Louisa Schneider hat fünf Klimakipppunkte auf dieser Welt besucht und erzählt die Geschichten der Menschen und Natur vor Ort voller Hoffnung auf den Bühnen Deutschlands.
Louisa Schneider ist Klimajournalistin. Sie wurde letztes Jahr von Greenpeace gefragt, ob sie an einem neuen Projekt mitarbeiten möchte. Einem Projekt, das Louisa an die unterschiedlichsten Orte dieser Welt gebracht hat. Die Reise, die sämtliche Emotionen hervorgerufen hat. Und die Louisa eines bewusst gemacht hat: Wir müssen handeln. Jetzt.
Louisa ist zu sogenannten Klimakipppunkte gereist – Orte, die bereits jetzt die Auswirkungen der Klimakrise besonders stark zu spüren bekommen.
Inspirierende Gespräche mit Einheimischen, faszinierende Anblicke – wie das brechende Eis in Grönland – und beängstigende Momente wie der Besuch brennender Wälder in Brasilien zeigten ihr die Lebensrealitäten der Menschen vor Ort auf.
Für Grad.jetzt besuchte Louisa insgesamt fünf Orte: den Amazonas-Regenwald in Brasilien, den von Dürre und starkem Monsun heimgesuchten Senegal, das vom Klimawandel bedrohte Bangladesch, die immer wieder brennenden Wälder in Kanada und Alaska, die Überbleibsel der großen Gletscher in Grönland sowie die ausbleichenden Korallenriffe vor Australien.
Zusammen mit dem Naturfotografen Markus Maute hielt sie all ihre Empfindungen, große und kleine Momente, mit der Kamera fast. Jetzt, zurück in Deutschland, zieht sie von Stadt zu Stadt. In ihrer Event-Serie „Grad.jetzt: Gegen die Angst” zeigt sie auf den Bühnen Deutschlands, was die Menschen an bedrohten Orten beschäftigt – und was die Regionen besonders schützenswert macht. „Gegen die Angst” ist ein Appell zum Handeln, eine Aufforderung nicht wegzusehen, genauer zuzuhören und mit genauso viel Zuversicht an einem besseren Morgen zu arbeiten, wie es die Menschen in bedrohten Regionen bereits jetzt tun.
Seit einiger Zeit ist Louisa auf Tour. Bis zum 20. April kommt sie in verschiedene Städte in Deutschland. Der Besuch ihrer Veranstaltungen ist kostenlos. Ihr könnt euch auf einen Abend voller eindrucksvoller Momente, Gänsehaut, Traurigkeit, Freude und Hoffnung freuen. In der zweiten Jahreshälfte besucht Louisa auch den nordöstlichen Teil Deutschlands, u.a. Hamburg und Berlin.
Was euch genau erwartet? Wir haben mit Louisa über ihre Reise zu den Klimakipppunkten gesprochen.
Louisa, was ist eigentlich gerade los bei dir?
Es ist einiges los bei mir. Ich ziehe nämlich gerade durch Deutschland und zeige das Ergebnis einer unglaublichen tollen und aufregenden Reise. Aber von Anfang an: Ich war die letzten Monate mit Greenpeace für das Projekt Grad.jetzt unterwegs. Gemeinsam mit dem Naturfotografen Markus Maute sind wir zu fünf Klimakipppunkten unseres Planeten gereist.
Klimakipppunkte – was sind das überhaupt?
Das sind Regionen unseres Planeten, an denen sich die Klimakrise entscheidet. Das sind Punkte in unserem Klimasystem, die, wenn wir sie einmal überschritten haben, zum einen nicht mehr rückgängig zu machen sind und zum anderen auch rapide Veränderungen in unserem Leben hervorrufen werden – und das auch in Deutschland.
Das kann man sich so vorstellen: Ein stabiles Klimasystem ist wie ein Wasserglas, das steht normalerweise stabil und mittig auf dem Tisch. Durch die steigenden Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre rückt dieses Glas immer weiter auf die Tischkante zu und irgendwann kommt es zu diesem Kipppunkt. Das Glas kippt über die Tischkante, fällt zu Boden und zerbricht. Das Wasser läuft raus und kann nicht zurück ins Glas. Das ist die Unumkehrbarkeit der Kipppunkte. Ein Beispiel dafür ist der brasilianische Regenwald.
