Freiraum gegen den Pflexit

3 Beispiele für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege

von | 6. Mai, 2022

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Pflexit kam 2021 bei den Worten des Jahres auf Platz drei: Pflege und Exit kombiniert. Das beschreibt die Flucht aus Pflegeberufen aufgrund katastrophaler Arbeitsbedingungen. Wir schauen uns an, welche Lösungen es dagegen gibt.

Mit rund einer Millionen Beschäftigten sind Pflegekräfte die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen – und auch die gefährdetste. Sie stehen auf Platz Eins der Krankenstatistik. Im Jahr 2020 lagen sie mit 21,1 Tagen Krankschreibung deutlich über dem Durchschnitt von 12,9 Fehltagen. Das liegt vor allem an ihrer hohen psychischen und physischen Arbeitsbelastung. Die Folge sind häufige Muskel-Skelett-Erkrankungen sowie psychische Erkrankungen. 

In diesem Artikel schauen wir uns die schwierigen Arbeitsbedingungen an und ihre Folgen, aber vor allem stellen wir drei starke Gegenbeispiele aus dem Gesundheitsweisen vor, denn: Es geht auch anders!

Schlechte Arbeitsbedingungen

„Ich habe während der Schicht nicht getrunken – so musste ich nicht zur Toilette“,

berichtet eine Pflegekraft.

2021 kündigten am Uniklinik in Marburg 15 von 16 Pflegekräften gleichzeitig wegen der schlechten Arbeitsbedingungen. Der fluchtartige Exodus aus den Pflegeberufen wird seit 2016 „Pflexit“ genannt. Hauptgründe sind Überlastung und unzumutbare Arbeitsbedingungen. Trotz jahrzehntelanger Berichterstattung über die Missstände hat sich die Lage auch 2022 nicht verbessert.

Jede vierte Pflegekraft will den Job wechseln wegen Überlastung und schlechter Bezahlung. Vor allem jüngere wollen die Branche sogar ganz verlassen, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für das Jobportal Indeed zeigt. Auch Ärztinnen und Ärzte leiden im Krankenhaus unter der hohen Arbeitsbelastung. Eine Umfrage unter 3.300 Krankenhausmedizinern ergab, dass sich 60 Prozent von ihnen zunehmend und 31 Prozent immer erschöpft fühlen. Ein Fünftel dieser plante eine berufliche Zukunft außerhalb des Krankenhauses.

Pflegekräfte wollen professionell arbeiten

Ein Kernproblem in der Pflege ist der unhaltbar hohe Personalschlüssel. 2019 zeigte eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass Deutschland im internationalen Vergleich schlecht wegkommt: Während sich in Deutschland sich eine Pflegekraft im Schnitt um 13 kranke Menschen kümmern muss, sind es in Großbritannien 8,6 und in den Niederlanden 6,9.

Warum hat bisher niemand neue Spielregeln durchsetzen können? Der Präsident der

Bundesärztekammer, Frank Montgomery, sagte 2019: „Inzwischen versuchen alle durch eine Steigerung der Arbeitsbelastung mehr Arbeit aus ihren Mitarbeitern herauszuholen, um damit Geld zu sparen oder Gewinne einzufahren.“ Nach dieser Sichtweise steigert jede unbesetzte Stelle die Rendite. Die Leidtragenden sind alle, die in diesem System arbeiten. Würde die Gier im Management der Krankenhaus-Konzerne gestrichen werden, gäbe es gesündere Pflegekräfte – und genug Nachwuchs. 

Gesundheit braucht Raum und Zeit – gerade auch bei den Menschen, die für die Gesundheit anderer arbeiten. Diese Beispiele zeigen, wie es geht:

1. Spremberger Krankenhausgesellschaft

Dass Arbeit in der Pflege gemeinschaftlicher und handlungsfähiger geht, zeigt das folgende, bundesweit einmalige Modell: An der Spremberger Krankenhausgesellschaft besitzen die Beschäftigten seit 1997 über einen Förderverein die Mehrheit von 51 Prozent. 49 Prozent gehören der Stadt. Die Vereinsmitglieder achten auf Wirtschaftlichkeit, aber auch auf gute Arbeitsbedingungen. Der bundesweite Personalschlüssel wurde ersetzt. Nun werden sechs bis sieben Patientinnen und Patienten pro Pflegekraft betreut. Dies ermöglicht eine würdevolle Arbeit. In Spremberg gibt es auch keine Angst vor Umstrukturierung, denn alle Vereinsmitglieder entscheiden, wie sich die Strukturen der Krankenhausgesellschaft entwickeln sollen.

