Eva Biringer war alkoholabhängig und doch übt sie den Job weiter aus, der sie einst in die Sucht führte. Als Food-Journalistin und Restaurant-Kritikerin probiert sie sich durch die Sterneküchen der Welt. Heute gehört für sie eine komplexe nicht-alkoholische Essensbegleitung selbstverständlich zur Haute-Cuisine.
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Auf der Zunge entfaltet die „Mutter aller Soßen“ kurz eine süßliche Note, nur um dann plötzlich eine scharf-erdige Tiefe einzuschlagen. Eva Biringer, die als erfahrene Kritikerin erstklassiger Restaurants schwer zu beeindrucken ist, schließt für einen Moment die Augen, um sich ganz auf das Geschmackserlebnis einzulassen. 3611 Tage alt ist die „Mole Madre“, das wohl berühmteste Gericht des Pujol in Mexiko-Stadt.
Küchenchef Jesús Durón hat es ausschließlich mit Tortillas aus blauem Mais und einem Blatt mexikanischem Blattpfeffer servieren lassen. Das Restaurant wird seit Jahren regelmäßig unter den 50 besten der Welt gelistet. Eva sitzt an einem schlichten Holztisch mit Blick auf eine Glasfront zum Garten hin. Gedämpfte Lichtinseln spiegeln sich in ihrem Weinglas, das keinen Wein enthält.
Spannender als die Weinbegleitung
„Ich wusste immer, dass ich ein Problem hatte“, sagt die 35-Jährige, die seit 2014 über Haute-Cuisine schreibt. Sie zog von der schwäbischen Alb nach Berlin, später auch nach Wien und begann, sich durch die gehobene Gastronomie zu probieren. Eine alkoholische Begleitung gehörte zu jedem Gang selbstverständlich dazu. Sie trank beinahe täglich, nicht nur beruflich, und immer häufiger im Rausch. „Gute Freunde haben die Eskalation so gut wie nie angesprochen“. Kritik tat Eva ab. Auf Presseterminen oder privaten Feiern kokettierte sie mit dem Schwips: „Ich nannte mich selbstbewusst die ‘Weinjournalistin’“.
Der kreisrund angerichtete Klecks Soße reicht aus, um einen intensiven Duft von gerösteten Chilischoten, Pekannüssen und Kakao zu versprühen. Insgesamt beinhaltet die Mole Madre 28 Zutaten und wird seit knapp einer Dekade immer wieder mit einer frischen, saisonalen Charge vermischt. „Damals hätte ich bewerten müssen, ob die alkoholische Essensbegleitung dem vielschichtigen Gericht gerecht …