Ira Peter ist Russlanddeutsche und ihr Herz schlägt für die Ukraine. Im Interview spricht sie über ihre Herkunft und ihre Arbeit.
Bei der Verleihung des Social Media- und Influencer-Awards Die Goldenen Blogger 2022 Anfang April 2022 gab es für sie den größten Applaus: Die Gewinnerin des Preises Newcomerin des Jahres, Ira Peter. Die Auszeichnung erhielt sie für ihre Arbeit als Stadtschreiberin Odessa im Jahr 2021. Eine Anerkennung für ihren Mut, alles über Bord zu werfen und sich ihrer Leidenschaft zu widmen – ihrer Familiengeschichte und der Geschichte der Deutschen in Osteuropa.
Auch das Gründerteam des Good News Magazins hat Ira Peter bei der Verleihung kennengelernt und sich schnell von ihrer Begeisterung für die osteuropäische Geschichte und ihrer positiven Energie anstecken lassen. Ein paar Wochen nach der Verleihung hat Ira sich die Zeit genommen, mit unserer Redakteurin Pia Bergmann über ihre Herkunft, ihre Zeit in Odessa und ihr Engagement für die Ukraine zu sprechen. Mit welchen drei Worten unsere Redakteurin sie nach dem Gespräch beschreiben würde? “Mutig”, “leidenschaftlich” und “engagiert”.
“Zur Ukraine fühle ich mich wahnsinnig verbunden”
Ira Peter wurde in der Sowjetrepublik Kasachstan geboren und ist als Neunjährige mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen. Für Iras Großeltern, die deutsche Kolonisten im Westen der Ukraine waren, war die Ukraine ihre Heimat. 1936 wurden sie nach Kasachstan deportiert, was in Iras Familie großen Schmerz hinterließ. Ihre russlanddeutsche Herkunft empfand sie lange Zeit als einen schweren Koffer, den sie zu tragen hatte. Doch inzwischen sieht sie ihre Herkunft, die Sprache und die kulturelle Prägung als eine Schatzkiste, aus der sie sich je nach Situation etwas passendes rausholen darf.
Nach Abschluss des Abiturs und verschiedener Studiengänge arbeitete Ira über mehrere Jahre festangestellt als Marketingberaterin. Schließlich kündigte sie spontan ihren Job und machte sich innerhalb von zwei Wochen als PR-Beraterin und Online-Marketing-Managerin selbstständig. Umgehend konnte sie größere Aufträge an Land ziehen und verdiente gutes Geld. Doch sie merkte, dass ihr Herz trotz ihrer Erfolge für etwas anderes schlug und dass sie in ihrem Leben etwas verändern wollte. Inzwischen dreht sich ihre Arbeit daher komplett um ihre Wurzeln.
“Ich habe verstanden, dass meine Herkunft viele Vorteile mit sich bringt und meine Arbeit dreht sich nur noch darum. Das ist ein Thema, das mich so dermaßen motiviert und pusht, ich weiß nicht, für welches andere Thema ich sonst brennen würde.”
Ira Peter im Interview mit dem Good News Magazin
Als Ira Peter im Jahr 2018 das erste Mal in die Ukraine reiste, fühlte sie sich dem Land sofort verbunden. Die Reise in die Ukraine war für sie auch eine Reise zu sich selbst, die vieles veränderte. Ihr wurde klar, dass sie nun auch beruflich ihren Passionen – dem Schreiben und dem Thema “Deutsche Spuren in der osteuropäischen Geschichte” – nachgehen wollte. Im darauffolgenden Jahr reiste sie zweimal für mehrere Wochen in die Ukraine und arbeitete, vor allem im Jugendbereich, vermehrt mit dem Thema ukrainisch-deutsche Beziehungen. Sie lernte immer mehr Orte und Menschen, die Sprache und die Mentalität des Landes kennen und ihr Gefühl von Verbundenheit zu dem Land wurde immer stärker.
“Es war nicht so, als würde ich in ein fremdes Land kommen, sondern als würde ich zurückkommen, irgendwohin, wo ich schon einmal war.”
Ira Peter im Interview mit dem Good News Magazin
“Ich wollte in die Ukraine, ganz einfach”
Das Deutsche Kulturforum östliches Europa vergibt einmal im Jahr das Stadtschreiber-Stipendium. Dieses sogenannte “Wanderstipendium” wird jedes Jahr an eine andere Stadt angegliedert und zwar immer im Osten Europas in einer Region, in der Deutsche gelebt haben und heute noch leben. So soll das kulturelle Erbe der Deutschen in Osteuropa in der Öffentlichkeit bekannter gemacht und ein interkultureller Dialog ermöglicht werden.
