Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) setzt sich für die Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte weltweit ein. Ziel der Stiftung ist es, zu einer nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung beizutragen, das Menschenrecht auf Familienplanung zu stärken und insbesondere in Ostafrika jungen Menschen die selbstbestimmte Entscheidung über ihre Sexualität und Verhütung zu ermöglichen.
Das ist ein Beitrag aus unserem vierten Printmagazin mit dem Thema „(Keine) Kinder“. Diesen und weitere exklusive Beiträge gibt’s im GNM+ Abo
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Das erste Mal von der 1991 gegründeten Deutschen Stiftung Weltbevölkerung hörte ich in Melinda Gates Buch “Wir sind viele, wir sind eins: Wenn wir die Rechte der Frauen stärken, verändern wir die Welt”. Obwohl die DSW in Deutschland gegründet wurde, kannte ich ihre Arbeit nicht. Was mir vor allem durch das Buch in Erinnerung blieb, war der Umstand, dass die DSW junge Menschen und vor allem junge Frauen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte (SRGR) aufklärt. Während in Deutschland in den Medien eine sinkende Geburtenrate angeprangert wird, ist diese Entwicklung anderswo auf der Welt keine Hiobsbotschaft, sondern eine Botschaft gestärkter Rechte der Frauen und oft auch eine eines steigenden Lebensstandards. Ich fand die Arbeit der DSW so spannend, dass ich sie seit 2019 als Spenderin unterstützte. Umso schöner, für das Good News Magazin direkt mit der Stiftung Kontakt aufzunehmen und nicht nur für unsere Leser:innen, sondern auch für mich selbst all jene Fragen zu klären, die mir ob ihrer Arbeit auf der Seele brannten. Angela Bähr, die stellvertretende Geschäftsführerin und Direktorin für Projekte & Programme, stand mir dabei Rede und Antwort.
Ein paar Fakten aus dem DSW-Flyer vorab:
- Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt sowie unsichere Abtreibungen sind die häufigsten Todesursachen bei Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren.
- Hätten alle Frauen und Mädchen Zugang zu zuverlässigen Verhütungsmitteln, würde die Zahl der ungeplanten Geburten jährlich um 23 Millionen sinken – mehr als ein Viertel des derzeitigen jährlichen Bevölkerungswachstums.
- 214 Millionen Frauen weltweit möchten eine Schwangerschaft vermeiden, haben aber keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln. In Afrika südlich der Sahara ist das jede zweite Frau im gebärfähigen Alter.
- Zwölf Millionen Mädchen unter 18 Jahren werden jährlich zwangsverheiratet.
- Mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen sind an ihren Genitalien verstümmelt.
Good News Magazin: Die hannoverschen Unternehmer Erhard Schreiber und Dirk Roßmann gründeten die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung 1991. Angesichts der Thematik erwartet man womöglich eher nicht, dass zwei Männer hinter solch einer Idee stehen. Wie kam es dazu?
Angela Bähr: Der mittlerweile leider verstorbene Erhard Schreiber und Dirk Roßmann kannten sich aus Hannover und diskutierten 1991 den Gedanken, vor welche Herausforderungen uns das schnelle globale Bevölkerungswachstum stellen könnte. Im Austausch mit zahlreichen Expert:innen kristallisierte sich der breitere Stiftungszweck – die Förderung eines nachhaltigen Bevölkerungswachstums – heraus.
Die Welt war damals noch eine andere – allein wenn man sich die Rechte der Frauen anschaut. Die Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen 1994 in Kairo erklärte die Stärkung von Frauenrechten und die Gleichberechtigung als elementar für die nachhaltige Entwicklung weltweit. Frauenrechte wurden dann auf der Vierten Weltfrauenrechtskonferenz in Peking 1995 erstmals als Menschenrechte verankert. Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung wurde wichtiger und damit auch, dass Frauen und Mädchen ein Recht darauf haben, zu entscheiden, mit wem und wann sie wie viele Kinder bekommen wollen. Dieser Durchbruch war ganz entscheidend – auch für unsere Arbeit. Erstmals hatten Frauen – und auch Männer – ein Recht auf Sexualaufklärung und eine selbstbestimmte Entscheidung. In diesem Zusammenhang ist uns wichtig, uns von staatlichen Maßnahmen wie der Ein-Kind-Politik in China deutlich abzugrenzen. Uns ging es seit jeher um Selbstbestimmung und Achtung der Menschenrechte – auch der Staat sollte nicht über die reproduktiven Rechte einer Frau entscheiden.
