Früher war alles besser in der Ehe? Nur für Männer.

das ist ein GNM+ ArtikelNichts geschenkt – erkämpfte Frauenrechte

von | 15. April, 2025 | Politik, #10 – Früher war alles besser ... nicht, GNM+

„Früher war alles besser”, hören wir immer wieder. Dies trifft nicht auf Frauen zu. Sie haben hart für ihre Rechte gekämpft – und in den letzten Jahrzehnten entscheidende Siege errungen.

Errungenschaften der Frauenbewegung in Deutschland

Frauenrechte wurden nie aus Nächstenliebe verschenkt, sie wurden erkämpft – mit Blut und Schweiß und Tränen. Im Jahr 1893 führte Neuseeland als erstes Land das Frauenwahlrecht ein; andere Länder folgten über die nächsten Jahrzehnte. In Deutschland trat am 30. November 1918 das Reichswahlgesetz in Kraft, das das allgemeine aktive und passive Wahlrecht für Frauen festschreibt. Am 19. Januar 1919 konnten Frauen in Deutschland zum ersten Mal ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen und damit wählen und gewählt werden. 1948 wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen erstmals die Gleichstellung von Frauen und Männern als fundamentales Prinzip anerkannt. 

Frauen in Deutschland und der ganzen Welt haben über Jahrzehnte hinweg für ihre Rechte gekämpft. Bis 1977 durften verheiratete Frauen in Deutschland nur mit der Zustimmung ihres Ehemanns einer Arbeit nachgehen. Zudem musste ihre Berufstätigkeit mit den „Pflichten in Ehe und Familie“ vereinbar sein. Diese Regelung war ein Überbleibsel aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) von 1900, das die rechtliche Unterordnung der Ehefrau unter den Mann festschrieb. Erst mit der Reform des “Ehe- und Familienrechts” 1977 wurde dieser Passus abgeschafft, womit Frauen endlich rechtlich gleichgestellt wurden und eigenständig über ihre Berufstätigkeit entscheiden konnten.

Doch die gesetzliche Reform allein reichte nicht aus, um die tatsächliche Gleichstellung zu erreichen. Bereits im 20. Jahrhundert wurden in Deutschland und anderen Ländern weitere Maßnahmen eingeführt, um die berufliche und soziale Situation von Frauen zu verbessern. Dazu gehört der Mutterschutz, der in der DDR 1950 und in der BRD 1952 eingeführt wurde und seither mehrfach angepasst wurde. Auch die schrittweise Einführung des gleichen Lohns für gleiche Arbeit, die rechtliche Anerkennung von Schwangerschaftsabbrüchen unter bestimmten Bedingungen sowie der Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten trugen zur Stärkung der Rechte von Frauen bei.

Trotz dieser Fortschritte bleibt die Gleichstellung eine gesellschaftliche Herausforderung, die über gesetzliche Regelungen hinausgeht.

Wenn auch die Gleichberechtigung der Geschlechter heute mehrfach auf nationaler und internationaler Ebene festgeschrieben ist, sind Frauen* und Männer* in der Praxis alles andere als gleichberechtigt: Eine von fünf Frauen ist im Alter armutsgefährdet, über 80 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, was die Mutter oft in Teilzeitarbeit zwingt. Von der Gender Pay Gap gar nicht zu reden. Gesetzliche Regelungen sind damit zwar ein erster Schritt, aber für echte Gleichberechtigung braucht es mehr als das. Vor allem brauchen wir ein Umdenken in der Gesellschaft – und das hat es in den letzten Jahren gegeben, zumindest teilweise. Ein Fall, der eindrucksvoll zeigt, wie ein solches Umdenken bewirkt werden kann, um Frauenrechte nicht nur im Gesetz, sondern auch im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern, ist der Fall Pelicot, der Ende 2024 in vielen Ländern durch die Medien ging. Die Anzeige wird später im Text erklärt.

