Über die Cover-Künstlerin Tanja Pracht (geb. 1997) studierte Grafik- und Kommunikationsdesign mit einem Schwer- punkt auf Illustration und machte sich nach ihrem Abschluss 2021 freiberuflich selbststän- dig. Kurz darauf schloss sie sich dem Team des Good News Magazins an und gestaltet dieses seitdem – im wahrsten Sinne des Wortes – mit. www.tanja-pracht.de 

t l a h n I „Männer gegen Rechts“ Wenn nicht jetzt, wann dann? In Wahat al-Salam/Neve Shalom leisten arabische und jüdische Menschen gemeinsam Einsatz für ein friedliches Miteinander Eine Oase für den Frieden Erneuerbare Energien für den Frieden Ein Lichtblick Diese Kliniken zeigen Alternativen zum profitorientierten Gesundheitssystem Ganzheitliche Gesundheit für Alle Ein Mensch ist ein Mensch durch andere Menschen oder: der Wert der Gemeinschaft Ubuntu: Eine Philosophie der Menschlichkeit Als Sozialunternehmer:in aktiv in Konfliktregionen Menschen, die die Welt positiv verändern Weil Journalismus auch Frieden kann Schluss mit „wir gegen sie“ Wie Küchenutensilien ein Mittel des gewaltfreien Widerstands wurden Richtig auf die Pfanne hauen Friedensprojekte in Israel und Palästina Kleines Senfkorn Hoffnung Straßenkunst als Friedensstifter Bunt, rebellisch, politisch Innerer Frieden für alle Wenn es im Kopf zu laut ist, hilft die Uni Wie die deutsche Bundeswehr ein Fundament für Demokratie und Vielfalt schaffen will Innere Führung statt Führer Spaß mit Zahlen Warum gewaltfreier Widerstand erfolgreicher ist, als wir denken Strategisch, friedlich, effektiv Von Transformation, Verständnis und Wegen zum Frieden Die Kraft der Kunst Wie sich Gläubige gegen Gewalt einsetzen Friede sei mit dir Good News Shots Hinter den Türen des Schulprojektes „Empathie macht Schule“ „Wenn sich alles nur um Leistung dreht, spalten wir die Gesellschaft“ „Mit Bio-Landbau Frieden schaffen“ Gemüse statt Gewehre Frauen gegen Krieg und Unterdrückung Wie russische Frauen für Frieden kämpfen Sport in Köln Kalk verändert das Miteinander Fußball für den Frieden Cuisine sans Frontières bittet Konfliktparteien zu Tisch Frieden schaffen mit Reis und Bohnen Impressum 4 6 12 14 17 23 28 33 38 42 46 48 54 56 62 66 70 72 78 82 86 88 96 m o c . l h s a p s n u - i n a i r e C o d r a o d E : d l i B 

„Männer gegen Rechts“ Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht jetzt, wann dann? Das Bundesforum Männer, die Landesarbeitsgemein- schaft Jungen- und Männerarbeit Sachsen und der SKM Bundesverband kennen die Entwicklung aus ihrer Arbeit aus erster Hand und sehen darin eine ernstzunehmende Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden. Daher haben sich alle drei Organisationen zusammengetan und die Initiative „Männer gegen Rechts“ gegründet. „Wir setzen uns für Errungenschaften ein, die zuneh- mend angefeindet werden: eine offene, vielfältige und freie Gesellschaft und die demokratische Grundord- nung,“ erzählte uns ein Vertreter der Inititative Män- ner gegen Rechts. Eine erste Maßnahme ist der soge- nannte „Sharepic“-Generator. Auf der Website „maen- ner-gegen-rechts.de“ können Unterstützer ganz ein- fach ein Foto von sich oder gemeinsam mit anderen hochladen und es mit dem Design von Männer gegen Rechts und einem Untertitel versehen. So sollen mög- lichst viele Männer motiviert werden, ihre Botschaft offen auf den Social-Media-Plattformen und auch über das Profil der Initiative zu teilen. Das sei beson- ders wichtig, weil es aktuell noch an Sichtbarkeit man- gele. „Es gibt zahlreiche bekannte Initiativen von Frauen wie zum Beispiel die ‘Omas gegen Rechts’, aber Männer fehlten als eigenständige Gruppe auf der lan- gen Liste von Unterstützern gegen rechtsextreme und rechtsradikale Strömungen in Deutschland bislang leider“, so Männer gegen Rechts. Es würde zusätzlich in der öffentlichen Wahrnehmung helfen, Hashtags wie #MachDichStarkMann und #maennergegenrechts zu nutzen: „So füttern wir die Algorithmen der Social-Media-Plattformen, damit Jungs und Männern öfter unsere Inhalte zugespielt m o c . s o t o h p t i s o p e d - a v o n u s o B a n y r a M l : d l i B Das Bundesforum Männer, die Landesarbeitsgemeinschaft Jungen- und Männerarbeit Sachsen und der SKM Bundes- verband haben gemeinsam die Initiative „Männer gegen Rechts“ gegründet, um zivilen Frieden zu fördern und gesellschaftliche Errungenschaften zu bewahren. Nils Kumar und Florian Vitello Rechte Parteien wie die AfD haben bei Wahlen in ganz Europa Zulauf. Dabei sind zwei Drittel der AfD Wäh- ler Männer (laut Bundeszentrale für politische Bil- dung). Gerade in der Gruppe der jungen Männer sieht die AfD ihr großes Potenzial. Sie biedern sich ihrer Zielgruppe daher online gezielt mit Inhalten an, die konservative Rollenbilder zeigen, alternative Lebens- entwürfe verspotten und Erzählungen verbreiten von vermeintlichen Gefahren für das Vaterland, das „starke Männer“ verteidigen müssten. 4 Good News Magazin 

In Wahat al-Salam/Neve Shalom leisten arabische und jüdische Menschen gemeinsam Einsatz für ein friedliches Miteinander Eine Oase für den Frieden S a W - h S N : d l i B Wahat al-Salam/Neve Shalom ist ein kleines Dorf in Israel, in dem arabische und jüdische Menschen miteinander leben. Sie zeigen: Ein friedliches Miteinander erfordert viel Vertrauen, Zeit und Arbeit – aber es ist möglich. Auch jetzt. Luisa Vogt „Weißt du, der Grundsatz von Wahat al-Salam/Neve Shalom ist sehr simpel. Wenn Menschen mich fragen, wie diese Magie passiert, sage ich ihnen: Es ist einfach. Wir gehen zurück zu den Grundlagen. Und die Grund- lage heißt: Gleichheit für alle.“ Samah spricht diese Worte ohne Pathos. Für sie sind sie eine Selbstverständlichkeit, eine einfache, grund- legende Wahrheit. Seit 24 Jahren lebt sie in Wahat al- Salam/Neve Shalom; ihre Familie kam 2000 während der zweiten Intifada in dieses kleine Dorf auf halbem Weg zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Es ist ein ein- zigartiger Ort, an dem arabisch-palästinensische und jüdische Israelis eine Gemeinschaft aufgebaut haben, die beweist, dass ein Miteinander möglich ist. Und die sich dafür einsetzt, diese Botschaft über die Grenzen des Dorfes zu verbreiten: Die Botschaft, dass Frieden möglich sei. Auch in Israel und Palästina. Auch, wenn er im Moment weiter weg scheint, als je zuvor. An der Gemeinschaft festhalten Samah Salaime ist eine palästinensische feministische Aktivistin, Autorin und Co-Geschäftsführerin der Bil- dungseinrichtungen des Dorfes. Sie kennt die Fragen der Journalist:innen und sie nimmt kein Blatt vor den Mund, als ich sie nach der aktuellen Situation frage. „Die ersten Monate nach der Attacke der Hamas wa- ren schrecklich“, erklärt sie. „Wir wussten, dass die is- raelische Antwort auf das, was die Hamas-Kämpfer getan hatten, aggressiv sein würde. Aber niemand dachte, dass sie so aggressiv ausfällt.“ Die Gewalt ging auch an Wahat al-Salam/Neve Shalom nicht spurlos vorüber. „Einige der Familien, die hier leben, haben Fa- milie in Gaza und haben dutzende Menschen durch die Bombenangriffe verloren. Andere Familien haben Verwandtschaft im Süden Israels, wo die Attacke am 7. Oktober stattfand. Wir können ihren Schmerz und ihr Leid nicht vergleichen.“ 6 Good News Magazin 

All das ist das Ergebnis eines langen Prozesses der Ver- trauensbildung. Auch heute noch ist das Gleichgewicht der Bevölkerung ein wichtiger Grundsatz; die Leiter:in- nen der Dorfgemeinschaft achten darauf, dass die Zahl der arabischen und jüdischen Familien immer ungefähr gleich ist. Um Vertrauen aufzubauen und Gleichbe- handlung zu garantieren, wurde anfangs zudem jede Position innerhalb des Dorfes sowohl von einer arabi- schen als auch einer jüdischen Person besetzt. Das ist inzwischen anders. „Wenn einmal das Vertrauen da ist, wird es völlig egal, ob der Bürgermeister oder die Bür- germeisterin jüdisch oder palästinensisch ist. Die Posi- tion wird der Person verliehen, die am besten qualifi- ziert ist, egal ob arabisch oder jüdisch. Gerade haben wir einen jüdischen Bürgermeister, eine arabische Schulleiterin, ich bin eine Palästinenserin, die das Kommunikationsbüro leitet und mein Kollege, der die School for Peace leitet, ist Jude“, beschreibt Samah. Eine Schule für alle Bildung stand von Anfang an im Zentrum der Frie- densarbeit von Wahat al-Salam/Neve Shalom. 2024 war deshalb ein besonderes Jahr für die Grundschule: „Dieses Jahr haben wir unser 40-jähriges Jubiläum ge- feiert, es sind 40 Jahre, seit wir die erste bilinguale, bi- nationale Schule in Israel geschaffen haben“, berichtet Samah und Stolz schwingt in ihrer Stimme. In dem, im restlichen Land, etablierten israelischen Bildungssystem werden arabische und jüdische Kinder ab dem Grundschulalter in getrennten Einrichtungen mit separaten Lehrplänen unterrichtet. Das bedeutet nicht nur, dass es keinen Raum für Begegnung gibt, sondern auch, dass Kinder, die am selben Ort aufwach- sen, mitunter komplett verschiedene Dinge über die Gesellschaft, Kultur und Geschichte lernen. „In diesem segregierten Bildungssystem würde die ganze Idee von Wahat el Salaam/Neve Shalom einfach verschwinden“, kritisiert Samah. Darum funktioniert die Schule im Dorf ganz anders: Zwei Lehrkräfte, eine jüdische und eine arabische, lei- ten gemeinsam den Unterricht. Es wird darauf geach- tet, dass in einer Klasse immer ungefähr gleich viele jüdische und arabische Kinder sind. Der Unterricht findet komplett bilingual statt, sowohl Hebräisch als auch Arabisch sind Unterrichtssprachen. Auch Ge- schichte wird aus beiden Perspektiven unterrichtet, Feiertage gemeinsam begangen. Ein solches System zu etablieren war nicht leicht, er- klärt Samah: „Es sind Fragen wie: Besprechen wir die Nakba oder den Unabhängigkeitstag – es ist derselbe Tag im Kalender.“ Um diese Fragen zu beantworten, 8 Good News Magazin haben die Lehrkräfte eigene Lehrpläne entwickelt. Da- rin ist auch ein Fach enthalten, das es in den Regelschu- len nicht gibt, und in dem Geschichte, Religion und ethische Fragen so unterrichtet werden, dass beide Sei- ten gleichermaßen berücksichtigt werden. Die Lehr- pläne sind auf Hebräisch und auf Arabisch auch online verfügbar und können von allen anderen Schulen ge- nutzt werden. Dass die Schule und ihre Lehrpläne in- zwischen staatlich anerkannt sind, ist ein Erfolg aus der Zeit vor der Regierung unter Netanyahu, erklärt Samah. Als die Schule 1984 eröffnet wurde, gab es eine Klasse mit elf Kindern. Heute sind es über 280, die zum Groß- teil von außerhalb kommen. Für sie stellt die Ge- meinde den Transport zur Verfügung. Und nicht nur die Zahl der Schüler:innen wächst, sondern auch die Zahl weiterer bilingualer und binationaler Schulen. Sieben Stück gibt es davon heute in Israel, erklärt Sa- mah, und fügt hinzu: „Wahat al-Salam hat dieses Mo- dell erfunden und der Welt bewiesen, dass integrierte Friedensbildung möglich ist in diesem Teil der Welt.“ „Eine Frage in der Grundschule ist, wie die religiösen Feiertage begangen werden. Man- che sind muslimisch oder christlich, manche jüdisch, andere agnostisch. Das Fasten- brechen nach dem Ramadan, Chanukka und Weihnachten werden zusammen gefeiert; da- für gibt es meist ein übergeordnetes Thema oder eine Frage, die alle einbezieht. 2023 war diese Frage Was ist Licht für dich? Die Schüler:innen der dritten Klasse erstellten dar- aufhin eine Präsentation, in der sie erklärten, warum ihre Schule in der Zeit nach dem 7. Oktober für sie ein Licht ist.“ Sich gegenseitig festhalten gegen die Angst Gerade jetzt ist diese Friedensbildung wichtiger denn je – und gerade jetzt ist es umso schwieriger, sie auf- rechtzuerhalten. Darum kam der Grundschule in den Wochen nach der Terrorattacke der Hamas und dem S a W - h S N : r e d l i B 

nicht deine Feinde sind. Wenn ich etwas brauche, dann gehe ich zu meiner jüdischen Nachbarin. Wir sind auf dieser Vertrauensebene.“ Für die Familien, die erst seit kurzem Teil der Gemeinschaft sind, sei es eine ganz andere Situation. Sie müssten viel aktiver darum kämpfen, auf die Idee hinter Wahat al-Salam/Neve Shalom zu vertrauen. Für Samah eine wichtige Erinne- rung daran, dass Vertrauen viel Zeit braucht. Und dann erklärt sie überraschend: „Ich sehe tatsäch- lich auch einen positiven Effekt auf die Gemeinschaft.“ Denn wenn man zu lange mit einem Grundvertrauen in einander und in ein friedliches Miteinander lebe, nehme man es irgendwann für selbstverständlich. „Die Kinder, die hier geboren sind, sind mit dem Beweis groß geworden, dass Frieden mög- lich ist. Wenn du sie fragst: Was bedeutet der 7. Oktober für dich, werden sie einfach sagen: ‘Wir halten zusammen’.“ Jetzt werde wieder deutlich, wie groß dieses Privileg ist – und wie wichtig es ist, weiter dafür zu arbeiten. „Wir verstehen jetzt viel besser, dass wir uns weiter für Ge- rechtigkeit und Demokratie einsetzen müssen, um Frieden zu erreichen. Wir müssen den Muskel des Friedens weiter trainieren. Ohne Demokratie gibt es keine Gleichheit, keinen Frieden, keine Gerechtigkeit. Das wissen wir. Aber dieser Krieg war wie ein Weckruf.“ Die Strahlkraft des Friedens Ich frage Ulla, wie ein solcher Einsatz für den Frieden über die Grenzen des Dorfes hinaus aussehen kann. Anders gesagt: ist Wahat al-Salam/Neve Shalom nicht eine absolute Ausnahme? Es stimmt, meint Ulla, dass andere Versuche, ähnliche Gemeinschaften zu grün- den, scheiterten. Allerdings nicht, das sollte dazu ge- sagt werden, aufgrund fehlenden Willens, sondern weil kein Land dafür zur Verfügung steht – in Israel gehören 97 Prozent des Landes dem Staat. Dennoch besitze die Gemeinschaft eine „Strahlkraft“, argumentiert Ulla. Da ist die Grundschule, die Modell für die sieben weiteren Schulen in Israel ist, welche in- zwischen ebenfalls binational und bilingual unterrich- ten. Sie möchten als eigener Schultyp anerkannt wer- den. Dass sie 2021 im nationalen Vergleich den fünften Platz unter allen Grundschulen Israels belegt haben, 10 Good News Magazin spricht für sich – und hat sicher dazu beigetragen, dass die Schule immer mehr Schüler:innen anzieht. Da sind die zahlreichen internationalen Gruppen, die den Projekten der Dorfgemeinschaft finanzielle und moralische Unterstützung geben, weil sie an den Er- folg der Friedensbildung glauben. Sie ermöglichen es beispielsweise, dass Schüler:innen auch nach der Grundschule gemeinsam in einer Privatschule lernen können oder im Jugendzentrum des Dorfes einen Raum des Austauschs finden. Und dann ist da natürlich das Begegnungs- und Fort- bildungszentrum selbst, die School for Peace. Unter den verschiedenen Projekten, die das Zentrum anbie- tet, sind Langzeitkurse für bestimmte Berufsgruppen, die ein Jahr dauern. Es gibt zum Beispiel Kurse für Mit- arbeitende aus Behörden und Ämtern jüdisch-arabi- scher Städte, für Städteplaner:innen, Rechtsanwält:in- nen oder Umweltaktivist:innen. Was diese Langzeit- kurse besonders macht, ist, dass sie im letzten Drittel des Kurses eigene Projekte entwickeln, die das friedli- che Zusammenleben von jüdischen und arabischen Menschen in Israel fördern. Ein solches Projekt, beschreibt Ulla, gibt es in Jaffa, einem ursprünglich arabisch geprägten Teil Tel Avivs, in dem zunehmend mehr jüdische Menschen wohnen. Vor einigen Jahren ließ die Stadtverwaltung die ur- sprünglich arabischen Straßennamen durch neue Schilder auf Hebräisch mit oft zionistischen Namen ersetzen. Teilnehmende eines Kurses für kommunale Mitarbeiter in jüdisch-arabischen Städten entwickel- ten im Gegenzug eine Art Fahnen, auf denen der Stra- ßenname auf Hebräisch gemeinsam mit dem ur- sprünglichen arabischen Straßennamen abgebildet ist, sowie die Hausnummer. „Man kann vielleicht keine eigenen Straßenschilder aufstellen, aber wenn man ein Haus besitzt, hat man das Recht dort das aufzuhängen, was man will“, erklärt Ulla lächelnd. „Die Projekt- gruppe hat inzwischen über 500 solcher Fahnen ver- kauft und wenn man durch Jaffa geht, dann wird dort sichtbar, dass es da wirklich noch eine andere Ge- schichte gibt.“ Städteplaner:innen und Architekt:innen eines Kurses der School for Peace (SfP) bei einem Treffen im Oktober P f S : r e d l i B 

