“Lösungen schaffen statt über Probleme zu reden”

das ist ein GNM+ ArtikelSagithjan Surendra lebt Ehrenamt – und inspiriert andere dazu, sich einzusetzen.

von | 29. März, 2023

Mit gerade 24 Jahren hat Sagithjan Surendra bereits erfolgreich zwei Institutionen gegründet, die sich für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen. Im Gespräch erklärt er, was ihn antreibt.

Sagithjan Surendra ist Gründer des Aelius Förderwerks und des Social Start-Up Diginary sowie Träger von Titeln wie Top Talent Under 25 oder Student des Jahres, um nur einige zu nennen. Sein Lebensmotto, erklärt er mir scherzhaft, könnte man wohl ungefähr zusammenfassen als “einfach mal machen”. Also macht er einfach – Bildung gerechter und Ehrenamt digital. Und zeigt uns, dass wir alle etwas zurückgeben können.

Wer ist Sagithjan Surendra?

Wenn man sich vor Augen führt, was Sagithjan Surendra in jungen Jahren schon alles erreicht hat, könnte man sich beinahe von ihm eingeschüchtert fühlen. Doch nur beinahe, denn der junge Mann, der mir online gegenübersitzt, ist unglaublich nahbar. Seine Leidenschaft ist sofort ansteckend, seine Projekte vermittelt er mit Eloquenz und Leichtigkeit. Als ich ihn zum Einstieg mit ernster Miene frage, “Wer ist Sagithjan Surendra?”, muss er lachen. 

“Puh, das ist ja eine sehr philosophische Frage”, sagt  er, bevor er nach kurzer Überlegung ergänzt: “Ich würde sagen, ich bin jemand, der sehr gerne Lösungen schafft, statt immer nur über Probleme zu reden”. 

Die Motivation, etwas zum Positiven verändern zu wollen, war es auch, die ihn an das Gründen herangeführt hat. Schnell machte er die Erfahrung, in jungen Jahren bereits etwas schaffen und beitragen zu können. Dieses bestärkende Gefühl will er nun weitergeben und gerade diejenigen ermutigen, die im System sonst häufig auf Hürden stoßen. Wie das ist, hat er selbst erlebt.

Was bestimmt den Bildungsweg? 

“Mein eigener Bildungsweg ist auf dem Papier super geradlinig: Grundschule, Gymnasium, Abitur, Studium. Aber was mich in meiner Schulzeit geprägt hat, sind die ganzen Dinge, die man nicht auf dem Lebenslauf sieht.” 

Sagithjan ist das Kind tamilischer Einwanderer, seine Eltern flohen kurz vor seiner Geburt vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka nach Nürnberg. Hier wollten sie ihren Kindern die besten Chancen für die Zukunft ermöglichen. “Meine Eltern haben mich immer in allem ermutigt”, berichtet Sagithjan. Dennoch, schulisch konnten sie ihn schon früh nicht mehr unterstützen, sei es bei den Hausaufgaben oder der Entscheidung, ob er aufs Gymnasium gehen sollte.

Sein Vater verdiente als Staplerfahrer für ein Großhandelsunternehmen kaum genug für die vierköpfige Familie. Die knappen Finanzen entschieden nicht nur über die Teilhabe an der nächsten Klassenfahrt, sondern bestimmten auch das Sozialleben, den Sportverein und die Freizeitaktivitäten. “Letztendlich entscheidet das, welchen Zugang man zur gesellschaftlichen Teilhabe hat”, erklärt Sagithjan.