In diesem Stipendium sah Ira die große Chance, wieder in die Ukraine reisen und sich dort über mehrere Monate hinweg mit ihrem Lieblingsthema “Deutsche Spuren in der Ukraine” beschäftigen zu können. Zu ihrer großen Freude konnte sie sich im Auswahlverfahren durchsetzen und wurde für das Jahr 2021 Stadtschreiberin Odessa.
“Ich wollte in die Ukraine, ganz einfach. Und ich dachte, das ist die beste Möglichkeit. Mit dem Thema „Deutsche Spuren in der Ukraine“ beschäftige ich mich schon seit vielen Jahren. Und im Rahmen des Stipendiums konnte ich die ganze Zeit mein Lieblingsthema bearbeiten, was perfekt war.”
Ira Peter im Interview mit dem Good News Magazin
In der Gestaltung ihrer Arbeit als Stadtschreiberin war Ira sehr frei, es gab nur eine einzige verpflichtende Vorgabe: Den Blog zu befüllen. Der thematische Schwerpunkt des Blogs waren deutsche und jüdische Spuren im Schwarzmeerraum und in Odessa. In ihren fünf Monaten als Stadtschreiberin war Ira immer unterwegs und hat so viele Menschen getroffen und gesprochen, dass sie mit dem Schreiben gar nicht mehr hinterher kam. Sie schrieb regelmäßig Blogeinträge, doch den Fokus legte sie auf ihren Instagram-Kanal. Dort erreichte Ira viele Menschen mit stundenlangen Instagram-Stories, die sie täglich veröffentlichte und durch die man sie in ihrem Alltag in Odessa und bei ihren Gesprächen begleiten konnte.
“Es war das süße Leben”
Die Stadt im Süden der Ukraine zog Ira in ihren Bann. Der Sommer, den sie dort erlebte, war heiß und staubig und es war immer etwas los. Odessa hatte kulturell viel zu bieten, es fanden täglich mehrere Veranstaltungen wie Festivals und Open-Air-Konzerte statt, vieles davon war kostenlos. Ira machte Yoga am Strand, tanzte bis in die Morgenstunden im Sand oder fuhr mit einem Kanu auf dem Meer dem Sonnenaufgang entgegen. Corona war in Odessa nicht präsent, die Stadtbewohner:innen “scherten sich nicht um die Regeln.” Auch der Krieg war weit weg.
„Und Odessa ist einfach … es begann mit einem Sommerflirt und ist zu einer großen Liebe geworden, die glaube ich für immer bleibt.“
Ira Peter im Interview mit dem Good News Magazin
“Wir dürfen die Leute nicht im Stich lassen, die kämpfen da für uns”
Dass der Krieg in der Ukraine nun Realität geworden ist, ist für Ira ein unerträglicher Schmerz, der sie begleitet. Sie wacht jeden Morgen auf und checkt als erstes ihre Nachrichten, um zu erfahren, ob es ihren Freund:innen gut geht. Viele von ihnen sind inzwischen aus dem Land geflüchtet, doch einige sind aus verschiedenen Gründen noch vor Ort. Sie leben beispielsweise mit ihren Eltern zusammen, die älter sind und die nicht alleine gelassen werden können.
Für Ira ist es surreal, dass sich die Menschen an den Orten, an denen sie selbst letztes Jahr noch war, jetzt in ihren Kellern verstecken müssen und nichts zu trinken haben. Doch mittlerweile kann sie sich von dem Schmerz über den Krieg etwas besser lösen, denn auch sie muss weitermachen und funktionieren.
“Manchmal ist es gut, meist ist es immer noch Trauer und ganz ganz oft ist es so, dass ich es einfach immer noch nicht fassen kann, dass das passiert.”
Ira Peter im Interview mit dem Good News Magazin
Iras Appell an die Menschen in Deutschland lautet, nicht müde vom Krieg zu werden, sich weiterhin darüber zu informieren, auf Demonstrationen zu gehen und damit Druck auf die Politik auszuüben, damit die Ukraine nicht im Stich gelassen wird. Sie selbst setzt sich mit all ihren Mitteln für die Ukraine ein.