Anzeige Erneuerbare Energien für den Frieden Ein Lichtblick Was hat meine Heizung mit dem Frieden zu tun? Mehr als du denkst. Die Energiewirtschaft ist geprägt von Abhängigkeiten und Rohstoffen. Der Weg in eine erneuerbare Energieversorgung unterstützt daher automatisch auch eine friedliche Zukunft, wie das Beispiel des Ökoenergieversorgers Polarstern zeigt. Lucia Oiro Es gibt eigentlich keine reine „Klimakrise“, es ist eine „Weltkrise“, eine „Zukunftskrise“. Denn das Klima ist nicht isoliert, es betrifft alles und uns alle. Viele Kon- flikte weltweit stehen in direktem Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels. Daher trägt eine umweltfreundliche Energiewirtschaft logischerweise zu einem friedlichen Zusammenleben bei. Doch der Impact der erneuerbaren Energien ist noch viel größer. Denn sie haben nicht nur großen Einfluss auf die Treibhausgasemissionen. Sie reduzieren durch eine dezentrale Energieversorgung, welche losgelöst ist von Bodenschätzen, auch die Abhängigkeiten. Das verän- dert die alten, energiewirtschaftlich bedingten Macht- verhältnisse. Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse kann weltweit erzeugt werden. Eine nachhaltige Energieversorgung ist damit nicht nur auf ein Zentrum organisiert. Was meine Heizung mit dem Krieg in der Ukraine oder im Irak zu tun hat, das haben die letzten Jahre verdeutlicht. Wieso brauchen wir „dezentrale Energie“? Die Welt ist vernetzt. Schauen wir uns allein das Netz- werk unserer Energiegewinnung an, wird deutlich, wie stark. Daraus ergeben sich politische Druckmittel, die in der Vergangenheit immer wieder zu verheerenden Kriegen und Konflikten führten. Traurige Bekanntheit als „Öl-Krieg“ hat so z.B. der Irak-Krieg erlangt, welcher vor allem für die irakische Zivilbevölkerung bis heute schreckliche Ausmaße hat. Als der Irak 1990 Kuwait m o c . s o t o h p t i s o p e d - k c o t s r e w o fl : k fi a r G n r e t s r a o P l : r e d l i B 12 Good News Magazin 

Diese Kliniken zeigen Alternativen zum profitorientierten Gesundheitssystem Ganzheitliche Gesundheit für Alle Kein Frieden ohne Gerechtigkeit. Armut macht krank und auch viele andere soziale Faktoren beeinträchtigen unsere Gesundheit und damit unsere Teilhabe an der Gesellschaft. Immer mehr Kliniken verfolgen darum einen ganzheitlichen Ansatz, ohne auf Profit zu setzen, und zeigen dabei: Ein gerechteres System ist möglich. Gesundheit ist ausschlaggebend für Frieden, das er- kannte die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits 1948 bei ihrer Gründung an. In ihrer Satzung legt sie fest: „Die Gesundheit aller Völker hat fundamentale Bedeutung, um Frieden und Sicherheit zu erreichen“. Auch über 70 Jahre später betont der Leiter der WHO- Zentrale in Genf, Bernhard Schwartländer: „Ohne Ge- sundheit kann es keinen Frieden geben.“ Genau wie der Zugang zu Nahrung oder sauberem Trinkwasser, ist Gesundheit schließlich ein Menschenrecht, ein Grund- recht. Und wie für alle anderen Grundrechte gilt: Wenn diese Rechte nicht erfüllt werden, ist nachweislich die Wahrscheinlichkeit höher, dass es zu Konflikten kommt. Besonders problematisch ist es, wenn der Zu- gang zu Grundrechten ungleich verteilt ist. Dass das in Sachen Gesundheitsversorgung gerade der Fall ist, ist kein Geheimnis. Im letzten Magazin „Gesundheit. Danke“ führte ich dazu ein Interview mit Ärzte ohne Grenzen, die sich weltweit für einen gerechteren Zu- gang zu Arzneimitteln, Impfungen und medizinischer Versorgung allgemein einsetzen. Aber, das wurde mir bewusst, als ich länger über den Zusammenhang von Gesundheit und Frieden nachdachte: Gerechtigkeit und Gleichheit sind nicht nur weltweit gesehen funda- mental für Frieden. Sie bestimmen auch unser fried- liches Zusammenleben im Alltag, auch hier in Europa. Das Gefühl, Zugang zu Grundrechten wie gerechter Luisa Vogt Gesundheitsversorgung zu haben, bestimmt darüber, ob ich dem System vertraue, in dem ich lebe, oder ob ich es anzweifle und mich dagegen auflehne, wie auch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung unterstreicht. Darum will ich diesmal den Blick nicht auf die globalen Strukturen richten, sondern ganz nach dem Leitsatz, dass Veränderung bei uns selbst beginnt, auf die Un- gerechtigkeiten im deutschen Gesundheitssystem bli- cken. Dabei spreche ich nicht nur von der Unterteilung in Privat- und Kassenpatient:innen, sondern auch über etwas, das leider noch viel zu häufig übersehen wird: soziale Faktoren beeinflussen unsere Gesundheit. Dazu zählen – auch dies hat die WHO übrigens bereits früh festgehalten – unsere Lebensumstände, unser Einkommen oder Wohnverhältnisse. Sie bestimmen häufig ebenfalls darüber, welchen Zugang wir zu Ge- sundheitsversorgung haben, wie gut wir das System navigieren können, und können entscheidend dafür sein, ob Beschwerden richtig diagnostiziert werden. In einem System, das noch viel zu häufig auf Gewinn ausgerichtet ist, sind soziale Faktoren bisher Randsa- che. Aber das muss nicht so sein. Wir stellen drei Ein- richtungen vor, die ganzheitliche Gesundheitsversor- gung praktizieren. Sie zeigen, dass ein anderes, gerech- teres System möglich ist. 14 Good News Magazin m o c . s o t o h p t i s o p e d - a a e p a c s e j j : d l i B m o c . s o t o h p t i s o p e d - r o t c e v o r c a m : k fi a r G 

„Wir glauben, dass gute Gesundheitsversorgung nicht profitorientiert, sondern nur interdisziplinär, gemeinnützig und demokratisch stattfinden kann“, Alle Angebote des GeKo sind kostenlos. Die Mitarbei- ter:innen nehmen sich in ihren Gesprächen Zeit, um den Menschen wirklich zuzuhören und herauszufin- den, woher ihre Beschwerden stammen. Körperliche Faktoren, seelische und soziale und auch ihr Zusam- menwirken, all das wird gleichzeitig berücksichtigt. Für besseres Verständnis gibt es Sprachmittler:innen und Übersetzer:innen, die zwischen Deutsch, Eng- lisch, Türkisch und Arabisch vermitteln können. Das Konzept der Poliklinik: gesundheitliche Chancengleichheit Beide Kliniken sind Teil des Poliklinik-Syndikats. Das Syndikat ist ein Zusammenschluss verschiedener Pro- jekte aus mehreren Städten, die alle das Ziel solidari- scher Gesundheitszentren verfolgen. Sie kennzeichnet, dass sie sich ganz klar gegen Profitinteressen stellen. heißt es auf ihrer Website. Sie fordern zudem Qualität statt Quantität und Gesundheit als Allgemeingut. Das bedeutet, dass beispielsweise im GeKo auch Menschen ohne Krankenversicherung und Deutschkenntnisse behandelt werden. Wie aber kann ein „funktionierendes Finanzierungs- modell 2.0“ als Alternative zum gewinnorientierten ak- tuellen Versorgungsmodell aussehen? Im GeKo in Ber- lin stammen die Gelder für die Praxen aus der Kassen- ärztlichen Vereinigung, alle anderen Angebote werden vom Land Berlin, dem Quartiersmanagement und von Stiftungen finanziert. Auch Spenden und ehrenamtli- che Arbeit ermöglichen die Weiterführung der Klinik. Langfristig wünschen sich die Beteiligten der Poliklini- ken ein System, in dem Gesundheit nicht mehr über ökonomische Leitlinien funktioniert, sondern über so- ziale. Inzwischen gibt es nicht nur in Hamburg und Berlin, sondern auch in Freiburg, Köln, Jena und Leip- zig Kliniken, die diesen Ansatz verfolgen, in Dresden, und Göttingen sind Gesundheitskollektive dabei, ähn- liche Strukturen aufzubauen. Gesundheitsversorgung ohne Grenzen Nicht Teil des Poliklinik-Syndikats, aber ähnlich auf- gebaut wie die Kliniken in Berlin und im Hamburger Veddel ist die Praxis ohne Grenzen im Hamburger Stadtteil Eidelstedt. Was diese Praxis besonders macht, ist neben ihrer multiprofessionellen Ausrichtung – me- dizinische Facheinrichtungen von innerer Medizin über Gynäkologie, Augen- und Zahnmedizin bis hin zur Chirurgie und umfassende Sozialberatung – vor allem eines: In dieser Praxis werden gezielt Menschen behandelt, die nicht versichert sind. Insgesamt 66 ehrenamtliche Mitarbeiter:innen arbei- ten hier, jeden Mittwoch Nachmittag bieten sie offene Sprechstunden an für alle, die sonst durch das Ver- sorgungsnetz fallen. Darunter zählen unter anderem deutsche Staatsbürger:innen ohne Krankenversiche- rung, EU-Bürger ohne sozialversicherungspflichtige Arbeit und Migrant:innen ohne Papiere. Mit ihrem Angebot wolle sie auf die gesellschaftliche Heraus- forderung reagieren, „dass das Recht auf Gesundheit, garantiert durch internationales Recht und das Grundgesetz, für nicht krankenversicherte Patienten in vielen Bereichen nicht gewährleistet ist“, heißt es auf der Website der Praxis. Tatsächlich ist die Hamburger Praxis nicht die einzige Einrichtung ihrer Art. Bereits seit 2010 eröffnete der Facharzt für Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde Dr. med. Uwe Denker die erste Praxis ohne Grenzen in Bad Segeberg,Schleswig-Holstein. Inzwischen gibt es acht Praxen ohne Grenzen in Deutschlands Norden. Wie auch die Poliklinik Veddel und das GeKo in Ham- burg zeigen sie: Eine Veränderung des Gesundheits- systems hin zu einem System, das den Menschen wie- der in den Fokus rückt, ist nicht nur nötig, sondern möglich. So entsteht mehr Gerechtigkeit nicht nur in der Gesundheitsversorgung, sondern im System allge- mein. Und vielleicht, auf kleine, aber wichtige Art, wird dadurch auch unser Alltag das kleine Stückchen ge- rechter – und konfliktfreier. 16 Good News Magazin 

s e m T s e i l e g n A s o L , y e s l e K s a m o h T , s n o m m o c a d e m k w i i i : d l i B Desmond Tutu bei einer Rede in Los Angeles 1986 Was das bedeutet? Ein einzelner Mensch könnte nicht sprechen, nicht gehen, nicht denken wie ein Mensch, erklärt Tutu. „Wir müssen von anderen Menschen ler- nen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Darum sagt Ubuntu: Meine Menschlichkeit ist untrennbar mit dei- ner verbunden. Ich bin, nur weil du bist.“ Anders als die Philosophie der Aufklärung, nach der gerade viele westliche Gemeinschaften heute leben und die unser Sein von unserer Fähigkeit zu denken abhängig macht, rückt Ubuntu den Gemeinschaftsas- pekt in den Fokus, erklärt Tutu. Statt „ich denke, also bin ich“ besagt Ubuntu: „Ein Mensch ist ein Mensch nur durch andere Menschen“, auf Xhosa: „Ubuntu un- gamntu ngabanye abantu“ – oder in Zulu: „Umuntu ngumuntu ngabanye“. Versöhnung für den sozialen Zusammenhalt Für Tutu, der für seinen Einsatz gegen das Apart- heidregime in Südafrika 1984 mit dem Friedens- nobelpreis ausgezeichnet wurde, war diese Phi- losophie grundlegend. Nicht nur in den Jahren während der Apartheid, sondern vor allem danach. Denn nach den ersten freien Wahlen in Südafrika im Jahr 1994 bat Präsident Nelson Mandela den damali- gen Erzbischof von Kapstadt, die „Wahrheits- und Ver- söhnungskommission“ (englisch: Truth and Reconci- liation Commission, TRC) zu leiten. Ziel der Kommission war es, die Verbrechen der Apartheid aufzuarbeiten und die Geschädigten und Täter:innen in einen Dialog zu bringen. Dabei wurde den Angeklagten Amnestie zugesagt, wenn sie ihre Taten zugaben; die Geschädigten erhielten finanzielle Hilfe. Ziel war es, eine Versöhnung zwischen allen betroffenen Bevölkerungsgruppen zu schaffen und gleichzeitig eine umfassende Aufklärung der Verbre- chen des Apartheidregimes zu leisten. Alle Anhörun- gen fanden darum öffentlich statt. Durch diese Maßnahmen sollte ein Weg in die Zu- kunft geebnet werden, bei dem alle Parteien trotz der Verbrechen der Vergangenheit friedlich gemeinsam existieren können. Dieses Verständnis ist auch grund- legend für das Verständnis von Gerechtigkeit in Ubuntu, erklärt Tim Murithi, Leiter des Peacebuild- ing Interventions Programme am Institute for Justice and Reconciliation in Kapstadt. „Das Leitprinzip von Ubuntu basiert auf dem Gedanken, dass alle Parteien sich versöhnen müssen, um das soziale Vertrauen und die soziale Kohäsion wieder aufzubauen und auf- rechtzuerhalten.“ Dabei ginge es auch darum, eine Kultur der Vergeltung zu vermeiden. Tutu predigte darum, in einer Vereinigung seiner christlichen Werte und der Philosophie des Ubuntu, Versöhnung: „Wir brauchen gemeinschaftliche Har- monie, wenn wir als Menschen überleben wollen“, so seine Überzeugung, „Wut, Vergeltung und Bitterkeit zerstören diese Harmonie.“ Gerechtigkeit wird so zu einer Aufgabe der Gemeinschaft. Konflikte lösen als Gemeinschaft In Ubuntu-Gesellschaften bestünden daher seit jeher Wege, um Auseinandersetzungen zu lösen und gleich- zeitig die soziale Harmonie zu bewahren, argumentiert Murithi. In seinen Abhandlungen setzt er sich einge- hend mit dem Gerechtigkeitsverständnis aus- einander, das vielen afrikanischen Gesell- schaften zugrunde liegt – und das er auf Ubuntu zurückführt. 18 Good News Magazin 

Täter:innen, ihre Vergehen einzugestehen und um Ver- gebung zu bitten. Ob eine solche Vergebung wirklich möglich ist, kann sich niemand anmaßen, von außen zu beurteilen. Aber, wie mir ein Bekannter sagte: „Meine Familie wusste, wir werden weiterhin Tür an Tür mit ih- nen (den Täter:innen) wohnen. Es gab keine Alternative. Wir müssen damit leben und es schadet uns nur selbst, wenn wir weiterhin Hass gegen sie hegen.“ Gerechtigkeit durch Wiedergutmachung Es mag drastisch klingen: den Täter:innen, den Verur- sacher:innen von so viel Gewalt zu vergeben. Und Ver- gebung ist sicher auch nicht in allen Fällen möglich. Doch der Gerechtigkeitsansatz der TRC – und der in vielen Gemeinschaften, deren Philosophien Ubuntu ähneln – wird zunehmend als valide Alternative zu dem Gerechtigkeitsverständnis anerkannt, das seit langer Zeit unter anderem in Europa dominant ist. In juristischen und soziologischen Kreisen spricht man bei letzterem System von „retributive justice“, also „Vergeltungsjustiz“ oder „ausgleichender Gerechtig- keit“. Dabei wird Gerechtigkeit so verstanden, dass Menschen, die ein Verbrechen begangen haben, be- straft werden müssen und dass die Strafe im Verhältnis zur Schwere ihres Verbrechens steht. Ein Ansatz nach Ubuntu bzw. das Verständnis von Ge- rechtigkeit, das der TRC und auch dem Vorgehen in Ruanda zugrunde lag, würde eher dem gleich kommen, was als „restorative justice“ beschrieben wird, auf Deutsch in etwa: „wiedergutmachende Gerechtigkeit“. Es bedeutet, kurz zusammengefasst, dass die Zusam- menarbeit und Reintegration sowohl von Geschädig- ten als auch Täter:innen das Ziel der Rechtsprechung ist. Laut Befürworter:innen bietet „Restorative Justice eine Möglichkeit, die Menschlichkeit sowohl von den Geschädigten als auch den Täter:innen zu betonen … Die Stimme der Geschädigten zählt besonders und die Beziehung zwischen den Täter:innen und den Geschä- digten steht im Zentrum des Prozesses.“ Restorative Justice hat in den letzten Jahrzehnten an Popularität gewonnen. Auch viele europäische Länder haben inzwischen Maßnahmen zur Wiedergutma- chung in ihre Rechtssysteme aufgenommen – mit Er- folg: Studien zeigen, dass die Rückfallquoten deutlich niedriger sind, wenn Täter:innen Maßnahmen der Wiedergutmachung ableisten anstatt beispielsweise Gefängnisstrafen. 20 Good News Magazin Der Gemeinschaft etwas zurückgeben Doch kehren wir zurück zur Philosophie von Ubuntu – oder „umunthu“ in Malawi, „botho“ in Setswana (Simbabwe) oder „bomoto“ im Kongo. In vielen Bantu- Sprachen und - Gesellschaften in Süd- und Ostafrika finden sich Begriffe mit demselben linguistischen Ur- sprung. Sie alle basieren auf dem Nomen für „Person“ oder „Menschlichkeit“. Auch in anderen Regionen Af- rikas finden sich Konzepte, die die grundlegenden Prinzipien von Ubuntu vereinen, jedoch andere Be- zeichnungen tragen, von Teranga im Senegal bis zu Harambee in Kenia. Die weite Verbreitung dieser Kon- zepte über den afrikanischen Kontinent zeigt, wie grundlegend die Prinzipien der Philosophie in vielen afrikanischen Gesellschaften verankert sind, noch auf ganz andere Weise, über das Verständnis von Gerech- tigkeit und die Rechtsprechung hinaus. Für Getrude Matshe ist Ubuntu eine Lebensrealität, mit der sie aufgewachsen ist. „Es war nichts, was mir beigebracht wurde, sondern etwas, das ich jeden Tag erfahren habe“, erklärt sie. „Ich habe es gelernt, indem ich den Leuten um mich herum zugesehen habe.“ Die in Simbabwe geborene Autorin und internationale Rednerin hat Ubuntu darum bereits mehrere Keynotes und TEDx-Talks gewidmet, in denen sie beschreibt, was ein Leben nach den Prinzipien von Ubuntu für sie bedeutet. Denn das grundlegende Verständnis von Humanität, das die Philosophie lehrt, kann sich im All- tag auf verschiedenste Weise äußern, erklärt sie: „Es kann bedeuten, die Waisenkinder in meiner Fami- lie zu unterstützen. Es kann bedeuten, ein weinendes Kind in der Schule auf den Schoß zu nehmen. Es kann einfach bedeuten, jemanden im Supermarkt anzulä- cheln.“ All die vielen kleinen Taten, so ihre Grundüber- zeugung, haben gemeinsam einen spürbaren, positiven Effekt auf die Gemeinschaft – und dadurch auf alle Menschen, die ihr angehören, also auch auf sie selbst. m o c . s o t o h p t i s o p e d - o k n e l v a P a n y r e t a K : k fi a r G 