“Mit der Entscheidung, Abitur zu machen, war ich allein” 

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Dadurch, dass er in einem gut situierten Stadtteil Nürnbergs zur Schule ging, wuchs er in zwei verschiedenen Lebenswelten auf: Im schulischen Umfeld war er fast ausschließlich von Kindern aus Akademiker:innenfamilien umgeben, die selbstverständlich Abitur machten und studierten. In seinem persönlichen Umfeld “war ich mit der Entscheidung, Abitur zu machen, immer allein”, berichtet Sagithjan. Der Übergang ins Studium entpuppte sich deshalb als eine “krasse Parallelwelterfahrung”. Für seine Kommiliton:innen war das Studieren normal, ja, wurde sogar erwartet und die Frage der Studienfinanzierung spielte selten eine Rolle. 

“Es ist eine Seltenheit und nahezu ein Privileg, dass ich einen solchen Bildungsweg aufweisen kann”

Sagithjan Surendra

Seine Sonderstellung im Familien- und Freundeskreis schärfte Sagithjans Verständnis für die Wirkmacht äußerer Faktoren auf die individuellen Möglichkeiten im Bildungssystem. Er selbst hatte Glück, wurde als Jugendlicher in das Schülerstipendienprogramm “Talent im Land – Bayern” aufgenommen und ist auch heute Tripel-Stipendiat. Doch er ist sich nur allzu bewusst, dass sein Bildungsweg trotz aller Chancen und Möglichkeiten eine Seltenheit ist. 

Um das zu ändern, wollte er anderen Menschen aus ähnlichen Umständen und mit ähnlichen Biografien dieselbe Unterstützung ermöglichen, die er selbst erfahren durfte. Seine Idee: ein Fördernetzwerk nach dem Modell der großen Stiftungen, das aber deutlich früher ansetzt – ein Schüler:innenstipendienprogramm unter Bundesförderung. 2017 entstand so Aelius, bei der Gründung war Sagithjan gerade 18 Jahre alt. 

Am Anfang stehen jugendliche Naivität und Pfandflaschen

“Keine Ahnung, was mich damals geritten hat.” Sagithjan grinst verschmitzt. Im Nachhinein, “ganz viel jugendliche Naivität vermutlich. Aber ich dachte mir, was es nicht gibt, kann man ja schaffen.” So trommelte er im Freundeskreis die sieben Leute zusammen, die für eine Vereinsgründung notwendig waren. Den Mitgliedsbeitrag bestimmten sie für Studierende angemessen: Zehn Pfandflaschen im Monat für Aelius, daran hat sich bis heute nichts geändert. 

Abgesehen vom Kostenmodell jedoch hat sich alles rasant weiterentwickelt. Heute ist Aelius eine wahre Erfolgsgeschichte. Der Verein hat sechs hauptamtliche und über 200 ehrenamtliche Mitarbeiter:innen und ist über den Gründungsstandort München hinaus zu einer bundesweiten Organisation gewachsen. Auch das Programm hat sich erweitert: Neben Workshops bietet Aelius ein Beratungsangebot zu Fragen wie Freiwilligenarbeit, Studienfinanzierung oder Praktikumsbewerbungen. Der Kern des Programms ist für Sagithjan jedoch unbestritten das Mentoringprogramm Dialog Chancen

“Unsere Mentor:innen sind vertrauensvolle Ansprechperson, Wegbegleitung, aber vor allem Mutmacher”

Sagithjan Surendra

Das Programm richtet sich an benachteiligte Kinder und Jugendliche ab 13 Jahren. Sie erhalten mit ihrer Teilnahme bei Dialog Chancen eine:n Mentor:in, der oder die sie bis zum Ende ihrer Schulzeit begleitet. Die Mentor:innen sind Menschen aus verschiedensten Bereichen, von Bundesabgeordneten über Studierende bis hin zu Model Sara Nuru. Ganz egal, welchen Hintergrund sie mitbringen, wichtig ist, dass sie den Jugendlichen – ihren Mentees – in einer Zeit, in der sich viel verändert und viele Fragen aufkommen, zur Seite stehen. Diese individuelle Unterstützung zu geben, wo sie Lehrkräfte und Eltern oft nicht leisten können, ist unglaublich wichtig, betont Sagithjan.

