“Vergängliche Kunst”

das ist ein GNM+ ArtikelMomente der Freude schenken – ein Interview mit Paul von Framespotting

von | 9. Februar, 2023

Paul rahmt seine Fotografien und hängt sie in den Straßen auf. Wer sie findet, darf sie behalten. Ein Gespräch über die Kraft des Gebens.

„Was man findet, darf man auch behalten.“ – so lernt man es als Kind, aber überlegt im Alltag dann doch zweimal, ehe man einen gefundenen Gegenstand einfach mit nachhause nimmt. Paul von Framespotting erwartet aber genau das: Wer eine seiner Fotografien findet, soll sie auch gerne mitnehmen. Die einzige Bedingung ist es, Paul über Instagram zu schreiben und von der Geschichte des Fundes zu erzählen. In diesem Stil verschenkt Paul seit einigen Jahren kleine Glücksmomente an aufmerksame Menschen, die mit offenen Augen durch die Innenstadt gehen. Gegenüber des Good News Magazins erzählt er von seinem Antrieb, berührenden Geschichten hinter den Funden und was es mit der „kleinen Komplizin“ auf sich hat.

“Meine Galerie ist die Straße”

Paul ist Hamburger, Vater und Hobbyfotograf und er macht anderen gerne eine Freude. Das alles vereint resultiert in seinem Framespotting-Projekt. Dabei hängt der Künstler eigene gerahmte Fotografien an verschiedensten Orten auf und hofft, dass sie bald gefunden werden. Für Paul bietet dieses Projekt die Möglichkeit, mit einer kleinen Geste große Veränderungen anzustoßen und sich selbst entfalten zu können. „Die Idee habe ich schon lange – zehn Jahre ungefähr. Ich war früher beruflich viel unterwegs, aber habe immer schon viel in meiner Freizeit fotografiert.  Irgendwann habe ich für mich entschlossen: ‚Ich muss meine eigene Galerie schaffen.‘“, erzählt er im Interview mit Good News Magazin. Diese eigene Galerie schuf er sich dann ganz unkonventionell auf den Straßen Hamburgs. Was andere Street-Art Künstler mit Sprühdosen können, geht doch auch mit gerahmten Bildern, oder nicht? Framespotting ist das perfekte Beispiel dafür.

Framespotting Nachricht 1
Dieser Zettel wird jedem Framespotting-Bild zugefügt. Bild: privat

Jede:r Finder:in wird auf einem Begleitzettel zum Bild darauf hingewiesen, sich bei Paul zu melden und von der Geschichte des Fundes zu erzählen.  Auf seinem Instagram-Account (@framespotting_hh) sammeln sich die gefundenen und eingeschickten Bilder neben Ankündigungen von neu aufgehängten Exemplaren. Über diesen Weg hält Paul alle Interessierten up to date und nimmt seine Follower:innen mit auf Bilder-Safari. Außerdem kann er so im direkten Kontakt mit den Finder:innen stehen. Paul betont, dass ihm die Verbindung von Online und Offline schon immer wichtig gewesen sei und deswegen die Instagram-Präsenz auch ein großer Bestandteil seiner Arbeit ist. Framespotting wird zu einem interaktiven Projekt in der echten und digitalen Welt und zieht über die Zeit immer mehr begeisterte Fans auf sich. 

Ein anonymes Unikat

Gegenüber der Öffentlichkeit hält sich Paul trotz seiner Social Media-Präsenz anonym, um seine Straßenkunst weiterhin ungesehen an den Fassaden der Stadt anbringen zu können. Es gibt keine Aufnahmen seines Gesichtes oder Angaben des ganzen Namens. Die Arbeit hinter der Person reichte jedoch, um eine Fanbase aufzubauen, welche immer wieder motiviert auf Framespotting-Tour geht.

