In der Fotostrecke unseres aktuellen Printmagazins featuren wir junge Fotograf:innen, deren Kunst ihre Schulbildung finanziert.
Selten stehen Fotograf:innen so im Zentrum der Aufmerksamkeit wie bei der Fotostrecke unseres aktuellen Printmagazins. Zu jedem Foto ist auch die Person hinter der Kamera abgedruckt – und das aus besonderem Grund: Die Fotograf:innen sind zwischen fünf und neun Jahre alt und allesamt Teilnehmende eines Projekts des Sozialunternehmens Art Meets Education, das Kindern durch Fotografie Schulbesuche ermöglicht.
Ins Leben gerufen wurde Art Meets Education (AME) im Jahr 2016 durch den deutsch-philippinischen Fotografen und Erziehungswissenschaftler Nico Klein-Allermann. Das Good News Magazin hat ihn zum Interview getroffen.
Good News Magazin: Was genau ist eure Mission mit Art Meets Education?
Nico Klein-Allermann: Unsere Mission ist Bildung durch Fotografie. Es gibt auf der ganzen Welt über 200 Millionen Kids, die nicht zur Schule gehen können. Wir haben einen Weg gefunden, um zumindest einem ganz kleinen Teil von ihnen einen Schulbesuch zu ermöglichen, indem sie sich selbst die Schule finanzieren – nämlich durch Fotografie. Die Kids machen Fotos, wir verkaufen die Fotos und ermöglichen so den Kids die Schule. Dabei geht es um die Schulnebenkosten und eine warme Mahlzeit pro Tag, denn die Schule selbst ist kostenlos. Wenn wir ein Kind aufnehmen, dann für 12 Jahre, das heißt, das Kind geht von der Grundschule bis zur Highschool in die Schule.
Good News Magazin: Welche Projekte gibt es gerade konkret?
Nico: Momentan haben wir in Olandes Marikina, also in Manila auf den Philippinen, fünf laufende Projekte mit 67 Kids. Das sind über 8000 Monate Schule, die wir finanziert haben. Zusätzlich haben wir schon 160.800 Mahlzeiten finanziert.
GNM: Wie läuft das Monitoring vor Ort ab?
Nico: Momentan haben wir ein Projektbüro bei unserem Pilotprojekt in Manila. Dort arbeiten drei Mitarbeiter:innen: ein Projektmanager und zwei Fieldworker. Das Monitoring passiert durch monatliche Check Ins, wo entweder die Kids vorbeikommen oder unsere Fieldworker zur Schule gehen und Eins-zu-Eins-Gespräche führen. Dort guckt man sich dann die Noten an, schaut nach Fehlzeiten, der Uniform, ob Zuhause alles läuft usw.
Wir sind jetzt dabei, mithilfe eines Inkubators [Einrichtungen, die Start-ups bei der Entwicklung unterstützen, Anm. d. Red.] aus Duisburg zu skalieren. Wir werden das AME-Konzept franchisen und dafür mit anderen NGOs vor Ort zusammenarbeiten. Bedeutet, AME wird den Fokus auf den Verkauf der Fotos setzen und das Operative selbst wird unter Anleitung von AME ausgelagert an andere NGOs. Trotzdem wollen wir es beibehalten, dass wir 12 Kontakte im Jahr haben mit den Kids.
Das ist uns total wichtig, weil ich als alter Schulpädagoge gemerkt hab, dass es mehr Sinn macht, nah am Kind dran zu sein als es abzufertigen, weil du dadurch einen größeren Impact, einen größeren Hebel hast. Eine gute Ausbildung ist besser als 100 schlechte, besonders in Communities, die einen starken Entwicklungsstatus haben. Deswegen setzen wir ganz krass auf Qualität bei der Betreuung.
GNM: Du hast gerade schon deine Rolle als “alter Schulpädagoge” angesprochen. Wie bist du überhaupt zu deiner Rolle als Gründer gekommen?
Nico: Ich denke, um ein Sozialunternehmen zu gründen, musst du auf jeden Fall der Mensch dazu sein. Da braucht es also schon einen gewissen Spirit, eine Art Kompass, der gut funktioniert. Ich hab lange als Fotograf gearbeitet – tue ich zwar immer noch, aber jetzt auch weniger –, habe viele Missstände fotografiert und konnte sehr viel eintauchen in das Leben anderer. Ganz häufig habe ich dabei den Kids Kameras gegeben und mir immer gedacht: ‘Krass, irgendwie sind das richtige Kunstwerke.’ Damals habe ich mir aber nicht mehr dabei gedacht.
Jedes Jahr war ich dann für sechs bis acht Wochen auf den Philippinen. In der Community, in der wir heute tätig sind, habe ich als Kind sehr viel gespielt und war sehr eng mit den Jungs dort und ihren Familien. Irgendwann gab es dann eine Initialzündung: Es gab einen Jungen, Jonny, der hat immer Barbecue verkauft. Auch relativ früh schon, mit sechs, sieben Jahren. Für mich war das immer klar, dass er Barbecue verkauft. Ich wurde eingeschult, er hat Barbecue verkauft. Ich hab meine Grundschule gemacht, er hat weiter Barbecue verkauft. Nach dem Abi hat er immer noch Barbecue verkauft. Irgendwann wurde mir klar: ‘Krass, ich hab jetzt 12 Jahre Schule hinter mir und Jonny verkauft immer noch Barbecue’.
