2016 verkauft Benedikt Bösel sein Auto und seine Aktien, um mit diesem Geld die ersten Kühe zu kaufen. Heute arbeiten er und sein Team mit Expert:innen aus aller Welt zusammen, um nachhaltige Bewirtschaftungssmethoden zu erforschen.
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Aus alt mach neu
Der Hof von Gut & Bösel liegt in Alt Madlitz in Brandenburg. Der Standort ist einer der trockensten in Deutschland, die Böden sind sandig. Trotzdem spielt sich hier eine Erfolgsgeschichte ab, die einst klein anfing.
Der große Ackerbaubetrieb befindet sich schon seit mehreren Generationen im Besitz der Familie Bösel. 1945 flüchtet sie in den Westen, nach dem Mauerfall kehrt die Familie zurück und baut den Hof neu auf. Zuvor lange in der Finanzwirtschaft tätig, übernimmt Benedikt Bösel 2016 den Betrieb. Er verkauft sein Hab und Gut, um die ersten Bäume zu pflanzen und Kühe zu erwerben. Der heutige Landwirt erkennt früh, dass der Weg der reinen Technologisierung langfristig nicht genügen würde. Die Böden sind in schlechtem Zustand. So beginnt Bösel, sich Gedanken über die Ursachen von Problemen der Landwirtschaft zu machen. Wie negative Auswirkungen wie ausgelaugte Felder verhindert werden, verraten ihm Internetrecherchen. So entstehen Kontakte zu Expert:innen auf der ganzen Welt. Beispielsweise schickt er seinen ersten Mitarbeiter drei Monate lang nach Brasilien zu Ernst Götsch, um über regenerative Landwirtschaft und Agroforstsysteme zu lernen, bevor er diese in Deutschland am eigenen Acker umsetzt.
Die hartnäckigen Nachforschungen des Landwirts zeigen Wirkung: Die Projekte von Gut & Bösel werden von vielen Forschungseinrichtungen und Instituten begleitet. Im Frühjahr 2021 gründet der Hof sogar eine eigene Stiftung. Ziel der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft ist, das erworbene Wissen für alle nutzbar zu machen. Ende dieses Jahres sollen genaue Daten auf der Internetseite der Stiftung abrufbar sein. Das Team versucht, die Erfolge messbar zu machen, um ihnen größere Aussagekraft zu verleihen. Sie betreiben mit ihrer Finck Stiftung on-farm Research, die Äcker dienen als Forschungslabor. Das Projekt um Gut & Bösel generiert nicht nur Daten, sondern erforscht und entwickelt Modelle, baut Maschinen und entwirft Softwares, die die einzelnen Projekte unterstützen.
Der Gut & Bösel-Hof besitzt eine eigene Baumschule, untersucht verschiedene Kompostiermöglichkeiten und betreibt Forstwirtschaft mit vielfältigen Baumarten.
Benedikt Bösel beschreibt die Entwicklung von Konzepten als „engen Austausch, bei dem wir uns von der Arbeit anderer inspirieren lassen. Es gibt eine Vielzahl von Quellen. Vordenker:innen aus der ganzen Welt sind ein Teil davon, aber auch alte Bücher und Wissen, das in Vergessenheit geraten ist.” Angewandte Methoden sind etwa Agroforst, holistisches Weidemanagement und syntropische Landwirtschaft.
Kühe gegen den Klimawandel
Wie Kühe eine wesentliche Rolle im Kampf gegen Nährstoffarmut im Boden und Dürren spielen können, erklärt Benedikt Bösel so: Sein Landwirtschaftsbetrieb arbeitet mit dem sogenannten holistischen, also ganzheitlichen, Weidemanagement, bei dem das ursprüngliche Verhalten großer Pflanzenfresser in Graslandschaften nachgeahmt wird. Die Rinder sind das ganze Jahr lang draußen, eingebunden in das Ökosystem des Hofes – sie weiden über Ackerflächen und düngen sie dadurch. Wie auch in der Natur, bewegen sie sich im Herdenverbund, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Statt einer einzigen riesigen Fläche, auf der sich Kühe das ganze Jahr über frei bewegen können, teilt das Team von Bösel die Weide deshalb in kleine Bereiche auf.