Vergewaltigung in der Ehe als Straftat

Obwohl Frauen und Männer laut Grundgesetz seit 1949 gleichgestellt sind,  hatten Ehefrauen über Jahrzehnte keine juristische Grundlage, Anzeige gegen ihren Mann zu erstatten, wenn er sie vergewaltigt hatte. Vergewaltigung in der Ehe – die längste Zeit existierte diese Tat in Deutschland juristisch nicht. Erst am 15. Mai 1997 beschloss der Bundestag, nach zähem parlamentarischen Ringen, Vergewaltigung in der Ehe fortan als Verbrechen zu bewerten. 

Die Umsetzung des neuen Gesetzes blieb jedoch schwierig. Auch, weil Opfer sexueller Gewalt in der Ehe aus Furcht oft keine Anzeige erstatten – eine Furcht vor Gewalt, aber auch davor, nicht ernst genommen zu werden, wenn sie von ihren Erfahrungen berichten. Nun sorgte jüngst ein Gerichtsfall in Frankreich dafür, dass diese Problematik publik wurde. Der Fall der “Vergewaltigungen von Mazan” erlangte internationale Aufmerksamkeit und bewirkte eine gesamtgesellschaftliche Anerkennung für die Problematik selbst, vor allem aber für die Opfer sexueller Gewalt in der Ehe. 

Gerechtigkeit in Avignon

Im Vergewaltigungsprozess von Avignon ist der Hauptangeklagte Dominique Pelicot zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sprach den 72-Jährigen in allen Punkten schuldig. Pelicot hatte seine frühere Ehefrau, Gisèle Pelicot, fast zehn Jahre lang immer wieder betäubt und im Internet zur Vergewaltigung angeboten. Auch die 50 Mitangeklagten, Männer, die auf Pelicots Angebot eingegangen waren und sich an Gisèle Pelicot vergangen hatten, wurden schuldig gesprochen. Ein großer Erfolg nicht nur für Frankreich, sondern auch für Frauen weltweit. Die Schuldigen erhielten konkrete Konsequenzen, die der Gesellschaft offen zeigen: Wer vergewaltigt, wird bestraft. Hoffentlich dienen die hohen Strafmaße als Abschreckung in der Zukunft. Die Französin entschied sich, den Vergewaltigungsprozess gegen ihren Ex-Mann öffentlich zu führen, um eine gesellschaftliche Debatte über sexualisierte Gewalt und die Rechte von Frauen anzustoßen. „Ich habe diese Entscheidung nie bereut“, sagte sie nach der Urteilsverkündung in Avignon. Besonders wichtig war es ihr, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Betroffene einzustehen: „Ich denke an die Opfer, die nicht bekannt sind, und deren Geschichten oft im Dunkeln bleiben. Sie sollen wissen, dass wir den gleichen Kampf führen.“

Aus Gisèle Pelicots Stellungnahme nach dem Prozess:

„Dieser Prozess war eine extreme Prüfung/Herausforderung. In diesem Moment denke ich zuerst an meine 3 Kinder und an meine Enkelkinder, weil sie die Zukunft sind. Ich habe diesen Kampf auch für sie geführt, genauso wie für meine Schwiegertöchter, Aurore und Céline. Ich denke auch an all die anderen Familien, die von diesem Drama berührt wurden. Und ich denke an all die Opfer, deren Schicksal nicht anerkannt wurde, deren Geschichten oft im Schatten verborgen bleiben. Ich will, dass ihr wisst, dass wir denselben Kampf führen., sagte sie.

Durch ihr mutiges Auftreten wurde Gisèle Pelicot in Frankreich zur feministischen Ikone. Sie wollte erreichen, dass die Scham endlich die Seiten wechselt, von denBetroffenen zu den Tätern: „Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie“, erklärte sie in ihrer Stellungnahme nach dem Ende des Prozesses. Ihr Fall trug dazu bei, dass die Debatte über die gesetzliche Verankerung einer ausdrücklichen Zustimmung zu sexuellen Handlungen („Ja heißt Ja“) wieder Fahrt aufnahm.

Über ihren Prozess wurde fast täglich in nationalen und internationalen Medien berichtet. Der Fall wurde zum internationalen Gespräch und damit wurde endgültig der Vorhang vor sexualisierter Gewalt in der Ehe und Vergewaltigung weggezogen. 