„Das ist das Leben in einer Gemeinschaft“ Natürlich ist Ubuntu nicht die einzige Philosophie, die uns lehrt, dass wir alle miteinander verbunden sind. Ähnliche Ansätze gibt es in verschiedenen Län- dern und Sprachen. Man muss es aber auch nicht immer benennen. Wäh- rend ich diesen Artikel schreibe, wird mir bewusst, wie oft ich in den letzten Monaten hier in Tansania Bei- spiele von Prinzipien von Ubuntu erlebt habe – ohne, dass irgendjemand es für nötig erachtet hätte, dabei auf eine Philosophie zu referieren. Genau das ist es vermutlich, was Ubuntu ausmacht: die Selbstverständ- lichkeit, mit der die Prinzipien der Gemeinschaft und Gegenseitigkeit im Alltag ihren Ausdruck finden. Zum Beispiel, wenn ich morgens auf die Gruppe der Motorradfahrer zugehe, die auf Fahrgäste wartet, um von A nach B zu gelangen und sie mich ohne ein Zei- chen von Konkurrenz an denjenigen ihrer Kollegen weiterleiten, der gerade „dran“ ist – nicht an denjeni- gen, der eben erst einen Fahrgast hatte. Oder wenn die Frauen im Viertel meiner Gastfamilie in Sansibar monatlich kleine Summen an Geld sparen und zusammentragen, um diejenigen zu unterstützen, die sie am meisten brauchen, weil jemand krank ist, Schulgebühren bezahlen muss, oder eine Reise ins Ausland ansteht. Oder erst gestern, als wir mitten in der Nacht um mei- nen Küchentisch saßen und meine Bekannten mir da- von erzählten, wie es war, in einem der Viertel von Dar es Salaam aufzuwachsen: „Wir waren ständig unter- wegs, sind bei den Familien in der Nachbarschaft ein- und ausgegangen. Wenn wir Hunger hatten, gab es immer bei irgendeiner Nachbarfamilie Essen für alle. Für unsere Eltern war es in Ordnung, solange wir ein- mal am Tag kurz aufgetaucht sind. Sie wussten, dass die Leute in der Gegend auf uns aufpassen und sich um uns kümmern.“ Heute helfen sie einander gegenseitig in dieser Gruppe von Künstler:innen und Tänzer:innen, die um den Tisch versammelt ist. Wenn es finanziell eng wird, hilft man aus. Wenn jemand ausfällt, springt jemand ande- res spontan ein. Wenn jemand einen Schlafplatz braucht, findet sich einer – sei es für ein paar Tage, Wo- chen oder Monate. Da ist es auch zweitrangig, wie gut man die Person kennt. Eine Gegenleistung wird nicht erwartet. Es reicht, zu wissen, dass man selbst auf die- selbe Unterstützung zählen kann, wenn es eng wird. „Das ist das Leben in einer Gemeinschaft“, fasst einer meiner Freunde zusammen. Die anderen nicken – es ist alles gesagt. 22 Good News Magazin i . g r o a d e m k w i i - a k u j i i a b T d o n r A l : d l i B 

Bart Weetjens und Christophe Cox: HeroRats – Ratten im Einsatz gegen Landminen Eine der ungewöhnlichsten Ideen für die Arbeit in (Post-)Konfliktregionen ist HeroRats, gegründet von Bart Weetjens. Ich hatte Bart vor Jahren auf einer Im- pact Konferenz kurz kennengelernt, als sein Projekt noch ganz jung war, und habe die Arbeit seiner Organi- sation seitdem mit wachsender Begeisterung verfolgt. Bart hatte als Jugendlicher bei sich zuhause in Belgien ein ungewöhnliches Haustier: Eine Ratte, der er beige- bracht hatte, versteckte Gegenstände zu finden. Dies brachte ihn auf die Idee zu erforschen, ob Ratten mit ihrem extrem feinen Geruchssinn nicht auch Landmi- nen aufspüren könnten. Denn sie sind selbst zu leicht, um diese auszulösen, so dass sie sich ungefährdet im kontaminierten Gelände bewegen können. Gemeinsam mit seinem Freund Christophe Cox arbeitete er die Idee weiter aus und gründete die Or- ganisation APOPO – Antipersoonsmijnen Ontmij- nende Productontwikkeling. Mit erstaunlichem Erfolg: Es gelang ihnen, die Ratten so zu trainieren und die Routen über die Minenfelder so zu organisie- ren, dass Landminen zuverlässig aufgespürt werden können. Zum Einsatz kommt dabei die afrikanische Riesenhamsterratte. Diese ist nicht nur sehr gelehrig und zahm, sondern hat zudem mit bis zu neun Jahren eine recht hohe Lebenserwartung, so dass sich das intensive Training auch lohnt. APOPO ist derzeit ak- tiv in Angola, Kambodscha, Aserbaidschan, im Süd- sudan sowie Senegal, wo Tausende von Minen und Blindgänger geräumt werden konnten. Aktuell erprobt APOPO, inwieweit mit kleinen Kame- ras ausgestattete Ratten im Katastrophenschutz zum Einsatz kommen können, etwa bei der Suche nach Erd- bebenopfern. Ein Einsatz in akuten Kriegsgebieten dürfte allerdings kaum praktikabel sein. Die bislang erfolgreichste Hero Rat war Magawa. Sie hatte in ihrer 5-jährigen Tätigkeit über 100 Landminen und ähnliche Sprengstoffe aufgespürt, bevor sie „in Rente“ ging. www.apopo.org 24 Good News Magazin O P O P A : d l i B 

www. thaki.org www. conflictfood.com Salem El-Mogaddedi und Gernot Würtenberger : Conflictfood – Friedensstiftender Konsum Das Berliner Sozialunternehmen Conflictfood geht einen ganz anderen Weg, um positiven Wandel zu er- zeugen. Die beiden Gründer handeln mit Menschen in Kriegsregionen und leisten so einen Beitrag zur Lö- sung sozialer und ökologischer Konflikte. Conflictfood bezieht ausgewählte Lebensmittel und Gewürze aus Konfliktregionen, die vom regulären Handel abgeschnitten sind. Das Unternehmen setzt auf Direkthandel, das bedeutet, es arbeitet mit lokalen Produzent:innen zusammen, zu denen direkte, persön- liche Kontakte aufgebaut werden. Das ermöglicht es, Gruppen zu unterstützen, die im eigenen Land unter- drückt werden wie etwa das Volk der Ta’ang in Myan- mar, deren Tees Conflictfood vertreibt. Die Idee kam den beiden Gründern aus Berlin 2015 während einer Reise nach Afghanistan. Dort kamen sie mit einer Gruppe von Frauen in Kontakt, die Safran anbauten – in einer Region, die vornehmlich vom Opiumanbau lebte. Dies motivierte die beiden dazu, einige Kilogramm Safran zu kaufen und in Deutsch- land weiterzuverkaufen: der Grundstein für Conflict- food war gelegt. Die Produkte kommen stets mit einem Begleitheft- chen, das den Kontext zu den Produkten, Ländern und Kulturen bietet. Denn Conflictfood möchte nicht nur die Menschen vor Ort durch die Zusammenarbeit unterstützen, sondern auch das Verständnis für die Re- gionen und das Leben der Menschen dort stärken. i k a h T : d l i B d o o F t c fl n o C i : d l i B Rudayna Abdo: Thaki – „Second-hand“ Laptops verschaffen geflüchteten Kindern im Libanon Zugang zu Schulbildung Auch die Organisation Thaki ermöglicht den Zugang zur Bildung unter schwierigen Voraussetzungen – durch Partnerschaften mit Unternehmen, die gebrauchte IT- Hardware spenden, und eine innovative Software. Mit geschätzt 1,5 Millionen hat der Libanon im Ver- gleich zu seiner Bevölkerungszahl von 5,5 Millionen die größte Zahl an Geflüchteten aus Syrien aufgenom- men. Hinzu kommen geschätzt 450.000 Menschen aus Palästina, die selbst – oder, häufiger, deren Eltern – aus Israel, Jordanien sowie den von Israel besetzten Gebie- ten vertrieben wurden und die als staatenlos gelten. Seit den Luftangriffen der israelischen Streitkräfte auf libanesischem Staatsgebiet ist ein Viertel der libanesi- schen Bevölkerung auf der Flucht. Aufgrund der Kon- fliktsituation haben viele Kinder und Jugendliche teil- weise seit Jahrzehnten keinen Zugang zu Schulbildung. Rudayna kennt die Situation aus erster Hand. Sie selbst ist in einer aus Palästina in den Libanon geflüchteten Familie groß geworden. 2015 setzte Rudayna ihre Kar- riere als Stadtplanerin aus, um Thaki zu gründen. Die preisgekrönte NGO hat einen klaren Plan: Sie sammelt gebrauchte Laptops von Unternehmen, meist aus Europa, und installiert eine Lern-Software auf Arabisch und Englisch, die alters- und situationsgerechte Bil- dungsinhalte vermittelt. Anders als andere EdTech Pro- gramme funktioniert Thaki auch ohne Internet-Zu- gang. Denn diese Voraussetzung ist nur selten gegeben. Thaki konnte bereits mehr als 6.000 Laptops bereit- stellen und damit mehr als 33.000 Kinder und Jugend- liche erreichen. Die Pläne für die Zukunft sind ambi- tioniert. So soll das Angebot durch Programme für Smartphones erweitert werden. Sobald es dort mög- lich sein sollte, will Thaki das Programm auch auf den Gazastreifen ausdehnen. 26 Good News Magazin 

Weil Journalismus auch Frieden kann Schluss mit „wir gegen sie“ Einseitige Berichterstattung und polemische Rhetorik: Gerade in den letzten Jahren wird Medien zunehmend – und zum Teil zu Recht – vorgeworfen, angespannte Situationen zusätzlich anzuheizen und damit Gräben in der Gesellschaft zu vertiefen. Doch ausgewogener Journalismus kann helfen, die andere Seite von Konflikten zu sehen: Die, die nach Lösungen und Gemeinsamkeiten sucht. Ein Gespräch mit einem Friedensjournalisten. Luisa Vogt Wenn Journalist:innen kein Blatt vor den Mund neh- men (müssen), ist das grundsätzlich etwas Gutes – Meinungsfreiheit nämlich. Und doch: Die aktuelle Be- richterstattung, vom US-Wahlkampf über den Krieg in Israel und Palästina, von Migration und Flucht bis hin zur Klimakrise, scheint zunehmend polarisierend. Das ist allerdings kein neues Phänomen. Denken wir nur an 2015, als Deutschland seine Grenzen für Menschen öffnete, die vor Gewalt und Krieg flohen. Allein der da- mals von Medien viel genutzte Begriff „Flüchtlings- welle“ schafft Polarisierung – indem er die geflüchteten Menschen einer Naturkatastrophe gleichsetzt und da- mit Angst erzeugt. Oder noch weiter zurück, bis vor den zweiten Weltkrieg. Damals wie heute wurden Me- dien immer wieder für Propagandazwecke miss- braucht, um Angst, Hass und Gewalt zu schüren. Genau deshalb kann Berichterstattung eben doch pro- blematisch sein. Denn Medien gestalten den öffentli- chen Diskurs entscheidend mit. Anders gesagt: Auf welche Weise Medien berichten, beeinflusst unsere Wahrnehmung. Wenn nur von verschiedenen „Lagern“ gesprochen wird, wenn sich alles um Auseinanderset- zung und Schuldzuweisungen dreht, dann kann das eine Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. Dafür brauchen wir gar nicht in die USA schauen, dafür reicht schon ein Blick auf die Ampel. Natürlich ist es die Aufgabe der Medien, auch über Krieg und Konflikte zu berichten. Die große Frage ist, wie sie das tun. Oftmals greifen Medien Konflikte nicht nur auf, sondern befeuern sie – ob bewusst, durch sensationsheischenden Schlagzeilenjournalis- mus, oder unbewusst, durch einseitige Berichterstat- tung oder Wortwahl. Doch es geht auch anders. Überall auf der Welt setzen sich Journalist:innen für Frieden und Zusammenarbeit ein, in ihrer Sprache und ihrem Handeln. Einer dieser Journalisten ist Nischal Sanghavi. Er ist einer der Ver- antwortlichen der Plattform Journalists for Change, die sich für den Austausch zwischen indischen und pakistanischen Journalist:innen einsetzt und Projekte zur gemeinsamen Berichterstattung fördert. Er erklärt 28 Good News Magazin m o c . l h s a p s n u - s e t r o C s u L i : d l i B 

i v a h g n a S l a h c s N i : d l i B Seite der Grenze in die Berichterstattung einfließen zu lassen.“ Heute leiten indische und pakistanische Me- dienschaffende Journalists for Change als eine Platt- form, die den Austausch zwischen ihren Kolleg:innen vorantreibt und gemeinsame Projekte ermöglicht. Ni- schal Sanghavi ist einer von ihnen und erklärt mir im Interview, wie seine Erfahrungen mit Journalists for Change ihn beeinflusst haben und wo er die Rolle des Fridensjournalismus heute sieht. GNM: Du arbeitest selbst schon viele Jahre als Journalist. Wie bist du zum Friedensjournalismus gekommen? Nischal Sanghavi: Ich fühle mich seit vielen Jahren zum Friedensjournalismus hingezogen, insbesondere wegen der Art, wie traditionelle Rivalitäten zwischen Nationen häufig den öffentlichen Diskurs prägen. In all diesen Ländern gibt es eine sehr ähnliche Situation, wo die Medien und Politiker:innen angrenzende Nationen kritisieren und wie „die Bösen“ darstellen. Ich persön- lich habe immer geglaubt, dass die Menschen auf der anderen Seite der Grenze genau so sind wie wir – nette, empathische Menschen. Diese Überzeugung hat mich dazu motiviert, mehr über sie zu lernen und zu versu- chen, ihre Geschichten zu teilen. Aber lange Zeit waren meine Bemühungen größtenteils erfolglos, vor allem wegen des begrenzten Austauschs zwischen den Na- tionen und der geringen Zahl unvoreingenommener Quellen und Nachrichten/Medien. GNM: Oft werden die Medien als etwas wahrgenom- men, was die Gesellschaft spaltet oder vorhandene Gräben vertieft. Wie kann Journalismus Frieden schaffen, anstatt Konflikte zu verschärfen? Sanghavi: Die Medien spielen eine entscheidende Rolle in der Gesellschaft, indem sie Narrative gestalten und die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen. Es ist oft einfacher und erzeugt mehr Aufmerksamkeit für Medien, einen Konflikt zu befeuern, weil das mehr Zu- schauer:innen oder Leser:innen anzieht. Allerdings ist es die grundlegende Verantwortung jedes Journalisten und jeder Journalistin, nach der Wahrheit zu suchen und diese wahrheitsgetreu zu erzählen. Viele Journa- list:innen erhalten ihre Informationen von größeren Medienplattformen. Aber sich die Zeit zu nehmen, un- abhängige Informationen zu sammeln und diese mög- lichst unvoreingenommen zu analysieren, kann eine viel genauere und ausgewogenere Berichterstattung liefern. So etwas kann nicht nur dazu beitragen, der Öffentlichkeit ein klareres Bild zu präsentieren, son- dern auch Frieden fördern, anstelle von Konflikten. Es 30 Good News Magazin ist grundlegend für alle Medien, zwischen belegten Fakten und unbestätigter Spekulation zu unterschei- den und sicherzustellen, dass ihre Berichterstattung auf der Wahrheit basiert. Genauso wichtig ist es, dass die Berichterstattung ausgewogen ist, mit Beiträgen von beiden Seiten. Nischal Sanghavi erhält eine Annerkennung für die Durchführung des Workshops GNM: Bei Journalists for Change bringt ihr Journa- list:innen aus Indien und Pakistan zusammen. Wie nimmst du den Einfluss der Initiative wahr? Sanghavi: Journalists for Change ist eine unglaubliche Initiative, die eine einzigartige Möglichkeit schafft, Menschen über Grenzen hinweg zu verbinden und an einer Vielzahl von Projekten gemeinsam zu arbeiten – dabei erhalten wir in verschiedenen Phasen Unterstüt- zung vom East-West Center. Diese Zusammenarbeit hilft Journalist:innen, zwischen echten Herausforde- rungen und Problemen, die nur als solche wahrgenom- men werden, zu unterscheiden und so ein tieferes Ver- ständnis für die Situation auf der anderen Seite der Grenze zu erlangen. Für mich war es eine einmalige Erfahrung. Durch die Initiative habe ich Freundschaf- ten mit Menschen über alle Grenzen hinweg geschlos- sen, die bis heute bestehen, und herausgefunden, dass die Menschen auf beiden Seiten sehr ähnlichen Her- ausforderungen gegenüberstehen. Wenn wir diese He- rausforderungen gemeinsam angehen, könnte das die Situation für alle Beteiligten so viel besser machen. GNM: Du warst einer von 60 Journalist:innen aus Indien und Pakistan, die im September 2022 in Kathmandu an einem Workshop für grenzübergrei- fende Berichterstattung teilgenommen haben. Wie hast du diesen Workshop persönlich erlebt und was hat dich am meisten beeindruckt? Sanghavi: Es war für mich einer der entscheidenden 

und mich, um sicherzustellen, dass wir den ganzen Kontext erfassen und die Wichtigkeit des Problems an- gemessen darstellen – und es hat sich gelohnt. GNM: Angesichts der aktuellen Medienlandschaft um die ganze Welt: Welchen Stand hat Friedensjour- nalismus und was gibt dir Hoffnung für die Zukunft? Sanghavi: In der Medienlandschaft findet derzeit ein großer Wandel statt. Heute umfassen Nachrichten- quellen nicht nur etablierte Medienhäuser, sondern auch kleine, unabhängige Plattformen, Social Media und „Citizen Journalists“ (dt. „Bürgerjournalist:innen“, also Menschen ohne journalistischen Hintergrund, die Nachrichten aufbereiten und dazu Stellung nehmen, Anm. d. Red.). Das bedeutet, dass es einen konstanten Strom an Nachrichten gibt, jede Minute – nur leider stellen wenige dabei Friedensjournalismus in den Vor- dergrund. Friedensjournalismus ist nicht nur ein Weg, um sich abzuheben, sondern auch, um einen positiven Beitrag zu dieser Welt zu leisten. Organisationen wie das East-West Center in Hawaii machen signifikante Fortschritte darin, Friedensjour- nalismus zu fördern. Ich habe größten Respekt für ihre Arbeit und hoffe, dass viele Organisationen diesem Vorbild folgen werden. Meiner Meinung nach ist es sehr wahrscheinlich, dass das Interesse an Friedens- journalismus wächst, gerade unter den einflussreichen Leser:innen, aber auch allgemein. Das wiederum kann immer mehr Journalist:innen und mediale Plattformen dazu ermutigen, diesen Ansatz zu verfolgen. GNM: Vielen Dank für das Interview! Nischal Sanghavis Hoffnung auf mehr und mehr Frie- densjournalismus wird nicht nur durch Journalists for Change bereits Realität. Überall auf der Welt finden sich Initiativen oder Einzelpersonen, die Friedensjour- nalismus unterstützen und betreiben: Medios para la Paz in Kolumbien war eine der ersten Initiativen weltweit, die sich für einen Journalismus der Verständigung und Friedensbildung einsetzten. 1998 von 80 Journalist:innen gegründet, um Alternati- ven innerhalb eines von Konflikt zerrissen scheinen- den Landes aufzuzeigen, gibt es heute in Kolumbien noch mehrere weitere Projekte, die sich dem „Perio- dismo de Paz“ verschrieben haben, darunter Colom- bia2020 der Zeitschrift El Espectador, das Projekt ¡Pacifista! (2017) von Vice Colombia oder das Maga- zin Semana. Seit 1997 bringt das Greek Turkish Forum Geschäfts- leute, Akademiker:innen und Journalist:innen zusam- men, um die Beziehungen zwischen den beiden Län- dern zu verbessern. Seitdem fanden mehrere Work- shops zwischen türkischen und griechischen Journa- list:innen statt; erst kürzlich veröffentlichten Özay Şendir, Chefredakteur der türkischen Zeitung Milliyet und Alexis Papachelas, Chefredakteur der griechi- schen Kathimerini, einen gemeinsamen Bericht über aktuellen Entwicklungen und Lösungen in der politi- schen Zusammenarbeit. An vielen Orten haben Jour- nalist:innen, die friedliche, kooperative Lösungen für Konflikte fordern, einen harten Stand, weil ihre Art der Berichterstattung sich offen gegen die konfliktorien- tierte Rhetorik des Regimes richtet. Dennoch setzen sich Journalist:innen weiter durch ihre Berichte für den Frieden ein. So beispielsweise Charles Onyango- Obbo und Daniel Kalinaki, die beide über viele Jahre für die unabhängige ugandische Zeitung The Monitor arbeiteten. In ihren Berichten forderten sie beispiels- weise gewaltfreie Lösungen für die steigenden Span- nungen mit dem Nachbarland Südsudan oder präsen- tierten Lösungsvorschläge für interne Konflikte. Steven Youngblood und sein Zentrum für Globalen Friedensjournalismus sind eine Institution unter Frie- densjournalist:innen. Heute sind die Organisation und das Magazin The Peace Journalist Teil der 2017 ge- gründeten NGO Making Peace Visible, die weltweit durch die Förderung der Zusammenarbeit von Journa- list:innen und Projekte der Aufklärung genau das tun will, was ihr Name besagt: Frieden in den Medien sichtbarer zu machen. Eine weitere Organisation, die sich dem Friedensjour- nalismus verschrieben hat, ist das Peace News Network. Die 2015 gegründete NGO will „die Geschichten aus Konfliktzonen erzählen, die wir oft nicht hören.“ Dazu zählen die Geschichten von Menschen, die Risiken ein- gehen, um Frieden zu schaffen oder „die Meinungen der ganz normalen Bevölkerung, die sich gewaltfreie Lö- sungen für ihre politischen Differenzen wünschen“ 32 Good News Magazin m o c . l h s a p s n u - s r e t r a h C s a m o h T : d l i B 