„Wir arbeiten mit mobilen Zäunen, die wir tagtäglich verstellen und umstellen, so dass die Kühe mehrfach am Tag von einer kleinen Parzelle auf die nächste kleine Parzelle geführt werden.”.Aufgrund des Futterneids grasen die Tiere alles gleichmäßig ab und fangen nicht an, zu selektieren. Pflanzen, die den Kühen nicht schmecken, würden sich immer weiter ausbreiten. Bei enger Haltung trampelt die Herde viele Kräuter und Gras platt. Dennoch hat jedes der 150 Rinder dabei mindestens 70 m² Platz. Die am Boden liegenden Pflanzen schützen den Boden vor Austrocknung, starker Sonneneinstrahlung und vor Regen, der den fruchtbaren Humus wegwaschen würde. „Der springende Punkt ist, dass die Kühe zehn, elf, zwölf Wochen nicht mehr zurück auf diese eine Fläche kommen. Dann können die Pflanzen ungestört nachwachsen”, so Landwirt Bösel. Ein fruchtbarer Boden kann zudem Nährstoffe und Wasser besser speichern.
Wieso ist das wichtig fürs Klima? Ein gesunder Boden enthält viele Mikroorganismen. Diese können den im Boden enthaltenen Kohlenstoff an Mineralien binden. Wird nun der Boden mit Chemie – wie Dünger und Pestiziden – bearbeitet, verschlechtern sich die Lebensbedingungen für die Bodenorganismen. Diese können weniger Kohlenstoff im Boden speichern und mehr CO2 tritt in die Atmosphäre ein. Kohlenstoff kann von den nachwachsenden Pflanzen mithilfe der Photosynthese aus der Luft gefiltert werden und zurück in den Boden gelangen – sofern dieser noch CO2-Speicherkapazitäten besitzt.
Was ist der Unterschied zur herkömmlichen Landwirtschaft?
Wenn die Herde das ganze Jahr über am selben Fleck steht, würde eine Kuh immer ihre Lieblingspflanzen auswählen und diese komplett abfressen, bevor sie nachwachsen könnte. „Das Kraut macht dies ein paar Mal mit, ist jedoch irgendwann extrem geschwächt und verschwindet von der Bildfläche”, merkt Bösel an. Die Biodiversität nimmt in diesem Szenario ab. Es gibt diverse wissenschaftliche Belege dafür, dass das Potenzial der Fläche durch das holistische Weidemanagement deutlich erhöht wird, sowohl in Hinsicht auf Fruchtbarkeit als auch als Kohlenstoffspeicher. Wenn das Gras durch die kurze Beweidungsdauer nicht ganz abgefressen wird und die niedergetrampelte Mulchschicht den Boden vor Austrocknung und Sonneneinstrahlung schützt, können Kühe laut Benedikt Bösel „klimanegativ” sein. Das heißt, sie speichern – zumindest indirekt – mehr Kohlenstoff im Boden, als sie selbst ausstoßen.
Wie Bäume den Acker schützen
Agroforst ist eine Kombination aus Ackerbau und Forstwirtschaft. „Bäume haben einen vielfältigen Einfluss auf das Ökosystem. Wenn wir über Agroforst sprechen, sprechen wir über schmale Baumstreifen, die auf eine gewisse Art und Weise über den Acker verteilt werden”, erläutert Landwirt Bösel. Obwohl etwa fünf bis zehn Prozent der Fläche mit Bäumen bepflanzt werden, ist der Ernteertrag höher, weil die Bodenqualität steigt. Mithilfe der Bäume können mehr Nährstoffe und Wasser gespeichert werden, was zu einem besseren Wachstum der Pflanzen führt. Werden die Bäume gegen die Hauptwindrichtung gepflanzt, können sie die Windgeschwindigkeit auf der Fläche auf ein Minimum reduzieren. Das bedeutet in weiterer Folge, dass die Pflanzen und der Boden länger Zeit haben, die wenige Feuchtigkeit aufzunehmen, die in Alt Madlitz zu finden ist. Gleichzeitig helfen die Bäume mit ihren langen Wurzeln dabei, Grundwasser näher an die Oberfläche zu befördern, was den Wasserzyklus positiv beeinflusst.
