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Streit und hitzige Diskussionen, die wenigsten Menschen mögen sie und doch begegnet ihnen jede und jeder immer wieder. Wir haben mit Daniel Privitera, dem Gründer von streitgut gesprochen. Streitgut verändert, wissenschaftlich nachweisbar, die Diskussionskultur in Deutschland. Wie können wir Meinungsverschiedenheiten anders gestalten – gegen Spaltung und für gemeinsame Lösungen?
Lucia Oiro: Daniel, ich bin super gespannt auf unser Gespräch. Vor allem, weil ich mich selbst, ehrlicher Weise, eher als harmoniebedürftig bis -süchtig beschreiben würde. Umso gespannter bin ich, wie Diskussionen und Streit anders gehen können. Du hast die Initiative streitgut gegründet. Also, sag mal, streitest du dich denn wirklich gerne?
Daniel Privitera: Naja, mich zu streiten, ist definitiv kein Hobby von mir. Es macht mir jetzt nicht Spaß oder so. Was ich aber toll finde ist, wenn ich nach einer Auseinandersetzung das Gefühl habe, dass wir dadurch enger zusammengewachsen sind. Die innere Verbindung ist stärker und im besten Fall habe ich auch noch was dazu gelernt. Das mag ich wirklich gerne.
LO: Ja, wie du sagst, im besten Fall ist das so, aber in vielen anderen Fällen ist Eskalation oder Trennung das Ergebnis von Diskussionen …
DP: Ja, und genau da setzen wir mit streitgut an. Ich würde mir wünschen, dass wir insgesamt als Gesellschaft unser Verständnis von dem Wort “Diskussion” korrigieren und verändern. Wir haben meist etwas Konfrontatives vor Augen. Leute, die aufbrausen, wie bei einem Hahnenkampf. Oder Rede-Duelle, bei denen es meist nur um eine gute Rhetorik geht. Nach dem Motto: Wer macht den besten Stich. Diskussionen werden oft, auch in den Medien, als Wettbewerbsbegriff gelebt: “Mein Argument schlägt deins”. Man merkt es schon an der Sprache. Meiner Meinung und Erfahrung nach, kann Diskussion aber Reichtum sein und eine Vielfalt an Meinungen, ein kooperatives Verständnis beinhalten.
LO: Das klingt gut, aber wie kommen wir dahin? Oder anders gefragt: Wie tragt ihr mit streitgut dazu bei?
DP: Wir haben tatsächlich ein sehr großes Ziel: Wir wollen die Diskussionskultur besser machen, nachweislich besser, wissenschaftlich messbar. Dafür produzieren wir Social-Media-Content, der Personen dabei helfen kann, die eigene Art und Weise zu diskutieren erstmal zu erkennen und dann zu verändern. Auf unserem Instagram-Account finden sich solche Inhalte, auf unserer Website und in unserem Newsletter. Wir arbeiten zusammen mit Leuten aus der internationalen Konfliktforschung und das, was die Forschung weiß, fließt in unsere Formate ein.
Ergebnisse sind uns dabei sau wichtig. Was uns besonders motiviert hat in den letzten Wochen: Wir haben zwei unserer Pilotformate wissenschaftlich getestet. Es ging um ein typisches kontroverses Aufregerthema: die Frauenquote. Unser Test zielte darauf ab, ob Leute, die eine Diskussion anschauen, mit einem klaren Kopf darüber nachdenken können und sachlich, lösungsorientiert herangehen oder eher in Empörung verfallen und nach Bestätigung suchen.
LO: Du hast ja auch schon öffentliche, teilweise hitzige Diskussionen geleitet. Wie machst du das?
DP: Die Übung hilft mir sehr. Ich hatte schon ein sehr diverses Publikum mit sehr unterschiedlichen Diskussions-Teilnehmenden und -Standpunkten. Einmal saßen zum Beispiel der AfD-Stadtrat und ein Antifa-Mitglied nebeneinander. Diese Erfahrungen haben mich gelehrt, dass mein Job als Moderator nicht nur ist, das Wort zu erteilen: “Ok danke, Nächste/r.” Sondern es ist auch meine Verantwortung, dass es am Ende hoffentlich für alle ein gutes Gespräch war.
LO: Und konnten sich denn AfD-Stadtrat und Antifa-Mitglied wirklich in deiner Diskussionsrunde einigen?
