Neue Studien zeigen, dass Einsamkeit und Isolation gerade auch unter Jugendlichen weit verbreitet sind und Verschwörungstheorien und rechtsextreme Einstellungen begünstigen. Was kann man dagegen tun? Eine Möglichkeit wäre ein Schulfach sozial-emotionales Lernen wie in Finnland.
Dass Einsamkeit nicht nur ein persönliches Gefühl sein könnte, sondern ein Problem von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, das die Demokratie gefährdet und zu dessen Lösung Länder ganze Ministerien einrichten – auf diese Idee wäre vor 10 oder 20 Jahren noch kaum jemand gekommen. In der öffentlichen Debatte war Einsamkeit kaum ein Thema. Stattdessen ging es eher um Lohnerhöhungen, Wirtschaftswachstum oder politische Machtkämpfe.
Wie Einsamkeit Extremismus begünstigt
Dabei zeigt eine neue Studie diese gesamtgesellschaftliche Relevanz so klar, wie vielleicht nie etwas vor ihr. Ihr Fazit: Gefühle von Einsamkeit und sozialer Isolation verstärken die Neigung, Verschwörungserzählungen zu glauben,
politische Gewalt zu billigen und autoritären Haltungen zuzustimmen. Letzteres ist der klassische Nährboden für Rechtsextremismus.
Man kann nun schockiert sein, wenn neue Erhebungen einen “deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung” offenbaren. Doch in Zukunft darf man sich über solche Entwicklungen nicht mehr wundern, wenn man etwa die Maßnahmen gegen die Ausbreitungen des Coronavirus zu großen Teilen und ohne große Rücksicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen austrägt – und Schulen überstürzt schließt, während man die Erwachsenen erst mal gemütlich weiter im Büro konferieren lässt.
“Die Coronapandemie hat die Prävalenz von Einsamkeit zusätzlich verschärft”, heißt es im Bericht zur Studie “Extrem einsam?”. Und vielleicht ist das die wichtigste Lehre aus all den sozialen Konflikten rund um die Pandemie: dass man soziale Isolation als Problem ebenso ernst nehmen muss wie körperliche Krankheiten.
Manchmal steckt die größte Einsamkeit hinter der härtesten Fassade
Dabei nimmt die Einsamkeit, von außen betrachtet, oft ganz andere Formen an, als man es vielleicht vermuten würde: Noch immer gehen viele Menschen davon aus, dass hauptsächlich alte Menschen einsam sind. Dabei zeigen Studien, dass es gerade junge Menschen genauso betrifft, und gerade bei ihnen hat sich das Gefühl in den letzten Jahren sogar noch verschärft.
Ebenso könnte man meinen, einsame Menschen würden still und verkümmert vor sich hin welken. Doch so ist es keineswegs. Ein krasses Gegenbeispiel gibt der neue Dokumentarfilm “Frank Meyer” über einen ehemaligen Bodybuilder im Ruhestand, der nicht aufhören kann, seine Muskeln exzessiv weiter zu trainieren: rein äußerlich kann man sich kaum einen härteren Kerl vorstellen. Und doch ist es laut FAZ “ein tieftrauriger Film über Einsamkeit”.
Das Gefühl sozialer Isolation bedeutet übrigens auch nicht zwingend, dass man keine Freunde hat. Viele Menschen, die sich sozial isoliert fühlen, geben durchaus an, Freunde zu haben. Allerdings erleben sie den Kontakt nicht als erfüllend. Auch dafür ist der Film ein gutes Beispiel. Mit der Nähe zu Menschen hat der Bodybuilder im Ruhestand Probleme. Umarmungen kann er nicht zulassen. Als Ersatz für menschliche Nähe hat er Tiere.
Maßnahmen gegen Einsamkeit
Doch was kann man tun, damit Menschen weniger einsam sind? Das Wichtigste ist es wohl, das Problem und mögliche Lösungen dafür grundsätzlich als gesamtgesellschaftliches Projekt zu begreifen, das ganz verschiedene Bereiche betrifft. Die Autor:innen der Studie “Extrem einsam?” fordern Schritte in drei großen Bereichen: 1. Einsamkeits-Prävention durch die Sensibilisierung des sozialen Umfelds 2. eine gut finanzierte Jugendarbeit samt Räumen und sozialen Orten, die Jugendliche frei und demokratisch gestalten können – sowie mehr Förderung sozial benachteiligter Quartiere; und 3. eine Offensive für politische Bildung und mehr Fokus auf Medienkompetenz, besonders an Berufsschulen.
Alle Punkte erscheinen logisch. Dabei könnte die erste Empfehlung sogar deutlich ausweiten und die Vermeidung von Einsamkeit und sozialer Isolation als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen, bei der möglichst alle Menschen für den Umgang damit sensibilisiert werden, ganz besonders alle jungen.
Verbeugung gegen Einsamkeit: Sozial-emotionale Kompetenz als Schulfach
Das mag anspruchsvoll klingen, doch so kompliziert ist es nicht. In vielen anderen Bereichen haben wir schließlich denselben Anspruch und genau dafür gibt es Schulen. Wie ein angemessenes Fach dafür aussehen kann, zeigt Finnland. Es heißt sozial-emotionales Lernen und ist im nationalen Lehrplan verankert. An manchen Schulen werden Elemente davon auch in andere Fächer integriert. Zumindest aber gibt es in Finnland “einen kompletten Jahresplan für das Fach, der festlegt, in welchem Monat was für ein Thema behandelt wird. Im Januar sind es die eigenen Stärken, im Februar Träume, und im März geht es darum, wie man um Hilfe bittet”, wie Zeit Online berichtet.
Grundsätzlich geht es beim sozial-emotionalen Lernen darum, Bewusstsein für die eigenen Gefühle zu entwickeln und zu lernen, gut mit anderen Menschen klarzukommen und positive Beziehungen aufzubauen. Gibt es eigentlich etwas Wichtigeres im Leben? Unerlässlich sind diese Fähigkeiten in jedem Fall und die aktuellen Entwicklungen könnten der Anlass sein, sozial-emotionales Lernen auch in Deutschland systematisch und zielgerichtet im Schulunterricht zu verankern. Und auch für Erwachsene wären mehr Angebote in dieser Richtung sinnvoll.
Das “Progressive Zentrum”, das die Studie “Extrem einsam?” durchgeführt hat, hat übrigens auch einen “Methodenkoffer gegen Einsamkeit” entwickelt, den unter anderem Schulen schon jetzt nutzen können. Dazu gehören unter anderem Unterhaltungen mit ChatGPT, um das Thema Einsamkeit zu erkunden; ein Quiz, das spielerisch darüber informiert und Zusammenhänge vermittelt; oder eine Box mit Gegenständen, die anderen hilft, das Problem zu enttabuisieren und zu überwinden.
Letztendlich geht es nicht nur darum, Freunde zu finden, sondern auch darum, mit denen, die schon da sind, gute Beziehungen zu führen, in denen vielfältige Gefühle erlaubt sind und wo gegenseitige positive Verstärkung stattfindet. Davon profitieren am Ende alle – und zwar schon lange bevor wir unser Kreuzchen an der Wahlurne machen.