Ein barrierefreies, umgebautes Auto ermöglicht Menschen mit Behinderung ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben. Der Weg dahin kann lang sein. Sehr lang, wie unsere Kollegin Cinderella Glücklich im Gespräch erzählt.
Cinderella Glücklich wurde 1992 in Wiesbaden geboren und hat Journalismus und Unternehmenskommunikation studiert. In Praktika und als Angestellte kämpft sie trotz ihrer Gehbehinderung gegen Vorurteile – wenn sie trotz erfolgloser Bewerbungen überhaupt bis zu einem Job kommt. “Es gibt zahlreiche Barrieren in den Köpfen der Menschen. Viele Arbeitgeber:innen wollten mich nicht einstellen, weil sie dachten, dass ich mit meiner Behinderung nicht richtig arbeiten könne, sondern nur Geld koste.” Sie macht sich schließlich als Speakerin und Unternehmensberaterin für Inclusive Leadership selbstständig und berät Firmen fortan in ihren Inklusionsstrategien. Ein Schritt, der ohne die Selbstbestimmtheit durch ein eigenes Auto sehr viel schwerer geworden wäre. Cinderella engagiert sich zudem ehrenamtlich als Vertrauensperson und im Rechercheteam beim Good News Magazin.
Als ich die Geschichte unserer Good News Magazin-Kollegin Cinderella über ihren siebenjährigen Kampf für ein barrierefreies Auto hörte, wollte ich sie aus privaten Gründen unbedingt selbst für diese Printausgabe erzählen. Ich wuchs in einem “behindertenintegrierten Gymnasium” auf und wollte für mich selbst hinterfragen, was auf Menschen mit Behinderung eigentlich nach der Sicherheit einer solchen integrativen Institution zukommt. Für mich war es völlig “normal”, dass zu einer eventuellen Evakuierung eine Rutsche in der Schule gehörte, damit auch die Schüler:innen mit Gehbehinderung evakuiert werden konnten. Dass Fahrstühle vorhanden sein mussten, so wie es Türschwellen nicht sein durften. Und dass jede:r meiner Klassenkamerad:innen ein anderes Gefährt oder Unterstützung brauchte: Es gab Rollstühle, Gehhilfen, Dreiräder, Elektromobile. Diese Mobilität ermöglichte, dass wir gemeinsam London genossen, dass wir auf Konzerte gingen und ja, überhaupt erst gemeinsam eine Schule besuchten. Nach der Schule endete der Kontakt aufgrund diverser Auslandsaufenthalte meinerseits und ich freute mich auf das Gespräch mit Cinderella: Was habe ich verpasst? Wo muss ich meine rosarote Brille der Schulzeit korrigieren? Fassen wir es kurz: Cinderellas Geschichte hat sie nicht korrigiert, sie riss mir die rosarote Brille ab und zermalmte sie in tausend kleine Teile. Willkommen in der Realität nach der Schulzeit. Willkommen in einem Land, das im globalen Verhältnis sehr weit ist, aber doch Inklusion anscheinend weniger lebt, als es das gern nach außen darstellt.
Der irre(nde) Weg zum Kraftfahrzeug
Ich hoffe, dass Cinderella irgendwann ihre Geschichte in einem langen Video, Podcast oder Buch selbst zum Besten gibt. Man weint, lacht und brüllt Obszönitäten ob der Hürden, die ihr in den Weg gelegt wurden. Nicht nur der Bürokratie-Dschungel Deutschland wurde aus der Perspektive einer Person mit Behinderung noch einmal undurchdringlicher, Cinderella ließ mithilfe ihrer Anwältin in einem Strafrechtsprozess sogar einen korrupten Arbeitsagentur-Mitarbeiter auffliegen. All das, was sie in den sieben Jahren erlebt hat, kann man gar nicht in einem Text zusammenfassen. Daher haben wir uns gedacht: Wir zeigen es grafisch. Denn nichts gleicht diesem langen Kampf besser als ein Labyrinth.