Genau das war auch Gisèle Pelicots Ziel: „Meine Absicht, als ich die Türen zu diesem Prozess am 2. September geöffnet habe, war es, dass die Gesellschaft die Debatten aufgreifen kann, die dort geführt wurden”, erklärte sie gegenüber den Medien. Und weiter: „Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Ich habe Vertrauen in unsere Fähigkeit, gemeinsam eine Zukunft zu gestalten, in der alle, Frauen und Männer, gemeinsam in Harmonie leben können, in gegenseitigem Respekt und Verständnis.”

Frauen sind glücklicher – auch ohne Mann und Kinder

Der gesellschaftliche und rechtliche Umgang mit Vergewaltigung und Geschlechterrollen muss weiter kritisch hinterfragt werden, um Frauen zu schützen und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Trotzdem zeigt die Gegenwart: Sexualisierte Gewalt ist endlich Teil der öffentlichen Debatte. Frauen UND Männer fordern Gleichberechtigung. 

Diese Gleichberechtigung muss sich in allen Lebensbereichen zeigen – und bedeutet dabei nicht nur für gleiche Rechte und gleiches Gehalt. Sie bedeutet auch, dass Frauen* alles sein dürfen, was sie sein wollen, und dass alte Geschlechterrollenbilder wegfallen. Dies betrifft übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer, für die Narrative, wie „Männer weinen nicht“ oder das Ideal des Mannes als starken Versorger, ebenso negative Auswirkungen und psychische Belastungen nach sich ziehen.

Ein Wegfall solcher Geschlechterrollen bedeutet, dass Frauen nicht mehr über ihre Funktion als Mutter oder Ehefrau definiert werden. Gleichzeitig muss dabei berücksichtigt werden, dass gesellschaftliche Erwartungen an Beziehungen und Lebensmodelle kulturell unterschiedlich sind. Während in westlichen Ländern die Emanzipation der Frau zunehmend auch die Möglichkeit bedeutet, ohne Ehe oder Kinder ein erfülltes Leben zu führen, gelten in vielen anderen Teilen der Welt noch traditionelle Vorstellungen, in denen eine Ehe soziale und wirtschaftliche Sicherheit bietet – und von vielen Frauen nicht als Unterdrückung, sondern als bewusste Entscheidung empfunden wird. Die Freiheit der Wahl muss also in beide Richtungen gedacht werden: Frauen sollen sich nicht mehr verpflichtet fühlen, in traditionelle Rollen zu schlüpfen, aber ebenso wenig unter Druck gesetzt werden, diese abzulehnen.

Dass Frauen sich zunehmend von sozialen Verpflichtungen lösen, zeigen dennoch mehrere Studien, die nahelegen, dass alleinstehende Frauen ohne Kinder oft zu den glücklichsten Menschen gehören. Männer dagegen sind laut Erkenntnissen aus der American Time Use Survey und einer Untersuchung der University of Toronto tendenziell glücklicher in festen Beziehungen. Sie finden durch eine Ehe oder Partnerschaft mehr Stabilität im Leben, was sich positiv auf ihre psychische und körperliche Gesundheit auswirken kann. Professor Paul Dolan, Psychologe und Leiter des Instituts Psychological and Behavioural Science der London School of Economics, erklärt: „In einer Partnerschaft nehmen Männer weniger Risiken auf sich, erzielen höhere Einkommen und haben eine leicht erhöhte Lebenserwartung. Frauen hingegen tragen oft eine zusätzliche Belastung, die sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken kann – sie sterben im Durchschnitt früher als unverheiratete Frauen.“

Diese Erkenntnisse zeigen, dass traditionelle Rollenvorstellungen überdacht werden müssen – nicht nur für Frauen, sondern für alle Geschlechter. Was jahrhundertelang von Kirche, Gesellschaft und Politik propagiert wurde, entspricht nicht der Realität vieler Menschen. Gleichberechtigung bedeutet nicht nur, dass Frauen ohne Abhängigkeit vom Mann leben und arbeiten können, sondern auch, dass sie sich frei entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten – ohne gesellschaftliche Zwänge in die eine oder andere Richtung. Und genau diese Freiheit muss weiter gestärkt werden.

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Anna-Lena Malter
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