“Verändern statt nur Meckern”. Das ist der Tenor von Whitney Cecilia Akowuah. Sie ist Geschäftsführerin des AKLHÜ in Bonn, einem Dachverband, der mit ENGAMENT WELTWEIT Deutschlands einzige Fachmesse zum Thema „Arbeiten in der internationalen personellen Entwicklungszusammenarbeit“ ausrichtet. Der Bereich wird immer wieder stark im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialgeschichte kritisiert. Im Interview erklärt Whitney, weshalb sie trotzdem oder gerade deshalb kluge Köpfe in ihrem Berufsbereich sehen will.
Am Samstag, den 23.11.2024 ist das Good News Magazin zum zweiten Mal in Siegburg (NRW) bei ENAGEMENT WELTWEIT dabei, Deutschlands einziger Fachmesse zum Thema „Arbeiten in der internationalen personellen Entwicklungszusammenarbeit“. Dieses Jahr präsentieren sich an 45 Infoständen Organisationen aus der Entwicklungspolitik, aus der Not- und Katastrophenhilfe sowie aus der Bildungsarbeit.
Die Messe richtet sich besonders an junge Menschen, die ein spannendes Berufsfeld suchen sowie an erfahrene Fach- und Führungskräfte und Personen, die über einen Wechsel oder Quereinstieg nachdenken. Wir haben die Geschäftsführerin des Ausrichters gefragt, ob es entwicklungspolitische Arbeit weiterhin geben sollte. Mehr über Whitney Cecilia Akowuah.
FLORIAN VITELLO: Whitney, du bist Geschäftsführerin des AKLHÜ e.V. Netzwerk und Fachstelle für internationale personelle Zusammenarbeit Ihr seid ein Netzwerk und eine Fachstelle für Organisationen, die zum Beispiel Freiwilligendienste im Ausland anbieten oder Fachkräfte nach dem sogenannten “Entwicklungshelfergesetz” entsenden. Das ist alles sehr komplex, was macht ihr genau?
WHITNEY CECILIA AKOWUAH: Ich würde es so zusammenfassen: Der AKLHÜ ist ein Dachverband für internationale personelle Zusammenarbeit. Das bedeutet im Grunde, wir unterstützen unsere 70 Mitgliedsorganisationen, die wie du sagst internationale Fach-, Entwicklungs- und Freiwilligendienste machen. Unsere Unterstützung sieht so aus, dass wir die Organisationen vor allem beraten und vernetzen. Aber was ganz wichtig ist, wir setzen uns auch politisch für unsere Mitglieder und deren Themen der internationalen personellen Zusammenarbeit ein.
“Wenn Menschen nicht zusammenkommen, wie sollen wir globale Herausforderungen lösen? Wir müssen einander sehen, wir müssen einander verstehen, wir müssen die Perspektiven des anderen einnehmen können.”
VITELLO: Bei Freiwilligendiensten und in der internationalen Zusammenarbeit generell stehen große Probleme anderer Länder im Vordergrund, die dann je nach dem engagierte Jugendliche oder deutsche Fachkräfte lösen sollen. Das wird immer wieder kritisiert, zum Beispiel vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialgeschichte. Warum setzt du dich trotzdem für das Berufsfeld ein?
AKOWUAH: Zunächst einmal glaube ich nicht, dass engagierte Jugendliche oder deutsche Fachkräfte Probleme im Globalen Süden lösen sollen. Ein solcher Hintergedanke entspräche dem Konzept des “White Saviours” (Kritik an weißen Menschen, die davon ausgehen, nicht-weiße Menschen seien hilflos und müssten gerettet werden, wobei sie sich selbst moralisch profilieren wollen, von kolonialer Verantwortung ablenken und oftmals ihre eigenen Fähigkeiten stark überschätzen. Anmerkung der Redaktion). Vor allem Freiwilligedienste sind Lerndienste, also Dienste bei dem es um das miteinander und voneinander Lernen geht.
Warum ich mich trotzdem für das Berufsfeld einsetze? Weil ich grundsätzlich überzeugt bin, dass Entwicklungszusammenarbeit immer noch wichtig ist, weil Menschen zusammenkommen. Wenn Menschen nicht zusammenkommen, wie sollen wir globale Herausforderungen lösen?
Wir müssen einander sehen, wir müssen einander verstehen, wir müssen die Perspektiven des anderen einnehmen können. Menschen, die jetzt kritisch sagen, “ich weiß gar nicht, ob ich das noch machen kann” müssen wir genau an dieser Stelle abholen. Lasst uns doch schauen, wie wir zusammenarbeiten und nicht, ob wir zusammenarbeiten. Das Ob steht für mich nicht zur Debatte!