Warum gerade dieser Fokus auf Ostafrika in Ihrer Arbeit?
Das östliche Afrika war aufgrund von Gesundheits- und Armutsindikatoren ein geeigneter Standort für unsere Arbeit. Ein weiterer Faktor war eher ein Zufall: das Fachwissen in Bezug auf diese Region von Prof. Dr. Rolf Korte, der uns als Mediziner und damaliger Abteilungsleiter für Gesundheit und Bildung der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit rund um die Gründung der Stiftung beriet. Die DSW ist für deutsche Verhältnisse eine mittelkleine Stiftung und wir müssen unsere Aktivitäten auf Schwerpunkte und Länder konzentrieren.
Das erste Länderbüro eröffneten wir in Äthiopien, und die Expansion erfolgte schrittweise. Eigene Trainingszentren haben wir nach und nach in Äthiopien, Tansania und Uganda etabliert. In Uganda freuen wir uns, dass wir die Verantwortung mittlerweile an die lokale Organisation Action 4 Health übergeben haben. Auch wenn wir weiter eng zusammenarbeiten: Es ist uns sehr wichtig, diesen Übergang geschafft zu haben und nicht nur die Menschen vor Ort zu empowern, sondern die Arbeit zu sexuell-reproduktiver Gesundheit in lokale Strukturen zu überführen.
Sie sagen “mittelklein” – wie viele Mitarbeitende haben Sie insgesamt?
Wir beschäftigen rund 160 Mitarbeitende, von denen ca. 45 in Europa in Büros in Brüssel, Hannover und Berlin tätig sind. Alle anderen sind lokale und nationale Mitarbeitende in den nun drei ostafrikanischen Ländern vor Ort, mit Äthiopien als unserem größten Büro-Standort.
Was genau passiert in den angesprochenen Trainingszentren?
Dort bieten wir Schulungen zur sexuellen Gesundheit und Rechten, zur Jugendförderung und wirtschaftlicher Entwicklung für Jugendliche an. Doch die Situation vor Ort hat sich verändert: In Tansania und Uganda finden die lokalen Trainings weniger im Trainingszentrum, denn direkt vor Ort statt. Das heißt, das Team geht direkt in die Gemeinden, um die Jugendlichen daheim zu erreichen. In Äthiopien ist dies auch der Fall, doch gleichzeitig wurde aus dem Trainingszentrum ein richtiges Bildungscenter, das wir auch an andere Akteure vermieten und so eine breitere Nutzung ermöglichen.
Wie holen Sie religiöse Führer:innen oder Gemeinde-Chef:innen mit Ihrer Arbeit ab? Nur die Jugendlichen zu bilden, dürfte vielleicht nicht reichen, oder?
Unser Ansatz ist schon, junge Erwachsene als primäre Zielgruppe anzusprechen, hauptsächlich im Alter von 15 bis 24 Jahren, manchmal auch ab zwölf Jahren. In den Ländern, in denen wir vertreten sind, sind fast 50 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahren. Ihre Bedürfnisse und Interessen müssen berücksichtigt werden! Ein Schwerpunkt liegt darauf, Jugendlichen eine Stimme in ihren Dorfgemeinschaften zu geben. Nur wenn ich zu Besuch bin, dann darf ich im Kreis der männlichen Ältestenräte und Gemeinschaftsführer sitzen – aber auch nur, weil ich als weiße Frau aus Europa komme. Daher ist uns wichtig, dass unser Team in den jeweiligen Ländern lokalen Ursprungs ist und die kulturellen und sozialen Aspekte kennt und wir nicht als Europäer:innen einfliegen und den Dialog suchen.
Letztes Jahr zum Beispiel unterstützten wir mit einer anderen Nichtregierungsorganisation ein Projekt speziell im Dialog mit religiösen Führer:innen in Kenia: Wir überlegten gemeinsam: Wie kann das Thema SRGR in den Gemeinden aufgenommen werden? Das war kein leichtes Unterfangen, da wir in den Antworten zügig bei Enthaltsamkeit als “einfachsten Weg” sind. Doch ein Predigen der Enthaltsamkeit hilft nur wenig den jungen Frauen und so ist es wichtig, den Menschen andere Möglichkeiten mit an die Hand geben. In vielen unserer Projekte setzen wir auf den intergenerationalen Dialog und arbeiten eng mit Elterngruppen, Dorfältesten und anderen Gemeindevertreter:innen zusammen.
Neben der Religion gibt es sicher auch Unterschiede bei der Ansprache von jungen Frauen und jungen Männern sowie deren Akzeptanz Ihrer Arbeit?