r k c i l F - t n o P e p e P : d l i B Tradition mehrere Charivaris an verschiedenen Orten in Paris abgehalten, um die neue französische Regie- rung vorzuführen. Nach dem Ende der neuen Monarchie 1848 wurden die Töpfe und Pfannen in Frankreich zunächst nieder- gelegt und erst 1961 wieder aufgegriffen, allerdings in einem deutlich weniger freiheitsliebenden Kontext. Seit 1954 kämpften die Menschen in Algerien für ihre Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht. In der sogenannten „Nacht der Pfannen“ demonstrier- ten tausende Franzosen und Französinnen in Paris da- gegen, dass Algerien eben diese Unabhängigkeit er- langt. Das Ereignis dient als Warnung, dass jede Taktik zivilen Widerstands von allen Seiten aufgegriffen wer- den kann – auch von der Seite der Unterdrücker. Als die Töpfe und Pfannen 2023 auf Frankreichs Stra- ßen zurückkehrten, waren sie allerdings wieder in an- deren Händen. In ganz Frankreich wurden sie genutzt, um gegen die von Präsident Emmanuel Macron ange- kündigten Rentenreformen zu demonstrieren. Ange- sichts des lautstarken Widerstands ging Macron zwi- schendurch dazu über, Besuche in französischen Städ- ten nur noch überraschend abzuhalten, um der Kako- phonie der Töpfe und Pfannen zu entgehen – meist erfolglos. Die Fraktionschefin der Linkspartei, Mat- hilde Panot, drohte Macron: „Ja, Sie werden unsere Pfannen bis zum Rückzug (der Reform) am Hintern haben!“ Dagegen half es auch nicht, dass die französi- sche Polizei die Anweisung hatte, die „tragbaren Klanggeräte“ vorsorglich von einigen Protesten entfer- nen zu lassen. Die Reform wurde zwar trotz der ohren- betäubenden Proteste nicht zurückgezogen, die Reak- tion der Regierung zeigt jedoch, wie sehr diese zumeist mit friedlichen Demonstrationen verbundene Form des Protests inzwischen als Mittel des zivilen Wider- stands anerkannt ist. Cacerolazos: Von Chile in die Welt Aber zurück zur Verbreitung der Topf- und Pfannen- proteste um die ganze Welt. Ob sie nun wirklich auf die mittelalterlichen Charivaris zurückzuführen ist, ist nach wie vor unklar – aber vielleicht gar nicht so wichtig. Denn auch wenn man sich nicht ganz einig ist, wo und wann der Topf als Protestsymbol entdeckt wurde, besteht doch Konsens, dass die Art des Wider- stands durch das Schlagen auf Töpfe und Pfannen, die wir heute kennen, zum ersten Mal 1971 in Chile ein- gesetzt wurde. Beim sogenannten „Marsch der leeren Töpfe“ protes- tierten hunderte Frauen gegen die sozialistische Re- gierung unter Salvador Allende. Die steigende Infla- tion und die Abwendung westlicher Wirtschafts- mächte, die ihre Märkte für chilenische Waren schlos- sen, hatten für zunehmende Nahrungsknappheit ge- sorgt; die Sabotage der Reformpolitik Allendes durch die USA – schon seit 1964 hatte die CIA in der Ge- heimoperation Project Fubelt Millionensummen in die Destabilisierung der Regierung investiert – verschlim- merte die Situation noch. Die Töpfe und Pfannen, die die Frauen mit auf die Straße nahmen, standen dabei symbolisch dafür, dass die Töpfe im wahrsten Sinne des Wortes leer blieben. Seitdem fanden „Cacerolazos“, wie sie im spanischsprachigen Raum heißen (in Anleh- nung an Cazuela, das spanische Wort für „Topf“) zu- nächst in Chile und später in ganz Südamerika Ver- breitung als Mittel des Widerstands. Chile: Die Wiege der Cacerolazos – und einer erfolgreichen Revolution 1973, zwei Jahre nach dem „Marsch der leeren Töpfe“, wurde Salvador Allende durch einen Militärputsch ab- gesetzt. Die neue Führung unter Augusto Pinochet ging zunehmend gewaltvoll gegen Regimekritiker:in- nen vor. Als die Regierung vor einem geplanten 34 Good News Magazin 

Ähnlich war es 2013 in der Türkei, als der Unmut der Bevölkerung mit der Regierung unter Erdogan sich in wochenlangen Protesten äußerte. Am Abend der ers- ten Massendemonstration mussten viele Demonst- rierende den Gezi Park, den Ort des Protests, auf- grund des massiven Einsatzes von Pfefferspray und Tränengas verlassen. Um 1.30 morgens, nachdem viele von ihnen nach Hause zurückgekehrt waren, zerriss Lärm die Nacht: Die Protestierenden schlugen aus den Fenstern hinaus auf Fenster und Pfannen und setzten so den Protest fort. In den darauffolgenden Wochen schlugen fast jeden Abend um 9 Uhr Men- schen in ganz Ankara und Istanbul auf Töpfe und Pfannen. Es ermöglichte so auch den Menschen, die nicht auf die Straße gehen konnten oder wollten, an den Protesten teilzuhaben. Gleichzeitig war der Lärm in Zeiten, in denen die freie Kommunikation über die Medien eingeschränkt war, ein Zeichen da- für, wie viel Unterstützung für den Protest innerhalb der Bevölkerung herrschte. Auch wenn eine wahre Veränderung also wohl nie allein über den Krach von Töpfen und Pfannen herbeigeführt werden kann – die Küchenutensilien sind gleichzeitig Symbol für die innovative Widerstandsfähigkeit von Menschen auch unter den schwierigsten Umständen und eine Ansage: dass die Stimme der Bevölkerung nie ganz zum Schweigen gebracht werden wird. Ein weiterer Grund ist die hohe Zugänglichkeit von Töpfen und Pfannen – wer von uns nutzt sie nicht fast täglich? Damit sind sie gleichzeitig ein Symbol des All- tags, ein Blick in die Küchen und das Leben der Be- völkerung. Das macht es leichter, sich mit den Protes- tierenden zu identifizieren und ihre Nöte wahr- und ernst zu nehmen. Ganz zu schweigen davon, dass es schwieriger ist, den Einsatz von harten Gegenmaßnah- men wie Gewalt, Pfefferspray oder Tränengas zu recht- fertigen, wenn alles, was die Demonstrierenden tun, wortwörtlich „Topfschlagen“ ist. „Töpfe und Pfannen sind mit die am wenigsten offen- siven Objekte in unseren Küchen. Aber genau diese Gewöhnlichkeit und der geringe Aufwand, mit dem sie von allen von uns genutzt werden können, um eine oh- renbetäubende Mauer des Lärms zu erzeugen, machen sie zu einer extrem medienfreundlichen, unbequemen Erinnerung an das kollektive Gewissen und zu einer Herausforderung für die Stimme des Staats“, fasst es der Historiker Matthew Kerry zusammen. Die Macht des Lärms Es gibt jedoch noch weitaus ernstere Gründe für die Popularität der Pots-and-pans Proteste: sie sind eine effektive Methode, um trotz aller Unterdrückung die Stimme gegen repressive Regimes zu erheben. Als die Pinochet-Diktatur in Chile 1983 öffentliche Demonstrationen unter Gewaltandrohung verbot, war das Schlagen auf Töpfe und Pfannen jeden Abend um 20 Uhr eine Möglichkeit für Chilenen und Chile- ninnen, aus dem sicheren Schutz ihres Zuhauses zu demonstrieren. Die schiere Masse der Menschen, die an dem Protest teilnahmen, und der Lärm, den sie da- durch erzeugten, machte es unmöglich, Einzelperso- nen dafür zu verfolgen. m o c . s o t o h p t i s o p e d - d e R N A : d l i B 36 Good News Magazin 

Friedensprojekte in Israel und Palästina Kleines Senfkorn Hoffnung m o c . l h s a p s n U - e r o F k c i r t a P : d l i B Frieden im Nahen Osten scheint fast unmöglich geworden zu sein. Doch es gibt Menschen, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. Gabi Finck Seit Jahrzehnten kann man die schweren, gewaltvollen Spannungen im Nahen Osten in den Medien verfol- gen. Anschläge, Raketenbeschuss, Krieg und Vertrei- bung prägen das Bild der Berichterstattung. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 und dem seitdem andauernden Krieg im Gazastreifen ist die Diskussion um den Konfliktherd Israel-Paläs- tina wieder neu entflammt und scheint die ganze Welt zu polarisieren. Die Forderung, Position zu beziehen und sich eindeutig auf eine Seite zu stellen, ist jedoch, meiner Meinung nach, eine Fortführung der Spaltung und trägt nur zur Verschärfung des Konfliktes bei. Wer sich kritisch gegenüber israelischer Regierungspolitik äußert, sieht sich schnell dem Vorwurf von Antisemi- tismus ausgesetzt. Wer sich hingegen „Free Palestine“ auf die Fahne schreibt, läuft Gefahr, als Unterstützer:in der Hamas zu gelten. Die Debatte ist angespannt und hitzig und beide Seiten neigen dazu, der anderen ihre Sichtweise abzusprechen und ihr Unrecht beweisen zu 38 Good News Magazin 

Aktivitäten gehören Dialoge auf Gemeindeebene und Schulungen für Moderatoren, Rundreisen durch Kon- fliktgebiete mit Gesprächen, interreligiöse Camps so- wie Mediations- und Verhandlungsseminare. Die Er- fahrung zeigt, dass viele der israelischen und palästi- nensischen Alumni später bei lokalen friedensfördern- den Organisationen und Initiativen mitarbeiten. Die Alliance for Middle East Peace listet auf ihrer Website über 160 Organisationen und Initiativen auf, die sich unermüdlich für Dialog, Koexistenz, Versöh- nung und gegenseitige Unterstützung einsetzen: Men- schen, die Fahrhilfe für kranke Menschen aus Gaza leisten; ehemalige israelische Soldat:innen, die einen Weg aus der Gewaltspirale suchen; Bildungsinitiati- ven, Baumpflanzaktionen; Initiativen die „A Land For All“ heißen oder „Kids4Peace“, „One Voice Movement“ und „Abraham Initiatives“ für die Gleichberechtigung von palästinensischen und jüdischen Israelis. All diese Initiativen zeigen: Frieden ist möglich, doch es erfordert Menschen, die diese friedensstiftenden Bemühungen ernst nehmen und unterstützen. Frieden schaffen von außerhalb Um dem polarisierenden Diskurs in Deutschland et- was entgegenzusetzen, haben sich auch eine Reihe Friedensaktivist:innen hierzulande zusammengetan. In Köln beispielsweise formierte sich die Gruppe Pa- lestinians and Jews for Peace, um sich für einen diffe- renzierten Dialog und Solidarität mit allen Opfern aus- zusprechen. „Hoffnung ist etwas, das man selbst schaf- fen muss“ heißt es da. Sie sprechen sich sowohl gegen die Hamas, als auch gegen eine Besetzung der palästi- nensischen Gebiete aus, denn sie sind überzeugt, dass die Lösung des Konflikts keine militärische sein kann. Auch Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann, eine Deutsch-Palästinenserin und ein deutscher Jude, set- zen sich für einen empathischen Dialog über den Nah- ostkonflikt ein. Trotz eigener Betroffenheit lehnen sie eine einseitige Perspektive ab und fördern Gespräche, die das Leid aller anerkennen und extremistische Posi- tionen hinterfragen. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist ein tief polarisierendes Thema, besonders in Deutschland. Neben den aktuellen Ereignissen werfen Fragen nach Identität, politischem Selbstverständnis, Schuldabwehr und Erinnerungskultur viele Debatten auf, was auch die jungen Menschen bewegt. Pädagog:innen sehen sich hier oft mit diversen Standpunkten und persönlichen Bezügen konfrontiert, was die Auseinandersetzung in Wichtiger wäre es meiner Meinung nach, Projekte, Aktionen und Menschen medial hervorzuheben, die sich für Frieden, Diplomatie und eine gemeinsame Lösung einsetzen. Ein Hoffnung schenkendes Beispiel ist das Programm „Seeds of Peace“. Seit 1993 führt es Jugendliche aus Konfliktregionen der Welt in einem Sommerlager im US-Bundesstaat Maine zusammen. Besonders für is- raelische und palästinensische Jugendliche, die in ge- trennten Gesellschaften aufwachsen, ist das Camp oft die erste Gelegenheit, jemanden von der „anderen Seite“ kennenzulernen. Dabei ist es durchaus kein Kin- derspiel, überhaupt Campteilnehmer:in zu werden. Die 14-16 jährigen Jugendlichen müssen sich mit Es- says bewerben und ein Auswahlgespräch führen – von tausenden Bewerbern werden nur knapp 100 ausge- wählt. Auf den dreiwöchigen Camps leben sie dann nach Konfliktregionen in Gruppen zusammen – bei- spielsweise also arabische und israelische Jugendliche, pakistanische und indische etc. Jeden Tag kommen sie neben fröhlichen Campaktivitäten zu ernsten und pro- fessionell moderierten Dialog-Sitzungen zusammen, um sich ehrlich, offen und direkt mit Themen ausein- anderzusetzen, die sie voneinander trennen. Dabei stellen sie Stereotypen und Vorurteile mit persönli- chen Erfahrungen in Frage. Auch wenn sie in Bezug auf historische oder aktuelle Ereignisse nicht einer Meinung sind, lernen sie, wie sie konstruktiv miteinan- der kommunizieren und ein tieferes Verständnis für die Perspektive des anderen entwickeln können. Ein wichtiger Bestandteil sind die sich anschließenden Führungsprogramme im Heimatland. Zu den 40 Good News Magazin 

Bunt, rebellisch, politisch o r e j e l l a C o n a m ó c i x o T : d l i B Straßenkunst als Friedensstifter 

Die Friedensbotschaft auf den Straßen Das Friedensabkommen mit der FARC 2016 wurde in vielen Graffitis thematisiert. Die Szene begleitete den Prozess in den Frieden und zeigte deutlich: Das Ab- kommen ist wichtig, aber noch nicht genug. Neben den Symbolen für Frieden und Versöhnung themati- sieren viele Künstler:innen auch die Herausforderun- gen, die Kolumbien nach dem Friedensprozess beglei- ten. Denn obwohl das Abkommen Hoffnung brachte, bleibt die Realität für viele Kolumbianer:innen von Unsicherheit geprägt. Im Land gibt es nicht nur Gue- rilla-Gruppen, wie die FARC, sondern auch paramili- tärische Gruppen – Gewalt und Waffen sind aus dem Alltag vieler Kolumbianer:innen weiterhin nicht weg- zudenken. Auch das Drogenproblem im Land und ge- sellschaftliche Ungleichheit beschäftigen viele Bür- ger:innen Kolumbiens. Die Graffitis in Bogotá erin- nern daran, dass Frieden nicht nur das Schweigen der Waffen bedeutet – es braucht auch Gerechtigkeit, Chancengleichheit und wirtschaftliche Sicherheit. Durch die Entkriminalisierung ist die Straßenkunst in Bogotá nichts mehr, was im Schutz der Dunkelheit pas- siert. Die Kunst entsteht auch tagsüber, sie wird gese- hen, verbreitet und diskutiert. Und noch wichtiger: Jede und jeder darf mitmachen und mitreden. Anders als in Galerien oder Museen, ist die Kunst auf den Straßen für alle zugänglich, ein Gemeinschaftsprojekt. Der öffentli- che Raum wird zum Medium für kollektive Anliegen. Bogotá gilt als ein wichtiges Zentrum für Streetart, ist aber nur ein Beispiel von vielen Städten, in denen die urbane Kunst zum Sprachrohr für den Frieden wird. Viele Länder Südamerikas befinden sich ebenfalls in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit. Die Graf- fiti-Kunst ist gerade für junge Menschen eine der we- nigen Möglichkeiten, sich auszudrücken – auch poli- tisch. In den Straßen von Bogotá wird der Wunsch nach Frieden lebendig und bunt. „‚Wir – die Hässlichen – sind mehr‘, ist ein Satz, den ich schon seit langem verwende. Ich habe ihn einem Lied der Band Siniestro Total entnommen, das wiederum von einem Song von Frank Zappa inspiriert wurde. Das Graffito spielt auf Menschen an, die vorge- ben, (charakterlich) schön und positiv zu sein, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Es soll außerdem ein Raum des Gedenkens an zwei kolumbianische Graffitikünstler sein, die von der Polizei ermordet wurden. Einer in Bogotá (Trípido) und der andere in Miami (Reefa)“, erklärt Toxicómano Callejero. o r e j e l l a C o n a m ó c i x o T : d l i B Argumentos - Argumente / Toxicómano Callejero Zu dem Graffito „Argumente“ sagt der Künstler Toxicómano Callejero: „Es wird mehr von dieser ‚Medizin‘ benötigt. Sie heilt Unwissenheit, Vorurteile und die neu- este Krankheit, die Polarisierung“. So wurde Bogotá zum Zentrum der Graffiti-Szene und zog Künstler:innen aus der ganzen Welt an, die sich im Tageslicht an den Wänden der kolumbianischen Hauptstadt verewigen wollten. Die Graffiti-Szene Bogotás ist tief in den gesellschaft- lichen Realitäten Kolumbiens verwurzelt. Ein Haupt- thema der Streetart ist die systemische Armut und Ungleichheit im Land. Auch die Rolle der indigenen Bevölkerungsgruppen, die oft marginalisiert und ihrer Rechte beraubt wurden, wird in zahlreichen Werken visualisiert. So dient Streetart als Sprachrohr für all jene, die sonst kaum gehört werden. Viele Künstlerinnen und Künstler aus Bogotá stellen den Missbrauch von Macht und die Ungleichheit in den Mittelpunkt ihrer Werke und betonen die Notwendig- keit von Frieden und Versöhnung. 44 Good News Magazin 