Es geht um die Ausgestaltung einer Zusammenarbeit, bei der sich alle Seiten gesehen fühlen. Ein echter Neustart. Wir können das Geschehene, das heißt den Kolonialismus, nicht ungeschehen machen. Das ist passiert und das bleibt auch da, aber wir können gucken, wie wir die Gegenwart und die Zukunft gestalten. Und die gute Neuigkeit ist, dass wir uns beim AKLHÜ intensiv mit dem Thema koloniale Kontinuitäten befassen und Veränderungen anstoßen wollen.
VITELLO: Was bedeutet koloniale Kontinuitäten?
AKOWUAH: Koloniale Kontinuitäten bedeutet, dass die Folgen der Kolonialzeit sich bis heute im Grunde durch alle Strukturen ziehen. Vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit. Das zeigt schon der Begriff: Allein der Gedanke, dass andere Länder oder besser die Länder des Globalen Südens entwickelt werden müssen, ist eine Idee des Kolonialismus, bei dem sich die Länder des Globalen Nordens als etwas Überlegenes sehen. Auch der Begriff Entwicklungszusammenarbeit lässt sich deswegen kritisch hinterfragen.
Das heißt, wir sagen im Grunde, der Kolonialismus ist nicht irgendwie irgendwann vorbei gewesen, sondern der ist ständig, kontinuierlich da. Von den Strukturen einer deutschen Behörde bis hin zu unseren privaten Denkmustern. Der erste Schritt im Umgang damit ist aus meiner Sicht also erst einmal Verantwortung erkennen und übernehmen. Wir im Globalen Norden und vor allem wir Akteure der Entwicklungszusammenarbeit tragen eine besondere Verantwortung, dieses Feld zu dekolonialisieren, weil viele der aktuellen Machtstrukturen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten auf koloniale Verhältnisse zurückzuführen sind.
Die spannende Frage lautet also, wie wollen wir damit umgehen? Wie können wir Entwicklungszusammenarbeit neu denken, neu gestalten, sodass sie für alle Sinn ergibt und letztlich auch ein respektvoller Umgang miteinander stattfindet?
VITELLO: Wie kann das konkret gelingen?
AKOWUAH: Ein gutes Beispiel dafür ist die Berichterstattung über afrikanische Länder. Da wird häufig nur auf tragische Geschichten oder Armut geschaut. Zu einem vollen Bild gehört aber genauso sehr, dass das jeweilige Land sehr vielfältig ist, dass es vielleicht eine vibrierende Kunstszene gibt, politisches Engagement, innovative Start-Ups und so weiter.
VITELLO: Inwiefern setzt ihr euch beim AKLHÜ jetzt dafür ein, dass mit solch einseitigen Erzählungen gebrochen wird und stattdessen neu gedacht wird?
AKOWUAH: Wir beschäftigen uns als Dachverband mit unseren Mitgliedsorganisationen beispielsweise konkret mit Dekolonialisierung. Man muss ja im ersten Schritt, um was zu verändern, erst mal erkennen, dass es ein Problem gibt und dann was das Problem genau ist. Diesen Prozess stoßen wir gerade ganz stark an und wir wollen unsere Erkenntisse sogar in einem Buch veröffentlichen.
VITELLO: Worum soll es in dem Buch genau gehen?
AKOWUAH: Wir möchten in erster Linie ganz konkrete Lösungsbeispiel erarbeiten. Es werden sich dafür verschiedene Menschen und Organisationen, sowohl aus Deutschland als auch dem Globalen Süden, mit der Frage befassen, “wie können wir internationale Zusammenarbeit dekolonialisieren?” Also, können wir die Zusammenarbeit zwischen zum Beispiel einem gemeinnützigen Verein in Deutschland und einer Umweltorganisation in Benin so gestalten, dass wir uns tatsächlich auf Augenhöhe begegnen und dass wir respektvoll miteinander umgehen? Wie wird das, was Menschen aus dem Globalen Süden einbringen, auch wertgeschätzt? Genau diese Fragen wollen wir uns stellen.
VITELLO: Habt ihr auch schon ein paar Antworten auf diese Fragen gefunden?
AKOWUAH: Ich glaube, die suchen wir gerade gemeinsam mit ganz verschiedenen Leuten. Meine persönliche Vorstellung davon, wie wir uns auf Augenhöhe begegnen, ist, dass wir unsere aktuell festgefahrenen Strukturen hinterfragen.
