Auch in Deutschland hängt der Zugang zu Bildung und die Entscheidung für ein Studium oft noch stark vom Elternhaus ab. Doch die Initiative ArbeiterKind.de setzt genau hier an: Sie unterstützt Schüler*innen und Studierende aus nicht-akademischen Familien und zeigt, dass ein Studium für alle möglich sein kann – unabhängig von der Herkunft.
„Die Frage, ob jemand ein Studium aufnimmt, sollte in Deutschland nicht vom familiären Hintergrund abhängen.“ Mit dieser Vision gründete Katja Urbatsch 2008 die Initiative ArbeiterKind.de, die heute deutschlandweit in rund 80 lokalen Gruppen aktiv ist. Ehrenamtliche Mentorinnen – oft selbst Studierende der ersten Generation – stehen Schülerinnen und Studierenden zur Seite und bieten niedrigschwellige Unterstützung: von Informationsveranstaltungen in Schulen über persönliche Beratung bis hin zum digitalen Netzwerk. Dieses Format macht die Initiative einzigartig und schafft Begegnungen auf Augenhöhe.
Beeindruckende Erfolge und konkrete Unterstützung
Allein 2023 wurden rund 28.000 Schülerinnen und Studierende in persönlichen Gesprächen erreicht. Über 250 Schulveranstaltungen und Infostände auf Messen boten wertvolle Einblicke in die Welt des Studiums und der Studienfinanzierung. Dabei zeigt sich die Wirkung deutlich: Eine weitere Studie des Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung belegt, dass fast die Hälfte der Teilnehmerinnen nach einer Veranstaltung klarer sehen, dass ein Studium für sie machbar ist.
Mehr als eine Beratungsstelle: Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit
Doch ArbeiterKind.de ist mehr als eine Beratungsstelle. Es ist eine Bewegung, die das Bildungssystem hinterfragt und gerechter gestalten will. In Deutschland studieren nur 25 von 100 Kindern aus nicht-akademischen Familien, während es bei Akademikerfamilien 78 von 100 sind. Diese Diskrepanz zeigt, wie dringend Veränderungen nötig sind. ArbeiterKind.de gibt nicht nur Mut und Orientierung, sondern setzt ein Zeichen gegen die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem.
Ehrenamtliches Engagement mit großer Wirkung
ArbeiterKind.de bietet umfassende, vielfältige und leicht zugängliche Unterstützung vorrangig für Schüler:innen sowie Studierende, aber auch für deren Eltern:
- Netzwerk von Tausenden Ehrenamtlichen in rund 80 lokalen Gruppen, die vor Ort offene oder virtuelle Treffen, Sprechstunden und individuelles Mentoring anbieten
- Informationsveranstaltungen über Studienmöglichkeiten und Studienfinanzierung an Schulen, Hochschulen, anderen Bildungsinstitutionen und auf Bildungsmessen
- Unterstützung bei der Studienfinanzierung, insbesondere zu Stipendien
- Infotelefon/WhatsApp-Chat für Schüler:innen, Studierende und Eltern von Montag bis Donnerstag zwischen 13 und 18.30 Uhr unter 030-679 672 750
- Regelmäßige Trainings, (Online-)Workshops und Webinare für Ehrenamtliche, um sie bei der Zusammenarbeit mit Schüler:innen und Studierenden zu unterstützen
Auch ich bin als Ehrenamtlicher Teil von ArbeiterKind.de und schätze den Austausch mit anderen Engagierten sowie die Möglichkeit, meine eigenen Erfahrungen weiterzugeben. Die Arbeit in der Initiative zeigt mir jedes Mal, wie stark persönliche Geschichten und authentische Vorbilder motivieren können. Gleichzeitig ist es eine Arbeit, die in einer idealeren Welt gar nicht nötig wäre: Ein Bildungssystem, das wirklich alle gleichermaßen fördert, würde Initiativen wie ArbeiterKind.de überflüssig machen.
Hoffnung schenken und Wege ebnen
Doch bis dahin bleibt die Initiative ein wichtiger Akteur, der nicht nur Hilfe leistet, sondern auch Hoffnung schenkt. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich entsprechend den eigenen Neigungen und Kompetenzen zu engagieren – in der Schule, für Menschen im Übergang von der Schule zum Studium oder auch während des Studiums. Ich möchte einen kleinen Einblick in Bereiche geben, in denen ich aktiv bin.
Mut machen: Seminare für Studieninteressierte
In Seminaren nach dem Abitur habe ich immer wieder die Freude, Menschen Mut machen zu können – allein durch meinen Bildungsweg als Arbeiterkind. Besonders erfüllend ist es, wenn ich Menschen dazu ermutigen kann, ein Studium als realistische Option für sich zu sehen. Noch mehr freue ich mich, wenn sich jemand traut, seinem Herzenswunsch zu folgen, etwa durch die Entscheidung für ein Geisteswissenschaftsstudium.
Unterstützung während des Studiums: Mentoringprogramm
Auch für Menschen während des Studiums engagiere ich mich, etwa im Mentoringprogramm. Hier unterstütze ich Studierende dabei, unsichtbare Hürden zu erkennen und zu überwinden. Diese Herausforderungen sind oft weniger fachlicher, sondern struktureller oder persönlicher Natur. Es bereitet mir große Freude, den Studierenden dabei zu helfen, ihre individuellen Stärken zu entdecken und ihr Studium selbstbewusst zu meistern.
Sensibilisierung für Klassismus in der Lehre
In meiner Rolle als Dozent spreche ich das Thema Klassismus und FirstGen-Studierende aktiv an. Dabei stelle ich offen die Frage, ob jemand das Gefühl hat, „zu dumm für das Studium“ zu sein, oder ob ich vielleicht zu kompliziert erkläre. Solche Fragen schaffen einen Raum für Austausch und ermöglichen es mir, Themen wie Klassismus und das Impostor-Phänomen anzusprechen. Arbeiterkinder empfinden häufig ein vages oder grundlegendes Gefühl, nicht dazuzugehören. Doch dieses Empfinden hat weniger mit ihnen selbst zu tun, sondern viel mit den Rahmenbedingungen und dem Habitus. Gemeinsam entwickeln wir Strategien, um damit produktiv umzugehen und ihre persönliche Entwicklung zu stärken.