Framespotting auf Tour
„Framespotting“ verteilt Bilderrahmen in der Stadt: Der Finder darf sie behalten. Bild. privat

Paul erklärt, er habe die Streifzüge inkognito angefangen, da er sich nicht sicher war, ob man einfach so Bilder in der Stadt aufhängen konnte. Im weiteren Verlauf seiner Framespotting-Karriere hatte die Anonymität aber andere Gründe, denn er wollte die Bilder ungestört an ihren ausgewählten Platz bringen. Mit steigender Bekanntheit stieg auch die Anzahl der Menschen an, welche es als attraktive Aufgabe ansahen, die Bilder sofort finden zu wollen. Paul möchte, dass die Bilder weiterhin ein zufälliger Fund anstatt eine Jagdspiel-Aufgabe sind: „Die Leute sind sehr gewieft. Manchmal reicht eine kleine Spiegelung auf meinem Instagram-Post und sie wissen, wo das Bild hängt. Deswegen bleibe ich auch anonym – es läuft mir so keiner hinterher und bittet um das Bild oder den neusten Fundort. Ich möchte, dass das Projekt weiterhin an der Idee hängt und nicht an mir.“

Nicht nur die Idee hinter Framespotting, auch die Erscheinung der Bilder ist einzigartig. Jedes Werk wird mit Fußdielen gerahmt, welche Paul aus diversen Containern gefischt oder in seinem Keller bereits angesammelt hat. „So mache ich quasi auch Upcycling und jedes Bild ist ein Unikat“, meint der Hamburger lachend und erklärt, dass Fußboden-Dielen den perfekten Rahmen bieten. Sie seien wertig, beständig und meist etwas älter, was ihnen den originellen Look verpasst. Kein Framespotting-Bild auf den Hamburger Straßen gleicht einem anderen. IKEA-Rahmen habe er anfangs auch ausprobiert, aber sie hatten dem möglichen Regen nicht standgehalten. Mit den Fußboden-Dielen bleiben die Bilder – wie das Projekt selbst – ein Unikat.

Zu jeder Geschichte ein passendes Bild

Zu dem Lieblingsteil seiner Arbeit zählen die Erzählungen hinter den Funden. Nachdem er nun schon mehr als 600 Bilder verschenkt hat, haben ihn schon die schönsten und ausgefallensten Geschichten via Instagram-Messenger erreicht. Zu seinem Favoriten gehört die Geschichte eines Mannes, der durch die „Bilder-Jagd“ wieder ein Stück weit ins Leben zurückgefunden hat. „Ein Mann hat acht Bilder von mir gefunden. Er war in einer schweren depressiven Phase und ist nur noch sehr selten aus dem Haus gegangen, wenn dann nur nachts.  Irgendwann hat er dann ein Bild von mir gefunden und sein Suchinstinkt wurde geweckt. Es gab ihm den Antrieb wieder öfter rauszugehen, die Bilder zu suchen und die Außenwelt zu sehen. Er sagte selbst, dass es ihm geholfen hat aus dieser Phase wieder herauszukommen. Ich bekomme immer wieder Gänsehaut, wenn ich davon erzähle“, erzählte Paul begeistert.  

„Die Bilder finden die Menschen und nicht umgekehrt.“

– Paul, Gründer von Framespotting

Aber nicht nur dieses Beispiel gibt einem den Anschein, dass es so etwas wie Schicksal doch geben muss. Eine weitere Geschichte ist die einer Australierin, welche nach Deutschland ausgewandert war und ein Bild des Opernhauses in Sydney fand. In ihrer Instagram-Nachricht an Paul schrieb sie, dass sie an diesem Tag großes Heimweh hatte und sich riesig über den Fund gefreut habe. Ein anderer Mann beschrieb, dass er schon seit Jahren auf Hochtouren lebte und von einem Ausweg aus dem turbulenten Leben träumte. Der Fund einer Fotografie aus Island gab ihm den Anreiz, den letzten Schritt endlich zu gehen und mit dem Reisen zu beginnen. Es sind Geschichten wie diese, die Paul immer wieder erinnern, warum es sich lohnt, mit seiner Arbeit weiterzumachen und die alle Fragen nach dem tieferen Sinn des Projektes in Luft auflösen lassen. Viele kennen es: Wer Zeichen sucht, der findet sie auch und Framespotting bringt diese Zeichen mit seiner Kunst in die Welt.