Innerer Frieden für alle Wenn es im Kopf zu laut ist, hilft die Uni Kostenlose, professionelle und schnelle psychologische Hilfe für Studierende klingt nach einer Utopie. In Japan ist es Realität. Anni Malter Vorlesungen, Nebenjob, Prüfungen – all das gehört zum normalen Unialltag dazu. Doch für Studierende in Japan kommen häufig noch weitere Belastungen hinzu. Erdbeben, Tsunamis, Überschwemmungen und damit eine ständige Auseinandersetzung mit Naturkatastro- phen sind für viele japanische Studierende Teil der Realität. Diese stressigen Umstände können zu einer zusätzlichen mentalen Belastung führen und eine He- rausforderung darstellen, die über die üblichen Ängste und Sorgen hinausgeht, die Studierende weltweit erleben. Wie bewältigt man diesen Druck, wenn die Gedanken im Kopf immer lauter werden und das Bedürfnis nach innerem Frieden wächst? Kostenlose psychologische Beratung für Studierende An der Keio University in Japan hat man dieses Bedürfnis erkannt und reagiert: Das Well- ness-Center der Universität steht den Studierenden zur Verfügung und bietet psychologische Unter- stützung, um Stress und Belas- tungen zu bewältigen. In die- sem Zentrum haben die Studie- renden Zugang zu Psycholog:in- nen, die ihnen helfen, einen gesun- den Umgang mit den Herausforde- rungen ihres Lebens zu finden. Egal, ob Depressionen, Panikatta- cken oder Prüfungsangst – nach einer schnellen E-Mail erhalten Studierende einen Termin mit ja- panisch und englisch-sprachig ausgebildeten Expert:innen. Extra Kosten fallen für die Studieren- den keine an, die relativ hohen Studiengebühren (pro Semester zwischen 3500 Euro und 10.000 Euro) decken neben zwei medizini- im Jahr, auch schen Untersuchungen wöchentliche Sitzungen in Person oder per Video Call mit klinischen Psycholog:innen. Auf der offiziellen Website heißt es, das Wellness-Center vereine die Be- reiche Medizin, Psychologie und Sport, „mit dem dop- pelten Ziel, Forschung zu betreiben und Dienstleistun- gen anzubieten, um die Gesundheit von Körper und Geist ganzheitlich zu fördern.“ Neben psychologischer Unterstützung bietet das Wellness-Center auch Kurse mit dem Titel „Körperliche und geistige Gesundheit für das Campusleben“ und „こころのエクササイズ“ (Übungen für Herz und Geist) an, um Studierenden eine ganzheitliche Hilfe bieten zu können. Die Bedeutung eines „Wellness- Centers“ für die mentale Gesundheit Das Wellness-Center der Keio University ist ein Bei- spiel dafür, wie moderne Universitäten die mentale Gesundheit ihrer Studierenden in den Fokus rücken. Durch individuelle Beratung, Gruppen-Sportangebote und andere Workshops lernen Studierende mit Stress umzugehen, innere Stärke zu entwickeln und einen ge- sunden Ausgleich zwischen Uni, Zukunftsplänen und Freizeit zu finden. In einem Umfeld, das oft auf Leis- tung und Erfolg ausgerichtet ist, schafft das Wellness- Center eine wichtige Balance. Es bietet einen Raum, in dem über Ängste, Sorgen und Stress offen gesprochen werden kann – ohne Stigma oder Schamgefühl. Besonders wertvoll ist dabei die Verfügbarkeit profes- sioneller Psycholog:innen, die regelmäßig und ohne lange Wartezeiten für die Studierenden da sind. Gerade in einer Kultur, in der psychische Gesundheit lange Zeit tabuisiert war und das Eingeständnis von Schwächen oft als negativ betrachtet wurde, ist dies ein wichtiger Schritt in die richtige Rich- tung. Die Keio University sendet damit ein starkes Signal: Die mentale Gesund- heit ihrer Studierenden ist eine Priorität. Weitere Beispiele, die ein solches m o c . s o t o h p t i s o p e d - c . t e d a r i h P : d l i B 46 Good News Magazin 

e i n F u n d a m e n t s c h a f f e n w i l l t f a l f ü r D e m o k r a t W i e d i e d e u t s c h e B u n d e s w e h r I n n e r e F ü h r u n g i e u n d V i e l s t a t t F ü h r e r Eine Armee aus mündigen, kritischen und gewissensgeleiteten Menschen, die Vielfalt leben und freiheitlich-demokratische Werte verinnerlicht haben – passt das zur Bundeswehr? Ja, das ist nicht nur möglich, sondern notwendig, sagen die Entscheidungsträger:innen. Wie das Prinzip der Inneren Führung Vielfalt und Inklusion bringt und welche Herausforderun- gen dabei zu bewältigen sind, beleuchtet dieser Artikel. André Latz Die Bundeswehr steht heute vor großen Herausforde- rungen: Als „Parlamentsarmee“ soll sie nicht nur Deutschland verteidigen, sondern auch die Werte der Demokratie, Freiheit und Vielfalt repräsentieren. Die „Innere Führung“ ist dabei das zentrale Leitkonzept, das seit über sechzig Jahren als ethisches und morali- sches Fundament dient. Sie stellt sicher, dass Soldat:in- nen nicht bloß Befehle ausführen, sondern als reflek- tierte Staatsbürger:innen handeln. In einer Zeit, in der extremistische Einflüsse und gesellschaftliche Span- nungen zunehmen, ist die Innere Führung relevanter denn je – als Schutzschild gegen Radikalisierung und als Kompass für ein modernes, inklusives Militär. Diese Werte und Fragen standen im Zentrum einer Tagung zur Inneren Führung in Potsdam, bei der erfahrene Of- fiziere, Studierende und Fachleute gemeinsam über die Zukunft der Bundeswehr diskutierten. Eine Vision von Wandel und Integrität Potsdam, ein früher Morgen im Zentrum für Militär- geschichte und Sozialwissenschaften der Bundes- wehr: Zahlreiche Teilnehmer:innen sitzen in einer Ta- gung zur „Inneren Führung“ und hören aufmerksam zu. In diesem Workshop geht es nicht nur um theoreti- sche Konzepte – es geht um das Wertefundament, auf dem die Bundeswehr steht und um die Herausforde- rungen, die Soldat:innen im 21. Jahrhundert begleiten. Unter den Teilnehmenden befinden sich sowohl Stu- dierende als auch erfahrene Offiziere. Alle eint die Überzeugung, dass die Innere Führung mehr ist als ein Leitfaden: Sie bildet die Grundlage für eine Kultur, die Vielfalt wertschätzt und extremistischen Tendenzen entschieden entgegenwirkt. Die Innere Führung ist das Fundament einer demokratischen und inklusiven Kul- tur innerhalb der Streitkräfte. m o c . s o t o h p t i s o p e d - r e h c s l e o h n e t t e u h : d l i B 48 Good News Magazin 

sicherer Arbeitsplatz für Menschen unterschiedlichs- ter Identitäten und Hintergründe sein? Vor allem vor dem Hintergrund, dass der Rechtsextremismus die Bundeswehr systematisch und gezielt unterwandert. Die Innere Führung bietet Antworten – nicht nur als Regelwerk, sondern als lebendiges Prinzip. Dieses Prinzip kann aber nur lebendig sein, wenn die Men- schen in der Bundeswehr es auch aktiv leben. Allen voran ist hier die politische Führung gefragt. Der Verteidigungsminister Boris Pistorius greift diese Füh- rungsrolle auf, wenn er betont: „Für das Traditionsver- ständnis der Bundeswehr ist der militärische Wider- stand vom 20. Juli 1944 eine tragende Säule. Er mahnt uns, dass das Gewissen immer die letzte Entschei- dungsinstanz ist – und dass das eigene Denken damit stets eine herausragend wichtige Pflicht ist.“ Pistorius forderte mehr als einmal „klare Kante“ gegen Extremis- mus. Dafür sind auch alle Soldat:innen gefragt. Wachsende Vielfalt und neue Chancen In den letzten Jahren hat sich die Bundeswehr zuneh- mend geöffnet. Heute findet man in der Truppe immer mehr Menschen unterschiedlichster Herkunft, Religio- nen und sexueller Orientierung. Das Verteidigungsmi- nisterium hat den Stellenwert von Diversität erkannt und fördert Initiativen, die für ein inklusives Arbeitsum- feld sorgen. Diese Entwicklung ist ein klares Zeichen dafür, dass die Bundeswehr bereit ist, gesellschaftliche Veränderungen zu reflektieren und dass die Streitkräfte auf dem Weg sind, tatsächlich ein Spiegel der Gesell- schaft zu werden, die sie verteidigt. Dazu gehören auch Veranstaltungen wie die „Diversity Konferenz“ der Bun- deswehr am 28.10.2024, wo die neue Diversitätsstrate- gie vorgestellt wurde. Hier sagte Verteidigungsministe- rin Pistorius in militärischem Vokabular: „Vielfalt stärkt unsere Kampf- kraft, denn unterschiedliche Perspektiven führen zu kreati- veren Entscheidungen.“ In einer Gesellschaft, die sich zunehmend für Diversi- tät und Gleichberechtigung öffnet, ist das Thema Gen- der-Gerechtigkeit nicht nur aktuell, sondern auch von entscheidender Bedeutung. Denn Vielfalt, auch in Be- zug auf Geschlechtlichkeit, ist ein freiheitlich-demo- kratischer Wert an sich. Unsere Kultur und unser Zu- sammenleben sind dabei geprägt von Fortschritt und i i . m o c g v m b - g n u g d e t r e V r e d m u i r e t s n m s e d n u B i i 50 Good News Magazin : d l i B 

Die beiden Offiziere zeigen, dass es unterschiedliche Vorbilder braucht und gibt. Während Anastasia Bie- fang als Pionierin für Vielfalt und Inklusion in der Bun- deswehr steht, repräsentiert Uwe Srp eine Führungs- persönlichkeit, die sich aktiv gegen Radikalisierung einsetzt, ohne dabei eine Person im Rampenlicht zu sein. Beide stehen für eine Bundeswehr, die Vielfalt und Demokratie im Alltag lebt und verteidigt. Ihre Bei- spiele verdeutlichen, wie die Innere Führung in der Bundeswehr durch individuelle Vorbilder und klare Positionierungen gestärkt wird. Die Innere Führung setzt auf die ethische und morali- sche Bildung der Soldat:innen. Nur wer sich seiner eigenen Werte bewusst ist, kann extremistischen Ten- denzen in sich selbst und in seinem Umfeld entgegen- treten. Angesichts wachsender Vielfalt und dem Enga- gement von Vorbildern wie Oberstleutnant Anastasia Biefang und Oberst i.G. Uwe Srp stellt sich die Frage: Wie kann die Bundeswehr eine echte Kultur der In- klusion schaffen, die auch den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird? Gemeinsam stark: Eine Kultur der Achtsamkeit Die heutige Bundeswehr will die bewusste Selbstrefle- xion und Achtsamkeit gegenüber den eigenen Werten und Handlungen fördern. Die Innere Führung kann nicht nur ein Schutzschild gegen Extremismus sein, sondern auch ein Instrument zur Stärkung des Mitei- nanders. Die Werte, die in der Inneren Führung ver- ankert sind, fördern eine offene Gesprächskultur und die Wertschätzung unterschiedlicher Perspektiven. Das steht und fällt mit den jeweiligen Vorgesetzten und der Kultur der jeweiligen Einheit, denn die Bun- deswehr ist eine große und diversifizierte Organisa- tion. Als Umsetzung der politischen Bildung nur ein- mal im Jahr nach Berlin fahren und sich den Bundes- tag anschauen, ist dabei weniger wirkungsvoll, wie die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen De- batten im dienstlichen Alltag. Prävention von Extremismus: Entschlossenheit und Transparenz Die Bundeswehr geht heute transparenter mit rechts- extremen Vorfällen um und will dabei eine klare Null- Toleranz-Politik verfolgen. Diese Entschlossenheit zeigt sich in neuen Strukturen und Prozessen zur Prä- vention. So werden beispielsweise in regelmäßig statt- findenden Schulungen Vorurteile, diskriminierende Denkmuster und Radikalisierungstendenzen offen an- gesprochen und reflektiert. Auch der Arbeitskreis „In- nere Führung im Einsatz“ ist eines von vielen Elemen- ten der Reflexion. Tagungen wie „Der gebildete Kämp- fer? Zur Bedeutung der Politischen Bildung in der Bundeswehr im Kontext neuer politischer Anforde- rungen und gesellschaftlicher Radikalisierungstenden- zen“ im Sommer 2023, sind Bausteine in der Truppe zu wirken und die Konzepte der politischen Bildung wei- terzuentwickeln. Denn diese ist ein entscheidender Grundpfeiler der Extremismusprävention. 52 Good News Magazin p r S e w U : r e d l i B 

Lassen wir die Fakten sprechen Spaß mit Zahlen Diese Zahlen haben uns beim Good News Magazin in den letzten Monaten vom Hocker gehauen. Lucia Oiro 2030 80 sollen bei 20 Prozent der Land- und Meeresflächen Renaturierungsmaßnahmen aufgenommen werden. Ziel ist es, bis 2050 Maßnahmen zur Wiederherstel- lung aller geschädigten Ökosysteme aufzunehmen. Prozent gesenkt seit 1990 hat Schweden die Treib- hausgasemissionen, dank erneuerbarer Energien und einer CO2-Steuer. Gleichzeitig wurde das Wirtschafts- wachstum verdoppelt. 4,5 Millionen Steine wurden in den Niederlanden durch Grünflä- chen ersetzt. 173 Gemeinden nahmen beim sogenann- ten „Tegelwippen“ teil. 0 Keine Strafanzeige gibt es in Zukunft beim Schwarz- fahren in Potsdam. Es kostet weiterhin 60 Euro, doch folgen keine gerichtlichen Konsequenzen. Andere Städte wollen folgen. 15 20 Dänische Schulen starten später, um den Bio-Rhyth- mus der Schüler:innen zu berücksichtigen. Erste Er- gebnisse: „Mehr Energie und mehr Konzentration!“ 45 Jahre alt war Rostam Nazari als er als Analphabet nach Deutschland floh. Heute ist er 24 und der erfolgreiche Besitzer eine Solarbaufirma. Tage ihrer insgesamt 48 bezahlten Urlaubstage kön- nen Eltern in Schweden ab sofort an Großeltern oder andere Verwandte übertragen. 54 Good News Magazin m o c . s o t o h p t i s o p e d - l i e x p w a R , v o k t e P , 1 1 1 e m m S i : r e d l i B 

Warum gewaltfreier Widerstand erfolgreicher ist, als wir denken Strategisch, friedlich, effektiv Die Forschung zeigt: gewaltfreier Widerstand war im letzten Jahrhundert erstaunlich erfolgreich. Warum 3.5 Prozent der Bevölkerung entscheidend sein können – und wie gewaltfreier Widerstand angesichts zunehmender Repression auch heute Erfolg haben kann. Luisa Vogt Im Jahr 1170 vor Christus legten die Arbeiter, die mit dem Bau der Grabstätte des herrschenden Königs Ramses III. beauftragt waren, ihre Werkzeuge nieder. Ihre Forderung: ausreichende, regelmäßige Essensra- tionen und bessere Löhne. Bis ihnen das zugesagt wurde, weigerten sie sich, mit dem Bau fortzufahren. Der Streik der Bauarbeiter im alten Ägypten ist wahr- scheinlich nicht der erste Streik der Menschheitsge- schichte, aber der erste, der historisch belegt ist. Er zeigt, wie lange Menschen schon gewaltfreie Metho- den nutzen, um sich Ausbeutung, ungerechten Verhält- nissen und Unterdrückung zu widersetzen. In den letz- ten Jahrzehnten ist die Zahl gewaltfreier Widerstands- bewegungen auf der ganzen Welt gewachsen. Von den sogenannten „Color Revolutions“ in ehemaligen Staa- ten der UdSSR und den (zumindest anfangs friedli- chen) Revolutionen des sogenannten „Arabischen Frühlings“ zu Black Lives Matter und den vielfältigen Klimabewegungen weltweit nutzen Menschen gewalt- freien Widerstand, um Veränderungen anzustoßen. Oft haben sie damit Erfolg. “Welcher Erfolg?“, mag die erste Reaktion sein. Nieder- geschlagene Proteste in Venezuela und Nigeria in den letzten Monaten, die Unterdrückung von friedlichem Widerstand in Myanmar und China, die schwindenden Zahlen bei den Klimastreiks – wo soll dieser Erfolg sein? Es stimmt: Während bis zirka 2010 die Erfolsquo- ten gewaltfreier Widerstandsbewegungen weltweit stiegen, sind sie seitdem deutlich gefallen. Die Heraus- forderungen für Widerstand, gewaltfrei oder unter Ge- waltanwendung, sind gewachsen, während autoritäre Regime besser darin werden, solche Bewegungen im Keim zu ersticken. Und trotzdem. 34 Prozent aller ge- waltfreien Widerstandsbewegungen in den letzten 15 Jahren haben erfolgreich einen Umbruch des Status Quo bewirkt. Dem gegenüber stehen nur neun Prozent Erfolgsquote bei bewaffnetem Widerstand. Gewaltfreier Widerstand ist damit weiterhin das er- folgreichste Mittel, um Veränderung zu bewirken. Wir fassen zusammen, wo solche Bewegungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgreich waren, wie sie ausse- hen können, um angesichts neuer Herausforderungen zu wirken – und warum es immer Hoffnung für gewalt- freien Widerstand gibt. 56 Good News Magazin m o c . s o t o h p t i i s o p e d - o d u t s _ d n o e L i : d l i B 

