Warum Prävention bedeutet, Menschlichkeit zu wahren und dennoch klare Grenzen zu ziehen – darüber spricht Mathieu Coquelin, Geschäftsführer der FEX – Fachstelle für Extremismusdistanzierung.
Wo entstehen die Ideen für eine GuteZukunft? Wir sprechen mit Unternehmer:innen, Kreativen und Visionär:innen über ihre Innovationskraft, Inspirationsquellen und Visionen – und zeigen, wie positive Konzepte echte Veränderungen möglich machen.
Dort, wo Menschen ernst genommen werden – wo wir zuhören, Räume für Dialog öffnen, uns die Mühe machen, Unsicherheit in Sprache zu übersetzen –, entstehen demokratische Anschlussfähigkeiten. – Mathieu Coquelin
Die FEX – Fachstelle für Extremismusdistanzierung ist eine zentrale Beratungs- und Präventionsstelle in Baden-Württemberg, die Strategien zur Verhinderung und Distanzierung von politisch und religiös motiviertem Extremismus entwickelt und umsetzt. Sie gehört organisatorisch zum Demokratiezentrum Baden-Württemberg, die Finanzierung erfolgt durch öffentliche Mittel.
Die Fachstelle richtet sich vor allem an (sozial-)pädagogische Fachkräfte, ehrenamtlich Tätige und zivilgesellschaftliche Initiativen, bietet Beratung, Workshops und digitale Bildungsangebote und stärkt so Handlungskompetenz im Umgang mit Radikalisierung.
GNM: Welche positiven Entwicklungen siehst du in deiner Branche, die bisher (zu) wenig Aufmerksamkeit bekommen haben?
Eine Entwicklung, die viel zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommt, ist die zunehmende Integration von Radikalisierungsprävention in die Ausbildung pädagogischer Fachkräfte – und zwar nicht als abstraktes Theorie-Modul, sondern als wirksamkeitsgeprüfter Praxisbaustein. Wir haben dazu von 2019 bis 2024 ein Forschungsprojekt im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gemeinsam mit der DHBW Stuttgart durchgeführt. Unsere Leitfrage: Sollten Inhalte der Extremismusdistanzierung – wie z. B. die Beratung von Fachkräften im sozialen Nahraum radikalisierter Jugendlicher – systematisch ins Studium Sozialer Arbeit integriert werden?
Unsere Antwort: Ja, unbedingt. Und: Es ist auch messbar wirksam. Mit einem evaluierten Curriculum konnten wir belegen, dass die Studierenden nicht nur Wissen erwerben, sondern in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden – etwa darin, Radikalisierung früh zu erkennen, professionell zu deuten und eigene Grenzen zu erkennen, z. B. durch rechtzeitige Einbindung spezialisierter Fachstellen.
Solche strukturellen Wirkungsnachweise zeigen, dass Prävention mehr sein kann als Projektlogik: Sie kann systemisch wirken – wenn man ihr Raum gibt. Das gilt nicht nur für unser Projekt, sondern für viele stille, aber erfolgreiche Ansätze, die im Rahmen von „Demokratie leben!“ entwickelt wurden und die leider zu oft unterhalb der medialen Sichtbarkeitsschwelle bleiben.
GNM: Was sind konkrete Beispiele für nachhaltigen oder sozialen Fortschritt in deiner Arbeit?
Ein oft unterschätzter Fortschritt liegt darin, dass wir Projektlogik nicht nur als Risiko, sondern als Chance begreifen – vorausgesetzt, sie wird strategisch gedacht. In unserem Arbeitsfeld erleben wir häufig, dass dauerhaft notwendige Aufgaben in der Demokratiebildung und Extremismusprävention über kurzfristige Förderlogiken finanziert werden. Das macht Regelstrukturen abhängig von Förderschwerpunkten, die selten aus der Praxis heraus formuliert wurden.
Gleichzeitig sehen wir: Projekte können…