Leben ins Stadtinnere bringen

In Hamburg mag Framespotting am bekanntesten sein, jedoch ziehen sich die Kreise seiner Fanbase noch viel weiter. „Manche fahren eine Stunde von Hamburg nach Stade, um die Bilder zu suchen“, sagt Paul und erklärt, dass manche Städte ihn sogar anfragen, ob er nicht vorbeikommen könne, um seine Bilder aufzuhängen. „Gerade nach dem Lockdown fungierte meine Arbeit als Menschenmagnet für Stadtzentren. Die Bildersuche gab den Leuten einen Anreiz, wieder in die Stadt zu kommen. Den Städten gefiel diese Idee und sie dachten daran, mich zu buchen“.        

Durch solche Aktionen konnte Paul mit Framespotting das erste Geld verdienen und unverändert Freude an Passant:innen verschenken.        

Aber nicht nur auf den Straßen wurden die Bilder aufgehängt, in manchen Fällen fanden sie auch Platz im Inneren von Gebäuden. So zum Beispiel zwischen anderen Kunstwerken in einer Ausstellung oder innerhalb einer Sparkasse. Paul könnte sich vorstellen, mit Framespotting auch den Einzelhandel wiederbeleben zu können. „Was ist, wenn ich meine Bilder einfach zwischen die Kleider eines Ladens hänge?“ Eins ist sicher: Die Menschen würden bewusst suchen gehen. Und wenn jene es nicht finden, wird es von einer anderen glücklichen Person entdeckt werden.

Die kleine Komplizin

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Die kleine Komplizin hilft tatkräftig auf den Streifzügen. Bild: privat

Das Prinzip des Gebens und der damit verbundenen Freude hat Paul auch schon an seine Tochter weitergegeben. Sie hilft ihm unter dem Decknamen „Die kleine Komplizin“ auf seinen Streifzügen und ist mittlerweile auch selbst Künstlerin geworden.           

Anfangs habe sie nur die Rahmen bemalt, erzählt Paul, aber mittlerweile besuche sie einen Kunstkurs und ihre eigenen Werke finden den Weg auf die Straßen der Stadt. So lernt die kleine Komplizin nicht nur die Kunst und ihren Vater besser kennen, sondern lernt auch das Geben zu schätzen. Die selbstlose Art des Verschenkens macht ihr große Freude und ist ein weiterer schöner Nebeneffekt des Projektes.

“Man merkt, dass der Gedanke dahinter bei ihr ankommt. Letztens haben wir Heferaupen gebacken und sie wollte das Gebäck an Bedürftige verschenken. Natürlich haben wir das dann gemacht.” 

Die Kraft des Gebens und die Freude, welche es für beide Partien mit sich bringt, wird der kleinen Komplizin mit Framespotting von Kindesbeinen an beigebracht. 

Augenöffnende Kunst

Paul hat mittlerweile einen Drei-Tage-Job angenommen, um dem Framespotting-Hobby mit noch mehr Hingabe nachgehen zu können, aber auch, um mehr „Quality time“ mit seiner Tochter zu verbringen zu können. In seinem alten Job habe er seine Tochter oft nur ins Bett bringen können und nun verbringen Vater und Tochter ganze Tage zusammen.           

Framespotting ist eine einzigartige Art und Weise den Menschen beizubringen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Das Finden der Bilder erinnert an das Erhalten von Postkarten. Wenn man den Briefkasten öffnet und eine unerwartete analoge Nachricht erhält, wird der Tag versüßt und ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Ähnlich ist es mit dem Fund eines Framespotting-Bilds: Unerwartet, analog und erfüllend hängt es plötzlich vor einem. Solche unüblichen Funde haben die Kraft, Tage oder sogar ganze Lebensabschnitte zu verbessern. Paul merkt das beim Lesen seiner Nachrichten immer wieder und findet so den ständigen Antrieb, mit dieser Arbeit weiterzumachen.

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Mara Betjemann

Mara Betjemann ist Redakteurin bei Good News Magazin und freie Autorin. Sie ist der Meinung, dass Medien maßgeblich das Denken vieler Menschen beeinflussen und genau deswegen positiver Journalismus noch viel mehr etabliert werden sollte. Neben dem Schreiben für Good News Magazin, studiert sie Sozialwissenschaften in Düsseldorf und genießt das Leben im Rheinland.

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