Im Projekt Citizens Forests engagieren sich Bürger:innen aktiv für den Klimaschutz. Der Verein aus Bönningstedt bei Hamburg setzt sich dafür ein, nicht genutzte Flächen mit heimischen Baumarten zu bepflanzen. Dabei orientieren sich die Aufforstungen an der Miyawaki-Methode, um möglichst schnell und effizient Wälder zu schaffen, Kohlendioxid zu binden und den Klimawandel zu bremsen.
Die Initiative für die Aufforstung soll von den Bürger:innen selbst kommen, Citizens Forests unterstützt die Projekte dabei mit Know-how, um so ein deutschlandweites Netzwerk von lokalen Aufforstungsprojekten zu etablieren. Am 26. Mai 2019 pflanzte der Verein seinen ersten Baum, drei Jahre später unterstützen sie bereits Projekte bis nach Wien. Im Herbst 2021 hat das Projekt insgesamt fünf Pflanzaktionen durchgeführt, bei denen 11.180 Bäume zusammen mit 414 freiwilligen Helfer:innen gepflanzt wurden.
In unserem Gespräch erklären uns Gründer und Vereinsvorstand Pascal Girardot und Boris Kohnke (2. Vorsitzender) ihre Vision und die Idee hinter Citizens Forest.
Ihr hattet Euch auf unseren Artikel über die Miyawaki-Wälder gemeldet und berichtet, dass ihr 2019 die Methode mit dem Verein Citizens Forest e.V. nach Deutschland geholt habt. Wie bist du, Pascal, auf diese Idee gekommen?
Pascal: Ich bin über das Buch “Drawdown” gestolpert, das sehr beeindruckend auflistet, was welche Maßnahmen gegen den Klimawandel bringen. Die Aufforstung erscheint dort an sehr prominenter, vorderer Stelle und die unglaubliche Wirkung einer weltweiten Aufforstung wurde eindrucksvoll beschrieben. Ich fand es erschreckend, dass wir nicht mehr Wälder aufforsten. Das Buch stellte das Afforestt-Projekt in Indien vor, das nach der Miyawaki-Methode aufforstet. Ich hatte schon immer den Gedanken und den Wunsch, dass mehr aus der Gesellschaft heraus gegen den Klimawandel getan werden muss und so habe ich beide Ideen verknüpft und mir gedacht, wir könnten doch einfach anfangen, überall kleine Flächen zu bepflanzen.
Auf der Drawdown-Seite kann man sich aktiv über Lösungen zum Klimaschutz informieren. Eine umfassende Aufforstung hat demnach das Potenzial, den CO2-Ausstoß um circa 22 bis 36 Gigatonnen pro Jahr zu reduzieren.
Das klingt erstmal nach einem kleinen Beginn, doch daraus ist sofort ein Verein entstanden, der deutlich über deine Heimatgemeinde hinaus angelegt ist, richtig?
Pascal: Das stimmt. Die Vision war von Anfang an groß angelegt. Wir wollten die Erfahrungen aus unserer Ortschaft weitergeben an andere. Wir sind daher auch gar nicht überrascht von dem aktuellen Erfolg, denn wir arbeiten seit dem ersten Tag an der Vision, Citizens Forests in andere Regionen auszurollen. Für uns gab es als Weg gegen den Klimawandel nur jenen nach vorn.
Boris Kohnke: Wir sind mittlerweile bei Projekt Nummer elf und haben viele weitere angestoßen. Wichtig ist uns, dass unser Modell skalierbar ist. Denn nur kleine Fläche werden den Klimawandel nicht stoppen. Uns geht es nicht darum, selbst jeden Baum zu pflanzen, sondern vor allem andere zu motivieren und ihnen das Handwerkszeug mitzugeben, solche Bepflanzungen selbst voranzutreiben. Wenn wir irgendwann tausende Gruppen über ganz Deutschland haben und jede davon bepflanzt nur 200 Quadratmeter – dann haben wir schon viel geschafft!
Das heißt, im Idealfall gibt es irgendwann Citizens Forests Gruppen in ganz Deutschland oder sogar international?
Boris: Das ist die Idee. Wir sehen uns als Blueprint und sammeln Erfahrungen, die wir direkt weitergeben können. Wir lernen ja auch ständig dazu, denn man kann sich vorstellen, dass es in Deutschland auch viele Hürden allein bei Genehmigungen gibt. Zugleich haben wir viele Expert:innen, die uns beraten, sei es auf rechtlicher Seite oder beim Thema Forstwirtschaft.
Wie viele Projekte gibt es aktuell?
Pascal: Die Pandemie schränkte auch uns sehr ein, aber jetzt sehen wir, wie sich die Nachfrage sehr stark entwickelt. Wir hatten fünf Projekte im Herbst 2021, dieses Jahr ist Ziel unser Ziel zwischen 15 und 20.