Ich gebe dir ein Beispiel: In der Entwicklungszusammenarbeit denkt man ja oft in Projekten. Um den Erfolg davon zu messen, fragt man sich dann, “was sind hier die Maßstäbe? Wer entscheidet, ob so ein Projekt erfolgreich war? Wer entscheidet überhaupt, wie dieses Projekt umgesetzt wird?” In all diesen Fragen ist es meistens der Globale Norden, der jeweils den Ton und die Fahrtrichtung angibt und auch am Ende bewertet.
Aber ich glaube, wenn wir zusammenarbeiten wollen, dann ist es essenziell, die Stimme derjenigen zu hören, mit denen wir dieses Projekt umsetzen wollen. Denn für wen machen wir das Projekt? Machen wir es für uns, um uns gut zu fühlen? Oder arbeiten wir gemeinsam an Lösungen für globale Herausforderungen?
VITELLO: Wie geht ihr dabei vor, euren Mitgliedern solche Ideen und Fragen mitzugeben?
AKOWUAH: Es ist gar nicht so leicht, sich komplett neu zu erfinden, wenn man sich als Organisation schon sehr lange Zeit an gewisse Arbeitsabläufe oder Denkweisen gewöhnt hat. An dieser Stelle können wir als Dachverband aber Impulse setzen und sagen, “guckt mal, wir haben uns intensiv mit dem Thema befasst”. Oder “Expert:innen aus dem Globalen Süden haben sich mit dem Thema befasst und stellen sich Zusammenarbeit wie folgt vor”.
Ich bin mir sicher, dass unsere Mitgliedesorganisation zuhören wollen und ein Interesse an einer gleichberechtigten und partnerschaftlichen Zusammenarbeit haben.
VITELLO: Es kann auch verwirren, Zweifel wecken und verärgern, wenn plötzlich von außen jemand kommt und dich auffordert, Altbewährtes einzureißen.
AKOWUAH: Absolut! Veränderung tut meistens weh. Man hat ja oder die meisten haben ein gutes, wohlwollendes Bild von sich. Sie sagen: “wir machen doch so tolle Sachen”. Und genau dieses Selbstbild plötzlich zu hinterfragen, ist manchmal schmerzhaft. Aber es ist eben auch richtig und wichtig, die Dinge, die man seit 20 Jahren macht, umzukrempeln, wenn sie eben falsch sind.
Ich persönlich finde das gar nicht schlimm! Schlimm ist es doch vielmehr, sich nicht zu hinterfragen oder Dinge nur deshalb fortzuführen, weil man sie schon lange macht. Da können wir als Dachverband helfen, indem wir unsere Mitglieder zum Wandel motivieren und sie dabei begleiten.
VITELLO: Du siehst die Kritik nicht als etwas Beschämendes, sondern als Gewinn?
AKOWUAH: Ja, ich halte es für sehr hilfreich, wenn mir jemand mit guter Absicht von außen eine neue Perspektive aufweist. Ich sehe das als Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln, anstatt stehen zu bleiben. Das ist doch nicht zuletzt der Grundgedanke in der Entwicklungszusammenarbeit. Die Organisationen wollen schließlich gemeinsam mit anderen etwas Positives bewirken.
Und das kann man nur, wenn man auch wirklich gemeinsam auf seine Ziele und Ergebnisse schaut. Gemeinsam heißt auch, dass man Zuhören lernt und konstruktive Kritik des Partners ernstnimmt, indem man sie reflektiert. Für Organisationen im Globalen Norden kann das in der Folge heißen, Altes zu verlernen und Neues zu erlernen. Und ich bin überzeugt, dass die wenigsten Menschen von sich sagen würden, “ich möchte nichts dazulernen”, im Gegenteil.
VITELLO: Inwieweit funktioniert das bisher?
AKOWUAH: Es tut sich einiges. Ein Beispiel sind die Namen von Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt einige, die haben ihren Partnern im Globalen Süden zugehört und dann nicht nur einen Haken drangemacht, sondern sie waren bereit zu Veränderung. Sie haben intern diskutiert, ob ihr Name kolonial geprägt ist und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie ihn dann so nicht fortführen wollen. Ich finde, das ist der erste Schritt und ich bin schon sehr gespannt, welche guten Nachrichten ich dir dann aus der praktischen Arbeit unserer Mitglieder melden darf, sobald das Buch veröffentlicht ist.
Exponiertes Zitat: “Ich finde, man kann auf der Fachmesse spüren, dass wir in der internationalen Zusammenarbeit gerade einem Wandel unterliegen. Es weht ein anderer Wind, als noch vor zehn, zwanzig Jahren.”