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Labyrinth-Sackgasse 1: Spezial-Fahrschule
“Als Mensch mit Behinderung kann ich nicht einfach in eine normale Fahrschule gehen, sondern muss in eine spezielle Fahrschule. Die muss man erst mal finden und der Führerschein ist auch doppelt so teuer ist wie üblich.”
Labyrinth-Sackgasse 2: Neurologisches Gutachten
Da Cinderellas körperliche Behinderung angeboren und aufgrund von Sauerstoffmangel und einem Hirnschaden entstanden ist, “wird argumentiert, dass ich ja auch sonst einen an der Klatsche haben und den Straßenverkehr gefährden könnte. Deswegen durchleuchtete ein Arzt mich von Kopf bis Fuß. Das “Beste” daran war der Satz zum Schluss: ‘Normalerweise ist so ein Gutachten bei mir ja ziemlich teuer, aber Sie sind so hübsch, Ihnen gebe ich es für 100 Euro!’”
Labyrinth-Sackgasse 3: Bürokratie-Startschuss
Wer ist verantwortlich für eine Kfz-Kostenbeihilfe? “Es gibt leider kein Handbuch, aber durch Selbstrecherche und Gespräche mit anderen Menschen mit Behinderungen lernt man, dass es verschiedene mögliche Kostenträger gibt, die die Umbauten finanzieren. Je nach Lebenssituation und Grund für das Auto ist ein anderer zuständig. Ich wusste nicht, was am meisten gewichtet wird und wandte mich an die Rentenversicherung.”
Labyrinth-Sackgasse 4: Ablehnung Antrag 1
“Normalerweise haben die Ämter intern die Pflicht, den Antrag an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Das ist aber bei mir nicht erfolgt. Die Rentenversicherung hat den Antrag einfach abgelehnt, anstatt ihn weiterzuleiten.”
Labyrinth-Sackgasse 5: Ablehnung 2
“Durch Ablehnung 1 blieb nur der gesetzlich vorgeschriebene Rechtsweg. Also schrieb ich einen begründeten Widerspruch. Der wurde wieder abgelehnt. Dadurch ging es in die nächste Instanz und dafür brauchte ich Rechtsbeistand, den ich selbst bezahlen musste. Die Jurist:innen deckten auf, dass der Antrag durch die interne Weiterleitung hätte bearbeitet werden sollen. Es wurde also alles rückabgewickelt.”
Labyrinth-Sackgasse 6: Warten zur Entkomplizierung
“Ich musste nun bei dem für mich richtigen Kostenträger, der Arbeitsagentur, nochmal den ganzen Antrag stellen. Da ich das Auto nicht dringend brauchte, empfahl mir meine Anwältin, das Verfahren zu “entkomplizieren”. Sie empfahl, mich an die im Normalfall zu wahrende Karenzfrist zwischen zwei Anträgen zu halten. Obwohl es ein interner Fehler war und ich sie rechtlich nicht hätte wahren müssen.”
Labyrinth-Sackgasse 7: Arbeitslos ohne Auto?
“Ich habe bis zu dem Punkt alles selbst mit angespartem Geld finanziert. 2016 bekam ich meinen ersten richtigen Job, wo ich auch fest angestellt werden sollte. Aber ich konnte mit dem ÖPNV nicht fünfmal die Woche ins Büro kommen. Ohne Auto war der Job also auf der Kippe, aber ich habe es ins Positive umgedreht und gesagt: Dann habe ich jetzt einen dringenden Anlass, den Antrag bei der Arbeitsagentur zu stellen.”
