Nachhaltiges Reisen im Schlaf: Die Nachtzüge sind zurück. Seit einigen Jahren werden immer mehr Nachtzuglinien eröffnet oder wieder in Betrieb genommen.
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Einschlafen zum monotonen, beruhigenden Rattern des Zuges auf den Gleisen. Nach dem Aufwachen die Vorhänge des Abteils zurückziehen und auf die Landschaft hinausblicken, die vor dem Fenster vorbeizieht, während der Zug hunderte Kilometer von seinem Ausgangsort entfernt weiter voran rollt… Nachtzüge haben für mich etwas Romantisches – gut, im Falle Agatha Christies vielleicht eher etwas Mörderisches, immer aber etwas Abenteuerliches. Dafür sorgen die Bilder luxuriöser Speisewagen im “Orient-Express” und der Transsibirischen Eisenbahn genauso wie Bestseller wie der “Nachtzug nach Lissabon”.
Auch wenn diese Vorstellung wenig mit der Realität in heutigen Nachtzügen gemein haben mag, begeistern mich Nachtzüge noch aus einem anderen, pragmatischen Grund: Sie sind eine nachhaltige und im besten Fall bequeme Möglichkeit weite Strecken zurückzulegen, die zudem durch das Reisen in der Nacht Zeit spart. Auch darum wächst die Nachfrage und damit das Angebot. In den letzten Jahren entstanden zunehmend neue Strecken oder alte Linien wurden wieder aufgenommen. Wir geben einen Blick auf die jüngsten Entwicklungen – und darauf, wohin man in Europa bereits überall mit dem Nachtzug reisen kann.
Mailand oder Paris, Hauptsache Nachtzüge
Abends in Berlin einsteigen und am nächsten Morgen in Wien im Bahnhof einrollen. Oder in Rom, London, Budapest… alles möglich. Erst im Dezember 2023 wurde der Verkehr auf der neuen Nachtlinie von Berlin nach Paris unter viel Begeisterung aufgenommen (wir berichteten). Das europäische Nachtzug-Netz wächst also wieder.
Dabei sah es eine Zeit lang so aus, als sei die Zeit der Nachtzüge vorbei. Ende 2016 stellte die Deutsche Bahn ihre City Night Line, unter der ihre letzten Nachtzüge betrieben wurden, aus Gründen der Unwirtschaftlichkeit ein. Gerade im Vergleich mit den niedrigen Preisen der Fluggesellschaften waren die deutlich teureren Zugreisen über Nacht nicht mehr attraktiv. Immer mehr Strecken in Europa wurden lahmgelegt, nur selten kamen neue Linien dazu.
Doch dann wandelte sich das Blatt. Gab es noch 2018 ein regelrechtes “Streichkonzert” der Nachtzüge, wurden bereits im Jahr darauf wieder einige neue Verbindungen eingeführt. Ganz vorne dabei: der Nightjet der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) von Berlin nach Wien und von dort weiter nach Budapest. Auch in der Ukraine wurde das Nachtzugangebot 2019 wieder erweitert. In den folgenden Jahren nahm das Angebot kontinuierlich zu, auch wegen des immer lauteren Rufs nach nachhaltigen Reisemöglichkeiten als Alternative zu Flügen.
Besonders Schweden trieb den Ausbau seiner Nachtzug-Verbindungen immer mehr voran und Frankreich brachte nach einer drastischen Reduzierung seiner Intercités de Nuit auf nur zwei im Jahr 2018 in den folgenden Jahren immer mehr Linien zurück: Inzwischen sind sechs Nachtzüge wieder in Betrieb, bis 2030 sollen zehn weitere dazukommen.
Investieren lohnt sich
Der wichtigste europaweite Betreiber von Nachtzuglinien ist dabei zweifelsohne die Österreichische Bundesbahn. Die ÖBB baute ihr Angebot auch dann aus, als viele andere Länder ihres einstellten: Seit 2018 gab es jedes Jahr eine, 2023 sogar zwei neue Nachtzuglinien. Mehr als 20 der sogenannten „Nightjets“ verkehren inzwischen in Europa , dazu kommen 22 EuroNight-Züge, die die ÖBB in Kooperation mit ihren Partnerbahnen in Kroatien, Tschechien, Ungarn, Polen und der Slowakei anbietet.