2. Das 3+3-Modell

Am Karolinska-Universitätskrankenhaus in Stockholm, am Universitätsklinikum Linköping sowie in schwedischen Reha-Kliniken und Pflegeheimen wurde das 3+3-Modell erprobt. Diese Formel bedeutet: drei Tage arbeiten, drei Tage frei. Die Arbeitszeit wird durch diesen Rhythmus auf 85 Prozent reduziert, die Vergütung bleibt dieselbe. Ein weiterer Vorteil: Es herrscht Planungssicherheit. Pflegekräfte müssen nicht ständig einspringen, Erholung ist garantiert. Das schwedische Modell vereinfacht die Planung und reduziert Stress wirksam. 

Und was sagen die Controller? Weil die Kosten für Krankheitstage um über 40 Prozent gesunken sind, sind auch sie zufrieden. Zudem profitiert der Arbeitgeber davon, dass nur noch wenig Fluktuation herrscht. Teure Recruiting-Kosten können reduziert werden. Es ist so einfach wie logisch: Beschäftigte mit einem kürzeren Tag sind motivierter und fehlen seltener; sie haben weniger Rückenschmerzen und Herzbeschwerden. Die zusätzliche Freizeit wird für gesundheitsförderndes Verhalten wie Sport und regelmäßige Bewegung genutzt, die wiederum der Leistungsfähigkeit zugutekommt. In welchen Branchen würdest du mit dem 3+3-Modell die klassischen Arbeitszeiten ersetzen?

3. Pflegekräfte ohne Management

2006 probierte der Unternehmer Jos de Blok in der ambulanten Pflege eine völlig neue Organisationsform aus. Mit vier Mitarbeiter:innen startete er Buurtzorg in den Niederlanden. Heute arbeiten 15.000 Pflegekräfte mit ihm, und seine Firma wurde mehrfach als bester Arbeitgeber der Niederlande ausgezeichnet. Buurtzorg kann messbare Erfolge vorweisen: 

  • Die Patient:innen werden schneller gesund.
  • Die Pflegekräfte werden seltener krank. 
  • Das bedeutet weniger Kosten für Staat und Krankenkassen. 
  • Mehr Geld bleibt für Innovationen. 

Wie ist das möglich? Jos de Blok hat das gängige Modell der festen, vom Management vorgegebenen Zeitpläne infrage gestellt. Er lässt die Pflegefachkräfte ihre eigenen Zeitpläne erstellen. Daraus folgte eine weitere Frage: Was macht dann das Management? Nichts! 

Also streicht Jos de Blok das Management komplett. Die 15.000 Pflegekräfte planen in kleinen regionalen Teams ihre Arbeit selbst. Das bietet ihnen Spielräume für spontane Entscheidungen und Anpassungen an Unvorhergesehenes. 50 Angestellte in der Verwaltung und eine selbst entwickelte Software unterstützen die Pflege-Teams und vereinfachen ihre Arbeit. Überrascht? Gestrichenes Management vereinfacht die Organisation für 15.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Organisation für ambulante Pflege.

In diesem Video wird das Konzept vorgestellt:

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Funktionieren diese drei Modelle überall? Nein! Warum auch? Zu diesen Firmen passt es. Wenn das möglich ist – was kann dann noch alles umgesetzt werden?

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Beitragsbild: sabinevanerp / Pixabay

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Martin Gaedt

Martin Gaedt ist Autor der Bücher "Rock Your Idea" und "Mythos Fachkräftemangel". Er ist Arbeitsmarktexperte, mehrfacher Unternehmensgründer und war 2007 bis 2020 Arbeitgeber. Good Work mit Raum zur Entfaltung, Ideenfitness und Provotainment liegen ihm am Herzen, denn Fragen, Humor, Provokation und engagierte Kolleg:innen sind der Keim aller Veränderung.

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