DP: Ehrlich gesagt, in dieser Situation würde ich nicht drauf wetten, dass die danach dachten: „Wow wie schön, das ist ja auch nur ein Mensch.“ Für mich war das damals auch eher eine unangenehme Erfahrung. Deswegen bewegen wir uns bei streitgut auch weg von den klassischen Formaten. Es reicht oft nicht, Menschen einfach zusammen zu bringen. Begegnungen können nach hinten losgehen, zu noch mehr Polarisierung beitragen und am Ende denkt jeder: “Siehst du, ich wusste es doch.” Deshalb setzen wir jetzt stattdessen auf Social-Media-Content, der Menschen grundsätzlich dazu befähigt, mit schwierigen Gesprächen besser umzugehen.
LO: Was ist also, eurer Meinung nach, überhaupt das Ziel einer Diskussion?
DP: Das finde ich ne coole Frage, denn es gibt nicht das eine Ziel. Je nach Diskussion, kann das sehr unterschiedlich sein, zum Beispiel ein gemeinsames vortasten. Es muss dabei aber nicht sein, dass die Wahrheit immer in der Mitte liegt.
LO: Die Situation AfD gegen Antifa könnte man ja auch auf einen Familientisch, beispielsweise bei Weihnachten, übertragen. Einerseits ist es gut, verschiedenen Menschen und ihren Meinungen zu begegnen, andererseits ist es oft unangenehm und kann zu heftigem Streit führen. Kannst du da weiterhelfen?
DP: Das Wichtige vorweg: Es hängt vom Typ ab. Wir sind alle unterschiedlich und unterschiedliche Leute brauchen andere Techniken. Aber gerade wenn es hoch her geht und man selber Sorge hat, in welche Richtung es sich entwickelt, wäre eine Technik, Fragen zu stellen. Und zwar die aufrichtigste, neugierigste Frage, zu der man gerade in der Lage ist. Manchmal muss man sich dazu richtig zwingen, denn der Körper reagiert oft mit einem erhöhten Puls und ruhig bleiben ist nicht immer einfach. Doch man kann sich Mechanismen antrainieren und zum Beispiel fragen: „Ich merke dir ist das wichtig; warum?“ Damit wertschätze ich die andere Person und gleichzeitig will ich wissen, was hinter “der Meinung” passiert. Welche Erfahrungen haben die Meinungen der anderen Person geprägt?
Eine andere Technik ist, sich erstmal den Gemeinsamkeiten bewusst zu werden. Das versuche ich oft am Anfang von Diskussionen und ändert, nachweislich, den Verlauf der meisten Meinungsverschiedenheiten.
LO: Trotz der vielen Probleme und Uneinigkeiten, die wir beobachten können in der Gesellschaft, würdest du dich selbst als optimistischen Menschen beschreiben, wie kommst du dazu?
DP: Durch das Bild von unserer Gesellschaft als Schwarmintelligenz. Wir haben über 83 Millionen Bestandteile – alle haben ihre Erfahrungen und Argumente. Je besser wir uns austauschen können, desto besser wird das, was am Ende dabei rauskommt. Wenn jede und jeder immer nur auf seiner Meinung verharrt, verschenkt man das Potenzial der Schwarmintelligenz, dadurch ist es viel wahrscheinlicher, dass Fehlentscheidungen getroffen werden.
Wir entwickeln uns als Menschheit. Ich bin mir total sicher, das viele von uns krass unterschätzen, das eine andere, bessere Diskussionskultur möglich ist und greifbar nah. Man muss es oft nur anstoßen. Dabei geht es auch um soziale Normen. Die ganze Geschichte der Menschheit ist ein Veränderungsprozess. Oft neigen wir dazu, zu empfinden, dass uns Dinge, wie eben unsere Diskussionskultur, “einfach passieren”. Aber sie wird von uns selbst aktiv gemacht. Deswegen bin ich auch total davon überzeugt, dass es anders möglich ist.Es gibt außerdem aktuell sehr viele Initiativen und wir bei streitgut sind Fans von sehr vielen! Wie beispielsweise Diskutiermitmir, die machen viel Begegnungsarbeit, oder Deutschland spricht. Ich habe das Gefühl, das ist ein cooles und immer weiter wachsendes Feld, viele Organisiationen besetzen bestimmte Bereiche. Wir machen eher Bildung und statten Leute mit Techniken und Strategien aus – und so ergänzt sich das ganz gut.
Beitragsillustration: © Alicia Mehlich, Kunstwerk von Alexander Milov “The Inner Child”
Bild von Daniel: © Daniel Privitera