Die Sprache der Menschen auf Helgoland ist vom Aussterben bedroht. Ein junger Insulaner will dem entgegenwirken – mit Hilfe eines KI-Modells
Denkt man an ein Land, das besonders eng mit seiner Sprache verbunden ist, fällt einem womöglich als erstes Frankreich ein. Genauso könnte man aber auch nach Köln schauen, wo der kölsche Dialekt als Sprachrohr des Karnevals fast schon als Synonym für die Fröhlichkeit gefeiert wird. Oder nach Schottland und Irland. Länder, die längst erkannt haben, dass sie sich mit Gälischen Straßenschildern ein Stück ihres Erbes und ihrer Identität zurückholen.
Doch warum eigentlich? Vielleicht, weil Sprache verrät, wer wir sind. In ihrem Klang schwingt unsere Lebenseinstellung mit, unsere Kultur, die Geschichte unserer Vorfahren. Jede Sprache trägt ihren eigenen Rhythmus – vom aufgeweckten Spanisch zum präzisen Deutsch. Doch was passiert mit so einem Erbe, wenn die Sprache verschwindet? Verblasst dann auch das Erbe? Ein junger Insulaner von Helgoland will genau das für die Sprache seiner Insel verhindern. Und nimmt sich dafür die KI zur Hilfe.
KI als Chance für die Zukunft
Denn Halunder, so heißt die Sprache, die ursprünglich auf Helgoland gesprochen wurde, droht auszusterben. Nur noch etwa 100 Menschen sprechen die Sprache der Insel – eine erschreckend kleine Zahl, die wohl noch weiter schwinden wird, mit denen, die sie derzeit am Leben halten.
Doch der 22-jährige Helgoländer Jakob Mertens will das verhindern. Er sammelte Wörter und Sätze, um damit eine künstliche Intelligenz zu trainieren. Dafür arbeitete er auch gemeinsam mit Muttersprachlern. Das Ergebnis ist das Übersetzungsmodell halunder.ai, Technik allein wird seine Sprache nicht retten, das ist auch Mertens bewusst. Doch wichtig ist der Erhalt der Sprache. Denn nur so haben zukünftige Generationen überhaupt die Möglichkeit, die Sprache zu lernen. Mit der KI hat er es jetzt geschafft, die Sprache seiner Heimat unsterblich zu machen.
Die Stiftung, die sein Projekt unterstützt, plant bald auch eine gesprochene Variante der KI. Derzeit kann man die Sätze dort noch nicht wiedergeben lassen. In ihrer Vision von der Zukunft Helgolands sehen sie das Modell auch als noch viel größere Chance. Nämlich dann, wenn es als Lernversion für Schulen und Sprachinteressierte eingesetzt werden kann. Denn wie andere Länder bereits gezeigt haben, schafft die Sichtbarkeit einer Sprache auch die Sichtbarkeit der Menschen und ihrer Kultur. Und für so eine kleine Sprache, trägt Halunder ganz schön viel Kultur und Geschichte auf seinen Schultern.
Die Halunder und ihre Geschichte
Halunder, so nennen die Menschen auf Helgoland, die ebenfalls Halunder genannt werden, ihre eigene Sprache. Das Helgoländer Friesisch gehört zum Nordfriesischen und wird heute von schätzungsweise nur etwa 100 Menschen beherrscht. Damit ist Halunder eine der kleinsten Sprachen Europas und steht daher auch auf einer UNESCO Liste der bedrohten Sprachen. Für so eine kleine Sprache trägt Halunder allerdings ganz schön viel Geschichte auf seinen Schultern.
Bis 1890 war Helgoland Teil des britischen Reichs, wurde dann an das damalige Deutsche Reich abgegeben. Halunder war bis zu diesem Zeitpunkt die Alltagssprache der Insel. Nur für den Kontakt zum Festland nutzte man Plattdeutsch. Nach der Eingliederung in das Deutsche Reich verdrängte die deutsche Sprache allerdings rasch die der Insulaner: Schon 1923 sprachen nur noch etwa 15 % der Schulkinder Halunder. Dennoch blieb die Sprache kulturell bedeutsam – sie war Ausdruck von Identität und Zugehörigkeit. Besonders in den schweren Zeiten während des Kriegs.
Halunder, eine Sprache des Zusammenhalts
Während des zweiten Weltkriegs wurde das zu Hause der Halunder von den Deutschen als Militärbasis genutzt. Sie stationierten Soldaten, bauten Bunker und einen Flugplatz für die Luftwaffe. 1945 wurden dann eben diese Militärbasen von den Briten bombardiert. Die Halunder mussten ihre Heimat verlassen und Schutz auf dem Festland suchen. Eine schwere Zeit, die von Nostalgie und Heimweh geprägt ist. Und genau dieser Schwermut findet sich auch in alten Liedern der Halunder wieder.
„Kan’s di di noa un’e Tid turäi tenk, as wi no weär iip Lun? Weär deät ni roor, nä hoar wi di deär swor, wi wöll turäi nor ii Lun hen!“
„Kannst Du Dich noch an die Zeit zurückerinnern, als wir noch auf Land waren? War das nicht schön? Nun haben wir uns geschworen, wir wollen wieder zu unserem Land hin!“
(Hymne von Max Siemens)
Sieben Jahre lang dürfen sie nicht wieder nach Hause, sind an verschiedenen Orten auf dem Festland verteilt. Ihre Sprache ist während dieser Zeit das Bindeglied, das sie zusammenhält. Ihr Zusammenhalt als Halunder und ihre Heimatverbundenheit klingen bis heute in ihren Liedern nach, die traditionell bei Volksfesten gesungen werden.
Auch sie sorgen dafür, dass Halunder noch in Zukunft greifbar ist und Menschen begeistert. Das KI-Projekt wiederum gibt der Sprache die Chance, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte zu überdauern. Und so jedem, der es will, eine Möglichkeit, die eigene Sprache und Geschichte wiederzuentdecken.