Die Kraft der Nostalgie – wenn wir sie richtig einsetzen

das ist ein GNM+ ArtikelJetzt ist alles besser

von | 16. März, 2025 | Printmagazin, #10 – Früher war alles besser ... nicht, GNM+

Nostalgie hat die Kraft die Gegenwart und Zukunft zum besseren zu verändern.

Warum uns die Vergangenheit oft schöner erscheint, als sie war – und wie Nostalgie uns stärken kann, ohne dass wir uns in ihr verlieren.

Diesen Artikel aus unserem Printmagazin „Früher war alles besser … nicht“ und weitere Vorteile gibt’s im GNM+ Abo. Unsere ePaper hier im Abo oder hier mit tun ohne Abo lesen.

In Erinnerungen wohlfühlen

Wenn ich daran denke, was Nostalgie bedeutet, atme ich erst einmal hörbar laut aus und muss dann lächeln. So ging es auch allen, die ich danach gefragt habe, was Nostalgie für sie bedeutet. Es sind die Erinnerungen an alte Wohnorte, vergangene Lieben, spannende Fußballmeisterschaften an heißen Sommertagen, pappsüße Getränke aus der Jugend und geliebte, längst abgesetzte TV-Serien. Nostalgie ist ein warmes Gefühl, das Freude mit einer unbestimmten Sehnsucht verbindet. Und Nostalgie ist allgegenwärtig: Im eigenen Leben, in der Musikindustrie, in der Mode, in der Gesellschaft und vielem mehr.

Manchmal, wenn ich durch meine Heimatstadt gehe oder Bücher aus meiner Kindheit in den Händen halte, kommen diese Erinnerungen wie eine Welle der Wärme zurück. Es ist dann nicht nur das Gefühl von Freude, welches mich durchströmt, sondern meist auch eine tiefe Verbundenheit und Dankbarkeit für die Erlebnisse, die einmal waren. Fast schon wehmütig blicke ich dann auf Dinge aus meiner Kindheit und Jugend. Diese Momente tragen eine Leichtigkeit in sich, die ich in der Gegenwart oft vermisse – eine Leichtigkeit, die sich schwer in den heutigen Alltag übertragen lässt. Und dann frage ich mich: Warum ist es so schwer, diese Leichtigkeit auch im Jetzt zu spüren? Warum ist die Vergangenheit so verführerisch und die Gegenwart so unscheinbar?

In meinem alten Kinderzimmer habe ich zuletzt eine Kiste voller Kassetten entdeckt und dachte mir: Ach, das waren noch Zeiten. Als Kind suchte ich mir jeden Abend eine aus, legte sie in den Rekorder und ließ mich von der vertrauten Stimme des Erzählers in den Schlaf reden. Nach der Hälfte des Hörspiels musste ich aufstehen und die Kassette wenden, wenn ich noch den Rest hören wollte. War das wirklich besser, als heute einfach einen Track auf Spotify anzuklicken? Wohl kaum. Und doch verbinde ich diese kleinen Plastikhüllen mit einer scheinbar einfacheren Zeit. Sie sind für mich der Inbegriff von Nostalgie – genau wie meine Diddl-Blätter, die neben den Kassetten liegen. Ach, die unbeschwerte Kindheit!

Rosige Vergangenheit?

Dieses gängige Narrativ von „Früher war alles besser“ lässt sich durch eine kognitive Verzerrung, der sogenannten Rosy Retrospection, erklären. Der psychologische Effekt lässt Menschen die Vergangenheit im Rückblick oft positiver wahrnehmen, als sie tatsächlich war. In Wahrheit war die Vergangenheit aber meist nicht so rosig, wie wir sie in Erinnerung haben – unsere nostalgischen Gefühle tricksen uns aus. Objektiv betrachtet ist heute nämlich vieles besser als früher: höhere Lebenserwartung, medizinischer Fortschritt, bessere Bildung, größere Jobchancen. Und doch hält sich die Vorstellung, dass die Welt früher schöner, einfacher und lebenswerter war, wacker. In anderen Worten: Wir machen uns die Vergangenheit oft so, wie sie uns gefällt. In einer Studie des US-amerikanischen Psychologen Terence Mitchell beispielsweise wurden Menschen vor, während und nach einem Urlaubstrip nach ihren Erfahrungen befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass viele von ihnen während des Urlaubs durchaus auch negative Aspekte wahrnahmen. Diese verschwanden jedoch rückblickend fast vollständig aus der Erinnerung – übrig blieb eine geschönte Version der Realität. ​​Die negativen Aspekte verblassen also, während schöne Erinnerungen überwiegen.

Wozu kann das gut sein?