Sonden basteln und die eigene DNA zerlegen: Bestärkung durch gemeinsame Erfahrungen

Wer für das Mentoringprogramm infrage kommt, wird anhand von finanziellen und sozialen Faktoren, aber auch Einzelschicksalen bestimmt. Viele der Jugendlichen vereint “das begleitende Gefühl, nicht gehört oder gesehen zu werden, weil man mit seiner Geschichte oft alleine dasteht”. Bei Aelius machen sie die Erfahrung, Teil einer Gruppe von Menschen zu sein, “die ähnliche Herausforderungen haben und trotzdem ihren Weg gehen oder die schon einen Schritt weiter sind, als ich und auf deren Erfahrungen ich zurückblicken kann.”

“Wir bieten für die Jugendlichen einen enorm wichtigen Safe Space, weil sie hier mit Menschen zusammen sind, die ähnliche Erfahrungen und gemeinsame Biografien teilen, und weil wir viel Wert auf Reflektionsprozesse legen.”

Sagithjan Surendra

Gemeinsame Aktionen beispielsweise bei Wochenendworkshops oder im Sommercamp sind darum wichtiger Teil des Förderprogramms, die Inhalte richten sich dabei nach den Wünschen der Mentees. Vom Besuch im DNA-Labor bis zum Flugexperiment mit Sonde und Heliumballon, um die Erdkrümmung zu fotografieren, war bisher alles dabei, als nächstes steht ein Besuch der Osterfestspiele in Baden-Baden an.

Bildungsgerechtigkeit bedeutet gesellschaftliche Teilhabe 

Für Sagithjan sind solche Maßnahmen essentiell. Denn auch wenn es wichtig ist, dass die Zahl der Kinder aus sogenannten Nichtakademikerfamilien an den Unis steigt, “was Bildungsgerechtigkeit eigentlich ausmacht, ist der Zugang zu kultureller Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe”. 

Genau das fehlt ihm an den Schulen. Dort wurde nach dem PISA-Debakel zwar das allgemeine Leistungsniveau angehoben, zielgerichtete Maßnahmen für benachteiligte Kinder und Jugendliche jedoch gibt es nicht. Sein Vorschlag: mehr Kulturangebote schaffen, zivilgesellschaftliche Akteur:innen einbinden und Maßnahmen mit bewiesener Wirkung wie Mentoring deutlich fördern. Schule könne das nicht alles alleine leisten, wohl aber den Raum dafür stellen. Eine große Chance sieht er darum im Konzept Ganztagsschule, das bundesweit immer mehr an Zustimmung gewinnt.

Gleichzeitig müsse man, “so ausgelutscht es klingt”, Schule neu denken. Weg von dem Bild der geborenen Akademiker:innen kommen und die Jugendlichen vielmehr darin bestärken, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Sowohl, was ihre Berufs- und Bildungsperspektiven angeht, als auch ihren Platz in der Gesellschaft. 

Etwas zurückgeben, unabhängig vom Background

Sagithjan wünscht sich, dass die Jugendlichen die Erfahrung machen dürfen, die er selbst erlebt hat und die ihn bis heute vorantreibt: “zu merken, dass unabhängig davon welche Karriere und welchen Background du hast, du immer in einer Position stehst wo du jemand anderem etwas zurückgeben kannst oder jemand anderen auf deinen Weg mitnehmen kannst.” Sein größter Erfolg ist für ihn, dass Aelius sich dieser Kern-DNA treu geblieben ist und heute Jugendliche fördert, die sich durch das Mentoring motiviert sehen, selbst ein Ehrenamt oder eine andere Form des Engagements zu ergreifen.