Labyrinth-Sackgasse 8: Kostenvoranschläge aus ganz Deutschland
“Die Werkstatt einer Freundin, die schlussendlich mein Auto umbaute, das mobilzentrum in Fulda, erklärte mir die wichtigen Schritte des Antragsverfahrens, damit er nicht wieder abgelehnt werden würde. Dafür musste ich Kostenvoranschläge von drei verschiedenen Umbauwerkstätten einholen. Die saßen alle an anderen Ecken Deutschlands und ich konnte nicht einfach meine Unterlagen hinschicken, sondern musste für eine Einschätzung vor Ort sein. Auf den ÖPNV und den Mobilitätsservice der Deutschen Bahn angewiesen, dauerte das pro Werkstatt drei Tage. Denn: Der ÖPNV ist in den seltensten Fällen barrierefrei. Autogegner:innen demonstrieren immer wieder für autofreie Innenstädte oder Ähnliches. Wenige haben auf dem Schirm, dass eine solche Regelung für Menschen mit Behinderungen unter Umständen bedeutet, dass sie wieder einen Rückschritt machen. Diese Debatten muss man gemeinsam führen.”
Labyrinth-Sackgasse 9: Ablehnung 3
“Die Arbeitsagentur muss den Antrag und diese Kostenvoranschläge nach Wirtschaftlichkeit und Tauglichkeit bewerten. Die Werkstatt in Fulda konnte beide Aspekte zu 100 % erfüllen, dennoch wurde der Antrag abgelehnt. Also ging das Ganze wieder vor Gericht.”
Labyrinth-Sackgasse 10: Korruption in der Arbeitsagentur
“Wir haben juristisch darauf bestanden, dass das wirtschaftlichste und am besten passende Angebot genommen und dem Antrag stattgegeben wird. Da rief der Mitarbeiter der Arbeitsagentur bei der Werkstatt an und bedrohte meine Freundin. Das zog sich über Monate hin. Am Ende deckten wir auf, dass der Sachbearbeiter einen illegalen Kooperationsvertrag mit einer Werkstatt geschlossen hatte und immer deren überteuerte Angebote genehmigte, weil er den Differenzbetrag zum billigsten Angebot als Provision bekam. Das mündete in einem Strafrechtsverfahren, in dem ich als Zeugin auftrat.”
Labyrinth-Sackgasse 11: Ablehnung in finaler Instanz
“Indes ging der Prozess um den Antrag vorm Sozialgericht weiter. Weitere Ablehnungen und Berufungen durch teils unwissende Richter resultierten in einer Ablehnung durch die Richterin in finaler Instanz.”
Raus aus der Sackgasse und zum Auto: “In dieser finalen Urteilsbegründung fand meine Anwältin einen Tippfehler im Paragrafen, mit dem die Richterin das Urteil begründete. Nur dadurch konnte meine Anwältin einen Verfahrensfehler nachweisen und das Urteil wurde aufgehoben.”
Warum der ganze Weg so lang und irr sein musste, fragte ich Cinderella. Aus eigener Erfahrung und in Gesprächen mit anderen Menschen mit Behinderung erklärte sie mir, dass es scheint, als wollten die Institutionen einfach nicht zahlen. Auch wenn man rechtlich einen Anspruch auf diese Beihilfe besitzt. “Hätte ich diese Werkstattcrew nicht gehabt, wäre ich komplett durchgedreht. Ich war ein emotionales Wrack, als ich zu ihnen kam. Ich war kurz davor, meinen Job zu verlieren, hatte meinen Führerschein in mehrerlei Hinsicht teuer bezahlt und konnte nichts damit anfangen. Mir wurde immer wieder die Selbstständigkeit und die Selbstbestimmung verwehrt. Die Crew wurde in all der Zeit eine zweite Familie und sie waren so stark involviert in allem. Ich bin manchmal einfach zu ihnen gefahren und wollte nur ein bisschen Motoröl schnuppern, um das alles zu ertragen. Sie haben mir gezeigt: ‘Wir stehen hinter dir, egal wie lange es dauert und egal wie eklig das wird.’’
