Sehen, was andere hören

Eine Brille, die Gespräche sichtbar macht

von | 2. Februar, 2023

Goodbye Lippenlesen! Eine innovative Brille erzeugt Live-Untertitel für mehr Inklusion bei Hörbehinderungen.

Unser Gehör ist der einzige Sinn, der dauerhaft Reize empfängt. Wir nehmen permanent Geräusche wahr, die uns meist unbewusst, aber intensiv mit unserer Umwelt verknüpfen. In Deutschland hat im Schnitt jede fünfte Person eine Hörbehinderung. Das wirkt sich mitunter stark auf die Teilhabe an der Gesellschaft aus. Denn Menschen nutzen ihr Gehör nicht nur für die zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auch zur Orientierung oder Wahrnehmung von Warnsignalen wie Sirenen.

Hörbehinderung ist jedoch nicht gleich Hörbehinderung. Aus medizinischer Sicht wird zwischen unterschiedlichen Graden des Hörverlustes unterschieden: von leichtgradiger, zu mittelgradiger bis hin zu hochgradiger Schwerhörigkeit oder gar völliger Taubheit.

Wie kommunizieren Menschen mit Hörbehinderung?

Für Menschen, die taub auf die Welt kommen, ist Gebärdensprache meist ihre Muttersprache. Gehörlose Menschen sprechen also in Gebärdensprache. Sie sind nicht “taubstumm” – dieser Begriff ist veraltet und diskriminierend. Laut Bundesfachstelle für Barrierefreiheit sprechen in Deutschland nur rund 200.000 Menschen die Deutsche Gebärdensprache. Verhältnismäßig sind das sehr wenige. Um sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden und den Alltag zu bewältigen, lernen viele Betroffene deshalb die geschriebene und gesprochene Sprache als Fremdsprache.

In Gesprächen sind Menschen mit Hörverlust oft auf Lippenlesen angewiesen, also auf die visuelle Wahrnehmung der Lippenbewegungen des Gegenübers. Doch was, wenn das Gegenüber eine Maske trägt oder (wie zum Beispiel bei Telefonaten) überhaupt nicht sichtbar ist?

Innovative Technologie als Hilfe

Um Kommunikationsbarrieren zu überwinden, erschuf das Londoner Unternehmen XRAI Glass die Software zu einer Brille, die Audiosignale in Untertitel umwandelt. Menschen mit einer Hörbehinderung sind durch das Tragen der Brille nicht mehr auf das Lippenlesen ihres Gegenübers angewiesen und können sich so auch mit Personen außerhalb ihres Blickfeldes, zum Beispiel über Telefonate, unterhalten. Die Untertitel sind direkt durch die Brillengläser sichtbar und kennzeichnen sogar unterschiedliche Gesprächspartner:innen. Das System verwendet für die Spracherkennung die Amazon-Assistentin Alexa.

Bisher läuft die App in folgenden Sprachen: Chinesisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch, Portugiesisch und Spanisch. An der Übersetzung in weitere Sprachen wird aktuell gearbeitet. Außerdem soll die Brille bald sogar unterschiedliche Tonlagen anzeigen können.

Für die Live-Untertitelfunktion muss zur Spracherkennung die XRAI-App installiert und mit der Fassung der Augmented Reality Brille der Partnerfirma Nreal verknüpft werden. Ein kompatibles Smartphone ist für den Gebrauch also unerlässlich. Die App ist in unterschiedlichen Abos erhältlich. Das kostenlose Abo enthält eine uneingeschränkte Übersetzung in alle verfügbaren Sprachen und archiviert Gespräche für einen Tag. Die teuerste Abo-Version kostet 50 € pro Monat und enthält u.a. eine unlimitierte Archivierungsdauer und eine persönliche AI-Assistenz.

Diese kann zum Beispiel Fragen zu abgespeicherten Gesprächen im Archiv beantworten. Obwohl die App auch alleine funktioniert, empfiehlt XRAI die Verwendung einer AR-Brille, um den besten Nutzen der Software herauszuholen. Die Brille der Partnerfirma Nreal kostet ungefähr 400 $, ist in Deutschland aber aktuell noch schwierig zu erwerben.

Zur Produktidee inspiriert wurde Dean Scarfe (Chief Executive Officer von XRAI Glass) durch seinen Großvater. Aufgrund seines Alters lebt der 97-jährige mit Hörverlust und schaute daher regelmäßig Fernsehen mit Untertiteln. Dies brachte seinen Enkel auf die Idee, die Welt mit Untertiteln zu versorgen und so Inklusion voranzutreiben.

Beitragsbild: mms businesswire

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Rahel Pfeffinger

Rahel ist Redakteurin beim Good News Magazin und studiert Gender Studies im Master. In ihrer Freizeit findet sie Entspannung in der Natur, der analogen Fotografie und beim Töpfern. Ihr Tipp für einen gute Laune-Boost: Mindestens eine Good News am Tag lesen.

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