Das war auch unsere erste Station, bei der wir waren: der brasilianische Regenwald. Durch die Klima-Erhitzung wird es immer trockener, immer dürrer, gleichzeitig wird der Wald immer weiter abgeholzt und wird so an einen Punkt gebracht, an dem er irgendwann kippt und die Fähigkeit verliert, sich selbst zu regenerieren. Das bedeutet, er würde sich irgendwann in einer Art Wüste oder Savanne verwandeln, und das wäre nicht mehr rückgängig zu machen. Das bestätigt die Klimawissenschaft. Oder zum Beispiel auch der Klimaphysiker Johann Rockström oder Stefan Ramsdorf.
Und wo wart ihr noch unterwegs?
Danach ging es für uns nach Senegal, der auf den westafrikanischen Monsun angewiesen ist. Die dritte Station war der Permafrostboden in Kanada, danach ging es nach Grönland, zum Abschmelzen des grönländischen Eisschildes und dann noch nach Australien, zu den Korallenriffen, die gerade ausbleichen und im Absterben sind.
All diese Kipppunkte stehen in Verbindung zueinander. Kippt ein Punkt, ist es umso wahrscheinlicher, dass andere kippen, und so könnte eine Art Dominoeffekt ausgelöst werden.
Mit welchem Ziel habt ihr euch diese Kipppunkte angeschaut?
Ziel des Projektes war es, zum einen dieses unglaublich komplexe und globale Thema irgendwo verständlich und konkret runterzubrechen. Außerdem war die Idee, dass mein begleitender Fotograf Markus eine ältere Generation verkörpert und ich eine jüngere.
Wir wollten also diese komplexen Themen ein bisschen einfacher transportieren. Und dort vor allem mit den Menschen vor Ort sprechen, die derzeit am meisten unter den klimatischen Veränderungen leiden. Wir wollten ihre Lebensrealitäten verstehen. Und ihre Stimmen, die so oft nicht sichtbar sind oder nicht gehört werden, auf ein Podium heben.
Während die Klimakrise bei uns noch zögerlich an die Türen klopft, tritt sie bei den Klimakipppunkten bereits die Türen ein. Dort werden Leben aus den Fugen gerissen. Und trotzdem machen mir besonders diese Menschen, die mit dem Klimawandel leben, Hoffnung.
Wie schafft man es die Menschen hier zu erreichen, für die all diese Klimakipppunkte räumlich weit entfernt liegen?
Das ist genau die Idee hinter unseren Events. Wir möchten eine Identifikationsfläche schaffen. Dass der Regenwald brennt, das haben wir schon damals in der Schule gehört, aber mit unseren Bildern, Videos und Geschichten wird dieser jahrzehntelange Brand konkret. Aus Daten, Zahlen, Fakten werden Einzelschicksale und Emotionen.
Wenn du siehst, wie der Wald brennt, wie die Hitze sich auf deine Haut legt, wie die Rußpartikel in deine Augen fliegen, der Ruß sich tief in deiner Lunge festsetzt. Über dir fliegen brennende Vögel rum, vor dir läuft noch eine Wildschweinfamilie aus dem Wald, hinter dir fällt noch ein Baum um… Dann merkst du, das ist was ganz Konkretes. Hier leben Bäume, Pflanzen, Tiere, aber auch Menschen, die dadurch bedroht werden.
Was war für dich auf dieser ganzen Reise am beeindruckendsten?
Also ich glaube tatsächlich, jeder Punkt hatte eine Geschichte für sich, die mich geprägt hat. Aber wenn ich mich für einen Ort entscheiden müsste, wäre es wahrscheinlich Senegal. Für mich als privilegierte Person aus Europa sind dort zwei Welten aufeinander getroffen. Da ging es nicht so sehr um den Kipppunkt – also den Monsunregen in Westafrika. Was wir aber konkret beobachten konnten, waren die krassen Auswirkungen der Klimakrise: Meeresspiegelanstieg, Dürren, Trockenperioden, Hitzewellen, Sturmfluten an den Küstenregionen Senegals.