So wie bei einem der aktuell jüngsten Mentees, Thang. Er kam über Aelius erstmals in Kontakt mit vielen Menschen, die sich ehrenamtlich engagierten. “Dass so viele Menschen für kein Geld so viel tun, war für ihn neu. Das fand er schön und dann hat er uns erzählt, dass er sich bei der Tafel bei sich zuhause als Ehrenamtlicher eingetragen hat”, berichtet Sagithjan und Stolz schwingt in seiner Stimme mit, als er ergänzt: “er ist 14 und hat nach einem halben Jahr schon so viel erreicht”. 

Lernen, Verantwortung für andere Menschen zu tragen

Trotz all der bestätigenden Erfahrungen: leicht ist es oft nicht, eine so junge Führungskraft zu sein, berichtet Sagithjan. Gerade im Ehrenamt gebe es sehr wenige Menschen, die eine solche Verantwortung tragen. Zudem fehle es an Anlaufstellen für die Fragen, die mit einer Leitungsposition einhergehen: Treffe ich die richtigen Entscheidungen? Wie nehme ich die Menschen mit? Wie partizipativ gestalte ich Entscheidungen? 

“Es ist wahnsinnig schwierig, Verantwortung für andere Menschen zu tragen”, gibt Sagithjan zu. “Es ist aber auch wahnsinnig spannend, weil jeder Tag eine enorme Lernkurve mit sich bringt”. Auf meine Frage, wie er mit dem Druck umgeht, reagiert er bescheiden: “all das wäre nicht möglich ohne ein sehr großartiges Team”. Mit der Zeit, meint er, lernt man zudem, Prozesse und auch Konsequenzen besser einzuordnen. Wichtig ist für ihn auch, eine Balance zu finden und außerhalb des Ehrenamtes Verantwortung abgeben zu können. Er zieht Energie aus kreativen Prozessen, beim Abtauchen in andere Welten aus Buch und Film, beim Handwerken oder Fotografieren. 

Ehrenamt zukunftsfähig machen

Diese Energie braucht Sagithjan auch, denn sein Engagement hört nicht bei Aelius auf. 2020 gründete er das Unternehmen Diginary, das Digitalisierungsberatung für Non-Profit Organisationen betreibt. Gerade im deutschen Non-Profit-Sektor fehlt seiner Erfahrung nach oft das Wissen, digitale Hilfsmittel einzusetzen. Indem er den Organisationen die vielen Möglichkeiten aufzeigt, durch digitale Unterstützung Abläufe zu automatisieren und Ressourcen zielgerichteter einzusetzen, will er “Ehrenamt zukunftsfähig machen”. 

Denn das Potenzial ist enorm: Ob neue Angebote wie online Krisen- oder Interventionsberatung, bessere Kommunikation und Datenaustausch, oder das Erreichen neuer und jüngerer Zielgruppen durch eine Social Media Präsenz – “es ist Wahnsinn, wie viel man da rausholen kann!”, schwärmt Sagithjan. 

Einfach mal machen

Nach zwei erfolgreichen Gründungen mit 24 Jahren stellt sich natürlich die Frage: Was steht als nächstes an? “Erstmal das Studium” lacht Sagithjan. Denn stimmt, neben seiner Tätigkeit als Vorstand von Aelius und Diginary macht das Multitalent gerade seinen Master in Molekularer Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. Das nächste große Projekt ist darum erst einmal die Masterarbeit. Und danach? 

Eines ist auf jeden Fall klar: “An Ideen mangelt es nicht”.

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Luisa Vogt

Luisa Vogt ist stellvertretende Print-Chefredakteurin beim Good News Magazin und liebt Sprachen, Reisen und das kennenlernen verschiedenster Kulturen. Beim Good News Magazin lebt sie ihre Leidenschaft für Sprache und für spannende, schöne Berichte aus aller Welt - weil die Welt viel mehr realistischen Idealismus braucht. Außerdem studiert sie nach ihrem Bachelor in Englisch und Französisch inzwischen im Master Asien- und Afrikastudien in Berlin und arbeitet als Lerntherapeutin.

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