Absolut. Wir streben danach, in unseren gemischten Jugendförderzentren eine ausgewogene Geschlechterverteilung zu erreichen, was aufgrund sozialer Normen und familiärer Verpflichtungen jedoch oft eine Herausforderung darstellen kann. Junge Mädchen und Frauen sind entweder von den Eltern noch gut behütet oder schon Teenage-Mütter und kümmern sich um kleine Kinder. Wir versuchen vermehrt, junge Frauengruppen zu fördern – vor allem auf Dorfebene –, um ihnen einen sicheren Raum für den Erfahrungsaustausch und gegenseitige Stärkung zu schaffen. Doch es ist von entscheidender Bedeutung, dass unsere Arbeit nicht nur Mädchen anspricht. Wir fördern beispielsweise die Schaffung von Kleinstunternehmen oder bieten Berufsausbildungen an. Wir verbinden dies mit Ausbildungen im Bereich der SRGR, damit diese Informationen auch junge Männer erreichen. Dies trägt dazu bei, ein neues Bild von Männlichkeit zu vermitteln und sensibilisiert für Themen, die bisher von ihnen vielleicht vernachlässigt wurden. Da fällt mir ein Jugendlicher ein, der nach Besuch eines Trainings zu Menstruation und Pubertät plötzlich sagte: „Jetzt habe ich endlich verstanden, warum es meiner Schwester einmal im Monat so schlecht geht!”
Allein auf nationaler Ebene zeigt sich, dass bei gesundheitlicher Geschlechtergerechtigkeit noch Aufklärungsarbeit notwendig ist. Daher wundert mich auch, wie die Unterstützung der DSW in unseren politischen und gesellschaftlichen Kreisen aussieht. Kämpfen Sie da immer noch gegen Windmühlen oder ist man offen für Ihre Arbeit?
Die DSW ist direkt seit ihrer Gründung aktiv in der politischen und entwicklungspolitischen Arbeit, sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene. Ein großer Erfolg war der 2003 durch unsere Initiative gegründete Parlamentarische Beirat für Bevölkerung und Entwicklung, der sich mit den Zusammenhängen zwischen nachhaltiger Entwicklung, globaler Gesundheit, sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten sowie Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzt. Ja, die Umsetzung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung ist selbst in Deutschland nicht immer einfach. Und natürlich gibt es auch Kritik, zum Beispiel von rechtspopulistischer oder sehr christlicher Seite. Im privaten Fundraising und in der Kommunikation möchten wir einerseits diesen anderen Positionen respektvoll begegnen, gleichzeitig aber unsere Themen positiv belegen und mit den so wichtigen Daten und Fakten untermauern. Unsere Arbeit ist insofern in Deutschland und Europa einfacher, da es möglich ist, über sexuelle und reproduktive Gesundheit in jeder Form zu sprechen und LGBTQI+-Rechte verfassungsrechtlich anerkannt sind. Glücklicherweise haben wir hier in Deutschland Verfassungsrechte, aber in Ostafrika stehen wir da vor größeren Herausforderungen.
Welche genau sind das?
Ein drastisches Beispiel für einen Rückschritt ist leider aktuell Uganda, wo seit drei Monaten eine erschreckende und menschenrechtsverachtende Gesetzgebung gegen gleichgeschlechtliche, sexuelle Beziehungen in Kraft ist, die sogar mit Todesstrafe geahndet werden können. Auch in Kenia gibt es bedauerlicherweise neue Entwicklungen: Eine neue Gesundheitsrichtlinie für Jugendliche wurde eingeführt, die auf den ersten Blick positiv erscheint und auch dringend benötigt wurde. Allerdings besagt diese Richtlinie, dass Verhütungsmittel für Jugendliche unter 18 Jahren nicht mehr im öffentlichen Gesundheitssystem ausgegeben werden. Die einzige Ausnahme ist, wenn ihre Eltern ihre Zustimmung geben. Diese neue Regelung erschwert unsere Arbeit erheblich. Im Angesicht der steigenden Zahl von Teenagerschwangerschaften und unsicheren Abbrüchen, sind solche restriktiven Maßnahmen von staatlicher Seite sehr, sehr schwierig. Die Arbeit der DSW in Bezug auf Aufklärung und jugendfreundliche Gesundheitsdienstleistungen wird dadurch erschwert, aber wir setzen uns weiterhin entschlossen für die Selbstbestimmung und Gesundheit von jungen Mädchen und Frauen vor Ort ein.