Boris: In fünf Jahren ist unser Ziel 500 pro Jahr!
Pascal: Nein, Boris, du hast mal gesagt ‘in drei Jahren!’ – und das ist auch realistisch.
Wie kommt ihr an die Flächen zur Bepflanzung?
Boris: Es gibt Privatmenschen, die ihr Land zur Verfügung stellen, aber auch kommunale Flächen sind ein Thema. Allein unsere kleine Heimatgemeinde hat 14 Hektar öffentliche Liegenschaften, die man bepflanzen könnte. Wir wissen, dass andere Vereine Grundstücke kaufen, aber das wollen wir nicht. Das Geld soll nicht zum Kauf genutzt werden, sondern zur Aufforstung.
Pascal: Privatpersonen, die uns ihre Fläche zur Verfügung stellen, unterschreiben auch eine Selbstverpflichtung, dass der Wald mindestens 15 Jahre steht. Da sollen keine finanziellen Interessen entscheidend sein, dass irgendwer plötzlich Feuerholz braucht.
Boris: Das hat die Presse auch schon missverstanden, dass wir Wälder “nur” über 15 Jahre planen. Das ist bei Kommunen so, die rein rechtlich keinen hundertjährigen Pachtvertrag abschließen können. Aber das heißt nicht, dass der Wald nicht doch 100 Jahre steht.
Ist es euch denn wichtig, dass unterstützte Projekte auch unter Citizens Forests laufen oder können interessierte Gruppen eigenständig agieren?
Pascal: Natürlich finden wir jedes Projekt wünschenswert, dass etwas gegen den Klimawandel tut. Aber die von uns unterstützten sollten schon als Citizens Forests agieren. Ich halte es für wichtig, dass die Begrifflichkeit übernommen wird und in der Gesellschaft ankommt. Wir können alle nur gewinnen, wenn wir die Marke verbreiten können und mehr Bewusstsein schaffen. Viele Leute haben auch Lust auf Aufforsten, aber nicht unbedingt auf eine Vereinsgründung. Mit Gruppen funktioniert das besser, da übernehmen wir als Dachverein die administrativen Aufgaben.
Boris: Ich glaube schon, es ist wichtig, einen großen Bekanntheitsgrad zu bekommen, um etwas zu erreichen und auch Menschen zum überlegen zu bringen. Da reichen auch so kleine Maßnahmen wie eine Infotafel an die Miyawaki-Wälder zu stellen.
Wie viel Zeit investiert ihr selbst in Citizens Forests?
Pascal: Das ist sehr schwierig zu sagen, die Gedanken kreisen ja ständig darum und angesichts des Klimawandels ist das auch wichtig. Ich würde sagen, so 20 Stunden die Woche sind es mit Sicherheit.
Boris: Es ist auf jeden Fall viel Arbeit. In der Herbstpflanzsaison habe ich fast zwei Monate nur für Verein gearbeitet. Zum Glück bin ich selbstständig und kann mir Zeit einteilen. Aber wir suchen definitiv Firmen und Institutionen, die die Struktur unseres Vereins fördern. Man bekommt Menschen schnell dazu, für einen Baum zu spenden. Aber eine Spende für die eine Vereinsstruktur ist vielen noch zu abstrakt. Ja, das Betreuen von lokalen Gruppen ist keine Raketenwissenschaft, aber es kann viel Zeit in Anspruch nehmen, vor allem wenn wir es wirklich schaffen, so zu wachsen, wie wir hoffen.
Mal ganz persönlich und weg vom “Big Picture” des Klimawandels gefragt: Warum ist diese Arbeit euch selbst so wichtig?
Boris: Ganz ehrlich? Es ist das erste Mal, dass ich etwas wirklich Sinnstiftendes mache. Ich wusste gar nicht, wonach ich suche, aber das ist es. Bei diesem Projekt treffe ich immer nette Leute – ich musste erst 50 werden, um solche Erfahrungen im Leben zu machen! Das gibt mir persönlich so viel.
Pascal: Für mich ist es unglaublich zu sehen, wie viele Leute etwas machen wollen. Und wir kommen mit einem fertigen Konzept, das sie nutzen können. Da kommen Leute zusammen, die sich gar nicht kennen und arbeiten an einem gemeinsamen Projekt. Da sind kleine Kinder ebenso wie Achtzigjährige dabei – und das zeigt mir einfach, dass jegliche Lösung aus der Gesellschaft heraus kommen muss. Es ist einfach schön, dass so viele unsere Vision verstehen.
Am 18. Juni 2022 bietet Citizens Forests im Rahmen des „Langen Tags der StadtNatur Hamburg“ kostenlose Führungen und viele Informationen in ihrem ersten Miyawaki-Wald an. Wer selbst anpacken, spenden oder unterstützen möchte, findet auf der Website von Citizens Forests alle Informationen.