Frauen für Wissenschaft begeistern

das ist ein GNM+ Artikel1.600 Wikipedia-Biographien für mehr Gleichberechtigung

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von | 27. Oktober, 2022

Dr. Jess Wade schreibt Wikipedia-Biographien für Frauen und andere unterrepräsentierte Menschen und setzt sich damit für Anerkennung in der Wissenschaft ein.

Die 34-jährige britische Physikerin Dr. Jess Wade hat in den vergangenen vier Jahren über 1.600 Wikipedia-Biographien unbekannter Frauen und Schwarzer Menschen geschrieben. Das sind im Schnitt etwas mehr als eine Biographie am Tag. Damit unterstützt sie Menschen, die für ihre Errungenschaften in Mathematik, Ingenieurswesen, Naturwissenschaft und Technologie  – die sogenannten MINT-Berufe – bisher keine Anerkennung bekommen haben. 

Wie aus einer Wikipedia-Biographie eine Leidenschaft wurde

Wade arbeitet am Blackett Labor des Imperial College London. Ihre Arbeit fokussiert sich auf neue Materialien für optoelektronische Bauelemente, mit dem Schwerpunkt auf chiralen organischen Halbleitern. Kurz gesagt: Sie beschäftigt sich mit der Herstellung von TV-, Laptop- oder Handy-Displays. Bekannt wurde Jess Wade jedoch noch mit einer anderen Tätigkeit: Nachdem sie im Jahr 2018 mehrere Vorträge von Wissenschaftlerinnen voller Interesse verfolgte, wollte sie mehr über deren Persönlichkeiten und Arbeit herausfinden. Auf Wikipedia konnte sie jedoch keinen Eintrag über in ihren Augen wichtige Forschungsarbeit finden. Kurzerhand entschloss sie sich, die Biographien selbst zu schreiben. Was als einmalige Aktion begann, wurde schnell zu einer Leidenschaft. Mittlerweile schreibt Jess Wade neben Frauen auch für andere Menschen aus der Physik und verwandten Feldern, denen bisher die Anerkennung ihrer Arbeit fehlte.

Dr. Wade kommt aus einer Familie von Wissenschaftler:innen und wurde schon sehr früh gefördert. Dennoch war es auch für sie nicht einfach, sich in der Welt der Physik zu etablieren. Im Interview mit eLife erzählt sie, wie sie und ihre Kolleginnen bei einem Event in einem kleinen Meetingraum von der Veranstaltung separiert wurden. Die männlichen Kollegen machten nicht nur die deutliche Mehrheit auf dem Event aus. Sie redeten im Gegensatz zu den nicht-männlichen Personen nebenan auf der Hauptbühne.

Geschlechterungleichheit auf Wikipedia 

Eine ähnliche Situation findet sich auf Wikipedia. Dort fühlen sich 90 Prozent der Wikipedia-Autor:innen dem männlichen Geschlecht angehörig. Außerdem handeln nur etwa 16 Prozent der Biographien von weiblichen Personen. Genau dieses Problem erkannte die Physikerin und begann entgegen der Statistik zu arbeiten. Über die Anfänge ihrer Tätigkeit als Wikipedia-Autorin erzählt sie in einem TedX-Talk:

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Für ihre biographische Arbeit wurde die Physikerin mehrfach ausgezeichnet. 2019 schaffte sie es sogar auf Queen Elizabeth’s Birthday Honours List und wurde mit der „British Empire Medaille“ für ihre Tätigkeit belohnt.

Auf ihre Berichte weiblicher Erfolgsgeschichten folgte jedoch nicht nur Beifall. Einige ihrer Beiträge wurden gelöscht, weil die beschriebenen Personen nicht bekannt genug waren. Doch Wade blieb hartnäckig. Sie beschreibt die Unbekanntheit als das eigentliche Problem. Viele der Frauen seien nicht bekannt, weil man ihnen nicht genug Beachtung schenke. Und das, obwohl sie wichtige Forschung betreiben.