Angesichts der Komplexität Ihrer Arbeit ist das sicher schwierig, zusammenzufassen – doch was sehen Sie persönlich als die größten Erfolge der DSW seit ihrer Gründung?
Die Information und Aufklärung zu SRGR ist ein Faktor dafür, dass die Geburtenraten in Äthiopien beispielsweise in den letzten 30 Jahren erheblich zurückgegangen sind, auch in Kenia und Tansania zeigen sich langsame Abnahmen. Leider drohen die zuvor genannten politischen Entwicklungen im Bereich der Förderung von SRGR für Jugendliche diese Fortschritte zunichtezumachen. Die DSW trägt ihren Teil dazu bei, insbesondere in kleineren Gemeinden. Allein im Jahr 2022 haben wir 2.000 Jugendberater:innen vor Ort ausgebildet, die ihr Wissen an andere Jugendliche weitergeben. Zusätzlich engagieren sich 205 Jugendaktivist:innen in politischer Arbeit, sei es auf lokaler Ebene im Distrikt oder hier in Brüssel oder Berlin.
In unserem HAPA-Projekt in Kenia mit rund 7.000 Schülerinnen konnten wir einen positiven Einfluss auf die Bildungssituation verzeichnen. Durch gezielte Maßnahmen hat sich die Schulabbruchsquote von Mädchen an Schulen, in denen das Projekt umgesetzt wurde, verringert. Ebenso wichtig ist die Aufklärung über Menstruationshygiene, die einen entscheidenden Einfluss auf den Schulbesuch hat. Viele Mädchen bleiben aufgrund mangelnder Informationen und Hygieneprodukte zu Hause. Hier setzen wir an, um Wissen zu vermitteln und damit Bildungschancen zu verbessern.
Auch die Thematik HIV/AIDS ist in all unseren Projekten präsent und stellt einen bedeutenden Aspekt unserer Arbeit dar. Hier haben wir gemeinsam mit der gesamten Gesundheits-Bewegung eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen, da die Ausbreitung von HIV/AIDS kontrollierbar geworden ist. Allerdings verzeichnen wir aktuell einen Anstieg der Neuansteckungen mit HIV – nicht in den dafür sensibilisierten LGBTQI+-Gruppen – sondern bei jungen Mädchen. Dies verdeutlicht, wie wichtig Aufklärung und Schutz in diesem Bereich sind und wie tragisch es ist, dass die Ansteckung wieder vermehrt auftritt.
Natürlich liegt die Entscheidung bei den Individuen selbst, wie sie mit all dem von uns vermittelten Wissen umgehen. Obwohl wir die positiven Auswirkungen unserer Arbeit nachweisen können, ist es oft schwierig, sie quantitativ zu erfassen, insbesondere wenn es um langfristige individuelle Verhaltensänderungen geht, die für uns als Organisation über die Jahre schwer zu messen sind.
Die DSW wird allein die Wachstumsrate der Bevölkerung im Globalen Süden nicht senken können. Was würden Sie sich dennoch an Unterstützung wünschen oder was wäre nötig, um Ihre Arbeit noch fruchtbarer zu machen?
Die entwicklungspolitische Arbeit rund um die SRGR und den Selbstbestimmungsansatz muss intensiviert und Finanzmittel sollten genau für diese Gesundheitsbereiche eingesetzt werden. Dieser Rechteansatz, zum Beispiel der Zugang zu Verhütungsmitteln, deren Bedarf bislang immer noch zu großen Teilen ungedeckt ist, kann nur im Zusammenspiel zwischen öffentlicher Gesundheitsfürsorge, Privatindustrie, Politik und Zivilgesellschaft gelingen. Ich persönlich wünsche mir, dass Pflichtenträger:innen das Thema für sich besetzen und dass dabei die Situation von jungen Mädchen und Frauen in den Fokus gerät, denn diese tragen die gesundheitliche und persönliche Last. Wenn der Dreiklang von Bildung, mehr Geschlechtergerechtigkeit und Armutsbekämpfung auf nationaler, politischer Ebene funktioniert, können wir als zivilgesellschaftliche Stiftung auf Gemeindeebene tätig werden. Das geht nur mit gemeinsamen Anstrengungen: in den Ländern vor Ort und in der internationalen Gemeinschaft. Langfristige Untersuchungen zeigen: Wenn Frauen eine Sekundarbildung und eine berufliche Grundausbildung genießen können, sagen sie eher “Ich möchte nur drei Kinder statt sechs”. Ich wünsche mir einfach, dass wir die Mädchen auf diesem Weg nicht allein lassen.
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