Forschende haben erstmals die Verdauung plastikfressender Würmer reproduziert – und können damit Plastikmüll in großen Mengen zersetzen.
Wissenschaftler:innen haben einen wichtigen Durchbruch bei der Reduzierung von Plastikmüll erlangt. Damit könnte es bald möglich sein, Kunststoff in großen Mengen biologisch abzubauen.
Dass wir ein Plastikproblem haben, ist nichts Neues. Jedes Jahr werden weltweit 400 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert. Zwischen 19 und 23 Millionen Tonnen davon landen alleine in den Ozeanen. In allen möglichen Lebewesen, die sich im Meer oder in Meeresnähe aufhalten, wurde mittlerweile Mikroplastik gefunden. Bisher war das große Problem: Plastik braucht mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte, um sich vollständig zu zersetzen.
Selbst dann bleibt in der Regel Mikroplastik übrig, was über die verschiedensten Kanäle seinen Weg in unsere Ökosysteme findet und dort erheblichen Schaden anrichtet. Doch seit 2017 gibt es Hoffnung. Denn die Wissenschaft hat endlich einen Weg gefunden, wie Plastik zu einem biologisch abbaubaren Produkt werden kann: Würmer.
Und nicht nur das: Ein Team von Wissenschaftler:innen der Nanyang Technological University in Singapur war erstmals in der Lage, die Verdauung plastikfressender Würmer künstlich nachzubilden. Damit sind die Würmer selbst nicht mehr notwendig, um Plastik biologisch abzubauen. Einzig die an der Verdauung beteiligten Bakterien und Enzyme müssen im Labor reproduziert werden.
Plastikfressende Würmer und ein künstlich rekonstruierte Verdauung
Aber von vorne: Würmer?! Das Forschungsteam untersuchte die Larven des Schwarzkäfers, die auch den Namen „Superwurm” tragen. Bereits seit längerer Zeit ist bekannt, dass die Würmer sich von Plastik ernähren können. Mit ihrem Speichel zersetzen sie dabei das Plastik. In ihrem Darm wird es vollständig verdaut. Übrig bleiben Produkte, die nicht mehr schädlich sind. Die Würmer schaffen es also, die schwer trennbaren langkettigen Polymere, aus denen sich Plastik zusammensetzt, aufzubrechen – und das erstaunlich schnell.
Trotzdem ist es natürlich nicht realistisch, die Würmer in Massen zu vermehren und auf Plastikberge in der Natur loszulassen, denn dann würden sie andere Ökosysteme zerstören. Die Lösung war also von vornherein klar: Die Wissenschaft forscht seit der Entdeckung der plastikfressenden Würmer 2017 an einer Methode, den Verdauungsvorgang der Larven im Labor nachzubilden. Das ist jetzt erstmals gelungen.
„Unsere Methode beseitigt diese Notwendigkeit (der Wurmvermehrung), indem sie den Wurm aus der Gleichung entfernt. Wir konzentrieren uns darauf, die nützlichen Mikroben im Wurmdarm zu fördern und einen künstlichen ‚Wurmdarm‘ zu schaffen, der Kunststoffe effizient abbauen kann.“
Assistenzprofessor Cao Bin an der School of CEE, leitender Forscher bei SCELSE
Eine „stabile Methode”
Im Rahmen ihrer Forschung fütterten die Wissenschaftler:innen drei Gruppen des Superwurms mit drei der am häufigsten vorkommenden Kunststoffarten HDPE, PP und PS. Eine Kontrollgruppe bekam Haferflocken aufgetischt. HDPE gilt als Plastik, das sich besonders schwierig zersetzen lässt.
Danach entnahmen die Forschenden dem Darm Mikroorganismen (sogenannte Mikrobiome). Über sechs Wochen modellierten sie die Verdauung der Würmer, fügten den Reagenzgläsern mit den Mikroben synthetische Nährstoffe und hinzu „fütterten” die Mikrobiome mit verschiedenen Formen von Plastik.
„Unsere Studie ist der erste erfolgreiche Versuch, Gemeinschaften von Bakterien aus dem Darmmikrobiom von mit Plastik gefütterten Würmern zu entwickeln. Indem wir die Darmmikrobiome bestimmten Bedingungen aussetzten, konnten wir die Fülle der Plastik abbauenden Bakterien in unserem künstlichen Wurmdarm erhöhen, was darauf hindeutet, dass unsere Methode stabil und in großem Maßstab reproduzierbar ist.“
Assistenzprofessor Cao Bin an der School of CEE, leitender Forscher bei SCELSE
Mit ihrer Forschung sind die Wissenschaftler:innen einer Empfehlung des Forschers Chris LeMoine nachgekommen. Auch er untersucht die Verdauung plastikfressender Würmer, jedoch bei einer anderen Art: dem „Wachswurm”, der wissenschaftlich „Galleria mellonella larvae” genannt wird und auf den sich der Großteil der Forschung in diesem Bereich derzeit konzentriert.
„Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wie der Verdauungsmechanismus funktioniert. Das ist die Billionen-Dollar-Frage, denn das ist Plastik im Wert von einer Billion Dollar, das wir abbauen können.”
Dr. Chris LeMoine, Biologe an der Brandon Universität in Kanada
Die eigentliche Schwierigkeit sei laut LeMoine, die einzigartige Kombination aus Enzymen und Bakterien zu finden, die Plastik möglichst effizient zersetzt. Insgesamt wurden bisher bereits 30.000 Enzyme identifiziert, die in der Lage sind, zehn verschiedene Arten von Plastik zu zersetzen. Ein besonders effektives Enzym ist unter dem Namen PETase bekannt.
Das Team des McKetta Department of Chemical Engineering der University of Texas unter Leitung von Hal Alper ging einen Schritt weiter. Mithilfe von künstlicher Intelligenz gelang es den Forschenden, verschiedene Zusammensetzungen aller bekannter Enzyme in der natürlichen Welt aus einer großen Datenbank zu modellieren. Die Idee dahinter: Eine Kombination aus Enzymen zu finden, die Plastik so schnell wie möglich zersetzen kann. Als diese Kombination gefunden war, modellierte das Team zusätzlich verschiedene Mutationen. Das Ergebnis ist ein Enzym mit dem Namen FAST-PETase. Dieses Enzym könnte ein Element eines künstlichen „Turbo-Verdauungssystems” der Zukunft sein. Eine Kombination beider Forschungsergebnisse könnte den wissenschaftlichen Durchbruch der Nanyang Technological University in Singapur noch effizienter machen.
Vom Bienenfeind zum Weltretter
Seinen Ursprung finden die plastikfressenden Würmer übrigens bei der Mikrobiologin Dr. Federica Bertocchini vom Spanish National Research Council. Sie entdeckte das Phänomen 2017 durch Zufall. Die Biologin züchtete bei sich zu Hause Bienen. Als ihr Bienenstock von Würmern befallen wurde, reinigte sie ihn und entsorgte die Würmer in einer Plastiktüte. Innerhalb kurzer Zeit nahm sie wahr, dass in der Tüte Löcher entstanden. Die Neugierde brachte sie dazu, die Würmer im Labor zu untersuchen. Heute ist ihre Entdeckung der bisher größte Durchbruch bei der Bekämpfung von Plastikmüll.
Der nächste Schritt in der Forschung ist nun, noch tiefer in die Prozesse der Kunststoffzersetzung einzutauchen und die involvierten Bakterien noch besser zu verstehen. So kann der künstliche „Wurmdarm” bald auch auf einem Level skaliert werden, das den immensen Massen an Plastikmüll gewachsen ist.
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