„Das Leuchten des Alters"

das ist ein GNM+ ArtikelJohannes Bichmann fotografiert ehrenamtlich alte Menschen

von | 22. November, 2022

Mit seinem Projekt „Das Leuchten des Alters“ fängt der Fotograf Johannes Bichmann die Lebensfreude von Senior:innen ein.

Der 35-jährige Fotograf Johannes Bichmann arbeitet seit 11 Jahren ehrenamtlich für soziale Projekte. Damit möchte er Licht auf Menschen am Rande der Gesellschaft werfen, die ansonsten häufig vom sozialen Leben ausgeschlossen werden. Durch die Linse entlockt er ihnen ihre wahre Persönlichkeit, häufig begleitet von Grimassen.

In den vergangenen Jahren hat er auf diesem Wege bereits Ausstellungen für Altenheime organisiert, Bewerbungsbilder für Flüchtlinge geschossen, auf der Straße lebende homosexuelle Jugendliche fotografiert sowie mit behinderten Menschen zusammengearbeitet. Zuletzt kam die Caritas auf ihn zu, um gemeinsam für ein Altenheim an einer Ausstellung und einem Kalender zu arbeiten. Mittlerweile ist daraus ein Langzeitprojekt geworden. Die Möglichkeiten, die der Fotograf heute in seiner sozialen Arbeit hat, sind jedoch gezeichnet von einem langen Weg teils steinigen Weg als professioneller Fotograf.

Von den Philippinen über Los Angeles nach Bad Zwischenahn bei Oldenburg

Nach seinem Abitur und einem Zivildienst in einem Altenheim, entschloss sich Bichmann anstelle einer Ausbildung für ein internationales Praktikum. Die Leidenschaft fürs Fotografieren hat er von seinem Vater. Dieser zeigte ihm schon als Kind seine Dias und begeisterte ihn von der Vorstellung, die Welt mit Kamera in der Hand zu erkunden. Eine amerikanische Agentur bot Bichmann an, auf den Philippinen professionelle Luft zu schnuppern. Für Marketingprojekte fotografierte er Models oder assistierte an Filmsets. Über die Jahre schnupperte er so in eine Welt hinein, in die unerfahrene Fotografen normalerweise kaum Zugang haben.

Johannes Bichmann fotografiert alte, schöne Menschen
© Johannes Bichmann

Über dieselbe Agentur kam er im Anschluss nach Los Angeles. Über ein halbes Jahr pendelte er immer wieder von Deutschland nach Amerika, um mit einem Touristenvisum für einige Projekte zu arbeiten. In dieser Zeit entstand auch sein erstes ehrenamtliches Projekt. Durch seinen Zivildienst im Altenheim konnte er sich noch gut an die Situation im Altenheim erinnern. Besonders die fehlende Wertschätzung für ältere Menschen in unserer Gesellschaft störte ihn. Und genau dieser wollte er mit seiner Leidenschaft fürs Fotografieren entgegenwirken.

Das Fotoprojekt „Generationenvertrag“

Unter dem Titel Generationenvertrag schrieb er einige Heime an, um dort kostenlose Fotosessions anzubieten. Doch seine Euphorie wurde nicht erhört. Erst nachdem er bereits 30 Heime angeschrieben hatte, kam endlich die Rückmeldung: Ein Heim im Sauerland verstand sofort, worum es ihm ging, und lud ihn ein.

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Johannes Bichmann: Generationenvertrag“

„Das Gefühl, das ich da erlebt habe, kannte ich so nicht. Ich kriege auch jetzt noch Gänsehaut, weil das so ein einschneidendes Erlebnis in meinem fotografischen Werdegang war. Die Dankbarkeit von den Angehörigen, Teilnehmer:innen und Mitarbeiter:innen hatte eine andere Tragweite.“

Ein paar Tage später erreichte ihn ein Anruf: Eine der Teilnehmer:innen war verstorben. Die Angehörigen sprachen dem Fotografen tiefe Dankbarkeit aus, dass er ihre Mutter noch einmal so wunderschön festgehalten hatte. Schon früh merkte Bichmann, dass er sich in der “Glitzerwelt” der Modebranche mit ihrem Fokus auf Schönheit nicht recht wohlfühlte. In Los Angeles bestätigte sich sein Wunsch, mehr Sinn in seiner Arbeit zu finden. Doch bis Bichmann die Reißleine zog und seine Arbeit neu ausrichtete, vergingen einige Jahre, die er mit einer Greencard in Los Angelesverbrachte.

