Mutmachende Forschungsergebnisse aus Lausanne

Digitale Gehirn-Rückenmark-Verbindung hilft Querschnittsgelähmten beim Laufen

von | 25. Mai, 2023

Forschenden in Lausanne ist es gelungen, durch eine kabellose Brücke zwischen Gehirn und Rückenmark die Folgen der Querschnittslähmung zu mindern.

Schwere Verletzungen des Rückenmarks, die zu einer Unterbrechung der Kommunikation zwischen diesem und dem Gehirn führen, können bleibende Lähmungen verursachen. Einem Forschungsteam aus Lausanne ist es nun erstmals über eine implantierte Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle (Brain-Spine Interface, BSI) gelungen, diese Kommunikation in Echtzeit wiederherzustellen. Erster Proband war ein 38-Jähriger, der an der klinischen Studie STIMO-BSI teilnimmt. 

Der Patient, der aufgrund eines Unfalls seit zehn Jahren an Arm- und Beinlähmung (Tetraplegie, eine Form der Querschnittslähmung) litt, konnte laut der am gestrigen 24. Mai im Fachjournal „Nature“ erschienen Studie wieder ein „natürliches“ Gefühl der Kontrolle über die Bewegungen seiner Beine gewinnen. Mithilfe von Gehhilfen kann er sehr eingeschränkt, aber eigenständig laufen, Treppen steigen und sogar komplexes Gelände durchqueren. Kleinere neurologische Verbesserungen, wie bei Sinneswahrnehmungen und motorischen Fähigkeiten, hielten laut Forschenden auch dann noch an, wenn das BSI abgeschaltet wurde. 

Fortschritt zu bisherigen Lösungen bei Querschnittslähmung

Das BSI erweitert das Prinzip eines Implantats zur Elektrostimulation des Rückenmarks und besteht aus zwei vollständig implantierten Systemen, die kabellos über eine „digitale Brücke“ miteinander kommunizieren. Der erste Teil besteht aus zwei Implantaten zur Elektrokortikographie (Verfahren, das Aktionsströme der Hirnrinde grafisch darstellt) in der Schädeldecke des Patienten, die jeweils die neuronale Aktivität an 64 Elektroden messen und an eine tragbare Recheneinheit weiterleiten. Aus diesen Daten errechnet der Computer die gewollte Bewegung und übersetzt sie in Stimulierungsbefehle, die dann in Echtzeit an das zweite implantierte System weitergegeben werden. Dieses befindet sich im Rücken, wo ein elektrischer Pulsgeber und ein Elektrodenarray mit 16 kleinen Elektroden die Motor-Neuronen im Rückenmark entsprechend stimulieren und so die Muskeln gezielt aktivieren.

„Nach meiner Kenntnis haben die Autoren in mehreren Bereichen Fortschritte erzielt. Der Schlüsselaspekt ist meiner Auffassung nach, dass das Ganze in Echtzeit funktioniert. Bisher mussten Probanden intensiv an irgendetwas denken, beispielsweise eine bestimmte Farbe, und sich darauf konzentrieren. Dieses Signal in Form eines herausragenden Gedankenereignisses hat der Computer erkannt und daraufhin ein Bewegungsprogramm gestartet. Hier ist es anders, denn anstelle dieses Umweges wird direkt die Imagination der Bewegung […] erkannt und in Echtzeit weitergegeben. Das Auslesen der Steuerimpulse […] ist offenbar so präzise, dass die Bewegungsimagination tatsächlich zum Ansteuern einzelner Gelenke verwendet werden kann. Die Signalverarbeitung ist ausreichend schnell, dass sie für die komplexen Bewegungen beim Laufen verwendet werden kann.“

PD Dr. Rainer Abel, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Querschnittsgelähmte, Klinikum Bayreuth

Anwendbarkeit auf andere Patient:innen

Laut der Forschenden ließ sich das BSI innerhalb weniger Minuten kalibrieren und funktionierte über den Beobachtungszeitraum von einem Jahr zuverlässig, auch bei unabhängiger Nutzung zu Hause. Der Patient hatte im Vorfeld der Studie bereits an einem Neurorehabilitations-Programm mittels Elektrostimulation des Rückenmarks teilgenommen, woraufhin er dazu in der Lage war, mit einer Gehhilfe Schritte zu machen. Nach etwa drei Jahren eigenständiger Nutzung erreichte er jedoch ein Rehabilitations-Plateau. 

Obwohl die Vorgeschichte des vorgestellten Patienten zwar die Konfiguration des BSI beschleunigte, seien laut Forschenden keine größeren Hindernisse für die Implementierung eines BSI bei neuen Personen zu erwarten. Auch wenn die Implantations-Operationen selbst nie risikofrei sind, lässt die Studie hoffen, dass die berichteten Effekte auf die Gehfunktion auf andere Patient:innen mit Querschnittlähmung – insbesondere solche mit kompletter Lähmung – übertragbar sind.

Beitragsbild: Depositphotos

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Viktoria Franke

Unsere Chefredakteurin a.D. Viktoria begann noch während des Studiums, als Sportjournalistin durch die Welt zu ziehen. Mittlerweile berät sie kleine Einzelkämpfer und große Unternehmen in ihrer Innen- und Außenkommunikation und organisiert weltweit Pressebereiche bei Sportevents. Good News sind bei all dem Trubel genau so wichtig für ihre mentale Gesundheit wie ein Stück Schokolade.

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