Dort sind wir zum Beispiel am Lac Rose an der Hafenstadt St. Louis entlang gegangen. Und dann gehst du circa 20 Meter an einem Sandstrand entlang, der jetzt mit Wasser geflutet ist. Direkt bis an die Hauswände, die teils eingestürzt sind, abgerissen von den Wassermassen. Sturmfluten haben die Häuser einstürzen lassen. 2017 und 2018 gab es Sturmfluten. Mehrere hundert Familien haben ihr Zuhause verloren und sind ins Binnenland geflüchtet.
Und dann habe ich mich zusammen mit Einheimischen Yero an den Strand gesetzt und habe mit lokalen Fischern gesprochen. Das waren Jungs in meinem Alter, vielleicht sogar noch jünger, Anfang 20. Sie haben mich gefragt, wo ich herkomme. Auf meine Antwort folgte Erstaunen. Die Jungs würden auch unbedingt mal nach Europa wollen. Warum? Weil wir ihnen alles wegnehmen würden mit riesigen Flotten, die die Meere leerfischen.
Eigentlich ist Senegal eine der fischreichsten Regionen weltweit, aber die Meere sind fast leergefischt – und zwar von riesigen Flotten aus Europa, China, Russland. Den Menschen vor Ort bleibt nichts mehr übrig. Ihnen wird die Lebensgrundlage genommen und gleichzeitig spüren sie die Auswirkungen der Klimakrise und sind deswegen umso bedrohter und verwundbarer.
Das hat uns die volle Wucht der Ungerechtigkeit der Klimakrise vor Augen geführt. Und genau deshalb tue ich, was ich tue. Ich möchte meine Verantwortung und meine Privilegien nutzen – denn die Jungs, mit denen ich am Strand von Senegal gesprochen habe, haben definitiv nicht dieselben Möglichkeiten und Chancen wie wir. Die Menschen vor Ort haben mir erzählt, sie wollen keine Hilfe. Sie wollen Gerechtigkeit. Klimagerechtigkeit.
Klimagerechtigkeit ist ja durchaus ein großes Wort. Wie kommen wir da hin?
Im Grunde erkennt Klimagerechtigkeit an, dass wir nicht alle im selben Boot sitzen, was die Klimakrise anbelangt. Im Gegenteil: Wir steuern alle auf denselben Sturm zu, nur manche im sicheren Ozeandampfer und andere in dreimal geflickten Schlauchbooten. Klimagerechtigkeit bedeutet, anzuerkennen, dass es diese Ungerechtigkeit gibt. Und dass nicht alle gleich betroffen sind vom Klimawandel. Deshalb tragen wir den anderen gegenüber eine Verantwortung.
Diese Menschen, die sind nicht ohne Grund am meisten betroffen von der Klimakrise. Sie wurden betroffen gemacht, weil reiche Industrieländer zu viel CO2 ausstoßen. Wenn man jetzt darüber nachdenkt, wie man Gerechtigkeit herstellen kann, dann ist ein Ansatz, für den Schaden und Verlust der Menschen in den ärmeren Ländern aufzukommen.
Zum anderen brauchen die Länder deutlich mehr finanzielle Ressourcen, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Auch das müssten reichere Länder übernehmen. In Europa denken wir oft, dass Anpassung bedeutet, aufzugeben, aber für die Menschen vor Ort ist Anpassung der Schutz von Menschenleben. Ohne die Anpassung könnten die Menschen an Klimakipppunkten nicht überleben. Ein weiteres großes Thema ist die Schuldentilgung für ärmere Länder.
Viele dieser Länder, wie beispielsweise Pakistan, sind hoch verschuldet. Und für die Tilgung werden sie oft gezwungen, beispielsweise fossile Bodenschätze auszubeuten. Da ihre Einnahmen in der Regel in die Tilgung fließen, bleibt kein Geld für Klimaanpassung. In dem Schuldenerlass steckt eine große Möglichkeit für Klimagerechtigkeit.
Da müsste ja auf jeden Fall die Politik eingreifen. Was können denn Bürger:innen im globalen Norden tun, um den Menschen zu helfen?
