispiel Tiere “interviewen”, also die Fakten in ihren ausgedachten Antworten verpacken. Das hat mit einem Heft über Dinosaurier angefangen – eigentlich war ich nicht scharf auf das Thema, inzwischen bin ich die Superexpertin bei uns zu Dinos: Damals hatten wir ein Stück drin, wo wir Filmdinos fiktiv interviewen und die einmal zu Wort kommen, wie sie ihre Rolle finden und was daran eigentlich totaler Quatsch ist. Dennnatürlich entsprechen viele Dinos, die in den Sechzigern, Siebzigern oder Achtzigern erschienen sind, gar nicht mehr dem wissenschaftlichen Stand von heute. Zum Beispiel sagt dann einer: “Im Film musste ich die ganze Zeit meinen Schwanz auf den Boden legen, das würde ich im wahren Leben nie machen.” So etwas transportiert dann trotzdem noch Wissen – und in diesem Fall geht es eben darum, dass die Wissenschaft immer weitergeht und neue Erkenntnisse liefert – und das Ganze ist trotzdem noch lustig zu lesen. Und eben auch lustig zu schreiben, muss man sagen. 

Wie schaffst du es, dich in die Position von Kindern zu versetzen?

Das wundert mich manchmal selber auch. Also inzwischen habe ich Kinder, hatte ich aber nicht, als ich angefangen habe. Klar, man hat so ein bisschen Kontakt zu Kindern, wenn man eine Reportage über sie macht, ein Portrait, und sie dann trifft. Wir haben auch immer mal Schulklassen eingeladen, die eine Heftkritik gemacht haben. Dann sieht man die Leserinnen und Leser mal wirklich und gewinnt durch den direkten Kontakt auch Erkenntnisse – zum Beispiel, dass man bei englischen Wörtern noch die Aussprache dazuschreiben sollte. Aber viel liegt auch einfach im Bauchgefühl, das man mit der Zeit bekommt. Es sind nicht die besten Autoren und Autorinnen, die selber Kinder haben, das spielt da gar nicht so eine Rolle. 

Wo liegt der größte Unterschied zwischen Kinderjournalismus und “normalem” Journalismus für Erwachsene?

Man kann unsere Texte gut – und das werden sie auch – Erwachsenen vorsetzen. Umgekehrt ist es schwieriger. Wir achten zum Beispiel darauf, keine Fremdwörter zu benutzen, ohne sie zu erklären – oder wir benutzen sie eben nicht. Auf der anderen Seite müssen wir bei Erklärungen lückenlos erklären, immer ganz transparent von einem Schritt zum nächsten gehen, ohne Verständnissprünge. Deswegen scheuen wir uns in Interviews auch nicht zu sagen: “Und jetzt erklären Sie es mir bitte nochmal, als wäre ich neun.” Ich habe auch schon erlebt, dass Experten dann in so einen Ton-Singsang verfallen, als wäre ich drei Jahre alt. Schon eine Erfahrung [lacht]. Aber das ist das, was uns unterscheidet – und Erwachsene zu schätzen wissen, wenn sie unsere Texte lesen. Die Ansprache ist gar nicht so anders. Sie ist vielleicht so ein bisschen näher und persönlicher, aber sie darf auch nie anbiedernd oder pseudocool sein, sonst verlieren wir gleich ganz viele Leser und Leserinnen. Außerdem achten wir intuitiv darauf, die Kinder nicht zu überfordern und ratlos zurückzulassen, was man Erwachsenen vielleicht noch mehr zumuten würde, obwohl es auch bei ihnen nicht sinnvoll ist. 

Wie setzt ihr das konkret im Magazin um?

In der Rubrik Weltretter stellen wir Kinder vor, die helfen, sich irgendwie engagieren, sei es für die Umwelt, sei es sozial. Da geht es uns darum, ein Vorbild zu schaffen und nachahmenswert darzustellen, auch mit konkreten Hinweisen. Wir haben bei dieser Rubrik nicht nur dieses kleine Porträt, sondern auch zwei Kästen. Der eine betrifft Wissen, der andere Machen. Im Wissen-Kasten bieten wir Hintergründe zu dem allgemeinen Thema und unter Machen geben wir den Kindern Tipps an die Hand, wie sie selbst etwas bewirken können.

Journalismus für Erwachsene wird häufig dafür kritisiert, diese Handlungsoptionen eben nicht aufzuzeigen. Wieso läuft das im Kinderjournalismus besser? 