Das lief dann so weiter, dass ich nach meinem Studium immer wieder da war und er immer noch Barbecue verkauft hat und ich dachte: ‘Das kann doch nicht sein’. Als ich dann wieder auf den Philippinen in der Community fotografiert hab, ist ein Kind in Schuluniform an mir vorbeigelaufen. Ein anderes Kind hat eine Straße weiter auf einer Müllhalde gespielt. Da war mir klar, dass ich meine Energie und mein Wissen in das Sozialunternehmertum stecken will.
GNM: Wie würdest du deine Position bei AME heute beschreiben?
Nico: Ich bin Gründer und Geschäftsführer von AME. Ich würde also schon sagen, ich bin die treibende Kraft, der Initiator und auch der Hauptstratege. Aber die Rolle gefällt mir nicht mehr ganz aufgrund der Verantwortung, die ich jetzt trage. Zum Glück hat sich ein Gründer:innenteam entwickelt, sodass wir die Arbeit in Zukunft gemeinsam schultern können. Das erleichtert mich.
GNM: Wie verändert sich dann deine Position konkret durch die Expansion?
Nico: Mit Wachstum kommt immer mehr Verantwortung, bis es nicht mehr geht. Deswegen möchte ich bewusst Verantwortung abgeben. Ich bin die Person hinter AME und das bin ich auch gerne, aber für den Vertrieb und den Onlineshop gibt es jetzt beispielsweise eigene Teams. Gleichzeitig sind wir so eng miteinander verbunden, dass wir viel auch gemeinsam besprechen. Strategie, Entwicklung, der Spirit von AME, Marketing, das bleiben so meine Bereiche.
GNM: Die Kooperation mit den NGOs bringt sicher neue Herausforderungen. Wie schaffst du es, geeignete auszuwählen, ohne wirklich vor Ort zu sein?
Nico: Das ist super schwierig und wir sind auch noch nicht ganz an dem Punkt, aber ich würde direkt sagen: Die Community fragen. AME wächst ja nur durch die Community, also die Verkäufe. Auf Social Media wachsen wir gerade schnell und dann hast du schon eine Anzahl an Meinungen, auf die du zurückgreifen kannst. Dann muss man sich auch durch intensive Gespräche mit den Projektpartnern ein Bild machen über die Arbeitsweise und darüber, ob sie legit sind – wie man so schön sagt. Gerade sind wir schon mit mehreren NGOs im Gespräch, aber das ist noch nicht spruchreif.
GNM: Ein Poster finanziert einen Monat Schule, was bedeutet das in Zahlen?
Nico: Wir rechnen da mit etwa zehn Euro. Über sechs Jahre haben wir Erfahrungswerte gesammelt und gehen dabei jetzt von einem Durchschnittswert aus. Die zehn Euro beinhalten dann Schuluniform, Rucksack, Schuhe, Fahrtkosten, also die ganzen Schulnebenkosten, und eine warme Mahlzeit pro Tag. Das Poster kostet dann 15 Euro; abzüglich Produktionskosten, Steuern etc. kommen wir dann auf die zehn Euro.
GNM: Wenn unsere Leser:innen jetzt neugierig geworden sind: Wo können sie die Kunst der Kids live sehen, abgesehen vom Onlineshop?
Nico: Ganz live sind wir auf circa 48 Events in Deutschland pro Jahr – also Hamburg, Düsseldorf, Köln etc. Das sieht man dann in unserer Instagram-Story. Und wir haben, leider nur in Berlin, Märkte. Das sind so 200 Märkte im Jahr. Ansonsten kann man jederzeit gerne zu uns in Weißensee hier in Berlin ins Office kommen und uns kennenlernen.
GNM: Gerade scheint viel bei euch zu passieren. Wenn du dir diese Entwicklungen so anschaust: Wo siehst du AME in drei Jahren?
Nico: Wir sind auf jeden Fall ein sehr solides Team, das ist mir ganz wichtig, denn AME steht und fällt mit dem Team. An oberster Stelle steht der Verkauf der Artwork, um die Schulbildung finanzieren zu können. Dafür werden wir in Kooperation mit Partner:innen in andere Länder gehen. AME professionalisiert sich und das Konzept ist übertragbar auf alle Kinder der Welt, da jedes Kind eine einzigartige Kreativität hat.
Vielleicht nicht in drei, aber in 15 bis 20 Jahren werden wir durch die Augen der Kids eine fotografische Dokumentation haben über die Entwicklung der Welt. Ähnlich der Ausstellung The Family of Man, kuratiert von Steichen 1951. Das ist neben Bildung durch Fotografie meine zweite große AME Vision.