Für Dirk Günder, den neuen Chef von das mobilzentrum, ist Cinderellas Geschichte eine Ausnahme: “Im Schnitt dauert es von der ersten Anfrage zum fertigen umgebauten Auto ein halbes Jahr bis manchmal ein Jahr bei Komplettumbauten.” Fünf bis sieben Mitarbeitende helfen in Fulda seit 15 Jahren Menschen auf dem Weg zur fahrenden Selbstbestimmung. Jedes Auto ist eine Individuallösung: “Es gibt keine Standardlösungen für den Umbau. Es erfordert immer eine kompetente Beratung, zugeschnitten auf den Menschen mit seiner eigenen Behinderung.”
“In mehrerlei Hinsicht teuer bezahlt”
Cinderellas eigener Irrgang im Labyrinth endete mit der Zusage der Arbeitsagentur tatsächlich nicht, der Spießrutenlauf ging munter weiter. Denn trotz Kfz-Kostenbeihilfe: Diese bezahlt nur den Umbau. Die sieben Jahre Wartezeit und die daraus resultierenden, hohen Rechtskosten sowie der Autokauf selbst forderte ihr viel ab: “Für einen Gebrauchtwagen gibt es so strikte Vorgaben, dass ein Neuwagen mehr Sinn macht. Doch ich als Mensch mit Behinderung konnte aufgrund meiner Behinderungen und der Diskriminierung, die ich im Laufe meines jungen Berufslebens erfuhr, noch gar nicht richtig Geld verdienen. Ich konnte keine Sicherheiten für eine Finanzierung bieten oder das Auto bar bezahlen. Bevor ich in puncto Einstiegshöhe und möglichen Umbauarbeiten das richtige Auto gefunden hatte und dann auch noch ein Autohaus, das mir eine Finanzierung ermöglichte, dauerte es. Nur dank eines sehr, sehr engagierten Autoverkäufers bekam ich mein Auto für hoch rabattierte 22.000 Euro. Ich bin immer noch dabei, das Auto abzubezahlen, aber ich bin so dankbar, dass ich es habe. Dennoch: Es zeigt, dass ich oft abhängig bin vom Wohlwollen anderer Menschen. Denn unsere Gesellschaft ist systematisch darauf ausgerichtet, Menschen mit Behinderung auszugrenzen.”
Als teurere Individuallösungen beim Umbau ihres Autos notwendig wurden, führte auch das wieder zu Diskussionen mit der Arbeitsagentur: “Individual-Umbauten werden immer nötig, bieten aber immer ein Schlupfloch, durch das die Arbeitsagentur wieder den Stöpsel ziehen kann. Es ist eine permanente Zitterpartie und viel psychischer Stress, weil es jedes Mal heißen kann: Der Antrag wird durch diesen Umbau wieder komplett abgelehnt.”
Einfach war an Cinderellas Geschichte gar nichts. Dafür ist ihr Leben jetzt um einiges einfacher und vor allem selbstbestimmt. Freiberuflich tätig als Unternehmensberaterin? Ohne Auto wäre das aktuell sicher nicht möglich und ihr Leben sähe ganz anders aus.
Das Auto als Werkzeug der Selbstbestimmung
Denn dies ist das Good News Magazin. So sehr mich das Gespräch mit Cinderella entzauberte, so zeigte sie mir doch selbst auf, was trotz aller Hürden die so wichtige Good News an ihrem langen Kampf ist: “An meinem Auto hängt ein riesiger positiver Rattenschwanz dran. Das Auto ermöglicht mir, selbstbestimmt mein Leben zu führen. Ich kann damit einkaufen, ich kann damit reisen, ich kann damit zur Arbeit fahren, also arbeiten. Ich kann viele Dinge allein machen, für die ich ohne ein Auto Hilfe bräuchte. Und diese Selbstbestimmung hat natürlich auch wieder positive psychische Auswirkungen. Und sie hat wirtschaftliche Auswirkungen, weil ich tatsächlich als Fachkraft dem Arbeitsleben zur Verfügung stehe.”
Da bleibt einem nur zu sagen: Auf dass wir nie wieder ein solches Labyrinth abdrucken brauchen, sondern der Weg zur Selbstbestimmung ein einfacher und selbstverständlicher wird.