Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung steht: „Wir werden das bereits praktizierte Gender Budgeting auf Bundesebene im Sinne einer verstärkten Analyse der Auswirkungen finanzpolitischer Maßnahmen auf die Gleichstellung der Geschlechter weiterentwickeln und auf geeignete Einzelpläne anwenden.“ Doch was hat es damit auf sich?
Ein trockenes Thema der Finanzpolitik? Von wegen! Gerade die geschlechtergerechte Haushaltsplanung zeigt, welche wichtigen Entscheidungen gerade im Finanzministerium getroffen werden, finden Hanna Merki und Niklas Illenseer. Beide sind im gemeinnützigen Verein FiscalFuture aktiv, der junge Menschen über Finanzpolitik aufklärt und zur Mitgestaltung einlädt. Im Interview mit dem Good News Magazin erläutern sie die Chancen von Gender Budgeting, was bei der Umsetzung berücksichtigt werden muss und warum es auch Kritik gibt.
Julia Fritzsche: Was ist Gender Budgeting?
Niklas Illenseer: Gender Budgeting meint einfach gesagt die Anwendung eines Leitbilds von Geschlechtergerechtigkeit in der Haushaltsplanung, also die Planung von Einnahmen und Ausgaben in der Staatskasse. In Kurz bedeutet Gender Budgeting, die Geschlechterperspektive bei haushaltspolitischen Entscheidungen mitzudenken.
Haushalte würden dabei nach geschlechterdifferenzierten Effekten analysiert und möglichst geschlechtergerecht geplant, um Geschlechter-Ungerechtigkeiten nicht zu verstetigen. Dass dies jetzt erst im Koalitionsvertrag erscheint, bedeutet, dass der Staatshaushalt bisher eher geschlechtsblind und somit nicht unbedingt gerecht gestaltet wurde. Wenig berücksichtigt wurde bislang, wer von Ausgaben profitiert und wer von Einnahmen stärker belastet ist. Ein Beispiel für letztere war die Luxussteuer auf Menstruationsprodukte, bei der menstruierende Menschen stärker belastet wurden.
„Momentan wird der Haushalt als neutral gelesen, da er Frauen zumindest nicht aktiv diskriminiert. Das heißt aber noch lange nicht, dass er wirklich neutral oder gerecht ist. Und durch diese scheinbare Neutralität werden Ungerechtigkeiten momentan erst recht verstärkt. Gender Budgeting kann dem entgegenwirken.“
Niklas Illenseer
Hanna Merki: Generell kann mensch zusammenfassen, dass Gender Budgeting sich aktiv das Ziel setzt, Geschlechtergerechtigkeit umzusetzen. „Geschlechtergleichheit“ ist eins der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und sollte deswegen von allen Staaten umgesetzt werden. Wenn die Staatshaushalte bisher eher geschlechterblind waren und so Frauen mehr belastet haben als Männer, wird dieses Ziel noch vernachlässigt. Gender Budgeting berücksichtigt die derzeitigen Lebensrealitäten von Männern und Frauen. Zum Beispiel arbeiten Frauen und Männer oft in unterschiedlichen Sektoren und Beschäftigungsverhältnissen, kümmern sich verschieden oft um Familienangehörige und dann wären da auch noch die Aufgaben im Haushalt.
Das Beispiel Corona-Finanzhilfen
Julia Fritzsche: Bei den Corona-Finanzhilfen wurde beispielsweise noch kein Augenmerk auf Gender gelegt. Was würde sich bei diesem Thema jetzt ändern?
Hanna Merki: Corona zeigt deutlich, wie unterschiedlich sich die Krise auf Männer und Frauen auswirkt. Frauen sind mit 60% überdurchschnittlich in den systemrelevanten Berufen vertreten. Gerade Dienstleistungsbereiche und der Kulturbetrieb sind besonders stark von den pandemiebedingten Einschränkungen betroffen, hier arbeiten ebenfalls mehr Frauen.
Viele Hilfspakete, beispielsweise auf europäischer Ebene, unterstützen aber vor allem die Sektoren Digitalisierung, Energie und Bauwesen, die selbstverständlich wichtig sind – vor allem für die nachhaltige Transformation Deutschlands. Allerdings arbeiten hier überdurchschnittlich viele Männer. Zusätzlich übernahmen Frauen den Großteil der sogenannten Care-Work wie Homeschooling ohne große zusätzliche Unterstützung.