Ich glaube, zuerst einmal muss man sich bewusst machen, dass man politisch ist. Wir alle sind politische Wesen, wir alle können uns beteiligen. Das ist unsere größte Macht. Nur wenn wir zusammenkommen, nur wenn wir uns nicht auseinandertreiben lassen, sondern uns unterhaken und gemeinsam eine Bewegung bilden oder eine Organisation bilden, dann können wir aus dieser gemeinschaftlichen Kraft schöpfen und wirklich alles verändern.
Das sage ich nicht nur so, sondern das zeigt die Geschichte: Dass bei großen Bewegungen, bei denen Menschen zusammenkommen, sich mobilisieren und organisieren, Gesetze durchgedrückt werden können, Reformen durchgedrückt werden.
Das sehen wir bei so vielen Beispielen: das Wahlrecht für Frauen, die Abschaffung der älteren Form von Versklavung, der Kohleausstieg in Deutschland.
Deshalb rate ich jedem: Engagiert euch. Es gibt so viele tolle Initiativen, Kampagnen, Ortsgruppen. Da kann man direkt mitmachen. Klimagerechtigkeit bedeutet: Es ist ein globales Problem und wenn wir lokal handeln, können wir global viel bewirken. Was auch ganz wichtig ist: Zu überlegen, wo ich mein Geld anlege. Nicht jede Bank geht transparent mit Geldflüssen um. Ein weiterer großer Hebel ist der Bezug von erneuerbaren Energien.
„Gegen die Angst” – das klingt erstmal kontraintuitiv in Verbindung mit Klimakipppunkten. Was hat es damit auf sich?
Das geht alles Hand in Hand. Wir zeigen eine krasse Lebensrealität und wir zeigen Extreme. Wir zeigen Geschichten, die himmelschreiend ungerecht sind. Aber die müssen wir uns vor Augen führen, um zu sehen, wofür es sich zu kämpfen lohnt, wie wir Gerechtigkeit schaffen können. Das zeigen wir in dieser Show. Wir geben Hoffnung und zeigen, wie wir optimistisch und positiv an die Sache rangehen. Und wir zeigen auch, welche Initiativen, Organisationen und Menschen jetzt bereits vor Ort helfen, um Menschen, ihre Gemeinden, aber auch die Natur zu schützen und zu erhalten.
Und das gibt Hoffnung. Wir sind global miteinander verflochten. Jeder tut etwas lokal und plötzlich merkst du, es geht voran.
Hat es dir bei deiner Reise zu den Klimakipppunkten auch mal die Sprache verschlagen?
Manche Dinge sind wirklich hochkomplex. Wir versuchen, wo es geht, alles herunterzubrechen oder einfacher darzustellen. Das macht einen großen Unterschied.
Je einfacher die Sprache, desto mehr Menschen finden einen Zugang. Wo Sprache allerdings nicht mehr wirkt, da wirken Emotionen umso mehr. Ich glaube, manchmal sagt eine Träne mehr als tausend Worte, manchmal sagt ein Lächeln mehr als tausend Worte. Und wo es einem die Sprache verschlägt oder wo du einfach denkst, das ist gerade alles viel zu viel, da wird dir ganz krass bewusst, wie viel Macht Emotionen haben.
So ging es mir natürlich auch vor Ort. Das hat mich nicht kaltgelassen, was ich da gesehen habe. Teilweise haben mein Rechercheteam oder ich geweint. Die Menschen sind dann umso mehr auf uns zugekommen, haben sich für unser Mitgefühl bedankt. Dafür, dass uns nicht egal ist, was dort passiert. Dafür, dass uns die Menschen nicht egal sind.
Aber auch im Austausch mit eher rationaler Wissenschaft sind wir bemüht, komplexe Inhalte, wo es geht, herunterzubrechen. Das ist manchmal wirklich schwierig.
Hast du schon geplant, wo es als Nächstes hingeht?
Ich bleibe tatsächlich erstmal eine Weile hier. Ich bin jetzt erstmal auf Tour im Südwesten Deutschlands. Und im Herbst geht es dann nochmal in die zweite Hälfte meiner Tour, in den Nordosten. Also Berlin, Hamburg und Co.
Danke dir für deine Zeit, liebe Louisa.
Beitragsbild: Aktivist Moussa Sarr zeigt Louisa Schneider seine Heimat, wo Strände erodieren und Inseln überflutet werden. / Quelle: Markus Mauthe