Johannes Bichmann fotografiert alte, schöne Menschen
Aus dem Projekt „Generationenvertrag“ | © Johannes Bichmann

„Ich habe so viel, was in meiner Seele brennt, was ich lieber machen würde. Ich war noch nicht so weit. Ich wusste einfach noch nicht, wer ich war.“

Wertschätzung durch Fotografie

Als Bichmann zurück nach Deutschland kam, brauchte er eine Weile, um sich neu zu orientieren. Für die Liebe zog er in die Nähe von Oldenburg. Dort begann sich sein ehrenamtliches Engagement richtig zu entfalten. Nachdem er eine Anstellung bei den lokalen Nachrichten bekam, suchte er nach einem Ausgleich. Er erinnerte sich an die positiven Gefühle, die mit seinem Projekt für das Altenheim im Sauerland einhergingen, und entschloss sich, erneut nach Altenheimen Ausschau zu halten. Und er wurde schnell fündig: Unweit von seinem Wohnort stieß er auf Resonanz mit seinen Ideen. Nun arbeitet er mit dem Altenheim schon seit fünf Jahren zusammen. Zwischen drei und sechs Shootings organisieren sie im Jahr – und alle empfangen Bichmann mit Beifall.

Johannes Bichmann fotografiert alte, schöne Menschen
© Johannes Bichmann

„Die haben ihre Flure gepflastert. Meine Bilder werden auf Beerdigungen ausgestellt. Die Bewohner:innen finden es so schön, an diesen Bildern vorbeizulaufen und sich an ihre alten Freund:innen zu erinnern. Das sind Erinnerungen, die bleiben. Ich habe nur ein paar Minuten pro Person und ich lerne sie in der Zeit ja nicht kennen. Aber das Ergebnis ist trotzdem sehr persönlich.“

Im Interview erklärt Bichmann, dass es oft gar nicht so einfach sei, den Menschen ihren wahren Charakter zu entlocken und die Bilder ihre Geschichten erzählen zu lassen. Er habe diese Empathie über die Jahre lernen müssen. Die wenigsten Menschen würden sich vor der Kamera natürlich verhalten. Häufig seien es die Momente zwischen den Aufnahmen, in denen sie sie selbst sind.

Bichmanns Träume für die Zukunft

Seit geraumer Zeit arbeitet Bichmann auch mit einer Flüchtlingsorganisation zusammen. Er schießt Bewerbungsfotos für Geflüchtete, um ihnen den Einstieg in einen Beruf zu vereinfachen. Auch die Behindertenwerkstatt mit Inklusionshotel Villa Stern, ein Hotel für und mit Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, verstand Bichmann sofort und arbeitet seitdem mit ihm gemeinsam an Projekten.

Johannes Bichmann fotografiert behinderte Menschen
Johannes Bichmann organisiert regelmäßig Shootings mit dem Inklusionshotel Villa Stern | © Johannes Bichmann

Das bisher größte Projekt erfülle Johannes Bichmann mit Stolz. Im vergangenen Jahr kam die Caritas auf ihn zu. Sie wollten gerne einen Kalender mit Fotos von Senior:innen erstellen und ihn als Fotografen an Bord holen. Auch daraus ist ein Langzeitprojekt geworden. Unter dem Titel „Das Leuchten des Alters“ eröffnete er mit der Caritas eine Ausstellung der Bilder, die vier Tage lang in Oldenburg zu sehen war und jetzt als Wanderausstellung verfügbar ist. Dies sei ein sehr besonderer Moment in seinem Leben gewesen. Über die Caritas konnte Bichmann auch in andere Organisationen hineinschauen: So zum Beispiel eine Suchtberatung. 

Sein großer Traum wäre es, irgendwann von seiner sozialen Arbeit leben zu können. Auch was seine Projekte angeht, hat er noch große Pläne.

„Ich würde gerne einmal mit einem Gefängnis zusammenarbeiten. Das ist jedoch rechtlich leider in Deutschland sehr schwierig. Daher schaue ich mich momentan nach Bewährungshelfern um, um eventuell für Ex-Häftlinge Fotos zu machen, und durch schöne Portraits ihren Selbstwert zu stärken.“

Beitragsbild: © Johannes Bichmann

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Lara Schmalzried

Lara ist Online-Chefredakteurin des Good News Magazins. Lange hat sie von einer besseren Welt geträumt. Jetzt schreibt sie Artikel, die den Blick auf die Welt verändern.

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