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Mitmachstadt Wien – wo ein Wille, da ein Weg?

von | 8. April, 2025 | Füreinander

Mitmachstadt Wien – wo ein Wille, da ein Weg © Martin Votava

In der Mitmachstadt Wien können Bürger:innen Ideen einreichen, Petitionen starten oder bei Projekten mitentscheiden. Die Angebote werden immer mehr. Aber wie viele Wege zur Mitgestaltung braucht es, damit wirklich alle mitgehen?

Ein Gastartikel von relevant.news

Eine bunte Staffel in seiner Hand, ein breites Grinsen in seinem Gesicht. Sichtlich stolz zeigt sich Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) darüber, von Maria Eugénia Gay, der Vizebürgermeisterin von Barcelona, Ende November 2024 die Staffeln bekommen zu haben. Wofür? Dafür, dass sich Wien seither auch “Demokratiehauptstadt”  nennen darf. Als diese ist Wien ein Jahr lang Schauplatz eines vielseitigen Programms, dessen Ziel es ist, Demokratie in ihren verschiedenen Facetten erlebbar zu machen. Wie, steht schon in einigen Punkten fest. So soll Wien weitere Beteiligungsmöglichkeiten für seine Bürger:innen ausbauen. Oder etwa Wiener Pionierprojekte international präsentieren. 

Von denen hat die österreichische Hauptstadt tatsächlich einige. 

Die Wiener Klimateams 

Insgesamt 24 Ideen waren es, die Michael Karg einreichte. “Ich bin recht aktiv im Bezirk, und als ich von dem Projekt hörte und dass man da selbst Ideen einbringen kann und es sogar ein Budget gibt, war ich sofort dabei”, erinnert sich der Währinger zurück. Sein Bezirk war einer der drei Bezirke, in denen die Wiener Klimateams 2023 zum Einsatz kamen.

Die Initiative der Mitmachstadt Wien ist Bestandteil der Smart City Strategie und einer der Ansätze, der “Menschen in den Mittelpunkt stellt”. Bei den Wiener Klimateams geht es nämlich darum, dass Bürger:innen mitdenken und auch mitentscheiden, wie städtische Klimastrategien entwickelt werden.

Der Ablauf der Wiener Klimateams basiert auf vier Phasen. Bürger:innen reichen zunächst Ideen ein: online oder per Einreichkarte. Alle Haushalte in mitmachenden Bezirken werden auch per Postzusendung über ihre Möglichkeiten informiert. “In Währing gab es an öffentlichen Plätzen auch Informationsveranstaltungen. Da wurden Menschen direkt angesprochen”, wirft Karg ein.

Sind die Ideen eingelangt, wird die Umsetzbarkeit durch städtische Mitarbeiter:innen geprüft, die Vorschläge in gemeinsamen Treffen konkretisiert und die finale Auswahl durch eine Bürgerjury beschlossen. Das Budget setzt sich aus 20 Euro pro Bezirksbewohner:in zusammen. Die Jury-Mitglieder werden aus der Bevölkerung ausgelost, um eine breitere gesellschaftliche Diversität zu erreichen.

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Die Klimateams der Stadt Wien sind Bestandteil der Smart City Strategie und einer der Ansätze, der “Menschen in den Mittelpunkt stellt”. Grätzelwerkstatt © Christian Fürthner

Mitmachstadt: 53 Projekte umgesetzt

2022 begann der Pilotversuch. Im ersten Jahr waren die Bezirke Margareten, Simmering und Ottakring dabei, 2023 Floridsdorf, Mariahilf und Währing. Insgesamt 2400 Ideen wurden seit dem Start der Klimateams eingereicht, wovon 53 Projekte umgesetzt wurden. Auch zwei von Kargs Ideen “Nachhaltige Mobilität – So geht’s in Währing!” und “Antoni und Hilde” sind darunter.

Kritikpunkte hat er dennoch. “Absagen auf die Ideen waren teilweise sehr kryptisch. Wenn man sich schon die Mühe macht, etwas einzureichen, wünscht man sich auch eine ordentliche Begründung. Auch waren die Fristen nicht optimal, etwa im Sommer, wenn viele auf Urlaub sind” , sagt der 57-Jährige.

Mehr Maßnahmen, mit denen Bürger:innen direkt angesprochen werden, brauche es auch. “Briefe werden schnell mal ignoriert”, so Karg.

Aktuell laufen die Wiener Klimateams in den Bezirken Alsergrund, Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus – mit verbesserten Ablauf.  „Wir haben Konsequenzen aus den Learnings der letzten zwei Jahre gezogen“ , erklärt Wencke Hertzsch. Sie leitet das Büro für Mitwirkung und das Wiener Klimateam in der Abteilung Energieplanung und blickt auf rund 20 Jahre Berufserfahrung im Bereich Beteiligung auf unterschiedlichen Ebenen zurück.