Kinder fordern das mehr ein. Die sagen auch manchmal bei einer UNICEF-Geschichte [Magazinformat in Zusammenarbeit mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.]: “Wie kann ich selber was für das Mädchen xy tun, damit es wieder genügend Schulhefte hat? Ich möchte was tun!” Das tun Erwachsene in dem Maße vielleicht nicht. Sie sind abgeklärter, haben sich daran gewöhnt, dass es Missstände gibt, an denen sie nichts ändern können. Aber ich glaube, dass der Impuls auch öfter da ist, dann vielleicht nicht laut gemacht wird und dass die Angebote bestimmt wahrgenommen werden. Denn wer kennt sich denn wirklich mit den Möglichkeiten des Ehrenamts aus? Das sind ja nur ganz, ganz wenige, die dann wirklich auf die Suche gehen. Es springt einen ja nicht so an. Wenn Journalismus da noch konstruktiver würde, wäre das bestimmt ein Feld, das auf fruchtbaren Boden stößt bei den Leserinnen und Lesern. 

Kinderjournalismus heißt auch, sehr komplexe Themen und Inhalte einfach herunterzubrechen. Welche Herausforderungen bringt dieser Zwang zur Einfachheit mit sich? 

Wir müssen uns einfach mehr Zeit und Platz nehmen, um etwas zu erklären, um es vollständig, von vorn und ohne Lücken erklären zu können – und vielleicht auch mal die Optik zur Hilfe zu nehmen. Wichtig ist aber, nicht so sehr zu vereinfachen, dass es nicht mehr stimmt. Wir haben eine Verifikation in der Redaktion, einen Fact-Checker, der alles noch mal anguckt und prüft. Der springende Punkt ist, dass wir als Journalistinnen und Journalisten auch den Sachverhalt verstehen müssen. Man hat manchmal das Gefühl, wenn man in die Medien guckt, dass jemand da, wo er es nicht so richtig durchdrungen hat, vielleicht einen ganz kleinen Sprung in der Geschichte drin hat. Das können wir uns nicht erlauben.

Erklärt man Kindern ihre Lebenswelt, kann man die Klimakrise längst nicht mehr ausklammern. Wie schaffst du es, Kindern dieses bedrückende Thema näherzubringen und dich nicht selbst davon unterkriegen zu lassen?

Wir wollen den Kindern Informationen darüber geben, was für sie relevant ist. Ihnen den Blick auf die Welt ermöglichen und den kritischen,den erklärenden und den anregenden. Und da gehört die Klimakrise unbedingt dazu. 

Gleichzeitig ist es für mich ein Motivationsfaktor. Also klar, es ist mein Bürojob, ich werde dafür bezahlt. Aber ich sehe darin ja viel Sinn. Es ist ja ein Bürojob, den ich als sehr, sehr sinnstiftend empfinde. Und wenn ich meinen Beitrag leisten kann, indem ich darüber aufkläre und kommuniziere, was    man tun kann, wie es etwas besser werden kann, dann ist das für mich eine Bereicherung und keine Belastung.

Inwiefern beschäftigt es dich auch persönlich, dass du über die Klimakrise recherchierst?

Ich habe mal einen Selbstversuch gemacht, einen Insektenburger gegessen. Da ging es um Fleisch-Ersatz und dergleichen und da habe ich das eben probiert – das hätte ich sonst bestimmt nicht gemacht [lacht]. Der war aber lecker! Oder auch so Kleinigkeiten, wie man Plastik vermeiden kann, und das hat man dann im Hinterkopf. Das ist vielleicht etwas, das man sowieso weiß, aber wenn man gerade darüber geschrieben hat, dann ist man da noch ein bisschen disziplinierter.

Was war dein Lieblingsartikel?

Das weiß ich sofort: Das war eine Geschichte über einen 14-Jährigen, der das Segelfliegen lernt. Das war total cool, weil ich da ein ganzes Wochenende mit den Kindern abgehangen habe auf dem Segelflugplatz, ich selbst auch segelfliegen durfte und abends mit am Lagerfeuer saß. So konnte ich richtig tief einsteigen in das, was mich selbst auch interessiert, und sogar die Fliegersprache in den Text einfließen lassen. Das war eine richtig runde Sache und hat mir sehr Spaß gemacht!

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Print4-Kinderjournalismus

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Nina Kegel

Nina ist stellvertretende Chefredakteurin beim Good News Magazin und vor allem eins: Neugierig. Immer auf der Suche nach Good News beschäftigt sie sich am liebsten mit Themen rund um einen nachhaltigen Wandel – egal ob kreatives Bauprojekt, ökologische Initiative oder innovatives Unternehmenskonzept, sie lässt sich für vieles begeistern. Außerdem studiert sie im Master Medienkultur und Globalisierung.

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