Gegen die Mythen: Was gewaltfreier Widerstand alles (nicht) ist Die Antwort auf die letzte Frage liegt für Chenoweth darin, dass viele Menschen Gewaltfreiheit als passiv und ineffektiv wahrnehmen. Es ist vielleicht der hart- näckigste unter den vielen Mythen, die gewaltfreien Widerstand umgeben – und gegen die Chenoweth in ihrem Buch vorgehen will. Denn, wie sie erklärt, ist er oft alles andere als passiv: „solche Bewegungen sind oft aufsässig, disruptiv und konfrontativ, mit einem Plan, der darauf abzielt, den Gegner in eine Art Schock- starre zu versetzen“ Im Vergleich mit den Alter nativen ist gewaltfreier Widerstand eine erstaunlich erfolgreiche Methode, um Veränderung zu bewirken“ Auch ist es – leider! – nicht so, dass es sich bei solchen Revolutionen um gewaltfreie Interaktionen handelt – denn die Gegenseite nutzt häufig Gewalt in dem Versuch, friedlichen Widerstand niederzuschlagen. Gewaltfreier Widerstand, so Chenoweth, „bedeutet lei- der eben nicht, dass niemandem Leid geschieht.“ Umso bewundernswerter ist es, dass sich so viele Menschen dennoch für diese Form des Widerstands entscheiden – und damit erstaunlich häufig erfolgreich sind. Die steigende Zahl der Widerstandsbewegungen welt- weit zeigt zudem, dass gewaltfreie Strategien zuneh- mend als effektiv erkannt werden. Denn – und auch das stellt Chenoweth klar: Gewaltfreiheit ist weniger Ideologie als Strategie. Das heißt nicht, dass Menschen sich nicht auch aus ideologischen und pazifistischen Gründen gegen Waffen und Gewalt entscheiden. Es heißt aber, dass die meisten diesen Weg wählen, weil sie ihn schlicht und einfach als vielversprechender wahrnehmen. Die wenigsten von ihnen sind absolute Pazifist:innen; das würde auch einen sehr hohen Stan- dard voraussetzen. Wer von uns würde schon von sich sagen, dass wir komplette Pazifist:innen sind? Trotz- dem ist natürlich richtig, dass gewaltfreier Widerstand für die meisten Menschen vor einem ethischen und moralischen Hintergrund eher als gerechtfertigt und gerecht wahrgenommen wird. Eine weitere Fehlvorstellung ist, dass gewaltfreier Wi- derstand vorwiegend über Demonstrationen funktio- niert. Das ist jedoch nur eine – und bei weitem nicht die erfolgreichste – Methode des Widerstands. Tat- sächlich gibt es hunderte, wenn nicht tausende ver- schiedene Aktionen und Methoden, um den Status Quo ohne Waffen zu verändern. Und mit fast jeder Be- wegung entsteht eine neue, an den spezifischen Kon- text angepasste Methode. Viele davon sind unerwartet oder innovativ, wie eine kollektive Weigerung, Steuern zu zahlen, die gezielte Überlastung der Verwaltung, Flash-Mobs oder kollektives Schweigen. Weitere Bei- spiele sind die Aktionen des feministischen Wider- stands in Russland (S. 82) oder die Pots-and-Pans-Pro- teste (S. 33) Dabei geht es nicht nur darum, Dinge zu tun, die der Gegner nicht will (Proteste etc.) sondern auch, Dinge NICHT zu tun, die von der Bevölkerung erwartet oder verlangt werden. Wie gewaltfreier Widerstand erfolgreich(er) wird Was also macht Gewaltfreiheit zu einer effektiven Strategie? Jeder Widerstand findet in einem bestimm- ten Kontext statt, das heißt, es gibt kein Universal- rezept für Erfolg. Laut Chenoweth sind Widerstands- bewegungen jedoch grundsätzlich erfolgreicher, wenn: sie es schaffen, Befürworter:innen und Menschen, 1. die bis dato vom Regime profitiert haben, dazu zu bewegen, die Seiten zu wechseln – besonders wichtige Gruppen sind hierbei Si- cherheitskräfte, das Militär, Geschäftsleute, Ge- werkschaftsvertreter:innen und „Civil Servants“, also Lehrkräfte, Gesundheitspersonal etc. Beson- ders die Business-Elite kann hier schnell die Sei- ten wechseln, wenn das Geschäft unter einem be- stimmten Regime oder dem Widerstand dagegen leidet. sie eine Bandbreite an Maßnahmen anwenden, über Demonstrationen hinaus – insbesondere alle Methoden, die politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben können, zum Beispiel Streiks (v.a. Generalstreiks) aber auch in- novative Methoden sie Resilienz gegenüber Repression entwickeln – zum Beispiel dadurch, dass es klare Pläne dafür gibt, was passiert, wenn es zu Repressionen kommt oder sich eine neue Führungsriege bilden muss sie eine breite Masse mit Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft umfassen. 3. . 4. . 2. . Der letzte Punkt ist so wichtig, dass er eine eigene Unterüberschrift verdient, beziehungsweise sogar eine eigene Regel: die 3,5 Prozent Regel. 58 Good News Magazin 

Geduld, Planung und Struktur Trotzdem stimmt es, dass ein stabiler Übergang nach einem Regimewechsel oft enorm schwierig ist, da er viel Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zu Kompromis- sen von allen Seiten fordert. Chenoweth bringt es auf den Punkt: „Es ist leichter gegen etwas zu sein, als für etwas zu sein“ (S. 120). Am besten sind die Ergebnisse daher, wenn zuvor klare Pläne für die Zeit nach einer Systemveränderung bestehen und bereits vernetzte zi- vile Strukturen und Organisationen etabliert sind. Ein Beispiel dafür ist Polens Solidarnosc-Bewegung. Zwei Jahrzehnte lang organisierte Solidarnosc sowohl öffentliche Proteste als auch Aktionen im Verborgenen, die schlussendlich zum Ende der kommunistischen Herrschaft in Polen führten. Die Führung der Bewe- gung setzte sich aus Mitgliedern verschiedener Ge- werkschaften zusammen und formte Berufsverbände, Untergrund-Universitäten und ihre eigene Zeitschrift, die Samizdat. Schritt für Schritt erstritten sie sich von der kommunistischen Regierung, die Legalisierung von Gewerkschaften und schließlich das Zugeständnis, bei den Nationalwahlen mit eigenen Kandidat:innen anzu- treten. Als sie die Wahl im Juli 1989 gewannen, mach- ten die zuvor geschaffenen Parallelinstitutionen und Strukturen innerhalb der Bewegung den Übergang zu einem stabilen demokratischen System leichter. Neue Herausforderungen in den letzten 15 Jahren Solidarnosc war Teil einer Welle erfolgreicher Bewe- gungen gewaltfreien Widerstands bis in die 2000er. Doch seit 2010 sind die Erfolgsquoten solcher Bewe- gungen deutlich zurückgegangen, von vorher knapp 50 Prozent auf rund 34 Prozent. Warum ist das so? Ein entscheidender Faktor ist, dass Regime besser auf gewaltfreien Widerstand eingestellt sind: „Früher kam gewaltfreier Widerstand als Überraschung“, erklärt Chenoweth. Heute erkennen Machthaber:innen die Bedrohung, die von solchen Widerstandsbewegungen ausgeht und nutzen ausgeklügelte Wege, um dagegen vorzugehen – durch Diskreditierung, Zensur, Delegiti- mierungs- und Überwachungstechniken, aber auch, indem sie Taktiken nutzen, um Spaltungen innerhalb der Bewegungen herbeizuführen. Ein weiterer Grund liegt in den Bewegungen selbst. Im Vergleich zu früher sind aktuelle Widerstandsbewe- gungen meist kleiner, umfassen also weniger als die kritischen 3.5 Prozent der Bevölkerung. Auch liegt der Fokus aktueller Bewegungen häufig auf spontanen Massenprotesten und digitalem Aktivismus anstelle von Methoden wie Streiks oder Boykotten, die einen politisch und ökonomisch größeren Effekt haben. Zu- letzt, so Chenoweth, fehle oft die strukturierte Planung und Organisation, die sicherstellt, dass eine Bewegung langfristig andauern und auch Repressionen überdau- ern kann. Neue Wege gegen steigende Repres- sionen? Immerhin: Das Wissen um das, was derzeit falsch läuft, kann auch der Schlüssel dafür sein, aktuelle Wider- standsbewegungen wieder erfolgreicher zu machen. Tatsächlich zeigen jüngere Bewegungen angesichts wachsender Repressionen neue Techniken, sich den Niederschlagungsversuchen durch die Regierung zu widersetzen. In Ägypten verteilten Aktivist:innen 2011 einen Flyer mit dem Titel „wie man intelligent protes- tiert“. Darauf verwiesen sie auf strategische Ziele, wie beispielsweise die Polizei und das Militär auf ihre Seite zu ziehen. Sie gaben taktische Ratschläge, in welchen Gegenden Versammlungen beginnen sollten und wie Protestzüge gestaltet werden sollten und rieten Demonstrierenden, Topfdeckel als Schutz vor Schreck- pistolen mitzubringen und Polizist:innen durch Sprüh- farbe auf die Visiere die Sicht zu nehmen. Außerdem warnten sie davor, den Flyer online zu verbreiten, um der Staatsüberwachung zu entgehen. In Hong Kong trugen Demonstrierende Masken, um ihre Identität angesichts der omnipräsenten Überwa- chung geheimzuhalten und wehrten sich mit Regen- schirmen und Verkehrshütchen gegen Pfefferspray und Tränengas. Die kreative Anpassungsfähigkeit von Widerstandsbe- wegungen ist einer der Gründe, die Chenoweth trotz allem vorsichtig optimistisch machen. Ein anderer ist gleichzeitig offensichtlich und leicht aus dem Blick zu verlieren: „People Power Movements haben immer schon gegen alle Widerstände triumphiert“. Und sie sind überall auf der Welt präsent, entgegen aller Ver- suche der Unterdrückung. Tatsächlich sind ihre Wider- standsbewegungen gerade dort meist am stärksten und wahrscheinlichsten, wo die Repression am höchsten ist. Das mag paradox erscheinen, doch Chenoweth und Stephan analysierten 46 Fälle zwischen 1989 und 2011, in denen das Regime gewaltvoll gegen unbewaffnete Protestierende vorging. In ungefähr der Hälfte der Fälle, so ihre Schlussfolgerung, führte die Gewaltan- wendung dazu, dass die Bewegung nur noch stärker wurde. Und in wiederum der Hälfte dieser Fälle führ- ten die Bewegungen trotz massiver Gewaltanwendung des Regimes zum Erfolg (S. 202–203). 60 Good News Magazin 

Von Transformation, Verständnis und Wegen zum Frieden Die Kraft der Kunst Lea Baroudi weiß um die Macht der Künste. Sie ist Libanesin und lebt in Tripoli, der zweitgrößten Stadt und dem zweitgrößten Hafen des Libanon. Vor zehn Jahren gründete sie die Orga- nisation MARCH: „Alles begann 2014 mit einer einfa- chen Idee. Ich beschloss, mit Hilfe des Theaters zu ver- suchen, Kämpfer:innen zweier gegnerischer Fraktionen in Tripoli zu versöhnen, die sich über ihre jeweiligen Interpretationen des Bürgerkriegs in Syrien stritten.“ Die Menschen, die Baroudi damals mit ihrem Kunst- projekt ansprechen wollte, kämpften gegeneinander, mit Worten und mit Waffen. Die Vorurteile waren tief. Sie lebten im alawitischen Viertel Jabal Mohsen, das sich als loyal dem syrischen Regime gegenüber posi- tionierte und dem sunnitischen Viertel Bab el Tabba- neh, das auf der Seite der Opposition stand. Viele von ihnen hatten an der Front in Syrien gekämpft, auf unterschiedlichen Seiten. Ihre Wohnquartiere sind nur durch eine Straße getrennt, die, wie Baroudi sagt, „iro- nischerweise“ Syrien-Straße heißt. „Als ich beschloss, in einer der schwierigsten Regionen des Libanon zu arbeiten, dachten die meisten Menschen um mich he- rum, ich würde eine un mögliche Aufgabe angehen.“ Nach vielen Hindernissen konnte Baroudi schließlich 16 junge Ex-Kombattant :innen davon überzeugen, in einem Theaterstück mit zuspielen, das von ihrem Le- ben inspiriert sein sollte. 62 Good News Magazin 

„Frieden kann nicht durch Gewalt erreicht werden, er kann nur durch Verständnis erreicht werden.“ – Albert Einstein Die persönliche Entwicklung der Teilnehmenden an ihren Kulturprojekten, die Lea Baroudi beschreibt, kann wissenschaftlich als „transformatives Lernen“ bezeich- net werden. Nach Mezirow (2012) beschreibt dies einen Prozess, bei dem Menschen ihre gewohnten Perspekti- ven, Denkgewohnheiten und Einstellungen verändern, um sie integrativer, differenzierter, offener, emotional veränderungsfähiger und reflektierter zu machen. Die Sozialwissenschaftlerin April Hyoeun Bang hat untersucht, wie Musik, zusammen mit anderen Kunst- formen, kooperative Bedingungen und Beziehungen fördern kann. Sie stellt fest: „Kooperative Beziehungen neigen dazu, kooperative Beziehungen zu erzeugen, während kompetitive Beziehungen dazu neigen, kom- petitive Beziehungen zu erzeugen.“ Wendet man dieses Prinzip auf das Verhalten in Musikgruppen wie einem Chor, einer Band oder einem Orchester an, ist eindeu- tig, dass die Zusammenarbeit essentiell ist. Wie im Sport (s. S. 86) wird auf ein gemeinsames Ziel hinge- arbeitet – und darüber hinaus. Hyoeun Bang schreibt: „Unabhängig davon, ob die Menschen, die sich an der künstlerischen Aktivität beteiligen, bereits intrinsisch zur Kooperation motiviert sind oder nicht, lernen sie dennoch, wie sie kooperieren können oder verbessern ihre Fähigkeit, dies zu tun, durch das Projekt.“ So erging es auch den Theaterspieler:innen in Tripoli. Was auch immer ihre angehende Motivation war, ob Neugierde oder vielleicht einfach Langeweile: Sie fan- den sich unwillkürlich in einem Prozess wieder, der ihre Kooperation und ihr Verständnis füreinander for- derte. Doch wie genau funktioniert dieser fast schon magische Prozess? Kunstbasierte Ansätze umfassen eine Vielzahl von ganzheitlichen, körperbezogenen Werkzeugen, die kreativen Ausdruck fördern. Sie rei- chen von bildender Kunst, Theater, Musik, Tanz und Poesie bis hin zu den Geisteswissenschaften. Beson- ders in Konfliktsituationen dienen sie als ein wirkungs- volles Mittel, um Vorstellungskraft, Intuition und auch Empathie zu entfalten. Dabei können diese Mittel kul- turübergreifend angewandt werden, denn in allen heute bekannten Kulturen gibt es verschiedene Kunst- formen, teilweise kommen sie sogar ohne Sprache aus. Und selbst kleine Kinder sind in ihrem Spiel musika- lisch, theatral, tänzerisch und bildend unterwegs. Um die volle transformative Wirkung der Kunst wissenschaftlich zu erklären und zu festigen, sei „mehr empirische Forschung“ notwendig, meint die Sozialwissenschaftlerin April Hyoeun Bang. Doch Er- fahrungsberichte und historische Beispiele dafür gibt es viele. So nahm Hyoeun Bang selbst im Rahmen ihrer Forschung an einer Fortbildung zur „Kraft von Musiktheater als Konflikttransformation“ teil und be- schrieb das Erlebte wie folgt: „Ich empfand meine Er- fahrungen in den Workshops der Konferenz als trans- formativ. Darüber hinaus glaube ich, dass sie mir ge- holfen haben, zusätzliche Einsichten und Perspekti- ven zu entdecken, um komplexe Konfliktsituationen effektiver zu bewältigen und auch andere darin zu unterrichten. Es ermöglichte mir sogar, mich direkt mit einer persönlichen Konfliktsituation und deren Lösung auseinanderzusetzen.“ Die Dinge haben nur den Wert, den man ihnen verleiht. – Molière „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir für Ihren Antrag auf (…) keinen positiven Bescheid ausstellen können. Es wurden viele interessante und kreative Projekte eingereicht, die uns die Entscheidung für die Förderung nicht leicht gemacht haben.“ Mit klopfendem Herzen hatte Anna die Mail geöff- net, langsam sickert das eben Überflogene in ihr Be- wusstsein: Das war’s. Stunden der Planung, des Schreibens von Seiten langen Anträgen, der Team- meetings – alles scheinbar umsonst. Ihr Kunstprojekt, an dem 15 weitere Personen beteiligt sind, das die Hälfte ihres Einkommens im nächsten Jahr ausge- macht hätte, ist abgelehnt worden. So wie Anna geht es gerade 2307 Personen, sie alle er- halten einen Ablehnungsbescheid von einer Kulturstif- tung für ihr Projektvorhaben. Hat es am Inhalt gelegen? An der Budgetplanung? Haben sie irgendwo einen Fehler gemacht? Das Warum werden sie im Bescheid nicht erfahren. Die freie Kunstszene in Deutschland leidet. Momente wie diese gehören seit jeher zum All- tag freier Künstler:innen dazu. Planungssicherheit gibt es so gut wie nie. 2024 hat sich diese Situation jedoch weiter verschärft. Im nächsten Jahr will der Bund das Budget für die freie Kunstszene in Deutschland um rund 50 Prozent kürzen. Zahlreiche Theater, Kunstkol- lektive und Festivals stehen damit vor dem Aus. Im Sommer 2024 kam es deswegen zu zahlreichen Demonstrationen. „An der freien Kunst zu sparen kos- tet zu viel“, kritisierte unter anderem eine Campact Pe- tition mit 36,605 Unterzeichner:innen. Unter anderem 64 Good News Magazin 

Wie sich Gläubige gegen Gewalt einsetzen m o c . s o t o h p t i s o p e d - u r . x e d n a y @ t s g e m s i i r t : d l i B Friede sei mit dir Religion wird in Kriegen und Konflikten oft als treibende Kraft für Gewalt wahrgenommen. Sie kann aber auch ganz anders wir- ken: Wir stellen sieben Beispiele vor, die zeigen, wie sich Gläubi- ge und religiöse Gemeinschaften für Frieden eingesetzt haben. Rebecca Wolfer „Gott ist gefährlich“ – das sagt zumindest der Sozio- loge Ulrich Beck. Auf den ersten Blick scheint das zu stimmen, denn oft wird Religion als Auslöser für Ge- walt und Kriege gesehen. Doch laut der Bertelsmann- Stiftung sind nur elf Prozent der Kriege tatsächlich auf religiöse Ursachen zurückzuführen. Stattdessen geht es meistens um die Verteilung von Ressourcen, Land- besitz und Macht. Wenn Kriege aber religiös aufgela- den werden, lassen sich Menschen oft leichter von ihrer Notwendigkeit überzeugen – denn wenn es plötz- lich um „Gut gegen Böse“ geht, kann selbst Gewalt bes- ser gerechtfertigt werden. Wie jede Ideologie wird Re- ligion in den falschen Händen dann zum Instrument für Unterdrückung oder zum Argument für gewaltvolle Vergeltung – ganz nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Aber genau diese Kraft, Menschen zu bewegen, kann auch anders eingesetzt werden. Religion kann Ge- meinschaften zusammenbringen und motivieren, sich für das zu engagieren, was alle großen Glaubensrich- tungen eben auch lehren: Frieden und Versöhnung. Im Christentum wird das zum Beispiel durch das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ deutlich. Auch der Koran betont die Wichtigkeit des Friedens, etwa in der Sure 42:40: „Und wer vergibt und Versöhnung stiftet, des- sen Lohn ist bei Allah“. Im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus ist „Ahimsa“ (Gewaltlosigkeit) eines der wichtigsten Prinzipien und findet sich in vielen zentra- len Schriften. Doch wie können diese Lehren in die Tat umgesetzt werden? Das zeigen unsere Beispiele aus der ganzen Welt. 66 Good News Magazin 

Südamerika und Afrika In letzter Sekunde Der Plan stand fest: Am 22. Dezember 1978 waren ar- gentinische Flotten auf dem Weg, um drei Inseln vor Feuerland zu besetzen. Damit wäre der Konflikt eska- liert, in dem sich Argentinien und Chile seit Jahrzehn- ten befanden. Beide Länder erhoben Anspruch auf die Inseln Lennox, Picton und Nueva. Kurz bevor der Angriff stattfinden sollte, schaltete sich Papst Johan- nes Paul II. ein. Er telefonierte mit dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet und dem argentinischen Diktator Jorge Rafael Videla. Sein Aufruf zum Frieden zeigte Wirkung – die Flotte drehte um und ein Krieg konnte verhindert werden. 1984 unterschrieben die Außenminister beider Län- der schließlich einen Friedens- und Freundschafts- vertrag. Er sprach die drei Inseln Chile zu, das umlie- gende Meer ging an Argentinien. 68 Good News Magazin 

m o c . s o t o h p t i s o p e d - y i r t i m D y a H : d l i B Best of Good News Shots Europas Waldfläche wächst um neun Prozent in 30 Jahren Die Waldflächenzunahme in der EU umfasst laut dem „Global Forest Resources Assessment 2020“ der FAO (Forstabteilung der Ernährungs- und Landwirtschafts- organisation der Vereinten Nationen) fast die Fläche von Österreich, der Slowakei und Slowenien zusam- men. Damit trägt die gewonnene Waldfläche eine Größe, die mehr als einem Drittel des Kontinents ent- spricht. Und nicht nur das: Auch die Fläche der ge- schützten Waldgebiete ist in den letzten 20 Jahren um 65 Prozent gestiegen. Diese Flächen sind ausgewiesen zum Schutz der Artenvielfalt. Studien zeigen, dass Kuscheln gut für die mentale und physische Gesundheit ist Berührungen haben positive Effekte auf unsere emo- tionale und körperliche Gesundheit. Was für viele schon eine persönliche Selbstverständlichkeit war, ist nun auch wissenschaftlich bewiesen. Studien zeigen, dass bei Berührungen das Bindungshormon Oxytocin freigesetzt wird, welches Stress reduziert und das Ge- fühl von Vertrauen und Geborgenheit stärkt. 70 Good News Magazin In unserer Online-Ausgabe haben wir in den letzten Monaten immer wieder von erfreulichen Entwicklungen und positiven Nachrichten berichtet. Die Schönsten haben wir euch hier zusammengesucht: Mara Betjemann Paris erhöht die Parkgebühren für SUVs, um die Verkehrswende voranzutreiben Die umfassende Verkehrswende, welche die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo anstrebt, zielt auf eine umweltfreundliche und sichere Nutzung des öffentli- chen Raumes ab. Für besonders große Autos wie SUVs und große Limousinen – die dadurch nachge- wiesenermaßen mehr CO2 ausstoßen – gibt es des- wegen ab sofort höhere Tarife für Parkplätze: Im Stadtzentrum zahlen Fahrer:innen solcher Fahrzeuge nun 18 Euro pro Stunde. Die Stadt begründet die Ent- scheidung mit dem höheren Platzbedarf und der stär- keren Umweltbelastung. Thailand: 50 Prozent weniger Teen- ager-Schwangerschaften Die Zahl der Teenager-Mütter in Thailand ist in den letzten zehn Jahren drastisch gesunken. Dafür sorgten Aufklärungskampagnen und neue Gesetze seitens der Regierung. Diese garantieren fünf neue Rechte in Be- zug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit, dar- unter das Recht auf Information und Wissen und das Recht auf reproduktive Gesundheitsdienste. Auch in- tensive Kampagnen zur sexuellen Aufklärung trugen dazu bei, die Zahl der Teenager-Schwangerschaften um mehr als die Hälfte zu reduzieren: von 53,4 auf 21 Geburten pro 1.000 Mütter im Teenageralter. Bis 2027 soll die Zahl weiter sinken, auf unter 15 Geburten pro 1.000 Teenager-Schwangerschaften. 