Werden die Bäume entlang der Höhenlinien gesetzt, helfen sie dabei, das Wasser perfekt über die Fläche zu verteilen und dort zu speichern. Das bedeutet, dass Bäume in gewissen Abständen entlang mehrerer gedachten Linien parallel zum höchsten Punkt des Feldes gepflanzt sind. Das kann beispielsweise bei hügeliger Landschaft der Fall sein, in der nicht der ungebremste Wind die größte Gefahr für den Boden darstellt, sondern Regen, der den Hang hinab rinnt und fruchtbaren Humus wegschwemmt. So schützen Bäume den Boden vor Wind- und Wassererosion. Ein weiterer Vorteil der Baumstreifen ist der Schatten, der eine kühlende Funktion besitzt. Dort wo die Bäume wachsen, wird langfristig Humus aufgebaut. Bäume sind einer der Schlüssel, um im Ackerboden Wasser kurzfristig zu halten und langfristig zu speichern. In Zeiten von Dürreperioden und Wasserknappheit sind sie essentiell für mehr Resilienz gegen den Klimawandel.
Doch beansprucht ein Baum nicht Wasser und Nährstoffe für sich selbst, die andere Pflanzen benötigen würden? „Das stimmt so nicht!”, meint Bösel. Wichtig sei zu verstehen, dass bei Bäumen, Sträuchern und Gräsern alles über ein Geben und Nehmen mit der Natur funktioniert. Wenn ein Baum neben einer anderen Frucht wachse und die Wurzeln auf derselben Höhe lägen, würden natürlich beide Pflanzen versuchen, das Wasser aufzunehmen. „Ich würde aber nicht sagen, dass es eine große Konkurrenzsituation gibt”, betont er. In einem gut konzipierten System herrsche ein Gleichgewicht zwischen allen Teilnehmenden.
Mini-Ökosysteme der Zukunft
Ein weiteres zukunftsweisendes Projekt von Gut & Bösel ist die syntropische Landwirtschaft. Hierbei werden Pflanzengemeinschaften so miteinander kombiniert, dass sie sich gegenseitig unterstützen. Von Anfang an wird ein intaktes Ökosystem aufgebaut, das sich selbst düngt, Wasser besser speichert und dem Klimawandel trotzen kann.
Bis zu zehn verschiedene Pflanzenarten bilden unterschiedliche Höhenschichten, die sich gegenseitig unterstützen und in Symbiose miteinander leben. Das bedeutet: Beide Arten profitieren gleichermaßen von der Zusammenarbeit.
Bei Gut & Bösel können Beeren, Nüsse und Obst zu verschiedenen Jahreszeiten geerntet werden. Kennengelernt hat Benedikt Bösel das syntropische Landwirtschaftssystem bei Vordenker Ernst Götsch in Brasilien. Er entwickelte diese Methode im Regenwald, wo unzählige unterschiedliche Pflanzenarten in Harmonie auf engstem Raum zusammen leben. Die syntropische Landwirtschaft bietet damit auch eine Alternative zur Brandrodung mit anschließender Auslaugung der Böden durch Monokulturen.
Welche Pflanzen lassen sich miteinander setzen? „Das kommt aufs System an, in das du sie etablieren willst”, so Bösel. Die Sortenwahl hänge von den natürlichen Gegebenheiten vor Ort ab. „Das können wir nicht so einfach standardisieren.” Wichtig sei auch, die bereits gemachten Erfahrungen vor Ort zu berücksichtigen und Verschiedenes auszuprobieren. „Alle möglichen Pflanzen wild über den Acker zu verteilen, funktioniert natürlich auch nicht”, betont Bösel. Es brauche System dahinter. Im Fall von Gut & Bösel ist nur etwa die Hälfte der Pflanzen für die Lebensmittelproduktion und Ernte gedacht, die andere Hälfte zur Unterstützung des gesamten Systems.