Dass es nicht noch mehr Linien sind, liegt unter anderem daran, dass unterschiedliche infrastrukturelle Voraussetzungen, insbesondere aber finanzielle Faktoren die Einführung grenzübergreifender Nachtzugverbindungen erschweren. Während Frankreich beispielsweise seine Nachtzuglinien mit erheblichen Subventionen unterstützt, müssen Betreiber in Deutschland noch immer hohe Trassenpreise für Nachtzüge entrichten. In Belgien wiederum werden diese komplett vom Staat getragen. Die unterschiedlichen Regelungen machen es deutlich leichter, innerhalb einzelner EU-Staaten neue Verbindungen zu etablieren als über die Grenzen hinaus.
Doch die Investitionen zahlen sich aus. Weil sich immer mehr Menschen für nachhaltiges Reisen interessieren und die Fahrgastzahlen jedes Jahr weiter anwachsen, ist das Geschäft mit den Nachtzügen wieder rentabel: Die ÖBB schreibt mittlerweile mit ihrem Nachtzugnetz schwarze Zahlen und investiert kontinuierlich in ein breiteres Angebot an Schlaf- und Liegewagen, um der drastisch gestiegenen Nachfrage nachzukommen.
Der Gute-Nacht-Zug
Und die ÖBB ist nicht allein. Zwar bleibt die Bundesbahn weiter unangefochtener Marktführer, doch in den letzten Jahren machen ihr zunehmend kleinere Anbieter Konkurrenz. Einer davon ist der European Sleeper. Das im Mai 2021 als Kooperative gegründete belgisch-niederländische Unternehmen will mehr Nachtverbindungen in Europa schaffen, um Schritt für Schritt das Auto und das Flugzeug als Haupt-Reisemittel abzulösen. Ersetzen soll es der Nachtzug, genauer: ihr “Good Night Train”.
Im Mai 2023 brachte das Unternehmen seinen ersten Good Night Train auf die Schienen. Er verkehrt im Winter zweimal wöchentlich, im Sommer dreimal wöchentlich zwischen Brüssel, Amsterdam und Berlin. Ab dem 25. März 2024 wird die Route bis Dresden und Prag verlängert. Ab dann soll jedes Jahr eine neue Linie des Good Night Trains das europäische Nachtzugangebot erweitern.
Die steigenden Investitionen in Nachtzüge sind ein gutes Zeichen. Für Reisende, die häufigere Verbindungen, immer mehr neue Zielorte und bequemere Reisewagen erwarten dürfen. Vor allem aber auch für unsere Umwelt. Denn während die CO2-Emissionen pro Person und Kilometer beim Auto bei 143 Gramm, beim Flugzeug sogar bei 214 Gramm liegen, kommt der Zug gerade einmal auf 29 Gramm. Damit sparen die Züge im Vergleich zum Auto fünfmal so viele, im Vergleich zum Flugzeug sogar siebenmal so viele Emissionen.Und seien wir ehrlich: Wer von uns würde nicht gerne einmal in Berlin einschlafen und am nächsten Morgen entspannt in Wien aufwachen?
Das Netz der europäischen Nachtzüge erstreckt sich vom sizilianischen Syrakus im Süden bis ins schottische Inverness; im Südosten kommt man mit dem Sofya Express bis nach Istanbul, weiter nördlich bis nach Kharkiv und Zaporizhzhia in der Ukraine. Im Norden kommt man mit einigen Umstiegen bis ins schwedische Norvik.
Die skandinavischen Nachbarländer Finnland und Norwegen sind zwar nicht aus anderen Ländern per Nachtzug erreichbar, bieten aber innerstaatliche Nachtzüge in den Norden: Finnlands nördlichste Stadt Kemijärvi hat gerade einmal knapp 7000 Einwohner:innen, umso bemerkenswerter, dass es von der Hauptstadt Helsinki täglich einen direkten Nachtzug gibt.Besonders gut vernetzt ist Mensch in Österreich – kein Wunder, ist die ÖBB doch der größte Anbieter von Nachtlinien in Europa mit mehr als 20 „Nightjet“-Verbindungen, die von der Gesellschaft bedient werden, Tendenz steigend.
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Beitragsbild: Harald Eisenberger via ÖBB Pressefotos