Hinter den Türen des Schulprojektes „Empathie macht Schule“ „Wenn sich alles nur um Leistung dreht, spalten wir die Gesellschaft“ Johanna Etzold, Co-Projektleiterin von „Empathie macht Schule“, erzählt im Interview, wie Empathie soziale Brücken baut und weshalb eine ideale Schule weder Noten noch Stühle haben sollte. Lara Dehari 72 Good News Magazin l e u h c S t h c a m e h t a p m E © i : d l i B 

GNM: Wie kann man sich diese Ausbildung vorstellen? Johanna: Das gesamte Personal an der Schule beschäftigt sich ein Jahr lang mit unterschiedlichen Fragen der Selbstfürsorge, Bezie- hungskompetenz und Empathie. Wir stellen uns Fragen wie: Wie können wir miteinander in den Dialog gehen? Wie können wir das Verhalten von Kindern und auch von Eltern verstehen? Wie können wir darauf reagieren? GNM: Nehmt ihr durch diese Ausbildung konkrete Veränderungen bei den Lehrkräften wahr? Johanna: Eine Lehrerin meinte vor Kurzem in der Runde „Zum ersten Mal verstehe ich, dass ich einen Klassenraum betreten kann und erst einmal gucken kann: Was brauche ich?“ Statt nur auf die anderen zu gucken, hat sie gelernt, zuerst auf sich selbst zu bli- cken und sich deshalb nicht schlecht zu fühlen. Atemübungen: Die Forschung zeigt – Kinder sind von Natur aus empathisch. © Empathie macht Schule GNM: Warum habt ihr euch dazu entschieden, statt mit den Kindern mit dem Schulpersonal zu arbeiten? Johanna: Der Impuls muss von oben kommen und breitet sich dann bis zu den Kindern aus. Schulen ha- ben oft sehr starre Strukturen. Auch deshalb ist es uns wichtig, in der Verwaltung zu starten. Würden wir mit den Kindern arbeiten, wäre es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nach den Lehrkräften folgen Seminar- leitungen, dann Schulleitungen. Auch mit den Eltern setzen wir uns zusammen. Am Ende wollen wir die Schulen von oben nach unten verändern. Kinder sind außerdem von Natur aus empathisch. Durch einen empa- thischen Umgang mit ihnen festigen wir diese Fähigkeit. Wenn wir den Kindern unsere Grenzen kommunizie- ren können, dann lernen die Kinder auch, Grenzen zu setzen und ihre Bedürfnisse klar zu kommunizieren. 74 Good News Magazin 

GNM: Wie schafft ihr es denn, dass sich die Ausbil- dung dann auch wirklich im Schulalltag etabliert und nicht pulverisiert? Johanna: Das passiert vor allem dadurch, dass die Ausbildung sehr praxisnah ist und die Lehrer:innen ganz konkrete Handlungsoptionen an die Hand be- kommen. Wir arbeiten mit einem Dialog-Modell, das den Austausch zwischen Kolleg:innen fördert und aus vier Schritten besteht: Zuerst beschreibt die Lehrkraft eine herausfordernde Situation. Im zweiten Schritt blickt sie auf sich selbst. „Was hat das mit mir ge- macht? Wie reagiert mein Körper? Wie atme ich in dem Moment? Welche Gedanken hatte ich? Welche Gefühle? Wie war mein Mitgefühl für mich selbst?“ Im dritten Schritt fragt sie sich, wie sie Verständnis für die andere Person aufbauen kann und im vierten, wie sie ihr jetzt anders begegnen kann. Dieses Modell ent- hält die gesamte Idee von „Empathie macht Schule“. Wir schicken die Lehrkräfte nach den einzelnen Mo- dulen der Ausbildung in ihre Klassen und dort können sie das dann umsetzen. Die tägliche Übung hilft, das Gedankenmuster zu festigen. GNM: Kann man das nur im Schulalltag üben? Johanna: Das ist, finde ich, das Tolle daran. Empathie kann man in jeglichen Situationen praktizieren. Wenn ich am Bahnhof, während ich auf die Bahn warte, kurz zu mir selbst zurückkomme und ein paar Mal tief atme, dann ist auch das schon förderlich. GNM: Ich nehme an, durch das Projekt verschwinden Konflikte nicht einfach. Wie verändert sich der Um- gang mit ihnen? Johanna: Ein Konflikt heißt eigentlich nur, dass zwei Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben. Die Frage ist also nicht „Haben wir Konflikte?“ sondern „Wie gehen wir damit um?“ Das beginnt bereits mit der Sprache. Wenn wir von Täter:in und Opfer sprechen, verschärfen wir den Konflikt. Stattdessen sollte es um Verantwortung gehen. Es gibt im Grunde zwei Wege mit Konflikten umzugehen: Sich und die andere Per- son zu reflektieren und mehr übereinander zu lernen oder sich zu schützen und damit vermutlich die andere Person zu verletzen. Übrigens glaube ich, dass Kinder eigentlich sehr gut darin sind, Konflikte zu lösen. Wir Erwachsenen greifen in der Regel viel zu schnell ein und nehmen den Kindern damit die Möglichkeit, eigenverantwortlich mit Konflikten umzugehen. GNM: Was kann eine Schule denn am Ende des Ta- ges leisten? Johanna: Was ich an Schulen so toll finde, ist, dass sich dort die ganze Gesellschaft trifft. Aber klar, manchmal zweifle auch ich an der Fähigkeit von Schu- len, Kinder für das Leben vorzubereiten. Ich fühle mich manchmal so, als würden wir mit unserem Pro- jekt die Kinder füttern. Wie Goldfische in einem Aquarium mit giftigem Wasser. Danach können sie in dem toxischen Umfeld überleben. Klar wäre es schön, wenn unsere Gesellschaft andere Strukturen hätte, aber irgendwo müssen wir auch anfangen. Wenn Schuleinheiten öfter in der Natur stattfinden würden, könnte das nicht nur Empathie zwischen den Kindern fördern, sondern auch zu ihrer Umwelt. © Empathie macht Schule 76 Good News Magazin 

„Mit Bio-Landbau Frieden schaffen“ Gemüse statt Gewehre Wie ein philippinischer Bürgermeister mit biologischer Landwirtschaft einen kriegerischen Konflikt löste und Frieden und Wohlstand geschaffen hat. Wo vorher ein erbitterter Bürgerkrieg stattfand, gibt es nun keine Armut und fast keine Kriminalität mehr. Was ein philippinischer Bürgermeister in der 27 000-Einwohner-Stadt Kauswagan mit ihren 13 Barangays (Dörfern) auf die Beine stellte, sucht seinesgleichen (und wird es wohl nicht finden) . Das Beispiel dieser Region bietet nicht nur Lösungen für weltweite essenzielle gesellschaftliche Herausforderungen. Es zeigt auch, dass die Ursache für kriegerische Konflikte oft ganz woanders liegen, als es oberflächlich erscheint. Bernward Geier Initiator und Mastermind dieser märchenhaft anmu- tenden Erfolgsstory ist Mayor (Bürgermeister) Rom- mel C. Arnado. Er ist ein großer Visionär, erfolgrei- cher Geschäftsmann und pragmatischer Macher, der 28 Jahre mit seiner Familie in den USA gelebt hat und bei einem Besuch in der Heimat desolate Verhältnisse vorfand. Ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg zwischen islamischen Rebellen und Regierungstruppen hatte in der Provinz Lanao del Norte und speziell in Kauswa- gan sein Epizentrum. Als Rebellen der Moro-Islamic Liberation Front (MILF) die Stadt besetzten und 300 Geiseln nahmen, kam der philippinische Präsident persönlich nach Kauswagan und erklärte der MILF wortwörtlich „den totalen Krieg“. Das brachte natür- lich keinen Frieden, sondern nur eine Fortsetzung des gewalttätigen Konfliktes und des Mordens. 78 Good News Magazin 

Bildung ist die Grundlage für die Entwicklung Enorme Fortschritte gab es auch im Bereich der Al- phabetisierung. Dafür wurde Kauswagan bereits vier- mal mit dem nationalen Preis für Bildung ausgezeich- net. Das auch auf den Philippinen gravierende Dro- gensuchtproblem bekam der Bürgermeister ebenfalls weitgehend in den Griff. Zum einen steht Drogenkon- sum in engem Zusammenhang mit Armut und zum anderen hat er mit dem „Balay Silangan Center“ ein weit über die Grenzen von Kauswagan hinaus be- kanntes Rehabilitationszentrum geschaffen, dank dem auch Menschen aus anderen Städten und Pro- vinzen eine Entzugstherapiestätte mit kostenfreier Behandlung finden. Mittlerweile gibt es in Kauswa- gan auch so gut wie keine Kriminalität mehr. Ohne die Visionskraft, den Mut, die Klugheit und den gelebten Humanismus von Bürgermeister Rommel Arnado wäre dieses „Wunder von Kauswagan“ nicht denkbar. Er selbst lässt aber keinen Zweifel daran, dass das alles nicht nur ihm zu verdanken ist, sondern nur möglich war, weil sich Menschen mit einem ge- meinsamen Traum von Frieden zusammenfanden. Die Erfolgsgeschichte von Kauswagan hat demnach einen Vater und viele Eltern. Allen voran die Rebel- lenführer und die Barangay Captains (Ortsvorsteher) sowie das Stadtparlament und die Mitarbeiter der Kommunalverwaltung. Der Friedensprozess und die vorbildlich nachhaltige Entwicklung von Kauswagan hat auf den Philippinen und auch in Asien mittler- weile einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Jetzt ist die Zeit gekommen ist, dass sich die ganze Welt von „From Arms to Farms“ inspirieren lässt. Bürgermeis- ter Rommel Arnado wird vom 27. Juni bis zum 8. Juli für eine Vortragsreise nach Deutschland, Holland und in die Schweiz kommen. So bietet sich die Gelegen- heit, persönlich von Rommel Arnado mehr über diese motivierende Erfolgsgeschichte zu erfahren. Den Tourplan und weitere Informationen findet ihr unter www.rommelontour.org Bernward Geier im Interview mit Rommel C. Arnado Herr Arnado, als Sie 2010 Bürgermeister von Kaus- wagan wurden, standen Sie vor einer riesigen Her- ausforderung. Welche war das? Ich war anfangs ein absolutes politisches Greenhorn. Die Menschen in Kauswagan lebten in permanenter Angst und rannten oft sprichwörtlich um ihr Leben, denn unsere Region war damals das Epizentrum eines kriegerischen Konfliktes zwischen den separatisti- schen Guerillakriegern der Moro Islamic Liberation Front und Regierungstruppen. Es gab null Vertrauen in die lokale Regierung. Die zentrale Herausforderung war, Frieden und Ordnung herzustellen und den Wie- deraufbau zu organisieren. Was war die Ursache für die Gewalt und Zerstörung? Alle dachten religiöse und kulturelle Spannungen seien die Ursache des Konfliktes. Der Hauptgrund war aber die verzweifelte Lage der Bevölkerung aufgrund großer Armut. Das totale Versagen von Politik und Ver- waltung hatte sogar zu einer Hungerkatastrophe und diese wiederum zum Krieg geführt. Bernward Geier ist seit seiner frühesten Jugend engagierter Pazi- fist, Umweltaktivist und Pionier im ökologischen Landbau, Journalist, Buchautor & Filmemacher. Er war 18 Jahre Direktor des Weltdachverban- des für biologische Landwirtschaft (IFOAM – Organics International ) und lebt seit über 20 Jahren mit der Fami- lie auf einem Biohof im Bergischen Land. 80 Good News Magazin 

Frauen gegen Krieg und Unterdrückung Wie russische Wie russische Frauen für Frauen für Frieden Frieden kämpfen kämpfen Russische Frauen erheben mutig ihre Stimme gegen den Angriffskrieg sowie staatliche Repressionen und kämpfen gegen das Vergessenwerden Luca Kramarz Seit mehr als zwei Jahren führt Wladimir Putin einen fürchterlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mit jedem Tag erhöht sich die Anzahl der gefallenen Sol- daten und damit auch die Zahl der hinterlassenen Frauen und Kinder. Angesichts dieser Entwicklungen scheint es fast unmöglich zu sein, einen Lichtblick zu finden. Russische Frauenbewegungen ändern dies durch Aktionen des zivilen Ungehorsams. Mit Blumen, Koptüchern und Manifestos setzen sie sich für den Frieden ein und zeigen, dass die Stimmen gegen Russ- lands Angriffskrieg auch innerhalb des Landes und trotz aller Repressionen nicht zum Schweigen gebracht werden können. 82 Good News Magazin 

Ein dezentraler Kampf Nun mag man sich fragen, wie solche Gruppierungen im Zuge staatlicher Repressionen überhaupt bestehen bleiben können oder gar neu entstehen. Dies ist in den meisten Fällen ihrer Dezentralität und Anonymität zu verdanken. Betrachten wir das Beispiel der bereits ge- nannten FAS ein wenig genauer. Die FAS basiert inner- halb ihrer Strukturen auf einem feministischen Grund- gedanken. Als Ergebnis bestehen keine strengen Hier- archien und Autoritäten. Für jeden Ort können Akti- vistinnen somit ihren eigenen Ableger gründen. So ist eine lebendige Bewegung entstanden, die nicht zer- fällt, wenn man ihr die Führung nimmt – weil es keine zentrale Führung in diesem System gibt. Stattdessen werden die Beteiligten durch feste Wertvorstellungen miteinander vereint. Nach eigenen Angaben ist das Netzwerk der FAS mittlerweile in 23 Ländern sowie in allen Regionen Russlands aktiv. Wie diese Zahlen zei- gen, operiert eine beachtliche Anzahl der Wider- standskämpferinnen gezwungenermaßen aus dem Exil heraus. So geht die Co-Gründerin Daria Serenko in einem Interview mit dem Portal 7x7 Horizontal Rus- sia davon aus, dass sich die Aktivistinnen grob ge- schätzt zu gleichen Anteilen auf Russland und das Ausland verteilen. Diese Verstrickungen ins Ausland sorgen allerdings auch für Kritik an der FAS von anderen russischen fe- ministischen Bewegungen. Sie werfen der FAS vor, dass viele ihrer bekannten Repräsentantinnen im si- cheren Ausland leben und Preise für die Bewegung er- halten würden, während die in Russland aktiven Frauen hohe Strafen und Inhaftierungen riskieren. Wie hoch die Strafen dabei ausfallen können, zeigt der Fall der russischen Künstlerin Aleksandra Skochilenko. Sie ersetzte in einem russischen Supermarkt Preis- schilder durch Informationen über das Massaker von Butscha, welches durch seine Brutalität weltweit als Symbol für russische Kriegsverbrechen gilt. Als Reak- tion verurteilte ein Gericht in Sankt Petersburg die 33-Jährige im November 2023 zu sieben Jahren Straf- lager. Erfreulicherweise wurde Aleksandra Skochi- lenko im Rahmen eines Gefangenenaustausches am 1. August 2024 vorzeitig freigelassen. Dennoch gilt wei- terhin: Wer den Krieg öffentlich beim Namen nennt, riskiert eine Strafe von bis zu 15 Jahren Haft. Die Macht des Agentengesetzes Die FAS-Bewegung wird, wie viele andere kritische Stimmen, vom russischen Justizministerium als „aus- ländischer Agent“ eingestuft. Aber was bedeutet diese Einstufung? Das russische Agentengesetz, auch bekannt als „Ge- setz über ausländische Agent:innen“, wurde 2012 ver- abschiedet. Es verpflichtet Organisationen, Medien oder auch Einzelpersonen, die finanzielle Unterstüt- zung aus dem Ausland erhalten und politisch aktiv sind, sich als ausländische Agent:innen zu registrieren. Ihre Veröffentlichungen müssen dementsprechend ge- kennzeichnet werden und sie unterliegen einer stren- gen staatlichen Kontrolle. Das Gesetz wurde seitdem mehrfach angepasst, um den Spielraum der Definition zu erweitern. So reicht seit einer Verschärfung im Jahr 2022 allein die „Beeinflussung aus dem Ausland“ aus. Darunter kann fast alles fallen, so wurde beispielsweise eine unabhängige Wahlbeobachtungsorganisation aufgrund einer Spende eines vermeintlich ausländi- schen Staatsangehörigen als ausländischer Agent ein- gestuft – in Höhe von weniger als drei Euro. Das Ge- setz wird damit oft genutzt, um oppositionelle Stim- men und unabhängige Bewegungen zu überwachen und einzuschränken. Die Liste mit den Personalien der „ausländischen Agenten“ wird veröffentlicht und ent- hält personenbezogene Daten wie Geburtsdaten, Wohnadressen und Links zu Profilen in den sozialen Netzwerken. Viele Organisationen sehen sich auf- grund dieses Gesetzes gezwungen, ihre Aktivitäten stark einzuschränken oder gar einzustellen. Auch des- halb nennen Aktivistinnen in Interviews nie ihren Na- men oder die Namen ihrer Familienangehörigen. Vor Kurzem äußerte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und erklärte diese Eingriffe für willkürlich und missbräuchlich. Da Russland die Entscheidungen des Gerichtshofs allerdings nicht an- erkennt, dürften die Auswirkungen dieses Urteils lei- der begrenzt sein. Aufgrund dieser Repressionen müssen die Aktivistin- nen der jeweiligen Organisationen neue Formen des Widerstandes erfinden. Sie veranstalten heimliche Treffen unter dem Vorwand, gemeinsam zu nähen oder Filme zu schauen. Zudem gibt es Versammlungen vor politischen Gerichtsverhandlungen, Abende, an denen gemeinsam Briefe für politische Gefangene verfasst werden, sowie psychologische Unterstützung für Akti- vistinnen. Bei diesem eigens gegründeten psychologi- schen Unterstützungssystem sind bereits mehr als 1.000 Anfragen eingegangen. 84 Good News Magazin 

