Bob Blume ist deutschlandweit als „Netzlehrer“ bekannt geworden. Der Lehrer, Buchautor, Blogger und Podcaster befasst sich mit Bildungsthemen und hat sich für das Good News Magazin das Programm ChatGPT in Hinblick auf die Bildung der Zukunft angeschaut.
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Die Zeiten, in denen man an einen gewalttätigen Roboter aus der Zukunft denkt, wenn von künstlicher Intelligenz die Rede ist, sind vorbei. Seit Arnold Schwarzenegger mit dunkler Miene erklärte, dass er „zurück sein“ wird, ist in diesem Bereich so viel passiert, dass einem schwindelig werden kann. Nun ist es aber keine gewalttätige Maschine mit menschlichen Zügen, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, sondern ein Programm, dessen Erklärungen, Beschreibungen und Antworten so menschlich klingen, dass sich vor allem Lehrpersonen schon in der Arbeitslosigkeit wähnen.
Das Programm ChatGPT, von dem jetzt schon viele Experten meinen, dass es nur der Anfang einer unaufhaltbaren Entwicklung ist, ist in der Lage, menschenähnliche Äußerungen auf nahezu jede Frage in nahezu jeder Sprache zu geben. Und nicht nur das: Es reagiert auf Nachfrage, verbessert sich selbst, fügt Details an oder erleichtert das Verstehen eines komplexen Sachverhalts. Kein Wunder also, dass man in den Schulen sehr genau hinschaut, sind dies doch auch jene Aufgaben, die eine engagierte Lehrperson in einer Klasse innehat.
Um in einen konstruktiven Dialog über der künstlichen Intelligenz zu treten, gilt es zunächst einmal zu verstehen, was diese kann und was sie nicht kann. Denn von einer Intelligenz im menschlichen Sinne kann hier (noch) keine Rede sein. Vielmehr ist das, was das Programm als für uns menschliche Leser:innen herauslässt, eine auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Auswahl von Millionen Texten aus einem Korpus, die auf der Grundlage unserer Frage zusammengestellt werden. Das heißt, dass uns dieser digitale Assistent, als der sich das Programm selbst vorstellt, wenn man es fragt, dabei helfen kann, riesige Datenmengen sehr schnell und effizient zu durchforsten. Welche Struktur könnte ich meinem Themenschwerpunkt geben? Welche Fragen könnte ich stellen? Wie kann ich meine Gedanken sortieren? Wo könnten Impulse für meine Weiterarbeit liegen? Bei all dem kann ChatGPT helfen – momentan mit der Einschränkung, dass es auf keine aktuellen Daten zugreifen kann. Was in der Gegenwart liegt, ist für diese Zukunftsmaschine noch unerreichbar.
Auf der anderen Seite kann das Programm auf nichts zugreifen, was nicht schon da ist. Diese banale Tatsache heißt, dass menschliche Innovation immer noch möglich ist. Für Bildung ergeben sich aus den Potenzialen fundamentale Konsequenzen.
Um in der Lage zu sein, zu erkennen, wo das Programm sich „irrt“ – denn nicht alles, was aus Wahrscheinlichkeiten errechnet wird, ist auch semantisch korrekt – muss man grundlegendes Wissen haben. Und dieses anwenden können. Um das Programm als Assistenten für die eigene Arbeit zu nutzen, muss ich wissen, wie ich zu einem Themengebiet oder einer Frage gelange. Und um das Programm in einer Weise zu nutzen, die mir hilft, anstatt mir die Arbeit da abzunehmen, wo ich selbst lernen müsste, brauche ich eine Haltung, die das eigene Lernen als sinnvoll betrachtet. All das ist in Schule nicht selbstverständlich. Denn dort ist Wissen oft losgelöst von Anwendung und bleibt so oberflächlich. Dort sind die Aufgaben oft vorgegeben und wenig aus den eigenen Interessen motiviert. Und dort ist Lernen – so widersprüchlich es klingen mag – oft eher Beiwerk, anstatt im Zentrum zu stehen.
Wenn das Lernen im Zentrum steht, kann ChatGPT bei den unterschiedlichsten Problemen helfen?
- Ich weiß nicht, wie an welcher Stelle ich bei einem Thema meiner Wahl beginnen kann? Die KI macht mir Vorschläge.
- Ich habe zwar ein Thema, aber ich bin mir unsicher, welche Struktur funktioniert? Die KI zeigt mir, wie es gehen könnte.
- Ich brauche eine schnelle Definition, eine Fragestellung, einen Impuls, eine Perspektive, eine Idee? Die künstliche Intelligenz ist wie ein kleiner Taschenkobold, der mir ins Ohr flüstern kann, wenn ich lerne.
Insofern ist es im Grunde zu begrüßen, wenn nun jene, die technische Entwicklungen fürchten, ins Schwitzen kommen. Denn ChatGPT – und alle seine Nachfolger – sind in der Tat in der Lage, ein System auszuhebeln, in dem es nur darum geht, Produkte nach einem vorgefertigten Ziel zu erstellen. Wenn Schulen nicht auf das Programm reagieren oder es ignorieren würden, dann haben sie es nicht anders verdient, als ausgehebelt zu werden. Und Versuche wie in New York, das Programm zu verbieten, zeigen diese Tendenz, die ein wenig wie der hilflose Versuch von einigen Polizei-Statisten erscheint, einen wildgewordenen Terminator mit ihren Pistölchen in Schach zu halten.
Aus der sich rasant entwickelnden KI entsteht dann eine Chance, wenn man sie einbezieht, statt sie auszuschließen. Die zukünftige Frage an Bildung wird also vielmehr jene danach sein, wie wir im Angesicht der neuen Technologie Lernen gestalten. Nicht wie wir ein Lernen beibehalten, das sich der Technologie versperrt. Das Schöne ist: Dafür müssen wir gar nicht in die Zukunft schauen, denn die ist schon da. Helfen kann uns aber unsere Handlungsweise in der Vergangenheit, als mit den Smartphones das erste Mal technologisch ausgelöste Schockwellen in die Klassenzimmer schwangen. Doch dieses Mal können wir schlauer sein. Indem wir uns klarmachen, dass in der Zerstörung dessen, was wir als normal ansahen, eine Chance liegt, die Welt zu verstehen. Vielleicht denken wir dann irgendwann nicht mehr an einen missmutigen Roboter, der aus der Zukunft kommt, um die Menschheit zu vernichten. Sondern daran, wie wir Technologie nutzen können, um uns weiterzuentwickeln.
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Foto © Niko Neithardt
Gastbeitrag: Bob Blume