Das Kurzarbeiter:innen-Geld ist ein gutes Beispiel. Es hat super vielen Menschen während der Coronakrise geholfen, aber die Ausrichtung und Umsetzung führten dazu, dass es vor allem Menschen mit Vollzeitjob und tariflicher Bezahlung unterstützte. Das sind überwiegend Männer, während Frauen oft in Teilzeit oder prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Das Kurzarbeiter:innen-Geld orientierte sich außerdem am Nettogehalt, das gerade bei verheirateten Frauen aufgrund des Ehegattensplittings und der Lohnsteuerklasse V meist mit vergleichsweise hohen Abzügen eher niedrig ausfällt. Dadurch kam bei vielen Frauen das Kurzarbeiter:innen-Geld erst gar nicht an.
„Wir befürworten arbeitspolitische Maßnahmen wie das Kurzarbeiter:innen-Geld auf jeden Fall. Hätte es allerdings das Gender Budgeting schon gegeben, hätte viel früher aufgedeckt werden können, dass das Geld eben nicht bei Frauen und Männern gleich ankommt.“
Niklas Illenseer
Niklas Illenseer: Das Kurzarbeiter:innen-Geld hätte erweitert und ergänzt werden können, sodass Hilfe nicht überproportional Männer unterstützt, sondern alle Arbeitsverhältnisse und Arbeitgeber:innen abdeckt. Die Pandemiepolitik hat also gezeigt: Jetzt ist ein umso wichtigerer Zeitpunkt, Geschlechtergerechtigkeit in allen politischen Bereichen mitzudenken. Gender Budgeting verstärkt auf Bundesebene anzuwenden, ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Erfolge aus anderen Ländern
Julia Fritzsche: Andere Länder wie Österreich oder Rwanda arbeiten schon längst damit. Welche Veränderungen sind zu sehen?
Hanna Merki: Österreich gilt weltweit als Vorzeigebeispiel, weil es eines der Länder war, die Gender Budgeting sehr früh 2009 verfassungsrechtlich eingeführt haben. Allerdings gibt es bisher nicht genug klare Erfolge. Das wird viel untersucht und es scheint mehrere Gründe dafür zu geben. Beispielsweise kann gefragt werden, wer für die Umsetzung zuständig ist. Ist es das Finanzministerium oder alle Ministerien zusammen? So wie es in der Verfassung steht, müssen alle Ministerien mitdenken. Dadurch fühlt sich das Finanzministerium jedoch nicht verantwortlich. Es braucht aber eine Hauptverantwortung.
Ein anderes Beispiel sind die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten, wenn Mindestanforderungen an Gender Budgeting unterschritten werden. Österreich bleibt somit ein interessantes Beispiel, wo es noch an Datenanalyse, gesamtheitlicher Umsetzung sowie ausreichender Repräsentation fehlt. In Wien können schon deutlich mehr positive Beispiele von Gender Budgeting verzeichnet werden: die Einführung eines beitragsfreien Kindergartens, sowie der Ausbau öffentlicher Infrastruktur, der die Arbeitslosenquote von Frauen senken konnte.
„Gender Budgeting wurde in verschiedenen Ländern schon umgesetzt und hat manchmal mehr und manchmal weniger gut funktioniert. Geschlechtergerechte Haushaltsplanung hat Potenzial, wenn sie überall mitgedacht und dementsprechend umgesetzt wird.“
Hanna Merki
Wenn mensch allerdings Länder des Globalen Südens betrachtet, sieht mensch durchaus positive Veränderungen. In Indien zeigen Studien, dass Investitionen, die auf Geschlechtergerechtigkeit achten, beispielsweise im Bereich Infrastruktur zu höheren Einschulungsquoten von Mädchen führten. In Mexiko wird Gender Budgeting vor allem vom Gesundheitsministerium überwacht. Dort wurde analysiert, ob es ausreichend Budget für Gesundheitsprogramme für Frauen gab. Inzwischen stieg die Lebenserwartung von Frauen an und die Müttersterblichkeitsrate sank.
Kritik am Konzept
Julia Fritzsche: Gibt es auch Kritik an der Einführung von Gender Budgeting in der Haushaltsplanung und Analyse? Werden zum Beispiel andere Kriterien wie soziale Herkunft auch berücksichtigt?