VITELLO: Eine der Hauptgründe, warum wir als Good News Magazin auch dieses Jahr gerne wieder bei eurer Fachmesse ENAGEMENT WELTWEIT dabei sind, ist genau dieser konstruktive Ansatz des Perspektivwechsels. Ihr ladet ganz bewusst Menschen in das Berufsfeld der Entwicklungszusammenarbeit beziehungsweise der internationalen personellen Zusammenarbeit ein und wollt dieses von kolonialen Mustern befreien. Was habt ihr dieses Jahr dafür geplant?
AKOWUAH: Es gibt nicht nur viele Infostände, sondern auch ein Rahmenprogramm. Das ist dieses Jahr wieder gespickt mit Angeboten, wo wir genau diese Themen besprechen. Es wird Vorträge und Gesprächsrunden zu Qualifizierungs- und Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf geben. Außerdem finden Panels statt, bei denen explizit über den Umgang mit dem kolonialen Erbe in der internationalen personellen Zusammenarbeit gesprochen wird.
Ich finde, man kann auf der Fachmesse spüren, dass wir in der internationalen Zusammenarbeit gerade einem Wandel unterliegen. Es weht ein anderer Wind, als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Menschen, vor allem jüngere, hinterfragen das Ganze: Macht das überhaupt noch Sinn, so einen Freiwilligendienst zu machen? Macht das Sinn, in diesem Bereich zu arbeiten? Kann ich als weiße Person in diesem Bereich arbeiten?
VITELLO: Was antwortest du ihnen?
AKOWUAH: Ich finde, das sind alles sehr gute und wichtige Fragen und ich glaube auch, dass dieses Gefühl der Verunsicherung sehr gut ist, weil das bedeutet, dass da ein Prozess echten Reflektierens im Gang ist.
An diesem Punkt setzt die Fachmesse an, indem sie Perspektiven anbietet; indem sie diese Sorge, diese Gedanken der jungen oder auch älteren Menschen, die jetzt gerne in diesem Bereich arbeiten möchten, aufnimmt und sagt, “ja, diese Sorgen können wir verstehen und nachvollziehen. Lasst uns doch mal gemeinsam schauen, wie könnt ihr, die sich gerne engagieren wollen, trotzdem in diesem Bereich arbeiten?”
“Ich kann aus meiner Erfahrung als Schwarze Frau ganz deutlich sagen: Es braucht POC, es braucht schwarze Menschen, die sich da sehen, da entfalten wollen”
VITELLO: Du hast deine Antwort ganz bewusst an weiße Personen gerichtet. Ich würde abschließend gerne noch aus deiner persönlichen Perspektive erfahren, was du nicht-weißen Personen beim Einstieg in diesen Berufszweig rätst?
AKOWUAH: Ich kann aus meiner Erfahrung als Schwarze Frau, die sich ganz bewusst entschieden hat, in diesen Beruf zu gehen, ganz deutlich sagen: Es braucht Leute wie uns, es braucht POC (kurz für People of Color, Bezeichnung für Menschen, die sich aufgrund gemachter Erfahrungen selbst nicht als weiß betrachten – Anmerkung der Redaktion) und Schwarze Menschen, die sich da sehen und ihre Perspektiven einbringen.
Man muss sich schon bewusst sein und vorher ganz genau überlegen, “warum möchte ich den Job machen?” Ich würde aufpassen, dass man sich nicht irgendwie als Symbol für eine Organisation benutzen lässt, die bloß ihre vermeintliche Vielfalt zur Schau zu stellen will. Und wir können übrigens auch keine Perspektive aus dem Globalen Süden einnehmen, aber wir haben trotzdem eine Perspektive, die eine weiße Person vielleicht nicht mit einbringt. Die müssen gesehen, die müssen gehört werden. Also kommt zur Fachmesse und bewerbt euch!
Whitney Cecilia Akowuah ist Geschäftsführerin des Arbeitskreises „Lernen und Helfen in Übersee“ e.V. (AKLHÜ) in Bonn. Whitney ist Politikwissenschaftlerin und war vor ihrer Zeit beim AKLHÜ bei Engagement Global tätig. Dort arbeitete sie am Aufbau einer Servicestelle für Visa, Sicherheit und Aufenthalt und war als Projektleiterin des Deutsch-Afrikanischen Jugendwerkes tätig. Darüber hinaus war sie Sprecherin des Fachkreis Antirassismus und Mitglied der Steuerungsgruppe zur diskriminierungssensiblen Organisationsentwicklung. Sie ist zudem Initiatorin und Mitgründerin des Vereins Trinity Paradise e.V., der zivilgesellschaftliche internationale Zusammenarbeit macht.