Das heißt konkret: Einige der gepflanzten Baum- und Straucharten werden Jahr für Jahr wieder geschnitten, gestutzt und gehäckselt. Das Schnittgut ist dann natürlicher Dünger und kann wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. Diese Biomasse nehmen der Boden und Mikroorganismen auf und wandeln sie in Nährstoffe um. Gleichzeitig dient die Bodenbedeckung als Schutz vor Austrocknung. Dadurch, dass die Pflanzen so eng beisammen stehen, können sie untereinander Nährstoffe austauschen und sich Schutz vor Sonne und Wind durch gegenseitige Beschattung bieten.
Doch wie sieht es mit Schädlingen aus, wenn Landwirt:innen ganz von Spritzmitteln ablassen? Ist die syntropische Landwirtschaft tatsächlich ein verlässliches System?
Da solche Systeme so biodivers wie möglich konzipiert sind, sei es Ziel und Hoffnung, dass es keine Probleme mit Schädlingen gibt. „Der Schädling kommt, wenn die Pflanze krank oder anfällig ist. Das kommt oft bei starker Monokultur vor”, meint der Landwirt. Ein intaktes Ökosystem käme mit Schädlingen klar, was weniger Ernteausfälle zur Folge hat. Außerdem seien die Landwirte durch mehrere potenzielle Ernten besser abgesichert: „Wenn ich auf einem Feld statt nur Getreide auch Birnen, Äpfel, Kräuter und Brombeeren ernten kann, ist dies ein deutlich verlässlicheres Einkommen und potenziell auch ökonomisch viel interessanter.”
Den Umständen zum Trotz?
Wieso setzen nicht schon mehr landwirtschaftliche Betriebe derartige Methoden um? Schließlich scheinen diese nicht nur nachhaltiger, sondern auch wirtschaftlich rentabler zu sein. Benedikt Bösel berichtet, dass in den letzten 30 bis 40 Jahren immer mehr Landwirt:innen dazu gebracht wurden, sich zu spezialisieren. So produzierten sie immer mehr Masse für möglichst geringe Produktionskosten und hätten entsprechend in diese Richtung investiert. Eine hohe Verschuldung sei die Folge. Oft hätten Landwirt:innen nur mehr ein Produkt und eine Produktionsform. „Wenn du einmal in so einem System bist, bist du darin gefangen. Selbst wenn du das wolltest, kommst du da so leicht gar nicht mehr raus, weil du Abnahme- und Einkaufsverträge hast. Dein ganzer Stall, dein gesamtes System ist darauf ausgerichtet. Das heißt, wir sollten das nicht auf dem Rücken der Landwirt:innen austragen, die haben immer das getan, was sie machen sollten.”
In der Landwirtschaft Tätige seien aktuell völlig im Stich gelassen. „Jetzt ist die Politik gefragt!” Große Summen müssten in neue Verantwortung gegeben werden, viele Bereiche, wie das Bildungs- und Finanzsystem, über alternative Methoden aufgeklärt werden. Es brauche eine andere grundsätzliche Ausrichtung des landwirtschaftlichen Bereichs, da neue Konzepte nicht nur besser für die Umwelt, sondern auch wirtschaftlich profitabler sind.
Vor allem junge Menschen will das Team rund um Benedikt Bösel mit seinem Konzept in Alt Madlitz ansprechen. „Wir wollen in Zukunft noch mehr die Themen Ausbildung, Bildung und den Wissensaustausch mit anderen Landwirt:innen fördern. Es gibt uns unglaublich viel Freude und Mut zu sehen, wie viele junge Menschen wieder Lust auf Landwirtschaft haben – und je mehr Menschen wir mit dieser Leidenschaft anstecken, desto mehr tragen es in die Welt!“
„Fakt ist, die Landwirt:innen haben die Zukunft in der Hand. Sie sind die Wichtigsten, wenn es darum geht, Klimaanpassung angehen zu können.”
Benedikt Bösel