Niklas Illenseer: Ein großer Kritikpunkt ist in der Tat, dass die Geschlechterdimension lang nicht alle Diskriminierungs- und Marginalisierungsformen abdeckt. Wie wäre es dann mit Diversity Budgeting? Allerdings ist der Begriff schon an sich problembehaftet und es gibt unglaublich wenig Recherche und Praxisbeispiele hierzu. Aber natürlich existieren andere fiskalpolitische Ungerechtigkeiten. Gender Budgeting ist also nicht das Ende vom Lied. Es muss wesentlich weiter gefasst werden.
Unser großer Appell wäre, Haushaltspolitik insgesamt nach Ungerechtigkeiten zu analysieren und gerechter zu gestalten. Gender Budgeting ist eben ein Mechanismus, um das für Geschlechter zu tun. Wobei damit nicht nur Ungerechtigkeiten gegen Frauen gemeint sein sollten.
Daraus folgt, dass der komplette Haushalt von Grund auf gender- und gesamtgerecht gedacht werden muss. Studien zeigen, dass Entscheidungen, die von einer diversen Gruppe gemacht werden, effektiver und gerechter sind. Für die Haushaltspolitik bedeutet das konkret, dass die momentanen Barrieren für Mitbestimmung und Ausgestaltung für Frauen und andere Menschen mit Marginalisierungserfahrung aktiv abgebaut werden müssen. Das fängt mit einer kompliziert scheinenden Fachsprache an, in die mensch sich nur schwer einfinden kann ohne tiefgehende Studien- oder Arbeitserfahrung in diesem Bereich. Gerade die Finanzpolitik ist überwiegend eine Männerdomäne ohne viele weibliche Vorbilder. Es braucht mehr Frauen und eine bessere gesellschaftliche Repräsentation.
Jugenddialoge und Begeisterung für Finanzpolitik
„Wir wollen jungen Menschen zeigen: Hey, wir müssen Finanzpolitik mitdenken, um unsere politischen Forderungen einzubringen!“
Hanna Merki
Julia Fritzsche: Finanzpolitik scheint vielen zuerst als sehr langweilig. FiscalFuture möchte vor allem junge Menschen für das Thema begeistern und Generationengerechtigkeit einfordern. Wie kam es dazu?
Hanna Merki: Gebildet hat sich FiscalFuture aus einer Gruppe junge Menschen, die sich aktiv in der Debatte um eine zukunftsfähige Finanzpolitik einbringen wollten. Denn im Moment werden junge Menschen in der finanzpolitischen Debatte noch viel zu wenig gehört, wir wollen das ändern! Finanzpolitik wird oft als eher verstaubt wahrgenommen, wirkt schnell kompliziert und realitätsfern, dabei spielen finanzpolitische Entscheidungen beim Klimaschutz, Bildung oder Digitalisierung eine wesentliche Rolle.
Wir klären junge Menschen über die Relevanz von Finanzpolitik auf und ermutigen sie dazu, sich zu beteiligen. Dies tun wir, indem wir Finanzpolitik verständlich erklären und über sie informieren, aber auch, indem wir selbst als Plattform wirken, bei der sich junge Menschen finanzpolitisch engagieren können.
FiscalFuture: ein Mitmach-Projekt
Julia Fritzsche: Was sind eure nächsten Pläne und Vorhaben?
Niklas Illenseer: Wir möchten mit FiscalFuture junge Menschen in der Finanzpolitik sichtbar machen! Als Mitmachprojekt freuen wir uns immer über neue ehrenamtliche Mitglieder, um noch mehr junge Menschen für das Thema Finanzpolitik zu begeistern. Grundsätzlich kann bei uns jede:r mitmachen: mit oder ohne Vorwissen. Ab Mai werden wir im Rahmen des European Macro Policy Networks gefördert. Mit dieser Förderung können wir FiscalFuture verstetigen und vergrößern, und regelmäßige Veranstaltungen organisieren, bei der junge Menschen in Präsenz und online mit Politiker:innen und Wissenschaftler:innen in einen Austausch treten können.
Am 22. Februar um 18:00 veranstalten wir eine Online-Diskussion zum Thema Gender Budgeting mit Cansel Kiziltepe (MdB) und Dr. Katharina Mader. Am 01. März um 19:30 diskutieren wir mit Rasmus Andresen (MdEP) über Zoom, ob Europa aufgrund der Corona-Schulden jetzt sparen muss. Wir freuen uns immer über neue Gesichter, schreibt uns einfach auf Instagram oder Twitter.
Beitragsbilder: ThisIsEngineering / Unsplash & Tim Mossholder / Unsplash