Doch warum empfinden wir Nostalgie überhaupt? Wozu dient diese Verzerrung? Die psychologische Forschung deutet darauf hin, dass nostalgische Gefühle unsere Grundbedürfnisse stärken. Dazu gehören Zugehörigkeit, Sicherheit und Kontrolle. Besonders in Krisenzeiten neigen wir dazu, uns an vermeintlich bessere Zeiten zu klammern – Nostalgie vermittelt uns dann die herbeigesehnte Geborgenheit. Auch in einsamen Lebensphasen, flüchten wir oft in nostalgische Erinnerungen, denn sie geben uns ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Die Erinnerungen an die Jugend und Kindheit agieren als Anker in einer schnelllebigen Zeit und prägen obendrauf noch unsere Identität bis in die Gegenwart. Die einschneidenden “ersten Male” in unserem Werdegang passieren nämlich zum Großteil in den ersten Abschnitten unseres Lebens: Der erste Urlaub, das erste Mal im Kino, das erste Mal Verliebtsein, der erste Erfolg. Momente und Erinnerungen wie diese bilden ein Fundament für den Rest unseres Lebenswegs. Die meisten nostalgischen Erinnerungen sammeln wir Menschen übrigens, wenn wir circa elf Jahre alt sind. Deswegen sehen sie selbstverständlich für jeden ganz anders aus.

Nicht alle Menschen können Nostalgie so empfinden, denn es braucht positive Erfahrungen, die mit dem Gefühl von Geborgenheit verbunden sind. Wenn in der Kindheit und Jugend vorwiegend negative Erfahrungen gemacht wurden, lässt sich das wärmende Gefühl der Nostalgie nicht nachempfinden. Insbesondere Menschen, die als junge Menschen auf der Flucht waren oder in einem unruhigen Elternhaus groß geworden sind, verbinden mit der Vergangenheit schmerzliche Gefühle, die sie nicht freiwillig wieder aufleben lassen möchten. Außerdem ist die Nostalgie auch von Wehmut begleitet, weil uns bewusst wird, dass vergangene Zeiten unwiederbringlich sind. Wenn jedoch das schmerzhafte Sehnen nach früher Überhand nimmt, ist Nostalgie mit negativen anstatt positiven Gefühlen verknüpft.

Nostalgie als politisches Instrument

Während Nostalgie im persönlichen Leben oft Hoffnung spendet und von vielen mit positiven Gefühlen verbunden wird, kann sie im gesellschaftlichen und politischen Kontext problematisch werden. In aktuellen politischen Debatten weltweit wird sie gezielt genutzt, um die Vergangenheit zu glorifizieren. Trumps Slogan „Make America Great Again“ oder das Narrativ der AfD, Deutschland „wieder“ zu dem zu machen, was es einmal „war“, sind klare Beispiele dafür. Solche Botschaften sprechen gezielt ein nostalgisches Verlangen an.

Das funktioniert vor allem deswegen, weil wir Menschen zu nostalgischen Erinnerungen neigen, wenn unsere heile Welt bedroht scheint. Auf politischer Ebene wird diese kollektive Nostalgie zu einer besseren Zeit gerne adressiert, um die einzelnen Menschen auf einer ganz persönlichen Ebene zu erreichen. Sich davon nicht direkt mitreißen zu lassen, ist in einer Welt voller Krisen und Unsicherheit nicht leicht. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen, wie kraftvoll Nostalgie auf individueller Ebene sein kann, sich aber auch ihrer Grenzen und Gefahren bewusst zu sein, gerade, wenn es um gesamtgesellschaftliche Fragen geht. Die Wirkung von Nostalgie geht tiefer, als uns bewusst ist. Tatsächlich lässt sie sich sogar wissenschaftlich erklären.

Biochemie kann das erklären 

Jede Emotion in unserem Körper geht mit einer physischen Reaktion einher. Das gilt auch für die Nostalgie, selbst wenn sie oft schwer zu fassen scheint. Tatsächlich lässt sie sich aber neurobiologisch erklären: Wenn wir uns an glückliche Momente erinnern, schüttet unser Gehirn Oxytocin aus – ein Hormon, das für Wohlbefinden sorgt und soziale Bindungen fördert. Diese Ausschüttung führt sogar dazu, dass sich unsere Körperkerntemperatur leicht erhöht. Das Gefühl, dass einem „warm ums Herz“ wird, ist also nicht nur eine Redewendung – es passiert wirklich.

Eine psychologische Studie aus dem Jahr 2020 zeigt außerdem, dass Nostalgie unser Schmerzempfinden verringern kann. In einem Experiment testeten Forscher:innen die Schmerztoleranz von Probanden, indem sie leichte Schmerzen an deren Handballen auslösten. Das Ergebnis: Teilnehmende, die zuvor an schöne Kindheits- und Jugenderinnerungen gedacht hatten, hielten den Schmerz länger aus als jene, die nicht in einen nostalgischen Zustand versetzt worden waren.