Die mangelnde Transparenz bei der Prüfung der Ideen wurde für die aktuelle Umsetzungsphase dadurch adressiert, dass sich Expert:innen der Mitmachstadt Wien mit Bürger:innen gemeinsam dazu verständigen, welche Vorschläge weiterverfolgt werden sollen. Zusätzlich wurde verstärkt in einfacher Sprache und Fremdsprachen informiert, und der zeitliche Ablauf des Projekts angepasst: Die Ideensuche begann künftig im Herbst. Die Siegerprojekte werden vor den Sommerferien bekannt gegeben.

Wiener Mitmachbüro

Aufbauend auf den Erfahrungen der Klimateams, wurde im Juni 2024 außerdem das Büro für Mitwirkung gestartet. Auch dieses will neue Zielgruppen in ihrer jeweiligen Lebenswelt erreichen und ihnen Mitwirkung und Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen. Es sollen insbesondere auch jene Menschen abgeholt werden, die von Wahlen oder anderen Möglichkeiten der Beteiligung bisher eher ausgeschlossen waren, sei es aufgrund der Staatsbürgerschaft, des Bildungsstands oder der sozialen und finanziellen Möglichkeiten.

Das Büro ist in der Aufbauphase und setzt auf Netzwerk- und Servicearbeit sowie den direkten Dialog, so soll es auch Aktionen auf öffentlichen Plätzen geben. Das heißt dann „Werkstatt für Mitwirkung“: Teams besuchen Orte, wo sich die Zielgruppen aufhalten, mit unterschiedlichen Kooperationspartnern, wie der „Volkshilfe“ oder dem Verein „Fremde werden Freunde“. „Wir wollen mehr Beteiligung für mehr Menschen ermöglichen und deswegen mehr ko-kreative und kooperative Formate und Prozesse auf den Weg bringen“ , so Hertzsch.

Unterschriften sammeln: Das Petitionsrecht

Mitgestalten kann man Wien unter anderem auch durch das Wiener Petitionsrecht. Dieses bietet die Möglichkeit, sich unmittelbar in politische Prozesse einzubringen. Wer ein Anliegen hat, kann dieses mit Unterschriftenlisten oder auf der Online-Plattform einbringen. Sobald eine Petition von 500 Wiener:innen unterstützt wird, wird sie im Petitionsausschuss des Gemeinderates behandelt. (Über eine erfolgreiche Petition und das daraus entstandene Projekt kann man hier lesen)

Das Problem allerdings: Gesetzlich verankerte Beteiligungs- und Petitionsrechte, aber auch Landtags- und Bezirksvertretungswahlen oder Volksbefragungen und Volksabstimmungen stehen jedoch nur wahlberechtigten Menschen offen. Jede:r dritte Wiener:in ist damit ausgeschlossen

Können also andere Beteiligungsmöglichkeiten das ausgleichen?

Nein. Zumindest nicht, wenn diese von den Menschen kaum wahrgenommen werden. 

Grenzen der Beteiligung

Laut einer Studie des Instituts Foresight gibt es sowohl bei der Bekanntheit der Beteiligungsangebote als auch in der tatsächlichen politischen Teilhabe in Wien eine Schieflage. Demnach kennen Wiener:innen im Durchschnitt nur fünf der 13 erfassten Beteiligungsangebote. Rund 40 Prozent haben in den vergangenen fünf Jahren mindestens ein Angebot genutzt. 15 Prozent, das sind rund 250.000 Menschen, haben bisher von keinem Beteiligungsangebot gehört, und 60 Prozent der Wiener:innen haben bisher an keinem Angebot teilgenommen. 

Eine Tendenz, die Karg auch bei den Klimateams gespürt hat. “Da ist natürlich die Gefahr, dass dann die Leute einreichen, die sich sowieso schon engagieren. Aber gerade bei solchen Themen wäre es wichtig, auch Menschen mit an Bord zu holen, die sonst nicht dabei wären”, so der Währinger.

Häufigste Gründe, warum Menschen Beteiligungsmöglichkeiten nicht nutzen, sind laut der Foresight-StudieZeitmangel, fehlende Information und die Einschätzung, dass die Beteiligung nicht politisch wirksam sei. Vor allem das untere Einkommensdrittel nehme von politischer Beteiligung Abstand oder ist aufgrund einer anderen Staatsbürgerschaft davon ausgeschlossen. Enttäuschung über die fehlende Anerkennung in der gesamten Gesellschaft, Krisenerfahrungen und der angedrohte Sozialabbau überlagerten auch die Bereitschaft, Mitspracheangebote wahrzunehmen.

Die Studie hebt hervor, dass die Verbesserung der Bürger:innenbeteiligung daher nicht nur durch mehr Angebote erreicht werden kann. Vielmehr brauche es Maßnahmen, die bestehende Barrieren abbauen und gezielt die bisher weniger beteiligten Gruppen ansprechen. 

Beitragsbild: Martin Votava

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