Sport in Köln Kalk verändert das Miteinander Fußball für den Frieden Gemeinsamer Sport hat enormes Potenzial für ein friedvolles Zusammen- leben – er setzt auf individueller Ebene und auch auf kollektiver Ebene an. Wir waren zu Besuch beim ersten und einzigen Frauenteam des SC Borus- sia 05 in Köln-Kalk und sprachen mit Trainerin Carolina Graef Alarcón. Lucia Oiro Ein wahres Weihnachtsmärchen Im ersten Weltkrieg in der Weihnachtsnacht 1914 ge- schah etwas Außergewöhnliches: Deutsche und briti- sche Soldaten legten nahe Ypern (Belgien) ihre Waffen nieder. Statt Schüssen erklang „Stille Nacht“ aus den deutschen Gräben, worauf die Briten mit eigenen Weih- nachtsliedern antworteten. In der eisigen Kälte wagte schließlich ein deutscher Sol- dat, „Komm, Tommy, steh auf!“ zu rufen. Zögernd ka- men die Soldaten aus den Schützengräben und begeg- neten einander – zuerst misstrauisch, dann erstaunt und erleichtert. Feinde lachten, scherzten und tauschten kleine Geschenke. Ein improvisiertes Fußballspiel be- gann: Die Deutschen gewannen 3:2. Der inoffizielle Waffenstillstand erstreckte sich über zwei Meilen der Front. Gemeinsam bestatteten sie ihre Gefallenen und versprachen sich, ohne Vorwarnung nicht erneut zu schießen. Bis ins neue Jahr hielt diese friedliche Stille an, doch die Kommandos stoppten bald jede weitere Verbrüderung. Für einen kurzen Moment jedoch triumphierte die Menschlichkeit über die Schre- cken des Krieges – ein strahlender Augenblick inmitten eines dunklen Konflikts. Sport für mehr Miteinander Was wie ein Weihnachtsmärchen klingt, soll sich tat- sächlich so zugetragen haben und in besonderer Erin- nerung blieb vor allem das gemeinsame Fußballspiel. Immer wieder in der Geschichte können wir erleben, welche Kraft der Sport hat. Dies konnten wir auch vor Kurzem bei unserem Besuch der ersten Frauenmannschaft in Köln Kalk erleben. Das Veedel (Kölsch für Viertel) Kalk ist ein wahrer Melting- pot. Nach dem zweiten Weltkrieg waren Wohnungen in der Nähe der Fabriken in Kalk besonders preiswert und daher für Gastarbeiter:innen attraktiv. Nach zahlrei- chen Schließungen sind heute viele Familien, fast ein Viertel der Bewohner:innen, von Arbeitslosigkeit be- troffen. In Köln ist Kalk außerdem das bevölkerungs- stärkste Gebiet. Auf einem km² leben 8210 Menschen. Beim Sport können die jungen Frauen Dampf ablassen und auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, das sie zu- sammenschweißt, auch wenn nicht alle befreundet sind. „Viele ihrer Familien stammen aus Ländern, die mitein- ander Konflikte haben“, erklärt Graef Alarcón. Auf dem Spielfeld zählen diese Konflikte nicht. „Die Mädchen lernen, miteinander auszukommen. Hier sind sie alle gleich. Das ist die Kraft des Sports.“ 86 Good News Magazin 

o d Story Good Fo Cuisine sans Frontières bittet Konfliktparteien zu Tisch Frieden schaffen mit Reis und Bohnen Alles begann mit einer Mahlzeit für Kinder im kolumbiani- schenBürgerkrieg. Zwanzig Jahre später haben David Höner und seine Cuisine sans frontières in den größten Krisenregio- nen weltweit Wirtshäuser, Restaurants und haushaltswirt- schaftliche Ausbildungsstätten errichtet, die Begegnung und gewaltfreien Austausch fördern. Florian Vitello m o c . s o t o h p t i s o p e d - 9 0 0 3 n o i t i w o K : k fi a r G 88 Good News Magazin 

VITELLO: Das Ziel ist zweifelsohne ambitioniert, aber warum naiv, wenn es funktioniert hat? HÖNER: Es hat funktioniert, aber nicht so, wie wir uns das blauäugig vorgestellt hatten. Zuallererst brauchten wir einen Kontakt vor Ort. Ich hatte das enorme Glück, noch in Kolumbien die großartige Claudia Quartas, da- mals Bürgermeisterin von Apartaló, kennengelernt zu haben. Sie war überzeugt, sollte das Unterfangen ge- lingen, müssten wir in einer kleinen Friedensgemein- schaft namens San Josecito beginnen. (Ein mit Frie- denspreisen prämiertes Dorf, das sich 1997 der Ge- waltfreiheit verschrieb: Waffen werden nicht geduldet, Alkohol im Dorf ist verboten, und es werden keine In- formationen an bewaffnete Gruppen weitergegeben). Claudia Quartas hat uns dann vermittelt. Zweitens war unsere ursprüngliche Idee, ein Restaurant zu errichten, in dem wir das Essen gegen einen kleinen Beitrag abgeben. Wir haben aber sofort gemerkt, dass die Leute wirklich praktisch gar kein Geld hatten. Und dann haben wir begonnen, uns mit dem Dorfrat zu be- raten, der uns am Anfang sehr misstrauisch gegenüber- stand. Die wussten natürlich nicht genau, was wir eigentlich wollen. Aus der anfänglichen Skepsis ist aber sehr schnell ein Vertrauensverhältnis entstanden. VITELLO: Bei Cuisine sans Frontières steht bis heute auf der Website, wer ein Projekt vorschlagen will, muss passende lokale Partner mitbringen. Damit habt ihr euch schon früh bewusst von postkolonial geprägten Strukturen gelöst, in denen westliche Geldgeber allein über die Verwendung von Hilfsmit- teln bestimmen. Wie findet ihr den Zugang zu enga- gierten, verlässlichen Menschen oder Organisatio- nen vor Ort? HÖNER: Ganz oft sind es die Kinder. Im ersten Projekt war das auch so. Wir sind damals zu dritt auf eigene Kosten nach San Josecito. Im Gepäck hatten wir 16.000 Schweizer Franken Jahresbudget, die wir bei Freunden und Familie als Spenden eingesammelt hatten. Die ha- ben wir direkt eingesetzt, um eine kleine Schulküche zu bauen. Denn es gab dort viele Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, und um die sich die Gemeinschaft ge- kümmert hat. Für die haben wir dann Mittagessen ge- kocht. Im nächsten Schritt haben wir die Küche auch abends für die Erwachsenen geöffnet. Das Abendessen haben wir aus ganz bescheidenen Sachen gemacht, also wie in Kolumbien üblich, aus Reis und Bohnen, Mais oder ein bisschen Fleisch, wenn es welches gab. Wir haben bewusst nicht unsere Küche dahin getragen, sondern mit lokalen Produkten gearbeitet. Das kam wahnsinnig gut an, weil die Leute unter Dauerstress gearbeitet haben. Die wenigen Felder, die sie noch hat- ten, waren zum Teil vermint; die Produktion reichte nicht, um ihre Familien zu ernähren, und genügend Geld zum Einkaufen war auch nichtda. In dem Dorf lebten damals etwa 80 Familien. Und da konnten wir mit unserem Abendessen ein bisschen helfen. VITELLO: Haben die Menschen das Angebot angenommen? HÖNER: Ja, sie wussten schließlich, dass wir auch für die Kinder kochen. Wir haben die Gemeinschaftskü- che dann um 17 Uhr geöffnet und erst um 20.30 Uhr wieder geschlossen, denn die Leute kamen zu einem richtigen Treff zusammen. Daraus ist dann mit der Zeit ein echtes kleines Dorfrestaurant oder eine Dorfkneipe entstanden. Das hat uns bestätigt, dass unser Konzept funktioniert. 90 Good News Magazin 

VITELLO: In der Schweiz wurde beim Spendensam- meln erfolgreich kulinarisch experimentiert. Warum habt ihr das in den Projekten, für die die Spenden gedacht waren, aber bewusst vermieden? HÖNER: Weil ein ganz wichtiger Bestandteil der Arbeit, um über Essen Frieden zu schaffen, darin be- steht, sich an die Essgewohnheiten der Menschen an- zupassen. Da gilt das alte Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“. Wenn ich jetzt mit meiner internationalen Ausbildung als Koch in der Schweiz oder in Deutschland den Brasilianer:innen Köstlich- keiten der internationalen Gastronomie auf den Teller bringe, sind die Menschen skeptisch und überfordert. Sie wünschen sich stattdessen eine Feijoada, einen Bohneneintopf. Wenn das Nationalgericht komplett, also in der reichhaltigsten und aufwendigsten Variante zubereitet wird, werden traditionell Trockenfleisch, Räucherwürstchen, Zunge, Schweineohren und -füße, Nelken, Lorbeer, ganze schwarze Pfefferkörner, Knoblauch und Zwiebeln zusammen ein- gekocht; dazu werden Reis, Blattkohl, Orangenschei- ben, geröstetes Maniokmehl und eine Pfeffersoße ge- reicht. Für die Menschen ist das ein absolutes Festessen. Das kann man sich aber gar nicht jeden Tag leisten. Darum arbeitest du dann viel mit Bohnen und Reis oder Fladen aus Maisbrei. Eben mit dem, was die Leute lieben und täglich essen. Wir haben anfangs fünf Tage die Woche traditionell gekocht und zwei Tage ver- sucht, unsere Kochkunst anzubieten. Das hat nicht funktioniert. Das wollte niemand. Außer bei Pizza. Pizza funktioniert immer. Sei es in der Wüste, im Re- genwald oder auf einer Mittelmeerinsel. VITELLO: Woran liegt das, dass die Menschen et- was, was sie noch nicht kennen, nicht annehmen? HÖNER: Essen ist nicht nur Hungerbefriedigung. Es- sen ist ein Kulturgut und nicht zuletzt Identität. Ich bin selber in der Schweiz auf dem Land mit ganz bestimm- ten Fruchtkuchen aufgewachsen, die kamen aus der Region. Unser Essen war oft noch so, wie es sein sollte: Regional und saisonal. Man wird dann auch stolz auf seine eigenen Spezialitäten und freut sich darüber. Wenn ich meinen Nachbarn sage, sie sollen jetzt Glas- nudeln mit geschnittenem Chinakohl essen, dann leh- nen sie das auch dankend ab. In den Projekten der Cuisine sans Frontières geht es nicht darum, Menschen das Kochen beizubringen, das können sie selber. Aber, das hat sich von Projekt zu Projekt gezeigt: Die Menschen dabei zu unterstützen, das Eigene anzubieten – sich zu organisieren, sodass keine Lebensmittel verloren gehen, Wochenpläne zu erstellen, Resteverwertung, das sind die ersten und wichtigsten Ausbildungsschritte, um ein Projekt auch wieder zu übergeben und Frieden durch Küchendiplo- matie möglich zu machen. VITELLO: Die Tage erst ist es wieder soweit, dann zieht ihr euch aus eurem Projekt im Northwest Rift Valley in Kenia zurück. Wie hat euer Einsatz dort begonnen? HÖNER: Im Northwest Rift Valley gibt es seit langer Zeit immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der Pokot und der Turkana, zweier großer ethnischer Gruppen. Mit den heutigen Kriegen im Su- dan und in Uganda wurde eine Straße, die sich durch das Turkana-County zieht, zu einer Nachschubroute für Waffen und Güter aus Mombasa und die Rivalität der Pokot und Turkana wurde von den jeweiligen Kriegsseiten instrumentalisiert. Dadurch wurde der Konflikt noch gewalttätiger, denn es standen auf ein- mal Waffen zur Verfügung. ! Bereits vor der Kolonialzeit kam es zwischen den Pokot und den Turkana zu Auseinandersetzungen um den Zu- gang zu natürlichen Ressourcen. Durch das koloniale Eingreifen wurde zum einen der Zugang zu Land regle- mentiert, was in klimatischen Bedingungen, die ein Umher ziehen für Weidegründe erfordern, Konflikte in der Lokalbevölkerung verschärfte. Zum anderen wurden die Pokot und Turkana von der britischen Kolonialmacht un- zutreffenderweise als zwei verfeindete Gruppen darge- stellt, die sich in konstanter Rivalität befinden – und dieses Narrativ ausgenutzt, um die britische Kolonialherrschaft zu sichern. Noch bis ins 21. Jahrhundert wurden außerdem die Führer:innen beider Gruppen nach dem Vorbild der Kolonialherrschaft von der Regierung ausgewählt. Da- durch war es für die Angehörigen beider Gruppen viel schwieriger, niedrigschwellige Lösungen für Konflikte zu finden. Trotzdem bemühen sich Angehörige der Pokot und der Turkana um Friedensverhandlungen. Erst im Oktober 2024 trafen sich führende Vertreter :innen beider Gruppen und machten deutlich, dass sie diese Spaltung und Grenz- ziehung zwischen ihren Gemeinschaften ablehnen und in Zukunft eng zusammenarbeiten wollen – zum einen, was den Handel angeht, aber vor allem auch, um ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. 92 Good News Magazin 

FRIEDE, FREUDE, FEIJOADA Das brasilianische Nationalgericht eignet sich perfekt für die kalten Tage. Als veggi-Variante mit Seitan und Hülsenfrüchten erfüllt der klassi- sche Bohneneintopf nicht nur die Kriterien eines für Mensch und Erde gesunden Speiseplans laut Planetary Health Diet, sondern versorgt vegan bzw. vegetarisch lebende Menschen zusätzlich mit viel Protein einschließlich der essentiellen Aminosäure Lysin. Zutaten Für den Eintopf: • 500 g schwarze Bohnen (getrocknet, über Nacht eingeweicht) • 300 g marinierter Seitan, in Portionen ge- schnitten (statt Schweinerippchen) • 200 g Pilze oder geräucherte Aubergine (statt „Carne Seca“), in Stücke geschnitten • 200 g Räuchertofu (statt z. B. Chorizo oder Lin- guiça), in Scheiben geschnitten • 100 g Vegane Brotzeit nach Landjäger-Art oder +100g Räuchertofu (statt geräuchertem Speck), in Würfel geschnitten • 2 Lorbeerblätter • 1 große Zwiebel, fein gehackt • 4 Knoblauchzehen, gehackt • Salz, Pfeffer, Kreuzkümmel nach Geschmack • 2 l Brühe Für die Beilagen: • Weißer Reis • Sautierte Grünkohlblätter (mit Knoblauch und Butter bzw. Albaöl) • Orangenscheiben • Farofa (geröstetes Maniokmehl mit Butter bzw. Albaöl und Zwiebeln) Dafür Fett in einer großen Pfanne bei mittlerer Hitze schmelzen. Zwiebeln darin glasig anbraten. Das Maniokmehl hinzu- fügen und unter ständigem Rühren etwa 5 Minu- ten rösten, bis es leicht goldbraun ist. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. 94 Good News Magazin Zubereitung • Vorbereitung: Die Bohnen nach dem Einweichen ab- spülen und beiseite stellen. Alle salzigen Zutaten bei Bedarf vor dem Kochen wässern, um überschüssiges Salz zu entfernen. • Anbraten: Seitan, Gemüse, Räuchertofu und Landjä- ger in einem großen Topf scharf anbraten. Herausneh- men und beiseitestellen. • Würze hinzufügen: In demselben Topf Zwiebeln und Knoblauch anschwitzen, bis sie weich sind. • Eintopf kochen: Die Bohnen, alles Angebratene, Lor- beerblätter und Gewürze in den Topf geben. Mit Brühe auffüllen, bis alles bedeckt ist. Zum Kochen bringen, dann die Hitze reduzieren und 2-3 Stunden köcheln lassen, bis die Bohnen weich sind. Bei Bedarf Wasser nachgießen. • Abschmecken: Vor dem Servieren mit Salz und Pfef- fer abschmecken. • Servieren: Auf einem Teller mit den Beilagen Reis, Grünkohl, Farofa und Orangenscheiben anrichten. Gute n App etit ! m o c . s o t o h p t i s o p e d - r p p o g o d i : d l i B 

542 Bäume gepflanzt 3.758 kg Plastik aus Flüssen gefischt über 2000 zufriedene Mitglieder Das Good News Magazin im Abo www.goodnews-magazin.de/abo Print Digital Premium Karma (Fördermit- gliedschaft) 4 Mal GNM-Printmagazin pro Jahr mit besonderen Formaten, die es nur gedruckt gibt Klimaneutral auf 100 % Recyclingpapier mit Bio-Farben und Ökostrom gedruckt L Zugang zu den digitalen, exklusiven Artikeln aus dem Printmagazin + Audio der vorgelesenen Artikel Zugang zu digitalen, exklusiven GNM+ Artikeln Keine Werbebanner auf der Website Mitglieder Newsletter Digitale Gastzugänge zu GNM+ Artikeln (zusätzlich zu deinem Zugang) Du finanzierst ein Digital-Abo für eine Person, die sich derzeit kein Abo leisten kann und unterstützt unsere Arbeit besonders großzügig L L L L Plastik aus Flüssen holen in kg pro Jahr 1 1 L L L L L 1 3 L L L L L 2 L 5 Preis pro Jahr 33,00 € DE 43,20 € Int. 52,80 € 79,20 € DE 90,00 € Int. 144,00 € Unterstütze die Vision, ermögliche unabhängigen Journalismus und werde Teil einer positiven Bewegung! Herausgeber und V.i.S.d.P. Good News Magazin Einzelunternehmen von David Gaedt Klistostraße 35 14165 Berlin Deutschland Chefredaktion Lucia Oiro stellv. Chefredaktion Luisa Vogt Coverillustration Tanja Pracht Ein besonderer Dank geht an Susanne Lehmann, die Initiative Männer gegen Rechts, Lea Baroudi, Samah Salaime, Ulla Philipps-Heck, Nischal Sanghavi, Uwe Srp, Johanna Etzold, Bernward Geier, Toxicómano Callejero, David Höner, Carolina Graef Alarcón Lust in der Redaktion mitzumachen? Melde dich bei [email protected] Redaktion Antonia Scheurer, André Latz, Luca Kramarz, Lara Dehari, Rebecca Wolfer, Florian Vitello, Anni Malter, Gabi Finck, Nils Kumar, Andreas Renner, Mara Betjemann Layout Tanja Pracht, Yannic Giss, Jasmin Herrmann, Xiomara Wunderlich Anzeigenverwaltung David Gaedt [email protected] Kontaktmöglichkeiten Abo-Service: [email protected] redaktionelle Anliegen: [email protected] Allgemeine Anliegen [email protected] Website: www.goodnews-magazin.de Bestellung und Vertrieb für Einzelhandel Nova MD GmbH, Vachendorf Fließtextschrift Arizona Text von DINAMO® Druckerei dieUmweltDruckerei GmbH Lavesstraße 3 30159 Hannover Klimaneutral gedruckt mit Bio-Farben auf 100 % Recyclingpapier. www.dieUmweltDruckerei.de 

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