“Es geht nicht alleine um die Ukraine, da werden Grundwerte angegriffen und die betreffen uns genauso. Und vielleicht heute nicht unmittelbar, aber morgen mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit.”
Ira Peter im Interview mit dem Good News Magazin
Noch am Tag des Kriegsbeginns ging sie auf eine Friedensdemonstration und knüpfte sofort Kontakt zu einem Frauenhaus in der Nähe ihrer Wohnung in Mannheim. Für die Frauen und Kinder, die aus der Ukraine dorthin gekommen sind, erledigte Ira, gemeinsam mit Freund:innen, mehrmals Einkäufe, sammelte Spenden, sie fuhr mitten in der Nacht mit ihnen ins Krankenhaus, wenn ihre Babys krank waren, organisierte und übersetzte. Ira ist außerdem eine von 156 Unterzeichner:innen eines offenen Briefes an die Bundesregierung, in dem Hilfe für die Ukraine gefordert wird.
Inzwischen liegt der Fokus ihres Engagements in ihrer Arbeit für die Runnebaum-Stiftung aus Heidelberg. Mit der Aktion “Helping Hands der Ukraine” dieser Stiftung werden Sachspenden und vor allem Geldspenden gesammelt. Mit dem Geld werden in Zusammenarbeit mit German Doctors und Apotheker:innen Medikamente und andere benötigte Güter gekauft, die in Kinderkrankenhäuser in Odessa und in ein Krankenhaus in Kiew gebracht werden.
Ira ist die Verbindung in die Ukraine, sie fordert die Liste mit Bedarfen von den Ärzt:innen ab, organisiert den Transport ab Heidelberg, die Übergabe der Waren an den Grenzen und übersetzt. Dabei kommt ihr zugute, dass sie die Kultur und Sprache der Menschen, die hierher flüchten, weitestgehend versteht. Ira hat immer wieder den Impuls, dass sie selbst in die Ukraine fahren und vor Ort helfen möchte, doch aus Verantwortung ihrer Familie gegenüber bleibt sie in Deutschland.
Am Tag des Interviews mit dem Good News Magazin ist sie gerade auf dem Heimweg, nachdem sie an den beiden Vorabenden Benefizlesungen für die Runnebaum Stiftung gehalten hat. Dort hat sie Texte aus Odessa vorgelesen und eine Podiumsdiskussion mit anderen Künstler:innen mit Bezug zu Odessa oder zur Ukraine geführt. Die Galas waren an beiden Abenden voll und es ist viel Geld zusammengekommen, was für Ira sehr bewegend war.
Der Wert ihrer Arbeit als Stadtschreiberin Odessa wird vor allem jetzt deutlich: “Die Leute schreiben mir, dass sie gar keinen Bezug haben zur Ukraine, aber durch meinen Blog und durch mich Odessa und die Ukraine kennengelernt haben und sich jetzt sehr verbunden fühlen. Und das ist so wichtig, denn wenn du dich verbunden fühlst, setzt du dich ja auch ein für das Land in dieser Situation.” Ira schreibt weiterhin als Journalistin über die Ukraine, gibt Interviews und Russlanddeutschen, die sich ebenfalls für die Ukraine engagieren in ihrem Podcast Steppenkinder – Der Aussiedler Podcast, eine Stimme.
“Liebe ist stärker als Hass und die Wahrheit wird gewinnen”
Ira ist es wichtig, dass die Menschen in Deutschland den Geflüchteten, die hierherkommen, offen und auf Augenhöhe begegnen. Sie haben vor der Flucht ein genauso gutes und beruflich erfolgreiches Leben geführt, wie Menschen es hier tun, haben all dies zurücklassen müssen und befinden sich jetzt in einer Notsituation. Es ist sehr wichtig, dass sie das Gefühl bekommen, dass sie hier willkommen sind.
Trotz allem verliert Ira den Glauben an das Gute nicht:
“Liebe ist stärker als Hass und die Wahrheit wird gewinnen. Denn der aktuelle Krieg ist komplett auf Lügen aufgebaut oder auf sehr vielen Lügen aufgebaut. Und Lügen halten sich nicht lange, irgendwann wird es bröckeln, früher oder später. Wir müssen geduldig sein und durchhalten, aber ich glaube an das Gute, weil wenn du nicht an das Gute glaubst in der Welt, dann kannst du auch gleich aufhören zu atmen.”
Ira Peter im Interview mit dem Good News Magazin
Beitragsbild: Ira Peter