Diese positiven Effekte erklären, warum viele Menschen Nostalgie bewusst nutzen, um sich besser zu fühlen. Nach einem langen Arbeitstag Lego bauen oder zum Einschlafen ein altes Hörspiel hören – all das kann beruhigen und Geborgenheit schenken. Kein Wunder also, dass viele ihre ganz persönlichen „Wohlfühlserien“ haben, die sie einschalten, wenn der Alltag zu viel wird.

Nostalgie stärkt Optimismus

Es zeigt sich, dass die Nostalgie es schafft, unsere Gegenwart positiv zu beeinflussen. Aber nicht nur das: Das Gefühl der Nostalgie kann auch den Blick auf die Zukunft verbessern. Das zeigt eine britische Studie aus dem Jahr 2013. Das Forschungsteam fand heraus, dass das Erleben von Nostalgie das Selbstwertgefühl steigert, da nostalgische Erinnerungen in der Regel bedeutungsvolle und positive Momente aus der eigenen Vergangenheit hervorrufen. Das Zurückdenken an Situationen, in denen wir uns wertgeschätzt und geliebt gefühlt haben, erschafft automatisch ein stärkeres Selbstbewusstsein in der Gegenwart. 

Oft drehen sich nostalgische Erinnerungen um enge Beziehungen zu Familie und Freunden. Diese soziale Verbundenheit vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Zuversicht – beides wichtige Faktoren für eine optimistische Zukunftserwartung. Nostalgie hüllt uns wie eine warme Decke ein, gibt Geborgenheit und lässt uns glauben: Wenn die Vergangenheit schön war, kann auch die Zukunft gut werden. 

Tatsächlich bestätigte die Studie, dass Teilnehmer, die sich gezielt an nostalgische Erlebnisse erinnerten, deutlich optimistischer in ihre persönliche Zukunft blickten als jene aus der Kontrollgruppe. Nostalgie mag ein Blick zurück sein – doch ihre Wirkung kann weit nach vorne reichen.

Jetzt ist alles gut

Die Nostalgie wirkt also als stabilisierende Kraft in der Gegenwart und sie hilft uns, Motivation für die Aufgaben der Zukunft zu finden. Obwohl sie oft den Eindruck vermittelt, dass „früher alles besser war“, ist sie letztlich ein Werkzeug, das uns helfen kann, mit Veränderungen umzugehen und uns in der Gegenwart zu verankern. Denn während wir der Vergangenheit nachhängen, erschaffen wir bereits neue Momente, die wir eines Tages genauso vermissen könnten. Fast wie Nostalgie in Echtzeit. Die Kunst liegt vermutlich darin, die schönen Erinnerungen zu bewahren, ohne sich in ihnen zu verlieren. Da unser nostalgischer Rückblick meist rosiger ist als die Realität, verzerrt er unsere Wahrnehmung. Das ist nicht automatisch schlecht, solange wir darüber nicht die Gegenwart vernachlässigen oder gar abwerten.  

Wir hören es immer wieder: Die kleinen Dinge im Alltag verdienen mehr Aufmerksamkeit – ein Anruf bei der Familie, die Sonne, die durchs Fenster fällt, oder ein frischer Strauß Blumen. Doch tatsächlich bewusst wahrzunehmen, dass auch die Gegenwart Gutes bereithält, ist essenziell – für unser Wohlbefinden, unser Handeln und sicher auch für die Gesellschaft als Ganzes. In einer Welt der Dauerbeschallung sollten wir lernen, den Blick auf den Moment zu richten und das Positive darin zu erkennen. Dankbarkeit und Hoffnung sind dabei entscheidend. Nostalgische Erinnerungen können wir als Anker nutzen, solange sie nicht zur Messlatte für unsere Zufriedenheit und Erwartungen im Jetzt werden. Denn wenn wir ehrlich zu uns sind: Die frühere Welt war auch kein Paradies. Ja, früher war manches anders – vielleicht sogar besser. Aber auch jetzt gibt es Gutes. Und morgen kann es noch besser werden.  

Beitragsbild: via pexels

No votes yet.
Please wait...

Diese Good News könnten dich auch interessieren

Alle guten Nachrichten

Im Good News Magazin stöbern

Autor/in

Autor/in

Mara Betjemann
GNM+

Das GNM+ Probeabo

Entdecke das GNM+ Abo mit unserem Printmagazin und exklusiven Online-Artikeln, die dein täglicher Licht­blick in der negativen Nachrichten­flut sind.

Jetzt 30 Tage testen

Das GNM+ Probeabo

Entdecke das GNM+ Abo mit unserem Printmagazin und exklusiven Online-Artikeln, die dein täglicher Licht­blick in der negativen Nachrichten­flut sind.

Das erwartet dich:

N

Gut recherchierte positive Nachrichten

N

Nachhaltig gedruckt oder digital bereitgestellte Magazine

N

Dramafrei und lösungsorientiert geschriebene Artikel

Auch Geschenk-Abo, Soli-Abo und Einzelbestellungen möglich.

GNM+

Alle guten Nachrichten

Im Good News Magazin stöbern

5