Gleichberechtigung in MINT-Berufen

Die Physikerin beschreibt ihr ungewöhnliches Hobby als Lösung für ein strukturelles Problem: Junge Mädchen und Frauen nehmen wissenschaftliche Berufe häufig als männlich dominiert war und entscheiden sich deshalb dagegen. Schätzungen zufolge gibt die britische Regierung im Jahr 4,5 bis 6 Millionen Euro aus, um mehr Frauen von einer wissenschaftlichen Karriere zu überzeugen. Die Zahlen haben sich allerdings in den letzten Jahren kaum verändert. Gerade einmal zehn Prozent der Bachelor-Studierenden in technischen Studiengängen sind weiblich, etwa 20 Prozent sind es im Physikstudium. Jess Wade ist überzeugt: Die Regierung nutzt die falsche Strategie.

Ihrer Meinung nach müssen junge Frauen sehen, welch tolle Arbeit andere Frauen bereits geleistet haben. So können sie sich eher mit dem Beruf identifizieren, sagt Wade. Tatsächlich, erklärt sie, gibt es einen Arbeitskräftemangel in der Wissenschaft. Somit könnte eine Gleichbehandlung der Geschlechter auch zu einer höheren Zahl an Interessierten führen. In einem kürzlichen Interview mit eLife erläuterte sie:

„Es ist […] wichtig, dass die Teams, die neue Technologien oder wissenschaftliche Lösungen für globale Probleme entwickeln, die Gesellschaften widerspiegeln, denen sie dienen.“

Demnach müssten circa 50 Prozent der Stellen mit Frauen besetzt werden. Das Thema Gleichberechtigung sollte jedoch nicht nur bei der Besetzung sondern auch in Bezug auf Erfolg und Beförderungen umgesetzt werden. Chancengleichheit beinhaltet laut der Physikerin auch, dass Familie und Beruf miteinander vereinbart werden können. Aufgrund des männlichen Fokus werde dem häufig nicht genug Beachtung geschenkt.

Jungen Mädchen Mut machen

Auf Twitter promotet Jess Wade zusätzlich zu ihren Texten auf Wikipedia die Arbeit der Menschen, bewirbt Stipendien und teilt wichtige Beiträge zum Thema Bildung und Wissenschaft. 

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Da ihr sehr viel daran liegt, Mädchen so früh wie möglich von der Wissenschaft zu begeistern, hat sie 2021 zudem gemeinsam mit der Illustratorin Melissa Castrillón das Kinderbuch „Nano“ herausgebracht. Dieses erklärt komplexe Themen in einfacher Sprache und soll Kindern Lust auf Wissenschaft machen.

Die junge Physikerin ruft auch andere dazu auf, sich zu engagieren. Egal, ob es darum geht, Frauen und marginalisierte Menschen in der Wissenschaft für Preise zu nominieren oder einen Wikipedia-Artikel zu verfassen, ihr großer Traum sei die Gleichberechtigung für jede:n beim Start in den Beruf:

„Ich träume von einer Welt, in der jeder, der Zugang zu einer hochwertigen naturwissenschaftlichen und mathematischen Ausbildung hat, selbst entscheiden kann, was er werden möchte. Ich träume von einer Welt, in der wir aufhören, Energie darauf zu verschwenden, Menschen danach zu beurteilen, wie sie aussehen, wo sie aufgewachsen sind oder welche Hautfarbe sie haben […]“

Beitragsbild: Jess Wade | diff.wikimedia.org

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    Lara Dehari

    Lara ist Redakteurin beim Good News Magazin. Sie träumt nicht nur von einer besseren Welt, sondern gestaltet sie mit ihren Artikeln aktiv mit. Sie hat Wirtschaftspsychologie und Medienmanagement studiert, bevor sie den Journalismus für sich entdeckte.

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